Eigentlich hätten wir die Leitfragen der vorliegenden forum-Ausgabe vertrauensvoll an TED abgeben können: How virtual reality turns students into scientists, How humans and AI can work together to create better businesses, How to find and do work you love – zu all diesen Fragen hätten wir wahrscheinlich nützliche Antworten erhalten. Überhaupt hätte uns schon eine einfache „How to“-Suchanfrage viele Probleme erspart, denn die Plattform ist zuvorkommend: TED Talks for when you’re having an existential crisis oder TED’s how-to guide to everyday life bietet die Plattform ganz selbstlos Survival guides in Form von Playlists an, die offenbar das Potenzial haben, ganze Lebens- und Sinnkrisen zu lösen.

An der Schnittstelle zwischen Unterhaltung und Bildung, dem sogenannten „Edutainment“ oder „Infotainment“ angesiedelt, hat sich das hybride Format „TED“ (abgekürzt für Technology, Entertainment, Design) nicht nur zu einer eigenen Marke, sondern zu einem globalen Phänomen entwickelt. Das Konzept: Zweimal im Jahr organisiert der unabhängige Veranstalter TED Konferenzen, zu denen Experten aus den unterschiedlichsten Fachgebieten geladen werden, um einen rund 18-minütigen Vortrag, den inzwischen berühmten TED Talk, zu einem Thema aus ihrem jeweiligen Forschungs- oder Fachbereich, zu halten. Die Mission: die Verbreitung von „ideas worth spreading“ – so das Motto der Marke, die sich als Denkschmiede und Katalysator von innovativen, revolutionären und zukunftsweisenden Ideen versteht, die nicht weniger als das Potenzial haben sollen, die Welt zu verändern. An der Wirkmächtigkeit dieser Ideen sowie des eigenen Einflusses scheint die Organisation, die sich inzwischen als globale Community definiert, zumindest keine Zweifel zu haben: „We believe passionately in the power of ideas to change attitudes, lives and, ultimately, the world“, heißt es nicht ganz unbescheiden auf der offiziellen Internetseite www.ted.com, die nach eigenen Angaben als „clearinghouse of free knowledge from the world‘s most inspired thinkers – and a community of curious souls to engage with ideas and each other […]“ funktionieren soll.1 Inzwischen finden sich tausende Videos der Muttermarke sowie ihres Ablegers „TEDx“ (das x steht für unter Lizenz der Muttermarke unabhängig organisierte Konferenzen) zu allen möglichen Themenbereichen im Netz, jederzeit aufrufbar für jeden, den gerade eine oder mehrere Fragen im Leben umtreiben.
Das Konzept scheint so gut aufzugehen, dass TED selbst inzwischen zum Gegenstand wissenschaftlicher Forschung geworden ist. Das Untersuchungsspektrum zum TED-Phänomen reicht von Genrezuordnungsversuchen (Gegenüberstellung von Ted Talks und klassischen Lehrvorträgen, Vorlesungen, Referaten und anderen Präsentationsformen), über sprachwissenschaftliche Besonderheiten (linguistische, rhetorische, stilistische, performative Merkmale) bis hin zu seinem Potenzial im Bildungsbereich, wo es als inzwischen anerkannte Unterrichts- und Lehrmethode nicht nur in Wissenserwerb und -vermittlung Einsatz findet, sondern auch die Wissenschaftskommunikation anregen soll, indem es einem Laienpublikum wissenschaftliche Inhalte zugänglich macht und dadurch entscheidend zur Popularisierung von Wissenschaftsthemen beiträgt.

Zu den elf TEDx-Lizenzen, die die Muttermarke TED anbietet, zählt daher auch die Universitätsveranstaltung, die mit dem Einverständnis der Universität von Mitgliedern ihrer Verwaltung, der Fakultäten oder auch den Studierenden selbst in deren Namen organisiert werden kann. Die Gästezahl der Universitätsveranstaltungen kann wie bei den Standard-TEDx-Veranstaltungen bis zu 100 Gäste zu einem Eintrittspreis von maximal 100 US-Dollar umfassen, da der Lizenzhalter nur Personen, die bereits an einer offiziellen TED-Konferenz teilgenommen haben, erlaubt, eine Veranstaltung mit mehr als 100 Teilnehmern zu organisieren. Auch die Universität Luxemburg hat 2018 und 2019 bereits zwei Konferenzen mit den verheißungsvollen Mottos Ideas 4.0 und Re-wiring our Future veranstaltet, die per Live-Stream auf der Facebook-Seite der Universität übertragen wurden.

