Eines Tages wird in den Geschichtsbüchern stehen, dass viele junge Menschen auf die Straße gingen und einen Systemwechsel gefordert haben. Aber was wird man rückblickend zur Reaktivität der Gesellschaft und der Politik sagen können? Lassen sich die Gefahren des Klima­wandels und des Artensterbens durch konsequentes Umsteuern in Richtung Nachhaltigkeit noch verhindern? Oder ist es dafür zu spät und müssten eher Maßnahmen zur Anpassung an den Wandel im Vordergrund stehen?1 Und was wäre, wenn sich ganz neue Wege aufzeigen ließen, die – mit Mut und Entschlossenheit vorangebracht – ein anderes Morgen entstehen ließen? Doch wer sollte das in Angriff nehmen? Und: Darf man noch träumen…?

Alles in Butter?

Wachstum: Es gäbe keine Alternative zum Wirtschaftswachstum, so der Generaldirektor der luxemburgischen Handelskammer Carlo Thelen, denn er sei eine wichtige Voraussetzung für den sozialen Frieden, die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und die Sicherung der Zukunft für jüngere Generationen.2 Umgekehrt führe Wirtschaftsschwund zu sozialen Unruhen und befördere Populismus. Um dem entgegenzuwirken, wurde das Konzept des „qualitativen Wachstums“ eingeführt: Man verspricht sich weniger Staus, weniger Wohnungsprobleme, mehr Ökologie und mehr Lebensqualität. Das soll gelingen durch erneuerbare Energien und gesteigerte Energieeffizienz, high performance computing, die Kreislaufwirtschaft, innovative Fintech, neue Arbeitsstrukturen und Konsummodelle. Dabei wird leider die Umverteilung des Reichtums außer Acht gelassen. Hauptziel der vom Wirtschaftsministerium in Auftrag gegebenen sogenannten „Rifkin-Studie“ war ja ein anderes: dem Wirtschaftsstandort neuen Schwung zu geben und nebenbei das erfolgreiche Wachstumsmodell vom Ressourcenverbrauch abzukoppeln. Letzteres kriegen wir aber erst hin, wenn für die kommenden Jahrzehnte beim Aufbau neuer Infrastrukturen erhebliche Mengen an Investitionen und Ressourcen zum Einsatz kommen, nicht nur für den Bau von Sonnenkollektoren und Windkraftanlagen, sondern auch für das Umrüsten von Produktions-, Transport-, Gebäude- und Nahrungsmittelsystemen. Für Niko Paech stellt dieses „grüne Wachstum“ eine „Verschlimmbesserung“ dar.3 Wenn auch das Hinterfragen von Wachstum als das Werk von Narren und Idealisten gilt, ist diese Infragestellung unabdingbar, da Wachstum unter diesen Bedingungen nur einen Anschein von Wohlstand bietet: „Wohlstand heute bedeutet nichts“, so Tim Jackson, „wenn es die Bedingungen untergräbt, von denen der Wohlstand von morgen abhängt. Und die wichtigste Botschaft der Finanzkrise 2008 ist, dass das Morgen schon da ist.“4

Energiewende: Die Fridays for Future fordern seit Monaten einen Systemwechsel. Wenn unser Wirtschaftssystem den Planeten an seine Grenzen bringt, dann ist die systemerhaltende Innovations-Euphorie nicht ausreichend, um Luxemburgs ökologischen Fußabdruck von acht auf einen Planeten runterzukriegen. Vielmehr brauchen wir die Fantasie, es ganz anders zu machen. Futuristische Vorstellungen à la Elon Musk stellen den überheblichen Versuch dar, die Knappheit der Ressourcen, die Gesetze der Thermodynamik und der Evolution sowie Rebound-Effekte zu ignorieren oder herauszufordern. Die Energiewende vollzieht sich nicht im notwendigen Tempo, um den katastrophalen Klimawandel oder den Peak oil (und coal und gas…) zu verhindern. Das Scheitern der Industriegesellschaft bei dieser Energiewende ist nicht nur auf die gut finanzierte Opposition der fossilen Brennstoffindustrie zurückzuführen, sondern auch auf das Versäumnis der politischen EntscheidungsträgerInnen, sich für die Kohlendioxidsteuern und -alternativen einzusetzen.

