Für Gesellschaften, Institutionen und Unternehmen ist die Veröffentlichung von Jahres- oder Geschäftsberichten verpflichtend. Davon ist auch die Porno-Industrie nicht ausgenommen. Die etwas andere Art der Jahresberichte, die Pornhub, eine der weltweit beliebtesten Videoplattformen für Gratis-Pornos der kanadischen Firma MindGeek, der interessierten Öffentlichkeit nun schon seit 2013 vorlegt, geht allerdings weit über buchhalterische Entwicklungen des Unternehmens hinaus. Die Seite, die 2019 insgesamt über 42 Milliarden Besucher*innen anlocken konnte, was durchschnittlich etwa 115 Millionen Besuchen pro Tag entspricht, muss offensichtlich etwas zu bieten haben. An Inhalt fehlt es der Pornowebseite zumindest nicht: 2019 wurden 6,83 Millionen neue Videos auf die Seite hochgeladen – eine astronomische Zahl, die als Mengenangabe kaum vorstellbar ist, aber einer Videodauer oder -länge von 1,68 Millionen Stunden bzw. 169 Jahren entspricht. Wer jetzt immer noch keine konkrete Vorstellung hat, dem hilft vielleicht ein Beispiel aus der Infografik des Jahresberichtes weiter: „If you started watching 2019’s new videos in 1850 you’d still be watching them today”, heißt es dort, als sei es das Normalste der Welt. Umweltschützer*innen hingegen wird sich bei einem Datenverschleiß von 6597 Petabyte innerhalb von nur einem Jahr wohl eher der Magen umdrehen. Und wem Zeitangabe oder Volumen als Referenz immer noch nicht genügen, dem wird vielleicht bei der räumlichen Vorstellung schwindelig, dass wenn man alle im Jahre 2019 hochgeladenen Daten auf Festplatten kopieren und diese stapeln würde, sie 100 km hoch an den Rand des Weltraums reichen würden – ja, Sie haben richtig gelesen. Neben anderen mehr oder weniger interessanten Eckdaten wie dem Altersdurchschnitt seiner Nutzer*innen, ihrem Geschlechterverhältnis, den Fragen, welche Geräte sie bei ihrem Besuch auf Pornhub nutzen oder welche Ereignisse Besuchereinbußen auf der Webseite zur Folge hatten, werden die meisten wohl eher zu den vermeintlich schlüpfrigen Details scrollen: Worauf stehen denn nun die Konsument*innen der Gratis-Pornos, welche Darsteller*innen waren am beliebtesten, welche Prominenten wurden am häufigsten gesucht und welches Land ist für den meisten Datenverkehr verantwortlich?
Die Vorlieben der Luxemburger*innen
Letzterer Verdienst geht verdientermaßen an die USA, den unangefochtenen Sieger aller bisher veröffentlichten Jahresberichte. Wer nun glaubt, das Großherzogtum sei zu klein, um von den Statistiken des Pornogiganten erfasst zu werden, irrt. Tatsächlich kommt Luxemburg sogar in drei der bisher insgesamt sieben erschienenen Jahresberichte vor, darunter 2019, 2017 sowie in einem ausführlicheren Sonderbericht aus dem Jahr 2015. Im weltweiten Vergleich belegt Luxemburg 2019 in Sachen Datenverkehr auf Pornhub den 105. Platz mit einer durchschnittlichen Besuchsdauer von 9 Minuten und 54 Sekunden. 34 % der luxemburgischen Pornhub-User waren 2019 Frauen, während es 2015 noch 21 % waren. Zu den Vorlieben der Luxemburger*innen erfahren wir dann aus dem einzigen ausführlichen Luxemburg-Bericht, den das Unternehmen 2015 auf Nachfrage von L’Essentiel veröffentlicht hat, dass die beiden Begriffe „Casting“ und „Fake“ in Bettemburg die beiden meistgesuchten Begriffe waren, während in Rodange „Straight friend“ und „Bareback Gangbang“ am häufigsten gesucht wurde ( engl. „bare back“ = nackter Rücken / engl. „barebacking“ = „reiten ohne Sattel“, ursprünglich ein Soziolekt homosexueller Männer für ungeschützten Analverkehr, der inzwischen auch für ungeschützten Geschlechtsverkehr bei Heterosexuellen verwendet wird).