Woher der Hype?

Dass die Vorträge Millionen Menschen weltweit gleichermaßen erreichen, spricht sicherlich für das Konzept des Formats, dass dieses jedoch überhaupt erst aufgeht, verdankt es der eigenen digitalen Reichweite. Erst die Ausweitung der eigenen Distributionswege durch den Launch der eigenen Webseite 2006 sowie eines eigenen YouTube-Kanals, auf denen eine kuratierte Auswahl der besten Vorträge der Konferenzreihe hochgeladen wird, konnte die Verbreitung jener „ideas worth spreading“ gewährleisten, dem sich die Organisation ihrem Motto nach verschreibt. Dass die Videos a) unter einer Creative-Commons-Lizenz auf der TED-Seite sowie YouTube zur Verfügung gestellt werden und dadurch ungehinderte Verbreitung auf privaten Webseiten und Blogs ermöglichen und b) kostenlos aufrufbar sind, hat maßgeblich zum Bekanntheitsgrad der Marke beigetragen. Die freie Verfügbarkeit des Materials ermöglicht das orts- und zeitunabhängige Konsumieren von Inhalten, je nach individuellem Interesse oder jeweiligen Bedürfnissen und bietet so ein wesentlich flexibleres Setting zu einem traditionellen Vortragsformat klassischer Präsenzlehrveranstaltungen.

Output statt Input

Als Teil des Erfolgsrezeptes wird die charakteristische 18-minütige Vortragslänge des TED Talks genannt, die Entscheidung, die Vorträge auf exakt diese Dauer zu beschränken kommt nicht von ungefähr. Neurowissenschaftler bestätigen, dass die ideale Konzentrations- und Aufmerksamkeitsspanne von Zuhörern zwischen 10 und 18 Minuten liegt. In diesem Zusammenhang wird immer wieder eine Aussage des TED-Kurators Chris Anderson zitiert, in der er den Effekt des 18-minütigen Zeitlimits des TED Talks mit der Zeichenbeschränkung bei Twitter vergleicht, die die User dazu anhält, auf den Punkt zu kommen und sich auf eine Kernaussage zu fokussieren. Laut Anderson sei der Talk lang genug, um seriös zu wirken, und kurz genug, um die Menschen bei der Stange zu halten – so lang wie eine Kaffeepause eben. Gerade letzteres Bild vermittelt den Eindruck eines beiläufigen, unverbindlichen Ereignisses, das mit wenig Zeitaufwand verbunden ist. Damit bedient das Format den aktuellen Zeitgeist, der auf Zeitersparnis und Effizienz setzt. Auch die Wissensaufnahme folgt dem Prinzip des veränderten Konsum- und Leseverhaltens: vorgefilterte, griffige Informationen auf einen Blick, ein visuell möglichst übersichtlicher Aufbau, Strukturierung durch Titel, Stichwörter, Gliederungspunkte. Es sind Versuche, auf das sprunghafte Navigationsverhalten der Leser im Netz sowie ihre kurze Aufmerksamkeitsspanne zu reagieren, und das ist auch der Grund, wieso immer mehr Medien etwa am Anfang ihrer Beiträge Kurzzusammenfassungen der wichtigsten Punkte voranstellen oder Apps wie Blinkist, die ganze Sachbücher in Text und Audio auf nur wenige Kernaussagen zusammenfassen, einen unglaublichen Erfolg verbuchen. Auch TED Talks sind als Dienst an den Konsumenten angelegt, die sich Erkenntnisse nicht mühevoll erarbeiten, sondern als Ergebnisse heruntergebrochener Inhalte konsumieren wollen. Das praktisch aufgearbeitete und bereitgestellte Wissen zum Mitnehmen bleibt nicht ohne Effekt: Tatsächlich verschafft es eine kurzzeitige Befriedigung, die eigene Zeit sinnvoll investiert zu haben – ein Erfolgserlebnis, etwas geleistet, ohne dafür tatsächlich je Leistung erbracht zu haben.

