„Tierschutz ist Menschenschutz“

Interview mit Alain Frantz

Durch sein Verhalten gefährdet der Mensch nicht nur seine eigene Lebensgrundlage, sondern die aller Lebewesen. forum hat sich mit Alain Frantz, Zoologe am Naturmuseum, über die Auswirkungen des Klimawandels und des Biodiversitätsschwundes auf die Tierwelt unterhalten.

Wie wirken sich der Klimawandel und andere menschengemachte Veränderungen auf Tiere aus?

Alain Frantz: Klimawandel bedeutet zunächst einmal, dass in relativ kurzer Zeit verhältnismäßig starke Klima- bzw. Temperaturveränderungen stattfinden, wodurch sich auch Lebensräume verändern. Es gibt im Prinzip mehrere Möglichkeiten: Entweder eine Tierart ist anpassungsfähig und die veränderte Vegetation oder wärmere Temperaturen machen ihr nichts aus (z.B. das Wildschwein, das durch den Klimawandel höchstens positiv betroffen ist), oder aber der Lebensraum verändert sich derart, dass sich auch die Lebensbedingungen erschweren. In letzterem Fall gibt es wiederum drei Möglichkeiten: Entweder die Art passt sich an, was in einem kurzen evolutionären Zeitraum extrem schwierig ist, sie wandert ab, zieht also beispielsweise eher nach Norden, wenn sie Kälte bevorzugt, oder aber sie stirbt aus, weil sie sich aufgrund der zu schnell voranschreitenden Veränderungen nicht anpassen kann. Bergbewohner etwa können irgendwann nicht höher abwandern.

Das Anthropozän ist allerdings nicht nur ein Klimaproblem, sondern eine Biodiversitätskrise. Je mehr Menschen es gibt, desto weniger Lebensraum bleibt dem Tier. Konkret bedeutet das: Habitatverlust durch Abholzung, Homogenisierung von natürlichem Lebensraum, z.B. durch die in der Landwirtschaft eingesetzten Pestizide, sowie Zerschneidung von Lebensräumen, was dazu führt, dass immer kleinere Populationen entstehen, die keinen Austausch mehr miteinander haben, was wiederum das Risiko erhöht, dass sie aussterben. Dadurch wird der Lebensraum zunehmend strukturärmer, einfacher und einheitlicher, was einerseits dazu führt, dass sogenannte „Generalis­ten“, die keine spezifischen Ansprüche haben, sich weiter ausbreiten können, während sogenannte „Spezialisten“, die beispielsweise auf eine ganz bestimmte Pflanzenart angewiesen sind, kaum noch passenden Lebensraum vorfinden. Erstere sowie sogenannte „invasive Arten“ kommen daher auch in Städten gut zurecht.

Was ist derzeit der größte Impakt des Klimawandels bzw. die größte Gefahr?

A.F.: Die in Luxemburg zurzeit akutesten Probleme sind weniger auf die Auswirkungen des Klimawandels zurückzuführen als vielmehr auf den Lebensraumverlust durch Bebauung oder durch die Intensivierung der Landwirtschaft – etwa durch Flächenzusammenlegung, Zerstückelung oder Homogenisierung des Lebensraumes durch Pestizidanwendung bei der Feldbestellung. All das ist kaum förderlich für die Biodiversität. Im Übrigen wird in der Diskussion ums Artensterben keine klare Unterscheidung zwischen dem Klimawandel und der Biodiversitätskrise vorgenommen. Es liegt auf der Hand, dass beides zusammenhängt, jedoch ist der Einfluss des Klimawandels auf den Biodiversitätsverlust in Luxemburg im globalen Vergleich derzeit noch weitaus geringer als in anderen Ländern.

Welche Tiere sind in Luxemburg besonders gefährdet und wieso? Was sind die Ursachen?

A.F.: Wenn Arten aussterben, liegt das normalerweise daran, dass ihr Lebensraum verschwindet. Bei den Vögeln haben z.B. Bodenbrüter oder Offenlandarten, die früher auf der Flur gelebt haben, große Probleme, unter anderem weil sie keine Insekten mehr vorfinden. Wenn bestimmte Insektenarten verschwinden, geraten Vögel, die sich von ihnen ernährt haben, logischerweise auch in Bedrängnis. Ein weiteres Problem ist der Mangel an ungestörten Brutplätzen. Es gibt kaum noch Orte, in die etwa Spaziergänger nicht vordringen. So sind beispielsweise Arten wie der Neuntöter, der seine Brut aufgibt, wenn er gestört wird, vom Aussterben bedroht.

Für welche Tiere könnten die veränderten Klimaverhältnisse eventuell sogar förderlich für eine bestimmte Artenvermehrung sein? Könnte man sagen, dass das Anthropozän auch positive Aspekte für die Tierwelt mit sich bringt?

A.F.: Sicherlich gibt es Arten, die von den veränderten Klimaverhältnissen profitieren werden. Dazu gehören die sogenannten „Generalisten“, die sich vermehren werden bzw. ihre Areale ausbreiten können, sei es dadurch, dass sie auf weniger angewiesen sind als „Spezialisten“ oder aber keine Konkurrenz mehr haben. Dasselbe gilt auch für sogenannte „invasive Arten“, die die milderen Winter überleben können oder aber für „eingeführte Arten“, die dann invasiv werden können.

Sehr beliebt ist derzeit auch die Annahme, dass es der Biodiversität so gut geht wie schon lange nicht mehr, dadurch dass in unserer Gegend ausgerottet geglaubte Arten wie der Biber oder der Wolf allmählich zurückkehren. Gerade diese beiden Arten sind aber nicht aufgrund des Lebensraumverlustes rückläufig geworden, sondern weil sie aktiv vom Mensch bejagt wurden. Hier könnte man allenfalls das Jagdverbot als positives Zeichen dafür deuten, dass diese beiden Arten zurückgekehrt sind.

