Ich fließe, also bin ich

Einführung ins Dossier

Bin ich beleidigt, wenn man mich, wie im ersten Beitrag dieses Dossiers, H2O nennt anstatt Wasser, eau, water, shuǐ, agua, jala, ma’an, voda …? Nicht wirklich. Es ist mir sogar lieber als die hübschen Metaphern – von „kostbares Nass“ über „blaues Gold“ bis hin zu „Quell des Lebens“ –, deren Anthropozentrismus mich müde lächeln lässt (genau: die Kringel auf meiner Oberfläche). Ja, ohne mich hätte sich das Leben auf der Erde nicht entwickelt, wie Maud Lorang in „Was ist Wasser?“ sehr kompetent erklärt. Doch wie hat sich das bisherige Endprodukt dieses Prozesses, die „Krone der Schöpfung“, dafür bei mir und meiner Mutter Gaia revanchiert? Spart euch die Metaphern, ich hab’s lieber sachlich.

Wasserstoffbrücken, Dichteanomalie, Temperaturschichtung: Toll, was die forum-Leser*innen in diesem ersten Beitrag über mein physikalisches Wesen erfahren können. Besonders freue ich mich über die Darstellung des Wasserkreislaufs – eine Anregung, die Welt als ein System zu betrachten und nicht als ein Nebeneinander von Problemen, die jedes für sich mit menschlicher Technik zu lösen wären. Die von Lorang beschriebene Begradigung von Flüssen und Asphaltierung von Wegen haben die Human-Kreisläufe beschleunigt, doch sie behindern meinen Kreislauf – und das wirkt auf die Menschen zurück. Mich als „kostbares Gut“ zu glorifizieren hilft da nichts – lasst mich einfach leben und fließen, dann lebt auch ihr besser und länger.

Wasser als Zufluchtsort und Menschenrecht

Dass in diesem forum-Dossier gleich zwei literarische Texte (der zweite und der viertletzte) Platz gefunden haben, stört mich nicht. Das Gedicht von Gilles Hosch könnte man ja fast als „sachlich“ bezeichnen. Doch, doch, mich mit Blut zu vergleichen, ist durchaus rational. Für Gaia, die lebendige Erde, bringe ich statt Sauerstoff Wasserstoff in Umlauf: „My cycles embody the breathing of Earth.“ Die Freibad-Geschichte von Elise Schmit ihrerseits erinnert daran, dass Wasser für den Menschen nicht nur nützlich, sondern auch angenehm sein kann – wenn man darin eintaucht nämlich. Und für die Protagonistin geht es darum, unterzutauchen, um nicht unterzugehen.

Dass ich für euch nützlich, ja, lebensnotwendig bin, davon geht der Beitrag „Das Menschenrecht auf Wasser im Fokus“ aus. Systematisch legt Michael Krennerich dar, wie man von der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zum Ziel Nr. 6 der „Sustainable Development Goals“ kommt. Das „Recht auf Wasser“ wird zu einem „Recht auf Zugänglichkeit“, welches die „Erschwinglichkeit“ von Wasser voraussetzt. Der Autor plädiert hier für „staatliche Vorgaben, Kontrollen und Sanktionen“, denn aus dem Recht auf Wasser lasse sich weder ein grundsätzliches Verbot von Privatisierungen ableiten, noch die Forderung, „dass sauberes Trinkwasser kostenfrei und in unbegrenzter Menge bereitgestellt wird“. Ich würde trotzdem empfehlen, sich bei der Wasserverteilung an der Art und Weise zu inspirieren, wie ich den Regen verteile … Leider sind die menschlichen Rechtssysteme nicht beweglich und biegsam wie etwas Lebendiges, sondern sperrig und hart wie der tote Stein, in den sie gemeißelt werden.