Doch welchen Informationsgehalt, Mehrwert und Erkenntnisgewinn die gesammelten Erfahrungswerte in Videoformat von Experten und Laien im Internet wirklich bergen, ist schwer zu belegen. Studien, die die Wirkung und den Einfluss von TED untersuchen, bemessen den Impakt des Formats hauptsächlich an Klick- und Aufrufzahlen, Interaktionsverhalten der User in Form von Likes/Dislikes, shares (wie oft ein Beitrag geteilt wurde), Kommentaren unter den Videos oder Verlinkungen auf anderen Seiten. Die Reichweite zumindest stimmt – die Klickzahlen sprechen für sich. Ob das Format sein Versprechen einlösen und bei seinen Konsumenten Denkanstöße, Impulse und Anreize initiieren kann, die schließlich zu der einen zündenden Idee inspirieren oder sich zu Handlungen konkretisieren und in tatsächliche Wirkmacht übersetzen lassen, bleibt fragwürdig, da Popularität und Erfolg des Formats wenig aussagekräftig über die Qualität der Inhalte und deren Tragweite sind.

Ein lukratives Geschäft

Und tatsächlich variiert das servierte Wissen je nach Event-Typ. Während die Muttermarke TED ihre Speaker einem strengen Auswahlprozess unterzieht und dabei auf hochkarätige Profile (Wissenschaftler, Akademiker, Politiker, Prominente) setzt, was u. a. zum Vorwurf des Elitismus führte, kann der gleiche Anspruch nicht auch bei unabhängig organisierten TEDx-Veranstaltungen gewährleistet werden. Den Speakern selbst hingegen kann ein erfolgreicher Vortrag – vor allem beim Originalformat TED – zum Karrieredurchbruch und weltweiter Bekanntheit verhelfen. Für die einmalige Marketing-Gelegenheit des self brandings und den perfekten Talk nehmen die meisten hohe Investitionen für die Hilfe von Redenschreibern, Coaches, Beratern und sogar Dramaturgen in Kauf2, was einer ohnehin schon expandierten Selbsthilfe-Industrie in die Hände spielt. Die immer größeren Ausmaße, die das Phänomen annimmt, lassen die Einflussnahme durch Sponsoren befürchten. So versuchen immer mehr Ableger und Nachahmer aus dem „TED-Effekt“ Kapital zu schlagen. Unzählige Präsentationsratgeber am Beispiel von TED, Public Speaking Masterclasses, Coaching- und Beratungsprogrammen usw. zählen inzwischen zum Standardangebot auf Amazon und Co. und tragen zur Kommerzialisierung des Formats bei. Während Experten eine Reduktion wissenschaftlicher Komplexität durch vereinfachende Darstellungen zu Unterhaltungszwecken befürchten, bürgen sogenannte oder selbsternannte „Experten“, thought leaders, innovators und change makers bestenfalls mit fundierter Sachkenntnis, schlechtestenfalls mit den eigenen erfolgreichen Karrieren und Titeln für ihre one size fits all-Visionen zu den unterschiedlichsten Themen. Das Resultat ist ein digitaler Wissensschatz an Expertisen, fremden Erfahrungswerten, Problemlösungsvorschlägen und Handlungsempfehlungen – alles durchaus interessant und hilfreich, allerdings ohne Gewähr. Doch wann musste man jemals Experte sein, um Ratschläge zu erteilen?

  1. https://www.ted.com/about/our-organization (alle Internetseiten, auf die in diesem Beitrag verwiesen wird, wurden zuletzt am 30. Januar 2020 aufgerufen.)
  2. https://www.forbes.com/sites/morraaaronsmele/2018/01/12/the-myth-of-the-ted-talk/#2a3eff2265f4

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