Overshoot: Laut Dennis Meadows, Co-Autor der 1972 vom Club of Rome veröffentlichten Studie zu den Grenzen des Wachstums, sei es für eine „nachhaltige Entwicklung eigentlich schon zu spät“.5 Meadows warnt davor, bei dem Versuch, die ökologisch negativen Folgen des Wachstumskurses einzudämmen, zu sehr auf technischen Fortschritt zu setzen. Es gelte vielmehr ein niedrigeres Niveau der Wirtschaftsleistung, das im ökologischen Interesse erforderlich ist, mit dem sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft zu verbinden. Bereits 1972 skizzierte Meadows zwei Zukunftsszenarien: Overshoot und Nachhaltigkeit. Aktuelle Studien zeigen, dass sich die heutige Gesellschaft Richtung Overshoot bewegt.6 „Grüne Indus­trie“ ist für den Wissenschaftler „reine Phantasie“, denn es gäbe keine empirische Evidenz dafür, dass es möglich sei, das Bruttoinlandsprodukt vom Energieverbrauch zu entkoppeln.7 Im 2004 erschienenen 30-Jahre-Update der Grenzen des Wachstums wird eindringlich davor gewarnt, dass die Fortführung des „business as usual“ ab 2030 zum Kollaps führe.

Happy Kollaps?

Weitblick: Ganz trocken ausgedrückt ist Kollaps (Frz. effondrement) der Prozess, an dessen Ende die Grundbedürfnisse einer Bevölkerungsmehrheit (Wasser, Nahrung, Wohnen, Kleidung, Energie etc.) nicht mehr durch im gesetzlichen Rahmen festgelegte Dienstleistungen erfüllt werden können.8 Mehr als ein Moment à la Hollywood ist der Zusammenbruch als vielseitiger, nichtlinearer, geografisch differenzierter, doch rapider Vereinfachungsprozess der Biosphäre, der Energieflüsse und der gesellschaftlichen Strukturen zu verstehen sowie ‒ und das ist eine zentrale Dimension der Kollapsologie ‒ zu antizipieren. Laut dem Blogger Renaud Cayal eröffnet die Akzeptanz des Untergangs Perspektiven zwischen Hollywood-Dystopie und Techno-Utopie.9 Das noch vor dem Pariser Klimaabkommen, Brexit und Trump erschienene CollapsologieHandbuch10 validiert die Thesen des Club of Rome und legt die Greifbarkeit vom Ende unserer Welt dar. Dabei geht es nicht darum, sich zwischen Optimismus und Pessimismus zu entscheiden (es gibt optimistische KollapsologInnen). Vielmehr geht es um die Frage, ob wir die Perspektive des Zusammenbruchs entweder verleugnen bzw. verdrängen oder akzeptieren. Wenn wir bereit sind, uns mit der Wahrscheinlichkeit des „Zusammenbruchs“ auseinanderzusetzen, folgt daraus – ganz wie nach einem Trauerprozess – Energie für Neues, für die Welt „danach“.

Abwehr: Das Arsenal der Realitätsverweigerung reicht vom Schönreden („wird schon nicht so schlimm werden“) über Passivhaltung und Untätigkeit („ich kann ja sowieso nichts tun“) bis hin zur Kritik an anderen, die als erste mit mehr Umweltschutz beginnen sollten. Solche Abwehrversuche sind zwar menschlich, aber zugleich ein Haupthindernis, effektiv mit den Herausforderungen umzugehen. Klima-PsychologInnen sprechen bereits von „environmental melancholia“, „Pre-Traumatic-Stress-Syndrom“ oder „eco-anxiety“, was sich negativ auf unser limbisches System auswirke. Das limbische System ist eine Funktionseinheit des Gehirns, die der Verarbeitung von Emotionen und der Entstehung von intellektuellen Leistungen zugeordnet wird. In anderen Worten bindet seine Überforderung durch Abwehr viel Energie, die frei werden könnte für Kreativität, Aktivismus und Gemeinschaftsprojekte – und für unsere ganz persönliche Antwort auf die Krise.11

Überwindung: KollapsologInnen denken um, berechnen, erfinden, konzipieren – um die Welt auf die Zeit nach dem Kollaps vorzubereiten. Dieser Ansatz soll also Menschen dabei helfen, eine besonders akute, existenzielle Krise zu überwinden. Er stellt die Entfaltung eines neuen Imaginären, ja, die Erfindung einer neuen Zukunft ins Zentrum. Unter den Empfehlungen zählen die Suffizienz und die Verstärkung von (lokalen) Solidaritätsnetzwerken zu den besten Vorbereitungen für die Zukunft ‒ unter dem Motto: Pflegt eure Resilienz!

Und jetzt?

