Luxemburger Schulen, ein Ort ohne Diskriminierung?

„Du Schwuchtel!“, „Spiel nicht wie ein Mädchen!“, „Wir wollen nicht mit ihm spielen, weil er ein stinkiger Portugiese ist!“, „Schwarze sind faul!“. In all diesen Fällen handelt es sich um Diskriminierungen. Manche finden unter SchülerInnen statt, andere kommen von Lehrpersonen. Diese und andere Äußerungen wurden im „Breaking The Silence“-Projekt gesammelt.1 Mit steigenden Zahlen an Diskriminierungsfällen muss die Schule die Verantwortung übernehmen, nicht über solche Äußerungen hinwegzusehen oder sie als Ausnahme abzutun. Die hohe kulturelle Diversität, die sich in heterogenen Klassenräumen widerspiegelt (und die luxemburgischen Schulen sind besonders heterogen zusammengesetzt), führt nicht zwangsläufig zu Toleranz und Akzeptanz. Dieser keineswegs neuen Problematik entgegenzuwirken, ist eine große und unausweichliche Aufgabe für Schule und Lehrkräfte. Neben der Familie ist die Schule der zentrale Ort, der erheblichen Einfluss auf die akademische, berufliche und soziale Laufbahn eines jungen Menschen nimmt. In der Schule lernen Kinder die Eigenschaften, Funktionsweisen, Freiheiten und Verpflichtungen einer Gesellschaft kennen. Dabei vermittelt Schule – neben faktenbasiertem Wissen – auch gesellschaftliche Werte und Regeln. Und Schule sollte diese Aufgabe noch viel ernster nehmen.

Ebenen und Formen von Diskriminierung

In der Soziologie spricht man von Diskriminierung, wenn sich aus dem Handeln individueller AkteurInnen nachteilige Folgen für andere ergeben, weil sie diese aufgrund wahrgenommener sozialer oder ethnischer Merkmale als ungleich bzw. minderwertig ansehen.

Diskriminierung passiert auf vielen Ebenen und in verschiedenen Formen. Bei individuell bewusster Diskriminierung gibt es die Absicht zu verletzen, auszugrenzen und zu erniedrigen. Die Motive sind vielfältig und können zum Beispiel auf Ausländerfeindlichkeit, Sexismus, Rassismus usw. zurückzuführen sein. „Du glaubst doch nicht, dass du mit dieser Hautfarbe in den Classique kommst?“, „Du N*ger“, „Trink so viel Wasser wie du willst, wir sind ja nicht in Afrika“, „Iss nicht so viele Chocapics, sonst wirst du nur noch schwarzer“. Dies sind nur einige der zahlreichen Erfahrungsberichte von SchülerInnen im Luxemburger Schulsystem.

Häufig passiert die Diskriminierung aber auch unbewusst. Hier muss man allerdings präzisieren, dass sie meistens nur für den/die Diskriminierenden unbewusst geschieht, den Opfern ist sie dagegen zumeist sehr bewusst. Beispiele finden sich im alltäglichen Sprachgebrauch. „Spiel nicht wie ein Mädchen“ ist eine sexistische Aussage, die vermittelt, dass man nicht „schwächeln“ soll. Man assoziiert „Schwäche“ mit dem weiblichen Geschlecht und vermittelt dies an die SchülerInnen. Singt die Lehrperson mir ihren SchülerInnen „10 kleine Negerlein“, ohne sich der rassistischen Konnotation und deren Konsequenzen für SchülerInnen of color bewusst zu sein, dann geschieht dies unbewusst, vermindert den Schaden allerdings nicht. Die Sprache ist dabei mehr als ein Mittel zur reinen Informationsweitergabe. Wörter können andere beleidigen und diskriminieren, ohne dass wir es bewusst wahrnehmen oder gar beabsichtigen. Sprache ist dabei kein neutrales Medium. Es wäre falsch, individuelle Diskriminierung als isolierten Einzelfall abzutun. Diese persönliche Form der Ausgrenzung kann nicht ohne die gesellschaftlichen und systemischen Rahmenbedingungen stattfinden.

Die indirekte Diskriminierung hingegen resultiert aus Kriterien oder Vorgaben, die zwar nicht diskriminierend formuliert sind, jedoch eine bestimmte Gruppe Menschen benachteiligen. Das luxemburgische Schulsystem, das auch und vor allem aufgrund des sprachlichen Niveaus segregiert, diskriminiert somit indirekt. Diese Bewertungskriterien an den Schulen sind zwar für alle gleich, die Voraussetzungen aber nicht. Demnach werden SchülerInnen aus sozioökonomisch schwachen Kontexten, Kinder deren Muttersprache nicht Luxemburgisch ist oder Kinder mit spezifischen Bedürfnissen systematisch benachteiligt, während andere bevorteilt werden. Ungleichheit wird somit reproduziert.

