Im Zweiten Weltkrieg sprach Großherzogin Charlotte über die BBC zu den Menschen im besetzten Luxemburg, und sie einte ihr Land auch nach 1945 als starke Integrationsfigur. Auch ihr Sohn Jean, der ihr 1964 als Großherzog folgte, konnte sein symbolisches Kapital noch auf den Krieg zurückführen, aus dem er, so ein populäres Bild, an der Spitze der US-amerikanischen Befreier nach Luxemburg zurückgekehrt war. Die Bewährung im Krieg „adelte“ Mutter und Sohn nicht nur als Privatpersonen, sondern auch das Amt, das sie ausfüllten. Henri, nun seit fast 20 Jahren Großherzog, kann nicht auf eine solche Bewährung zurückgreifen, er und mit ihm seine Frau Maria Teresa sind voll und ganz auf den Respekt vor ihren Funktionen und den Glauben an diese durch ihre Bevölkerung angewiesen. Alles, was sie dafür zurückspielen müssen, sind Glaubwürdigkeit und eine gewisse Würde. Seit den innenpolitischen Wirren im Ersten Weltkrieg als parlamentarische Monarchie ohnehin ein fragiles Gebilde und seit 2009 qua Verfassung ausdrücklich nur mehr mit reinen Repräsentationsaufgaben ausgestattet, beruht die luxemburgische Monarchie vor allem anderen auf dieser Glaubwürdigkeit. Und das Spiel ging bisher auf. Viele Menschen in Luxemburg liebten ihre großherzogliche Familie trotz wiederholt aufkommender Gerüchte und Skandälchen: vom gescheiterten Verkauf des Grünewalds und der Familienjuwelen (mit Eingreifen von Juncker höchstpersönlich) bis hin zur Unterwanderung durch ausländische Geheimdienste (in der SREL-Affäre).
Diese Glaubwürdigkeit aber hat jetzt ernsthafte Risse bekommen. Risse, die nicht mehr zu übersehen oder schönzureden sind. Seit der Veröffentlichung des Berichtes von Jeannot Waringo am 31. Januar haben wir es nicht mehr mit böswilligen Unterstellungen zu tun, sondern mit einer sachlichen, rationalen und auf Fakten basierenden Diskussionsgrundlage über notwendige Reformen am großherzoglichen Hof, die zahlreiche Missstände zu beheben haben. Zu den wichtigsten Schritten zählt Waringo eine stärkere Transparenz und eine differenziertere Buchhaltung sowie eine klarere und strukturiertere Aufgabenverteilung am Hof. Zudem stellt er die maßlose Überschreitung der Befugnisse durch die Großherzogin und ein an ihre Person gekoppeltes skandalöses Personalmanagement fest. Es kann nun niemand mehr sagen, die an den Hof gerichteten Vorwürfe seien dem Revanchismus einer republikanischen Linken oder dem Hirn eines verrückten Journalisten entsprungen: der Waringo-Bericht spricht Klartext.
Aber vielleicht ist das eines der Hauptprobleme bei einer Debatte über eine Monarchie im 21. Jahrhundert: Der Rationalität, den Fakten und der Transparenz, die dem Bericht zugrunde liegen, steht eine Institution gegenüber, die sich durch Irrationalität, Mythos und Arkanum auszeichnet. Die Welt der Monarchie ist gerade in demokratischen Zeiten durch Außeralltäglichkeit charakterisiert. Das ist sozusagen ihr Alleinstellungsmerkmal. Großherzog und Familie umgibt eine Aura, von der sich viele gerne (haben) verzaubern lassen. Der Waringo-Bericht hat die Monarchie entkleidet. Und zu viel Nacktheit verdirbt auch hier den Zauber.
Wollen sie weiter ihre Ämter behalten, muss das großherzogliche Paar aufpassen. Aber gerade das, in die Enge getrieben, tun sie nicht. Ihre Kooperationsbereitschaft mit Waringo war ein Lippenbekenntnis, und der offene Brief des Großherzogs vom 27. Januar hat gleich zwei Grenzen überschritten. Eine Grenzüberschreitung wird man ihm vielleicht verzeihen, die andere wohl eher nicht. Der Angriff auf die vierte Gewalt, der sich hinter der Frage, warum man eine Frau, seine Frau, attackiere, ist unter Aspekten der Pressefreiheit ein Affront. In monarchischer Logik aber vielleicht verständlich und daher für viele auch verzeihlich. Wer 20 Jahre lang gepudert wird, für wen bei jedem Auftritt nicht nur Bürger*innen, sondern Staatenlenker*innen aufstehen, für wen es eine eigene Hymne gibt, der kann nicht verstehen, dass plötzlich die Regeln einer normalen Institution an den eigenen magischen Hof angelegt werden. Die andere Grenzüberschreitung könnte aber sogar ein Schritt hin zum Anfang vom Ende der Monarchie gewesen sein: der Schritt ins Allzumenschliche, die Inszenierung als verfolgtes Paar, das in Genf, der Stadt, in der sie sich kennen und lieben lernten, verletzt und gedemütigt auf einer Parkbank sitzt. Das ist zu viel Normalität, zu wenig Zauber. Das könnte mehr noch als die Enthüllungen im Waringo-Bericht den Weg in eine ganz andere als die von Henri und Maria Teresa angedachte Zukunft weisen.
Quo vadis, Großherzogtum? Die Lösung liegt auf dem Tisch: Reformen, falls nötig gekoppelt an Rücktritt und Neuanfang. Eine zweite Lösung: das Unaussprechliche. Tertium non dabitur. Der Lack ist ab. Ein „Weiter so“ kann es nicht geben.
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