31 Vorschläge für eine Politik der Resilienz (Reaktion auf Vorschlag 21: Christiane Walerich)

Vorschlag 21 der forum-Redaktion: Ein Teil der luxemburgischen Bevölkerung hat sich in seinem Konsumverhalten in eine teure, gesundheits- und umweltschädigende Parallelwelt verirrt. Der Staat sollte Strategien entwickeln, um den Konsum in vertretbare Bahnen zu lenken (Besteuerung, Aufklärung, Ausbau der regionalen Ferien- und Freizeitangebote oder Förderung der Gartenkultur…). Dies könnte eine sinnvolle Aufgabe für das in Vergessenheit geratene Verbraucherschutzministerium sein.

Reaktion 21 von Christiane Walerich:

Ärzt/innen, Pfleger/innen und Kassierer/innen galten seit Beginn der Coronakrise als systemrelevant. Von den Landwirt/innen wurde dagegen kaum gesprochen. Dabei wachsen Lebensmittel bekanntlich nicht im Supermarkt. Seit Jahren geht die Zahl der aktiven Lebensmittelproduzent/innen in Luxemburg dramatisch zurück. Alleine in den letzten 30 Jahren ist die Anzahl der landwirtschaftlichen Betriebe laut einer STATEC-Studie von 3.800 (1990) auf 2.000 (2015) gesunken – also fast um die Hälfte.

Im Gegenzug dazu werden immer wieder Versuche unternommen, den Sektor zu beleben, wovon viele das eigentliche Problem leider nach wie vor nur auslagern oder sogar kontraproduktiv wirken. So haben subventionierte Mechanisierung und Intensivierung dazu beigetragen, billig zu produzieren und Monokulturen zu fördern, um standardisierte Lebensmittel für Supermärkte zu erzeugen, deren Interesse darin besteht, große Quantitäten zu niedrigen Preisen einzukaufen. Dabei passiert dreierlei: Nicht nur die Umwelt bleibt auf der Strecke – auch werden Landwirt/innen weder für die Qualität ihrer Produkte entlohnt, noch werden ihre Arbeitsstunden bezahlt. Zweitens werden Konsument/innen an billige (und gesundheitlich bedenkliche) Lebensmittel gewöhnt. Drittens haben Subventionen dazu geführt, dass es zur Überproduktion gewisser Lebensmittel kam, die nicht mehr regional vermarktet werden, sondern z. T. ins ferne Ausland (etwa Pulvermilch) exportiert werden.

Nicht zu vergessen ist ferner die kulturelle Aushöhlung des Berufsstandes: Haben die Landwirt/innen sich früher traditionell noch um eine Bandbreite von Kulturen gekümmert, sich an die Natur angepasst und stolz ihre „Produits du terroir“ verkauft, besteht ihre Arbeit heute vor allem darin, große Maschinen zu bedienen, um Masse zu produzieren. So hat es auch erstaunt, dass sich die Öffentlichkeit zu Corona-Zeiten zwar besorgt zeigte, ob nun ausländische Erntehelfer/innen rechtzeitig für die Spargelernte eintreffen würden – doch niemand hat die viel substantiellere Frage gestellt: Warum ist das heute noch so?! Wer will schon wochenlang Erdbeeren per Hand pflücken?

Kann hier ein Verbraucherschutzministerium Abhilfe schaffen?

Von unterschiedlichsten Akteur/innen der Zivilgesellschaft, von Umweltverbänden, Unternehmensgruppen, Parteien und Gewerkschaften werden seit einiger Zeit sehr schmackhaft klingende Konzepte zum Empowerment der Landwirtschaft ins Spiel gebracht. Es wird hier an einer Schraube gedreht – und dort an einer weiteren, doch das eigentliche und mittlerweile bald existenzielle Problem unserer Nahrungsproduktion bleibt bestehen: Alle wollen eine gesunde Landwirtschaft – niemand will jedoch als Landwirt/in arbeiten! Jeder weiß, was zu tun ist, niemand will es machen… (Man fühlt sich nahezu an die Klimaproblematik erinnert!)