Weitere Anhaltspunkte zu den Vorlieben der Luxemburger*innen bieten die Top-5-Suchbegriffe sowie die beliebtesten Kategorien, die in Luxemburg aufgerufen werden. Spitzenreiter unter den Suchbegriffen 2019 ist tatsächlich „Luxembourg“ selbst. Ein Schelm, wer dahinter Selbstverliebtheit oder Egozentrik der Luxemburger*innen vermutet, denn auch unsere direkten Landesnachbar*innen schauen am liebsten den eigenen Staatsangehörigen beim Intimsport zu. So waren dann „francaise“ und „french“ 2019 die beiden meistgesuchten Begriffe in Frankreich, „german“ und „deutsch“ in Deutschland. In insgesamt zwölf der Top-20-Länder, darunter Frankreich, Deutschland, Japan, den Philippinen, Brasilien, den Niederlanden, Polen, Indien, Thailand, Russland und Argentinien, belegte die eigene Nation die Poleposition der meistgesuchten Begriffe. In drei weiteren der 20 Spitzenländer, darunter das Vereinigten Königreich, Italien und Mexico, schaffte sie es dann zumindest noch in die Top-3. Einzige Ausnahme stellen die USA, Kanada und Australien dar, in denen die eigene Nation in den Top-12-Suchbegriffen gar nicht erst vorkommt. Nichtsdestotrotz legt die Kohärenz der Datendichte eine globale Vorliebe für Kulturnähe nahe, die sich gerade in Migrationsländern und Dreiländerecken wie Luxemburg statistisch eindrucksvoll widerspiegelt. So kommen die Begriffe „german“ und „deutsch“ gleich zweimal (auf Platz 5 bzw. Platz 11) in den Top-12-Suchanfragen der Luxemburger*innen vor, während „french“ auf dem neunten Platz nur einmal auftaucht. Zum Vergleich: 2015 belegten die Suchbegriffe „german“ und „french“ noch Platz eins und zwei im Ranking der Top-Suchbegriffe der Luxemburger*innen. Dies erklärten die Pornhub-Statistiker*innen damals noch in erfrischender Manier so: „This can be attributed to the small size of the country which, with a population hovering around half a million, simply might not have much locally sourced amateur porn available, as well as a healthy love for the guys and girls next door.“ Und tatsächlich dürfte die Einschätzung des Unternehmens nicht ganz abwegig sein. In einem kleinen, beschaulichen Land wie Luxemburg, in dem kaum mit Anonymität zu rechnen ist, können es sich wohl die wenigsten Privatpersonen erlauben, ihr gesellschaftliches Ansehen durch Sexvideos auf’s Spiel zu setzen. So erklärt sich dann auch, wieso Luxemburger*innen im weltweiten Vergleich bis zu 390 % häufiger nach den Begriffen „german“ und 237 % häufiger nach dem Begriff „french“ suchen.
Doch das sind bei Weitem nicht die einzigen Vorlieben der Luxemburger*innen. Platz zwei und drei im Ranking der beliebtesten Suchbegriffe belegen „milf“ (engl. „mother i’d like to fuck“) und „lesbian“. Wenig überraschend finden sich beide Begriffe dann auch in den Top-5 der beliebtesten Suchkategorien auf Platz fünf und vier wieder. Soweit, so gut. Wirklich interessant wird es, wenn man sich das Ranking jener Begriffe zu Gemüte führt, die einen enormen Aufwärtstrend zum Vorjahr verbuchen konnten. So etwa die Begriffe „femdom“ (engl. „female domination“), „hentai“ (Bezeichnung außerhalb des japanischen Sprachraumes für pornografische Manga und Anime) sowie „VR“ (virtual reality), die um unglaubliche 423 % bzw. 288 % und 165 % häufiger ins Suchfeld eingegeben wurden und im Trend-Ranking Platz eins, zwei und vier belegen. Ein Blick auf die globalen Trends bestätigt aber auch hier, dass die Vorliebe der Luxemburger*innen für Anime und virtuellen Sex keineswegs außergewöhnlich ist, sondern eher dem Mainstream entspricht. So lassen sich dann auch keine „typisch luxemburgischen“ Pornovorlieben oder spezifische Suchbegriffe mit Luxemburg-Bezug ausmachen, wie dies in Deutschland etwa am Beispiel der „Deutschen Bahn“ der Fall ist, die im Laufe des Jahres 2019 ganze 1544 % öfter gesucht wurde.