Dieser Befund hat auch im Nationalen Bildungsbericht aus dem Jahr 2018 seinen Niederschlag gefunden. Die Chancen, auf das Enseignement secondaire (ES) orientiert zu werden, sind bei soziökonomisch benachteiligten SchülerInnen niedriger ausgefallen. Wird die Orientierung von Jugendlichen getrennt nach Sprachhintergründen betrachtet, zeigen sich ebenfalls Bildungsungleichheiten, und zwar zum Nachteil von SchülerInnen mit Migrationshintergrund. Der Bericht verweist darauf, dass sich diese Ungleichheiten bereits im Zyklus 2 manifestieren. Das Absinken der Chancen der Benachteiligten und das Zunehmen der Chancen der Privilegierten bedeutet eine Zunahme sozialer, schichtbezogener Ungleichheiten in der Bildungsbeteiligung bzw. im Bildungserwerb. Der Ausländeranteil im ES ist in den letzten zehn Jahren also weniger stark gestiegen als der Anteil ausländischer Kinder im Schulsystem insgesamt. Der Orientierungsprozess hat dabei nicht die individuelle Entwicklung im Blick, sondern legt sprachliche Kriterien an, die alle Kinder, deren Muttersprache nicht Luxemburgisch ist, klar benachteiligen. Zudem ist die Durchlässigkeit „nach oben“ sehr gering.

Was wird getan? Was ist zu tun?

Das Centre d’éducation interculturelle (IKL) bietet zahlreiche Workshops und Materialien an, um zum Thema Diskriminierung zu sensibilisieren und den Lehrpersonen konkrete Angebote zu bieten. Außerdem hat das IKL Arbeitsgruppen ins Leben gerufen, an denen sich jede/r beteiligen kann, um sich der Thematik möglichst mehrperspektivistisch anzunehmen. Das Institut de formation de l’éducation nationale (IFEN) bietet eine Vielzahl an Weiterbildungen, die für jede Lehrperson zugänglich sind. Allerdings sind diese nicht obligatorisch, und somit besteht das Risiko, dass die Lehrpersonen, die am meisten von einer antidiskriminierenden Weiterbildung profitieren könnten, diese nicht wahrnehmen. Neben einigen lokalen Initiativen versucht sich auch das Centre psycho-social d’accompagnement scoalaires (CePAS) an der Thematik. Obwohl es sich dem Motto „Meng Méiglechkeeten“ verschrieben hat und seine Angebote auf die Bekämpfung von Diskriminierung und die Förderung von Inklusion ausgerichtet sind, ist die Internetseite leider nur auf Französisch aufrufbar.

Festzustellen ist, dass es keine wirkliche nationale Antidiskriminierungsstrategie gibt. Zwar gibt es verschiedene Angebote und Anlaufstellen, doch werden diese wahrscheinlich nur von bereits Interessierten oder Betroffenen aufgesucht. Ein flächendeckendes verbindliches nationales pädagogisches Antidiskriminierungskonzept sucht man genauso vergeblich wie eine Bestandaufnahme zur Diskriminierung in unserem Schulsystem.

Damit ein Antidiskriminierungskonzept gelingen kann, braucht es bei allen beteiligten AkteurInnen, von den SchülerInnen bis zu den Lehrkräften und MultiplikatorInnen, und auf allen Ebenen eine Grundoffenheit und Bereitschaft. Diese Einstellung gekoppelt mit viel Mut ist von Nöten, um bewusst (eigene) Widersprüchlichkeiten und ihre gesellschaftlichen Gründe aufzuarbeiten und mit ihnen umzugehen. Dies ist eine wichtige Grundvoraussetzung, um nicht in vereinfachende Erklärungsmuster und Schuldzuweisungen zu verfallen. Zwar ist die Antidiskriminierungspädagogik zeit- und energieaufwendig, jedoch ist sie unabdingbar, um langfristig pädagogische Erfolge zu erreichen und die Basis für eine tolerantere Gesellschaft zu schaffen.

Um eine Grundlage für eine Sensibilisierung in Schulen zu schaffen, sollte geprüft werden, an welchen Stellen Diskriminierung in schulischen Einrichtungen stattfindet oder stattfinden kann. Dieser Prozess der Bestandsaufnahme zeigt, wo Schutzregelungen funktionieren und wo nachgebessert werden muss. Dieser Schritt sollte in regelmäßigen Abständen wiederholt werden, da sich die Zusammensetzung der AkteurInnen an einer Schule natürlich permanent ändert.

