- Politik
31 Vorschläge für eine Politik der Resilienz (Reaktion auf Vorschlag 23: Tom Haas)
Vorschlag 23 der forum-Redaktion: Für KünstlerInnen sollte rasch ein auf zwei Jahre befristetes, bedingungsloses Grundeinkommen eingerichtet werden, um sicherzustellen, dass nicht die gesamte künstlerische und kulturelle Szene und die damit einhergehende Produktion in den kommenden Monaten wegbricht. Kulturelle Angebote und Infrastrukturen müssen im Sinne der Interkulturalität, der Nachhaltigkeit und des Gemeinwohls überdacht werden.
Reaktion 23 von Tom Haas:
Singuläre Ereignisse bieten immer wieder Anlass, von einer besseren Welt zu träumen. Als der erste Schock nach dem Lockdown im März verflogen war, wurden rasch jene Stimmen laut, die nach Veränderung riefen. Nun sei es endlich an der Zeit, den kapitalistischen Wahnsinn zu stoppen und auf den Trümmern der zusammengebrochenen Globalisierung eine bessere Welt zu errichten. Aus den Versatzstücken alter und neuer sozialer Bewegungen puzzelte sich fortan jede*r Kaffeehaus-Revoluzzer*in ihre*seine Utopie zusammen. Seit Jahren als Dauerbrenner mit dabei: Das bedingungslose Grundeinkommen – wahlweise für Künstler*innen, Solo-Selbstständige oder gleich die gesamte Gesellschaft.
In dem Kontext verblüfft auch die Forderung im forum nicht, nun „rasch ein auf zwei Jahre befristetes, bedingungsloses Grundeinkommen“ für Künstler*innen einzurichten. Der Impuls ist begrüßenswert, denn egal wohin man in Europa blickt, sind es stets Künstler*innen und Kulturschaffende, die in den Verteilungsdebatten mit den Almosen, die ganz zum Schluss noch bleiben, abgespeist werden sollen. Die Umsetzung aber des forum-Vorschlags erstickt an Fragen und Widersprüchen, die eigentlich bereits auf den ersten Blick offensichtlich sind.
Denn wer ist ein*e Künstler*in? Nur die*derjenige, die*der ausschließlich (oder mindestens zu 51 Prozent) vom Verkauf ihrer*seiner Kunst lebt? Was ist mit den Schauspieler*innen, die nebenbei als Buchhändler*innen oder in der Kneipe arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten? Was mit dem verbeamteten Lehrer, der alle drei Jahre ein Buch veröffentlicht – oder der Autorin, die seit fünf Jahren an ihrem Debüt knabbert und noch nichts veröffentlicht hat? Was ist mit dem Performance-Künstler, dessen Kunst unverkäuflich ist? Der Malerin, die ihrem verhassten, aber gut bezahlten Job nachgeht, weil sie vom Verkauf ihrer Bilder nicht leben kann? Würde die vielleicht sogar ihren Job aufgeben, wenn sie ein Anrecht auf ein bedingungsloses Grundeinkommen hätte? Oder ist es der künstlerische Wert des Werks, welches das Statut seiner*s Schöpfer*in bestimmt? Wer urteilt darüber? Kritiker*innen? Eine Regierungskommission? Das Empfehlungsschreiben von Kolleg*innen?
Es ist offenkundig, dass wir nicht über die notwendigen Bewertungskriterien verfügen, um überhaupt festzulegen, wer im Falle eines Grundeinkommens anspruchsberechtigt wäre. Jeder Versuch, einen entsprechenden Katalog festzuschreiben, negiert die vielgestaltigen individuellen Ausprägungs- und Ausdrucksmöglichkeiten von Kunst und Künstler*innen. Das ist das erste Problem des geforderten Grundeinkommens. Das zweite Problem ist die Höhe.
Schauspieler*innen, Schriftsteller*innen, Maler*innen, Fotograf*innen und Bildhauer*innen sind ohne Zweifel allesamt Künstler*innen – die erforderlichen Ressourcen, die in ihrem Schaffensprozess zum Tragen kommen, sind allerdings höchst unterschiedlich. Und dann reden wir noch gar nicht von den persönlichen Bedürfnissen der Einzelpersonen, die weitgehend divergieren und denen durch eine Ausschüttung nach dem Gießkannenprinzip in den seltensten Fällen entsprochen wird.
Was wäre also die Alternative?
Das Problem der prekären Situation von Kunst- und Kulturschaffenden ist nicht erst seit der Corona-Pandemie gegeben – diese hat es nur akut werden lassen, weil auch jene Künstler*innen, die sich zuvor halbwegs erfolgreich durchschlagen konnten, plötzlich mit einer existenzbedrohenden Leere konfrontiert wurden. Diesen Umstand nun mit Geld zuzukleistern, bis er unsichtbar wird, ist vermutlich die luxemburgischste Art, ein Problem zu lösen. Wenn man aber, wie die Autor*innen des Vorschlags vorgeben, langfristig neue Perspektiven für das Milieu schaffen möchte, sollte man den Hebel bei bestehenden Angeboten und Infrastrukturen ansetzen und diese nicht nur „im Sinne der Interkulturalität, der Nachhaltigkeit und des Gemeinwohls“ neu denken, sondern auch als das, was sie für Künstler*innen bedeuten – einen Ort, an dem sie arbeiten und Geld verdienen können.
Es wäre sinnvoll, die Fördermittel für Galerien, Theater, Kulturzentren und -vereine zu erhöhen und einen Anteil davon zweckgebunden für die Bezahlung von Künstler*innen auszuschütten. In welcher Form das Geld bei den Kunstschaffenden ankommt – ob als Gage, Honorar, Stipendium oder Zuschuss im Verlauf einer Residenz – ist letztlich irrelevant. Im gleichen Zug könnte man für staatlich konventionierte Kulturzentren ein Mindesthonorar für eine von Künstler*innen erbrachte Leistung festlegen und dabei die Unterschiedlichkeit der Produktionsbedingungen durchaus in die Berechnung mit einfließen lassen.
Der Ansatz bietet gegenüber dem bedingungslosen Grundeinkommen mehrere entscheidende Vorteile. Zunächst schafft er eine Dispersion der Autoritäten, die für die Verteilung zuständig sind – die Künstlerin, deren Projekt an einer Stelle abgelehnt wurde, bekommt andernorts vielleicht den Zuschlag. Er fördert überdies nicht nur die Künstler*innen, sondern alle Menschen, die in den Produktionsprozess eingebunden sind – vom Booking über die Veranstaltungskonzeption bis hin zur Pressearbeit. Überdies schafft er ein Ventil für Kreativität und fordert Künstler*innen wie Veranstalter*innen heraus, neue Wege zu finden, ihre Rezipient*innen zu erreichen. Und letzten Endes führt er vor allem zu einem Mehr an Kunst und Kultur im Land.
Tom Haas ist Journalist beim Tageblatt.
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