Resilienz: Resilienz ist die Fähigkeit eines Systems, Störungen zu absorbieren und sich angesichts von Veränderungsdruck neu zu organisieren, wobei Funktion, Struktur, Identität und Rückkopplungsprozesse im Wesentlichen erhalten bleiben. Uns fehlen Geschichten, die davon erzählen, wie eine energiesparende Welt voller resilienter Gemeinschaften tatsächlich klingen, riechen, aussehen und sich anfühlen würde. Deswegen ist es so wichtig, eine Vorstellung dieser Welt zu entwi­ckeln, die so verlockend ist, dass die Menschen morgens aus dem Bett springen und sich für diese Welt ins Zeug legen. Wenn Resilienz als Schlüssel für Ansätze gesehen wird, durch die Gemeinschaften ein Wohlergehen jenseits der gegenwärtigen Wirtschaftskrisen erzielen könnten, lassen sich dadurch Potenziale an Kreativität, neuen Fähigkeiten und Unternehmertum entfesseln. Auf die Rolle von Kreativität und Einfallsreichtum sind der britische Bildungsexperte Sir Ken Robinson und der deutsche Hirnforscher Gerard Hüther in ihren Arbeiten oft eingegangen, aber auch auf den Schaden, den die Unterdrü­ckung unserer menschlichen Potenziale auf den Planeten anrichtet.12 Wenn wir uns den Übergang nur als äußerlichen, rein materiellen Prozess hin zu mehr Solarzellen und Elektroautos vorstellen – als einen Prozess, der kein Wachstum der kommunikativen Fähigkeiten, der gegenseitigen Unterstützung in unsicheren Zeiten und der persönlichen Resilienz beinhaltet –, dann fehlt ein großer Teil des Bildes. Erfolgreich durch Klimawandel und Peak Oil zu steuern, wird Mut, Engagement und Weitblick in einem Maß erfordern, dass zukünftige Generationen darüber Geschichten erzählen und Lieder davon singen werden.

Gemeinschaftliche Resilienz: Warum soll man Resilienz in Gemeinschaften aufbauen, statt dies auf nationaler oder internationaler Ebene zu versuchen? Dies liegt laut dem Post Carbon Institute daran, dass die Community die verfügbarste und effektivste Ebene ist, um in menschliche Systeme einzugreifen. Auf Gemeindeebene interagieren wir am direktesten, sowohl mit Menschen als auch mit Institutionen. Hier sind wir am stärksten von den Entscheidungen berührt, die die Gesellschaft trifft: Welche Arbeitsplätze stehen uns zur Verfügung? Welche Infrastruktur steht bereit? Welche Richtlinien begrenzen oder stärken uns?

Urbane Resilienz: Die städtische Resilienz (wie sie allgemein genannt wird) stützt sich weitgehend auf die Resilienzwissenschaft sozial-ökologischer Systeme, ein Ansatz, der in erster Linie für die Arbeit mit natürlichen Ressourcen und den länd­lichen Gemeinden entwickelt wurde, die direkt von ihnen abhängen. Nach der unerwarteten (und sehr urbanen) Verwüstung durch „Superstorm“ Sandy im Oktober 2012, mit erheblichen Schäden und vielen Toten in der Karibik und den USA, wurde jedoch die weit verbreitete Auffassung vertreten, dass Städte ihre Widerstandsfähigkeit stärken müssen, um in der Lage zu sein, sich von den künftigen Auswirkungen des sich zuspitzenden Klimawandels zu erholen. Die urbane Resilienz setzt eine proaktivere Anpassung an zukünftige Bedrohungen (bounce forward capacity) voraus – ein Beispiel ist das Programm 100 Resilient Cities der Rockefeller Foundation. Doch die Tiefe unserer Krisen und die Erkenntnisse der Resilienzwissenschaft legen nahe, dass sie viel weiter gehen kann. Um diese Anwendung der Resilienz für städtische Umgebungen weiterzuentwickeln, hat das Post Carbon Institute 2015 sechs Grundlagen aufge­listet, die für einen effektiven Aufbau von Widerstandsfähigkeit in der Gemeinschaft wichtig sind: Menschen, Systemdenken, Anpassungsfähigkeit, Wandlungsfähigkeit, Nachhaltigkeit und Mut.13