Virtuelle Realität und körperloser Sex
Etwa die Hälfte der zehn beliebtesten Begriffe, die das Jahr 2019 geprägt haben, sind im Fantasy-, bzw. virtual reality-Bereich anzusiedeln, darunter „alien“ auf Platz zwei oder „Apex Legends“ (Name eines kostenloses Computerspiels) auf Platz 8. Absoluter Spitzenreiter 2019 sind nichtsdestotrotz Amateur-Pornos, also Videos, die im Idealfall von Privatpersonen hochgeladen werden, die sich selbst beim Geschlechtsverkehr filmen. Wie aber passen diese beiden gegensätzlichen Tendenzen zusammen? Wie ist das Bedürfnis nach möglichst authentischen Inhalten von Realpersonen einzuordnen, während es immer mehr Menschen offenbar nach Sex mit Außerirdischen, Fantasiewesen oder Comic-Figuren gelüstet und sie in der virtuellen Realität Zuflucht suchen, in der sie wiederum mithilfe von immer ausgeklügelteren technologischen Hilfsmitteln wie 3D-Brillen, Headsets, Interaktionssoftwares und Sensortechnologie möglichst realistische und gefühlsechte Erlebnisse simulieren? Spätestens an dieser Stelle wünscht man sich eine ernsthafte wissenschaftliche Auswertung oder fundierte soziologische Einordnung der beschriebenen Trends und ihrer möglichen Konsequenzen auf unser Sexualleben. Genau diese „Insights“ leisten die schrägen Jahresberichte des Unternehmens, die in erster Linie auf Unterhaltung ausgerichtet sind, natürlich nicht. So muss man sich dann bei der Frage nach den Gründen des Erfolgs von Amateur-Videos auch schon mal mit der trivialen Erklärung von Pornhub zufrieden geben, dass die Anzahl der verifizierten Neuzugänge deshalb so stetig steigt, weil heutzutage jeder ein Pornostar werden kann.
COVID – Ein Pornovideo?
Die Zahlen legen vielmehr nahe, dass die Top-Suchanfragen nicht zwangsläufig immer auch als zuverlässiger Indikator für eine Veränderung der sexuellen Vorlieben gelesen werden müssen, sondern häufig von Popkultur, Mainstream-Medien und anderen weltweit beliebten Ereignissen stark beeinflusst werden. So stieg z. B. am 29. November 2017 die Suche nach der amerikanischen Schauspielerin Meghan Markle um satte 5.908 % an, nicht etwa weil ein kompromittierendes Video von ihr im Netz aufgetaucht wäre, sondern weil sie und Prinz Harry an dem Tag ihre Verlobung bekannt gaben. Ein Jahr zuvor, nur wenige Tage nach dem Brexit-Referendum im Juni 2016, führte sogar der ehemalige britische Staatssekretär Boris Johnson die Liste jener Suchanfragen an, die eine außergewöhnliche prozentuale Steigerung erlebten, als sein Name um ganze 14.624 % häufiger ins Suchfeld eingegeben wurde. Ganz zu schweigen von der Trump-Familie, deren Mitglieder fast ausnahmslos während der amerikanischen Präsidentschaftswahl 2016 in den Suchanfragen auftauchten.
