31 Vorschläge für eine Politik der Resilienz (Reaktion auf Vorschlag 20: Jim Hirtt)

Vorschlag 20 der forum-Redaktion: Innerhalb kürzester Zeit hat das Virus es geschafft, den Alltag eines jeden Einzelnen auf den Kopf zu stellen und aus einer anfangs sanitären, eine ökonomische Krise zu machen. Hierdurch werden politische Entscheidungen, also auch unsere Zukunft beeinflusst. Gleichzeitig wird aber auch der Doppelcharakter dieser Krise deutlich, da sie einerseits zerstört, aber auch der Beginn von etwas Neuem sein kann.

Reaktion auf Vorschlag 20 von Jim Hirtt:

Die negativen Auswirkungen der Krise sind trotz eines 10,4 Milliarden umfassenden Maßnahmenpakets der Regierung noch nicht ganz abzusehen, wie das STATEC bestätigt. In diesem Jahr wird mit einer Rezession des BIP von 6 % gerechnet, gefolgt von einem Wachstum von 7 % im Jahr 2021. Die optimistische Einschätzung war dabei, dass die Beschäftigungswachstumsrate von 3,6 % auf 0,7 % sinken und die Arbeitslosenquote auf nur 6,7 % steigen würde. In einem extrem negativen Szenario, bei der eine schwere globale Depression das BIP Luxemburgs um 12,4 % einbrechen lassen würde, könnte sich die Arbeitslosenquote sogar der 10 %-Marke nähern. Hinzu kommen die noch ungelösten Probleme der Wohnungsnot und der Arbeitsarmut, ein Begriff für die paradoxe Situation, in der man arbeitet und gleichzeitig von Armut bedroht ist. Aktuell liegt die Zahl der in Luxemburg von der Armut bedrohten Personen bei 18,3 % und die Wohnungspreise steigen seit Jahren unaufhaltsam, woran auch die Coronakrise nichts geändert hat.

Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot, Schuldenabbau… Diese Prognosen und Herausforderungen der Zukunft werden vor allem die zukünftigen Generationen belasten. Wie die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) warnt, werden es besonders junge Leute sein, die am härtesten von einem starken Rückgang der Wirtschaftsleistung betroffen sein werden. Denn aus den Unterbrechungen in Bildung und Ausbildung können sich dauerhaft schlechtere Jobchancen ergeben, und durch Firmenpleiten und Entlassungswellen drohen Jobverluste. Für viele wird es schwieriger werden, eine neue und gut bezahlte Stelle zu finden. Laut ILO besteht damit die Gefahr, dass junge Leute vom Arbeitsmarkt ausgegrenzt werden. Hinzu kommt, dass die mobilisierten Gelder womöglich langfristig, insbesondere von den zukünftigen Generationen, abgebaut werden müssen. Hierbei wurden noch nicht einmal die bevorstehe Klimakrise, Wohnungsnot und Veränderungen des Arbeitsmarktes erwähnt, die jetzt bereits bei vielen Jugendlichen für Magenkrämpfe sorgen.

Fokus ausrichten

Die sozialen und ökologischen Herausforderungen der nahen Zukunft dürfen deshalb nicht nach hinten verschoben, sondern müssen in den Mittelpunkt der politischen Maßnahmen gerückt werden. Um die ökologischen, sozialen und gesellschaftlichen Transformationen unserer Gesellschaft einzuleiten, braucht es jedoch vorausschauende und aktive, anstatt nur reaktionäre politische Handlungen.

Ein Arbeitsmarkt, auf dem sich alle Menschen zurecht finden können, ein Recht auf ein Eigenheim, das alle in Anspruch nehmen können, ohne sich ein Leben lang verschulden zu müssen, ein Alltag, in dem Beruf und Familie vereinbar sind, die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung: Das sind Ziele, die man sich als junger Mensch setzt, die jedoch eigentlich größtenteils Grundrechte eines jeden Menschen sein müssten. Die Politik ist dafür verantwortlich, dass diese Ziele auch wieder zu Grundrechten werden und nicht als utopische Wünsche verkommen.

Realistische Utopien

So muss zunächst den strukturellen Veränderungen des Arbeitsmarktes Rechnung getragen werden, die sich aus einer zunehmenden Flexibilisierung, Digitalisierung und Integration neuer Arbeitsmodelle ergeben. Die neuen Technologien, die zu enormen Produktivitätssteigerungen geführt haben, müssen vermehrt der arbeitenden Bevölkerung zugute kommen. In diesem Zusammenhang muss diskutiert werden, ob die 40-Stunden-Woche noch notwendig ist.

Der zunehmende Einsatz von Home- und Telearbeit zeigt, dass die Gesellschaft zukünftig neuen Arbeitsmodellen offen gegenüberstehen sollte, jedoch muss wie beim Homeoffice durch Reglementierungen darauf geachtet werden, dass Privat- und Berufsleben nicht völlig miteinander verschmelzen. Auch die Arbeitsarmut muss in Angriff genommen werden. Die Besteuerung des Kapitals statt der Arbeit wäre ein möglicher Schritt zu mehr Steuergerechtigkeit, weshalb eine gerechtere Steuerreform angestrebt werden sollte. Schließlich aber gilt es, das größte Problem sozialer Ungleichheit anzugehen: die luxemburgische Erbgesellschaft. Arbeit und Fleiß, ein hoher Abschluss und starke Leistungen allein reichen zur Erfüllung des Traums vom Eigenheim nicht mehr aus. Der Immobilienerwerb ist ohne hohe Kredite und Verschuldungen auf Lebenszeit kaum noch möglich, weswegen über eine Erbschaftssteuer sowie eine Vermögenssteuer nachgedacht werden und das Wohnen wieder bezahlbar gemacht werden muss.

Auch das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) könnte eine Lösung darstellen. Dieses Mittel würde die Kurzarbeit überflüssig machen und somit jeden Haushalt entlasten. Gleichzeitig verringert das BGE unnötige Sozialausgaben und bietet Schutz vor drohender Arbeitslosigkeit und den Unsicherheiten der Zukunft, die eine Digitalisierung und Flexibilisierung des Arbeitsmarktes mit sich bringen.1

Eins ist klar, es braucht zukunftsorientierte Handlungen, die notwendig, aber nicht immer leicht umsetzbar sind, weil sie oft als „unrealistisch“ abgestempelt werden. Oscar Wilde sagte schon 1891, dass „Fortschritt die Verwirklichung von Utopien“ ist. Auch das Frauenwahlrecht oder der Acht-Stunden-Tag, einst Utopien, sind heute Realität.

 

Jim Hirtt studiert Bildungsforschung in München und ist seit zwei Jahren politisch aktiv.

 

1 Rutger Bregman, Utopien Für Realisten: Die Zeit ist reif für die 15-Stunden-Woche, offene Grenzen und das bedingungslose Grundeinkommen, Reinbek, Rowohlt, 2017.

 

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