Auch auf der Ebene der Verwaltung gib es Probleme. So besteht auch heute noch in vielen Fragen eine tiefe Kluft zwischen Agrar- und Umweltministerium. Was wäre also der Mehrwert, nun auch noch das Verbraucherschutzministerium mit einzuschalten? Nur eine weitere Instanz, um Probleme zu verwalten? Und bräuchte es nicht eher ein Produzent/innenenschutzministerium? Oder sollte man Agrar- und Umweltministerium zusammenlegen, damit sowohl Fragen zur Landesplanung als auch Umweltprobleme gemeinsam behandelt werden und Luxemburg in Richtung 100 Prozent Bio vorangetrieben werden kann?

Die Landwirtschaft hat aufgrund des drastisch voranschreitenden Klimawandels inzwischen mit akuten Wasserproblemen zu kämpfen. 35 °C und mehr im Sommer wird wohl die neue Normalität sein, Wasser ist jedoch unter diesen Bedingungen eine immer knapper werdende Ressource – ohne Wasser keine Lebensmittel. Luxemburg importiert zudem die meisten Lebensmittel (mehr als 90 Prozent bei Obst und Gemüse).

Dabei betreibt Luxemburg nach wie vor eine Politik des „unendlichen Wachstums“, die ihre Wertschöpfung ausschließlich nach ökonomischen Gesichtspunkten ausrichtet – als gäbe es kein Morgen. Vor diesem Hintergrund und einer wachsenden Bevölkerungszahl ist die Rechnung schnell gemacht: In Krisenzeiten wird diese Politik diese Probleme auch mit Geld nicht mehr ausbügeln können.

Resilienz bedeutet dagegen die Wertschätzung von Wasser, Biodiversität, einer gesunden Umwelt und einer nachhaltigen Landwirtschaft sowie einer Politik der gesellschaftlichen Entschleunigung (mehr Zeit, weniger Konsum und Müll). Das bedeutet, dass die Regierung der Landwirtschaft gegenüber anderen Berufsfeldern, die keine Grundbedürfnisse decken, dringend eine neue Priorität einräumen muss. Statt Maschinen sollten Arbeitskräfte in der Landwirtschaft bezuschusst werden – und das nicht nur als Wiedereingliederungsmaßnahme von Arbeitslosen. Produzent/innen sollten grundsätzlich für gesunde und nachhaltig produzierte Lebensmittel fair bezahlt und anerkannt werden. Dies kann auch bedeuten, dass der Staat und die Gemeinden selbst gewisse Flächen nutzen müssen, um ökologische Lebensmittel zu produzieren.

Daneben braucht die Produktion der Lebensmittel auch faire Absatzmärkte: Reinen Produzent/innenmärkten (Farmer’s markets) müssten gegenüber Supermärkten massive Standortvorteile eingeräumt werden, sodass lokale Produzent/innen ihre Waren zu einem gerechten Preis verkaufen können, der sowohl ihre Arbeitsleistung als auch ihren Dienst an der Natur entlohnt. Verbraucher/innen dürfen auf keinen Fall aus ihrer Verantwortung entlassen werden – zu lange hatten sie die Möglichkeit, diese an andere zu delegieren und wurden wirtschaftlich sogar dazu ermutigt. Jedoch: Konsum schafft Distanz.

„Die Moderne besteht darin, die Natur zu zwingen, den menschlichen Bedürfnissen gehorsam zu dienen“, meinte einmal der Soziologe Zygmunt Bauman. Dass diese Maxime nicht funktioniert, merken wir heute – die Vorzeichen des Klimawandels, der Verlust der Biodiversität sind schon jetzt dramatisch. Als gewählte Lenkungskraft des Allgemeinwohls muss die Politik ökologisch wertvolles Handeln (auch Reuse, Reduce) als absolutes Leitmotiv vorgeben und die Landwirtschaft nicht als Nebenschauplatz abtun. Wir brauchen einen Systemwandel – und kein Flickwerk, falls der Mensch weiterbestehen will.

 

Nach ihrer Tätigkeit als Journalistin, arbeitet Christiane Walerich beim Solidarischen Landwirtschaftsprojekt TERRA. Terra besteht ausschließlich aus ursprünglich berufsfremden Quereinsteiger/innen in die Landwirtschaft.

 

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