Wasser in Gefahr

Texte sind wie Flüsse: je länger, desto breiter. Der längste Text in diesem Dossier, „L’Eau – diagnostic d’un corps malade“, greift denn auch besonders viele Aspekte des Themas auf. Edgard Arendt beschreibt, wie es zur europäischen Wasserrahmenrichtlinie von 2000 kam und wie diese mehr schlecht als recht in Luxemburg umgesetzt wurde. Insbesondere bei der Abwasserbehandlung wurde, wie die Menschen sagen, „Gottes Wasser über Gottes Land laufen gelassen“. Für die zu spät gebauten Kläranlagen in Bonneweg und Bleesbrück musste man dann EU-Strafgelder in Millionenhöhe zahlen – recht so! Interessant ist, dass laut Arendt auch die Anlage in Übersyren der Direktive nicht gerecht wird – hier wird das Schmutzwasser vom Findel eingeleitet. Der Autor, Präsident der Flusspartnerschaft Syr, beschreibt zwei weitere Verschmutzungsquellen für diesen Wasserlauf: das von der CFL eingesetzte Glyphosat und die in der intensiven Landwirtschaft benutzten Produkte. Im vorletzten Abschnitt fasst Arendt schön zusammen, wie sich der reale Wasserkreislauf von jenem „aus dem Bilderbuch“ unterscheidet: Fließgewässer speisen sich oft aus kontaminierten Quellen, hinzu kommt Wasser aus Kläranlagen, das zu einem guten Teil als Trinkwasser aus dem Stausee „importiert“ wurde, und mit Straßenstaub und Giften belastetes Regenwasser. „La mauvaise santé de nos eaux superficielles n’a donc rien de surprenant“, schlussfolgert Arendt.

Ich erinnere mich noch an das letzte forum-Dossier von Juli 2006 über mich, als die erwähnte Wasserrahmenrichtlinie in Luxemburg vor der Umsetzung stand. Bereits damals herrschte Skepsis, ob dies wirklich zu einer ökologischeren Wirtschaftsweise führen würde. Wenn ich mir die Karte auf Seite 49 ansehe, die den Zustand der Oberflächengewässer in Luxemburg neun Jahre später beschreibt, stechen mir die vielen orangenen und roten Linien ins Auge. 2006 wurde auch heftig über den Wasserpreis gestritten, viel gebracht scheint seine Erhöhung nicht zu haben – aber die Idee der Kostendeckung hatte ja auch mehr mit liberaler Ideologie und Privatisierungsgelüsten zu tun als mit Ökologie.

Heiliges Wasser

Immerhin, die Idee von Wasser als „öffentlichem Gut“ statt als Ware taucht auch im vorliegenden Dossier wieder auf – an unerwarteter Stelle: Eigentlich ist der Artikel „Sind Christen wasserscheu?“ der spirituellen Dimension gewidmet, die Menschen in mir zu erkennen glauben. Interessanterweise findet sich bereits im Dossier von 2006 der Beitrag „Wasser in christlich-jüdischer Tradition“, ebenfalls von Gérard Kieffer. Beide sind lesenswert und enthalten zahlreiche Verweise auf Bibelstellen, von „Er lässt mich lagern auf grünen Auen und führt mich zum Ruheplatz am Wasser“ (Psalm 23,2) bis zu „Wer will, empfange unentgeltlich das Wasser des Lebens!“ (Offb 22,17). Lobenswerterweise gibt es zwischen den zwei Artikeln nur wenige Überschneidungen – einerseits ist ja die Bibel ein dickes Buch, andererseits stelle ich wohl eine Inspirationsquelle dar, die nie versiegt.

Luxemburger Wasser

Ging es im Dossier 2006 viel um die europäische Richtlinie und die Konflikte im Globalen Süden, so informiert das jetzt vorliegende Dossier detailliert über einige lokale Aspekte des Themas. In „Les eaux souterraines au Luxembourg“ erfährt man, wie lange ein Regentropfen braucht, um durch den Luxemburger Sandstein zu sickern und an einer Quelle wieder auszutreten. Julien Farlin, Mitarbeiter des Wasserwirtschaftsamtes, erklärt auch, warum die neuen, sich leichter zersetzenden Pestizide zu neuen Problemen führen.

Dass in Luxemburg bei Diskussionen über Wasser häufig die Quantität im Vordergrund steht, ärgert mich. Die wahre Bedrohung für mich und für die Menschen liegt eher in der Beeinträchtigung der Wasserqualität, zum Beispiel durch diese Pestizide. Manchmal habe ich den Eindruck, die Menschen schieben einfach dem Neuen die Schuld zu, zum Beispiel den Zugezogenen, die den Verbrauch erhöhen, statt die Landwirtschaft und die im Alltag benutzte Chemie infrage zu stellen. Oder sie lehnen neue, wasserintensive Unternehmen ab, denken aber nicht an andere Belastungen, wie die früheren durch die Stahlindustrie und die heutigen durch Flughafen und Autoverkehr. Gaia hilft mir ja, mich zu regenerieren, solange es nur um die paar Milliarden Menschen mit ihren Wasserhähnen und Klospülungen geht – aber die Chemie, das ist der wahre Alptraum.

