Frisch gedruckt

Großherzogin Marie Adelheid von Luxemburg von Josiane Weber

In unserer Rezension der im Sommer 2019 bei den Editions Saint-Paul erschienenen Biografie Marie Adelheid von Luxemburg-Nassau aus der Feder von Pierre Even, Direktor des Großherzoglichen Hausarchivs (forum 399, Oktober 2019, S. 69), hatten wir als Fazit vermerkt, dass die Summa über das Leben der jungen Großherzogin, deren Herrschaftszeit von 1912 bis 1919 zu den turbulentesten Epochen der Landesgeschichte gehört, noch zu schreiben bleibe. Und siehe da: Nur wenige Wochen später wurde aus dem fröhlich-fromm formulierten Wunsch hand­feste gedruckte Wirklichkeit. Das Verdienst für diese publizistische Großtat aus dem Verlagshaus Guy Binsfeld gebührt der Historikerin und Germanistin Josiane Weber, die sich bewusst, wie es im Untertitel des üppig illustrierten Werkes heißt, für „eine politische Biografie“ Marie Adelheids entschied, die in dieser Form und Dimension (640 Seiten im Großformat 210 x 275 mm) bis dato nicht existierte.

Dabei ging es Josiane Weber hauptsächlich darum, „das dichte Geflecht von teils wahren, teils konstruierten Geschichten, die sich bis heute in der Historiographie über Marie Adelheid finden“, zu entwirren, um jenseits aller ideologisch gefärbten Sichtweisen, die sie, je nach Standpunkt, als moderne Heilige und Märtyrerin oder als Inkarnation bigotten Ungeistes, als Segen für das Land oder als dessen Unglück, als mit Schuld belastete Überzeugungstäterin oder als bedauernswertes Opfer eines machtbesessenen Intrigantenstadels darstellen, den authentischen Menschen Marie Adelheid und, soweit dies dokumentarisch möglich ist, deren komplexe Persönlichkeit herauszuarbeiten. So gelingt es der Autorin, die glücklose Großherzogin zwar wohl als Kind seiner Zeit und Produkt seiner Entourage zu zeichnen, darüber hinaus aber auch als macht- und selbstbewusste, eigenständig denkende und eigenverantwortlich handelnde junge Frau, die für sich jene fürstlichen Vorrechte beanspruchte, die ihr aufgrund des schon vor hundert Jahren antiquierten, weil im Widerspruch zum demokratischen Zeitgeist stehenden Verfassungstextes von 1868 formal zustanden.

In weitgehend chronologischer Reihenfolge beschreibt und analysiert Josiane Weber die markanten politischen Etappen von Marie Adelheids sechseinhalbjähriger, vom Ersten Weltkrieg und der deutschen Besatzung überschatteten Herrschaft: Sechs Staatsminister kamen und gingen, sieben Regierungen traten zurück, die Krise geriet zum Dauerzustand, das Land war gespalten bis an den Rand des Bürgerkriegs.

Diese Periode war einerseits geprägt von Marie Adelheids Deutschfreundlichkeit, andererseits von ihrem unbedingten Willen, dem Land einen politischen Stempel aufzudrücken, es nach ihrer eigenen, vorwiegend religiös motivierten Vision von Staat und Gesellschaft zu formen. Die beharrliche Weigerung der Großherzogin, in die Rolle des monarchischen Grüßaugust zu schlüpfen und den politischen Eunuchen zu mimen, wurde ihr freilich zum Verhängnis, weil sie im eklatanten Widerspruch zu den republikanisch inspirierten staatsphilosophischen Vorstellungen der parlamentarischen Mehrheit aus Liberalen und Sozialis­ten stand, die sich, über alle Klassengegensätze hinweg, als antiklerikaler Bloc des gauches gegen die „Pfaffen“ verbündet hatten.

Wie selten zuvor wird bei der Lektüre des Buches deutlich, dass Marie Adelheid wegen ihrer geistigen Nähe zur Rechtspartei und dem Katholischen Volksverein nicht allein als Monarchin, sondern zugleich als historische Figur des politischen Katholizismus in Luxemburg betrachtet werden muss. Ihr schwebte ein katholisch verfasstes Gemeinwesen nach den Grundsätzen der damals noch jungen päpstlichen Soziallehre vor. Zu ihren engsten Vertrauten zählte Emile Reuter, dessen schlauem Taktieren im Umbruchjahr 1919 die Monarchie ihr Überleben verdankt. Zugleich ist Josiane Weber davon überzeugt, dass niemand anderes als der allseits hochverehrte Emile Reuter den Part des anonymen Einflüsterers hinter der fatalen Entscheidung Marie Adelheids gespielt hat, im November 1915 den Rechtsparteiler Hubert Loutsch, gegen jede politische Vernunft, zum Chef einer Minderheitsregierung zu berufen, was die Mehrheit der Abgeordneten als orchestrierten Putsch von oben empfand mit dem Ziel, der Rechtspartei zur Macht zu verhelfen.

Gut möglich, dass Josiane Weber das definitive Standardwerk über Marie Adelheid geschrieben hat. In der Tat hat die Autorin sämtliche nach menschlichem Ermessen verfügbaren Quellen ausgeschöpft – bis auf eine, nicht unwesentliche: Zum Hausarchiv der Nassauer wurde ihr mit obskurantistischer Arroganz der Zugang verweigert. In einem Land, das sich angeblich zur Freiheit der Forschung bekennt, in Wirklichkeit aber nichts so sehr liebt wie seine Lebenslügen, ist das ein Skandal erster Güte. lop

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