Dass auch abstrakte Begriffe von dieser Tendenz nicht ausgeschlossen sind, lässt sich spätestens seit der Corona-Krise eindrucksvoll nachweisen. Auf Anfrage von Forbes veröffentlichte die Videoplattform am 12. März 2020 interessante Zahlen zum veränderten User- und Suchverhalten auf ihrer Seite in Folge des Corona-Lockdown. Erste Suchanfragen nach den Begriffen „coronavirus“ und „corona virus“ verzeichnete die Seite ab dem 25. Januar 2020. Im Zeitrahmen zwischen dem 20. Februar und dem 16. März wurden die Begriffe „Corona“ oder „Covid“ sogar sage und schreibe 9.127.482 Mal aufgerufen, mit einem vorläufigen Höhepunkt von über 1,5 Millionen Suchanfragen am 5. März.1
Porno in Zeiten von Corona
Wenig überraschend ist dann auch, dass sich der körperliche Abstand in Zeiten von Selbstquarantäne, sozialer Distanzierung und Ausgangssperren, in denen sich jeder selbst am nächsten ist, auch in den Besuchszahlen auf der Seite niederschlägt. So war der weltweite Datenverkehr auf der Seite, hier gemessen am 11. bzw. 12. März, um 5,7% höher als an einem gewöhnlichen Tag, in Europa sogar um 6,6%. Die Zahlen aus Italien, dem Land in Europa, das am stärksten von der Pandemie betroffen ist, stiegen sogar um 13,8 %. Ob nun Marketing-Trick oder Solidarität in Krisenzeiten – das Unternehmen belohnt die Treue seiner Nutzer: Am 17. März tweetete Pornhub, dass es angesichts der anhaltenden Quarantäne-Auflagen, nach Italien und Spanien, auch seinen Usern in Frankreich den kostenlosen Zugang zu seinen Premium-Inhalten verlängern würde. Des einen Freud ist des anderen Leid: Mitten in der Corona-Krise gab das einstige Kult-Magazin Playboy bekannt, die Printversion des US-Playboy einstellen zu wollen. Ob diese Entscheidung nun tatsächlich auf Produktions- und Lieferschwierigkeiten infolge der Coronakrise zurückzuführen ist oder letztere eher eine willkommene Gelegenheit bot, die seit längerem, u. a. durch ein Überangebot an kostenlosen Online-Pornos, an sinkenden Auflagenzahlen leidende Zeitschrift ganz einzustellen, bleibt zu hinterfragen.
Die Auswirkungen der Krise auf das Leben der Menschen sind in nahezu allen Lebensbereichen spürbar. Die anhaltende Krise, vor allem aber die Maßnahmen, die zu ihrer Eindämmung unternommen wurden, bestimmen nicht nur den Tagesablauf, sondern auch die sozialen Beziehungen der Menschen. So stellte das Unternehmen die größte Veränderung etwa bei den Uhrzeiten fest, zu denen Pornhub besucht wird. Es sind vor allem die Nacht- und Nachmittagsaktivität spürbar angestiegen, während frühere Stoßzeiten nun unterdurchschnittliche Werte verbuchen, weil der Tagesablauf der Menschen nicht mehr durch die üblichen Arbeitszeiten strukturiert ist. Die Daten weisen auf hauptsächlich zwei Entwicklungen hin: Zum einen, dass die Menschen aktuell mehr Zeit zuhause, ergo auch auf Pornoseiten verbringen, und zweitens, dass zumindest Alleinstehende und vor allem jene Menschen, die alleine wohnen, zurzeit scheinbar stärker dazu neigen, solche Seiten aufzusuchen, um die soziale Distanz digital zu überwinden. In Zeiten von Quarantäne-Anordnungen und Kontaktverboten werden sich Menschen, die nicht in klassischen Paarbeziehungen leben, wohl eher der Autoerotik hingeben müssen. So verkommt der Bettsport, eigentlich ein Gesellschaftsspiel, dann schnell zur Solopartie. Welche Auswirkungen die Quarantäne auf glückliche Paare hat, wird sich, wie Experten vermuten, voraussichtlich in neun Monaten zeigen. SC
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