Und die Physik? Das bringt uns zum Beitrag „Strom aus Wasserkraft“. Diese Form der Stromproduktion wird oft als „grün“ bezeichnet – „aber ist sie das wirklich?“, fragt Tobias Mosthaf. Er erläutert die physikalischen und biologischen Auswirkungen von Dämmen: Störung des Gleichgewichts aus Erosion und Ablagerung, Verringerung der Fließgeschwindigkeit, Wanderhindernis für Fische … Trotz Klimakrise kann, auch aufgrund des Verschlechterungsverbots der EU-Wasserrahmenrichtlinie, die Wasserkraft nur bedingt ausgebaut werden. Mosthaf schließt daraus, ganz im Sinne des systemischen Denkens: „Die Senkung des Ressourcen- und Energieverbrauchs bleibt daher das oberste Gebot.“

Wasser für den Menschen nutzbarer machen, dabei aber in seinen Kreislauf eingreifen – wie das geschieht, liest man in „Die Wasserversorgung Luxemburgs – Ein historischer Überblick“. Im 19. Jahrhundert war die Vorbeugung vor Krankheiten noch die treibende Kraft. Die moderne Wasserversorgung wurde erst Anfang des 20. Jahrhunderts aufgebaut, angeregt vom „Wasserbedarf der Eisenindustrie und der damit einhergehenden Bevölkerungsexplosion im Süden Luxemburgs“, wie Jean Reitz schreibt. Interessanterweise bereitete 1918 das Gemeindesyndikat für die Kantone Esch und Capellen über die Hälfte des Wassers für die Stahlindustrie auf – ganz ohne Joghurtfabrik und Data Center. Erst mit der Anlage des Stausees in den 1960ern wurde das Problem der Wasserversorgung für den Rest des Jahrhunderts gelöst – ein für mich sehr schmerzlicher Eingriff, der heute so wohl nicht mehr stattfinden könnte.

Wasserverschwendung

Mit dem Beitrag „L’empreinte ‚eau‘, cette inconnue mystérieuse…“ öffnet sich das Dossier ein wenig den Wassern der weiten Welt. Dass ausgerechnet der Direktor des nationalen Wasserwirtschaftsamtes, Jean-Paul Lickes, sich dem internationalen Thema des Wasser-Fußabdrucks widmet, ist unerwartet, aber erfreulich. Es geht darum, dass in einem reichen Land wie Luxemburg zum direkten Wasserverbrauch (Wasser trinken, Klospülung drücken, duschen) ein viel größerer indirekter Verbrauch durch Konsumprodukte wie Avocados (1.200 Liter pro Kilo) oder Rindfleisch (15.000 Liter pro Kilo) hinzukommt. Erschreckt ruhig, liebe Menschen, über eure Blindheit für komplexe Zusammenhänge! Mir hingegen gefallen diese Berechnungen: Statt wie allzu häufig als Ware zu gelten, wird beim Fußabdruck das Wasser zu einer Art Währung.

Prosit

Welchen „Water Footprint“ ein Werbespot hat, erfahren wir leider im letzten Beitrag, „D’Waasser vum Liewen“, nicht. Dafür liefert Viviane Thill einen Überblick über die Werbestrategie der Firma Rosport. Obwohl die Nachhaltigkeit des Produkts Mineralwasser an sich zweifelhaft ist, kommt diese Firma eher gut weg: Sowohl Herstellung als auch Verkauf sind im Zeitalter der Globalisierung lokal geblieben, und sie hat zumindest bis vor ein paar Jahren in ihren Werbespots auf die „Kommerzialisierung des weiblichen Körpers“ verzichtet. Vielleicht, weil Luxemburg ein katholisches Land ist? Mir ist beim Lesen jedenfalls aufgefallen, dass Rosport sein Wässerchen mit der christlichen Spiritualität in Verbindung gebracht hat: Mit einem „Letzten Abendmahl“, bei dem Jesus dem Judas Rosport Blue einschenkt, und, allgemeiner, mit dem Slogan „Das Wasser des Lebens“. Eine Würdigung oder eine Provokation für die Katholik*innen? Und wie soll ich mich dabei fühlen? Schwamm drüber, ist doch nur Menschenwerk!

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