Ist davon auszugehen, dass sich unser eigenes Verhältnis zu Tieren dadurch verändern könnte, dass wir die menschengemachten Veränderungen in unserem Lebensraum inzwischen selbst ganz deutlich zu spüren bekommen?

A.F.: Ich glaube schon, dass die rezenten Klimabewegungen ein gewisses Bewusstsein bei der Bevölkerung für die Problematik schaffen konnten. Ob ein solches Bewusstsein aber auch für den Biodiversitätsschwund und dessen Ursachen besteht, wage ich zu bezweifeln. Nur wenige erkennen die Dringlichkeit und kritisieren z.B. Investitionen in Wildbrücken als Hirngespinste und unnötige Kostenpunkte. Wenn man sich dann wiederum vor Augen führt, wie sehr auch die Klima­bewegung der jungen Menschen teilweise schlecht gemacht wird, kann man nur pessimistisch in die Zukunft blicken. Unabhängig davon bestehen aber leider immer noch gewisse politische Zwänge und wirtschaftliche Imperative, die verhindern, dass so schnell gehandelt werden kann wie eigentlich gehandelt werden müsste. Gleichzeitig wird ohne den Druck „von unten“ auf politischer Ebene aber nichts passieren.

Fakt ist, dass es keine einfachen Lösungen geben kann und wird. Die Wissenschaft warnt nicht umsonst davor, dass wir in den kommenden zehn Jahren eigentlich drastische Maßnahmen ergreifen müssten, um das Schlimmste zu verhindern. Es bedürfe schon eines Systemwechsels, bei dem die Gesellschaft auf Nachhaltigkeit umgestellt würde. Das würde dann aber auch eine Infragestellung des Wachstums-Imperativs auf allen Ebenen implizieren. Wenn Bevölkerungskontrolle, also geburteneinschränkende Maßnahmen, keine Option sind, müssen wir unseren Ressourcenverbrauch von Grund auf überdenken. Bewusstseinsschärfung allein wird ohne persönliche Einschränkungen und durchaus auch Entbehrungen sowie die Bereitwilligkeit zu mehr Nachhaltigkeit, Umweltbewusstsein und Rücksichtnahme kaum ausreichen.

Wenn sich das Anthropozän durch den Eingriff des Menschen in die Natur auszeichnet und die Wissenschaft längst so weit ist, neue Lebensformen zu schaffen, könnte Genmanipulation eine Chance sein, mit der der Mensch sein Überleben in Zukunft sichern könnte? Oder stellt sie eher ein Risiko dar?

A.F.: Die Frage ist doch, was würde uns das bringen? Wenn Tiere hauptsächlich aufgrund von Lebensraumverlust aussterben, es Ihnen aber gelingen würde, künstlich ein Mammut zu erzeugen, könnten Sie die Überlebensfähigkeit des Tieres ohne den entsprechenden Lebensraum kaum gewährleisten. Es sei denn, Sie wollten es künstlich am Leben halten, um es im Zoo zu präsentieren und damit Geld zu verdienen. Tiere zu klonen, um sie neu zu erschaffen, ist meiner Meinung nach die falsche Herangehensweise. Vielmehr sollten wir die, die wir noch haben, besser schützen. Und sei es letztlich nur, um uns selbst zu schützen. Tierschutz ist Menschenschutz, doch das verstehen leider immer noch die wenigsten. Einschränkend könnte man aber noch festhalten, dass nicht alle menschlichen Eingriffe in die Tierpopulation zwangsläufig negativ zu beurteilen sind. So ist z.B. die gezielte Umsiedlung von bestimmten Tieren nicht mit Genmanipulation vergleichbar.

Anders gefragt: Wenn heute viele Tiere durch Menscheneinwirkung vom Aussterben bedroht sind, könnte man sie nicht auch durch Menscheneinwirkung, sprich Genmanipulation, für die veränderten Umweltbedingungen optimieren?

A.F.: Wenn das Ökosystem derart verändert ist, dass wir Tiere genetisch manipulieren müssten, um sie überlebensfähig zu machen, ist das meiner Meinung nach ein Widerspruch in sich. Nehmen wir an, es wäre möglich, pestizidresistente Insekten künstlich zu züchten, dann hätten wir immer noch pestizidverseuchte Pflanzen, Felder und Obst. Dadurch wäre weder das Ökosystem noch das Tier geschützt. Wäre es dann letztlich nicht egal, ob Roboter, Drohnen oder genmanipulierte Bienen die Blüten bestäuben, wenn wir so massiv in die DNA eines Tieres eingreifen müssten, dass sie seinem Originalzustand nicht mehr entspricht? Abgesehen davon würde ein solcher Eingriff eine ganze Reihe von ethischen Fragen aufwerfen, u.a. die, ob jedes Tier einen intrinsischen Wert hat oder nur eine Ökosystem-Funktion erfüllt. Grundsätzlich wäre das aber nur eine weitere Methode, das Problem vom Menschen wegzuschieben. Er müsste nicht sein Verhalten ändern und könnte das Problem künstlich lösen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview fand am 22. November 2019 statt, die Fragen stellte SC.

Als partizipative Debattenzeitschrift und Diskussionsplattform, treten wir für den freien Zugang zu unseren Veröffentlichungen ein, sind jedoch als Verein ohne Gewinnzweck (ASBL) auf Unterstützung angewiesen.

Sie können uns auf direktem Wege eine kleine Spende über folgenden Code zukommen lassen, für größere Unterstützung, schauen Sie doch gerne in der passenden Rubrik vorbei. Wir freuen uns über Ihre Spende!

Spenden QR Code