Imagination massiv fördern: Wir sind in der Lage, dramatische Veränderungen herbeizuführen, argumentiert Rob Hopkins, Mitbegründer der Transition-Bewegung, aber wir scheitern daran, dass wir unser wichtigstes Werkzeug weitgehend zum Erliegen gebracht haben: die menschliche Vorstellungskraft, die Fähigkeit, Dinge so zu betrachten, als ob sie anders aus­sehen könnten, und zu fragen: Was wäre wenn? Und wenn es jemals eine Zeit gab, in der wir diese Fähigkeit brauchten, so Hopkins, dann jetzt. Imagination ist von zentraler Bedeutung für Empathie, und wir brauchen sie, um ein besseres Leben zu schaffen, um uns eine positive Zukunft vorzustellen und diese dann in die Tat umzusetzen. Es gebe zahlreiche Beweise dafür, dass sich Dinge und Kulturen schnell, dramatisch und unerwartet zum Besseren ändern können.14 Sein neues Buch From What Is to What If stellt durch inspirierende Geschichten von Individuen und Gemeinschaften aus der ganzen Welt einen Aufruf zum Handeln dar, um unsere kollektive Vorstellungskraft zurückzugewinnen und zu entfesseln.

(Frei)Raum für Neues: Da man Probleme bekanntlich nicht mit derselben Denkweise lösen kann, durch die sie entstanden sind, bedarf es Mut zur Selbstbestimmung, Kritik am Bestehenden und eine Menge Inspiration und Einfallsreichtum, um konkrete Lösungsansätze zu entwi­ckeln, die an die lokalen oder regionalen Bedingungen angepasst sind, ohne das Globale aus den Augen zu verlieren. Das Modell der Transitions-Bewegung ist ein soziales Experiment, das mit Hoffnung und Einfallsreichtum Antworten auf unsichere Zeiten vorschlägt. In etwas mehr als einem Jahrzehnt haben sich über 2.000 Initiativen in 50 Ländern entwickelt, in Städten und im ländlichen Bereich. „Transition“ heißt den Wandel von der Erdölabhängigkeit zur lokalen Resilienz zu gestalten, durch den Aufbau von lokalen Märkten und die (Wieder)eröffnung von Quartierläden, durch die Gründung von Gemeinschaftsgärten, die Organisation dezentraler Energieversorgung und durch Experimente mit Tauschkreisen und regionalen Währungen. Nach der Lancierung von CELL (Centre for Ecological Learning Luxembourg) im Jahr 2010 umfasst das Netzwerk „Transition Luxemburg“ heute mehrere Regionalgruppen, Themenkreise (Food, Energie, Wirtschaft, Gemeinschaftsgärten usw.), mehrere Genossenschaften (darunter TERRA für Gemüseanbau, TM EnerCoop für erneuerbare Energien sowie Kilominett Null und AlterCoop) sowie zahlreiche Projekte (darunter ein Äerdschëff in Redange, ein Transitionshaus in Esch, REconomy zu neuen Wirtschaftsformen usw.).15 Solche von BürgerInnen initiierte und von ihnen getragene Initiativen bergen ein enormes Potenzial, Lösungsvorschläge nach dem Motto „Denke global, handle lokal” zu erproben.

  1. https://jungk-bibliothek.org/2014/11/20/krisenfeste-gesellschaften-buchprasentation-in-der-jbz (alle Internetseiten, auf die in diesem Beitrag verwiesen wird, wurden zuletzt am 28. November 2019 aufgerufen).
  2. https://paperjam.lu/article/no-alternative-to-growth
  3. „Wer weniger kauft, hat mehr Zeit“. Interview mit Niko Paech, in: Der kleine Bund vom 3. Dezember 2013.
  4. Tim Jackson, Wohlstand ohne Wachstum, München, oekom verlag, 2009, S. 53.
  5. https://globalmagazin.com/themen/natur/zu-spaet-der-nachhaltigkeit/
  6. Siehe den Beitrag von Francis Schartz in diesem Heft, S. 28-30, sowie Karine Paris/Norry Schneider, „Le silence de l’effondrement“, in: Sozialalmanach 2019, Schwéierpunkt: Qualitative Wuesstem, Luxemburg, 2019, S. 143-173.
  7. https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/ein-gespraech-mit-dennis-meadows-gruene-industrie-ist-reine-phantasie-11980763.html
  8. Yves Cochet, „L’effondrement, catabolique ou catastrophique?“, Institut Momentum, 27. Mai 2011.
  9. https://cayla.de/flaschenposts/deutsche-kollapsologie
  10. Pablo Servigne/Raphaël Stevens, Comment tout peut s’effondrer, Paris, Editions du Seuil (= collection Anthropocène), 2015.
  11. https://www.freitagsplastikfrei.de/?p=1050
  12. https://schuetzer-der-erde.de/vom-inneren-zum-aeusseren-wandel/
  13. http://sixfoundations.org
  14. https://www.goodreads.com/book/show/48153302-from-what-is-to-what-if
  15. Siehe www.cell.lu

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