Besser Vor- als Nachsicht

Um antidiskriminierend zu handeln, braucht es aber auch eine Präventionsstrategie. Die Prävention von Diskriminierung kann auf verschiedenen Ebenen stattfinden. Betroffene sollten den Raum und die Möglichkeit haben, über ihre Erfahrungen zu reden. Sie sollten Gehör finden und über ihre Handlungsmöglichkeiten und Rechte aufgeklärt werden. Betroffene sollten gestärkt werden und nicht nur bei der Aufarbeitung, sondern auch im Alltag Gestaltungs- und Partizipationsmöglichkeiten haben. Damit Lehrpersonen, aber auch Direktionsmitglieder ihre Handlungsmöglichkeiten gegen Diskriminierung kennenlernen, sollten sie (obligatorisch) in Antidiskriminierungsschulungen auf die multiplen Facetten von Diskriminierung aufmerksam gemacht werden. Erst dann sind sie in der Lage, Diskriminierung regelmäßig im Unterricht zu thematisieren und die eigenen Handlungsmuster und den eigenen Sprachgebrauch zu reflektieren. Anti-Bias- und Diversity-Trainings sind dabei elementar, da sie an Fallbeispielen aufzeigen, was man konkret tun kann, wenn man Diskriminierung beobachtet.

Komitee, Intervention, Streitschlichtung

Eine zusätzliche Möglichkeit wäre ein schulisches Antidiskriminierungskomitee. Dieses sollte idealerweise möglichst divers besetzt sein. Es könnte als Anlaufstelle für SchülerInnen und Lehrpersonen dienen, die Unterstützung brauchen. Zusätzlich kann es als Reflexionsgruppe fungieren, in der man sich konstruktiv austauschen kann. Sie sollte aus schulinternen Personen, Direktionsmitgliedern und gegebenenfalls Eltern bestehen. Sofern möglich, könnte auch ein/e ExpertIn Mitglied dieses Komitees sein.

Zugleich ist es wichtig, dass Schulen über Interventionsvorkehrungen verfügen, um im Falle einer Diskriminierung geeignete Maßnahmen ergreifen zu können. Im Falle einer physischen Gewaltform verfügen die meisten Schulen bereits über Regularien und Abläufe. Auch diese sollten in regelmäßigen Abständen evaluiert werden, ob sie zeitgemäß und zielführend sind. Es kommt nämlich oft zu verbalen Gewaltformen, die entweder unter dem Radar bleiben oder nur oberflächlich thematisiert werden. Doch nicht nur für Diskriminierte, sondern auch für Diskriminierende ist eine Aufarbeitung von elementarer Bedeutung. Ein Lösungsansatz wäre die Entwicklung von schulinternen Leitlinien zum Umgang mit und zur Intervention bei Diskriminierung. Im Falle Luxemburgs wäre sogar ein landesweites Konzept denkbar. Wichtig für die Effizienz eines solches Konzeptes ist eine klare und transparente Verfahrensstruktur.

Verbindliche und klare Anweisungen, wie mit Betroffenen umgegangen werden sollte, können dabei helfen, dass Betroffene sich ernst genommen fühlen und den Mut aufbringen, einen Missstand anzusprechen. Idealerweise wird diese Aufgabe von dafür ausgebildeten Personen übernommen. Außerdem sollten auch SchülerInnen dafür geschult werden. Die Ansprechpersonen sind das Pendant zu den StreitschlichterInnen auf der Ebene der Erwachsenen. Die Kriterien sind dabei ähnlich wie auf der SchülerInnen­ebene. Sie können auch innerhalb eines Antidiskriminierungskomitees fungieren.

Neue Konzepte sind gefragt

Die oben genannten Präventions- und Interventionsmaßnahmen können nur dann nachhaltig und langfristig funktionieren, wenn sie auf institutioneller Ebene etabliert werden. Damit ein ganzheitliches strukturelles Antidiskriminierungskonzept möglich ist, muss dieses in der Schulentwicklung verankert werden und von Schulministerium, -direktion und -leitung ernst genommen werden. Deswegen ist es unausweichlich, dass sich das Ministerium mit der Thematik auseinandersetzt und eigene neue Antidiskriminierungskonzepte entwickelt oder bestehende weiterentwickelt. Zwar wird in verschiedenen Studien darauf hingewiesen, dass das Luxemburger Schulsystem Ungleichheit hervorbringt, tiefgehendere Forschungen in Bezug auf Diskriminierung gibt es aber bisweilen kaum.

Ein landesweites Antidiskriminierungskonzept sollte auf folgenden Grundsteinen basieren: auf klaren Diskriminierungsverboten, echten Konsequenzen für Diskriminierung, der Förderung von Gleichstellungsinitiativen, schulorganisatorischen Verpflichtungen, der Verankerung von antidiskriminierenden Ansätzen als Querschnittsthema, dem Ausbau und der Förderung von Informations- und Beratungsstellen und einer optimierten Rechtsberatung und der Förderung von Antidiskriminierungsinstanzen.

 

  1. Siehe auf Instagram @nd.schammo, auf Facebook https://www.facebook.com/andy.schammo.7 und auf https://breakingthesilencelxb.wordpress.com (letzter Aufruf: 21. September 2020).

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