Die Selbstherrlichen

Über das ungenierte Regieren der DP

Am 12. Februar 2021 machte eine Pressemitteilung des Journalistenverbandes ALJP die Runde. Die Luxemburger Regierung habe über ihren Presse- und Informationsdienst SIP „eigenwillig entschieden, den Frage-Antwort-Teil nach ministeriellen Pressekonferenzen, die auf Video im Youtube-Kanal Gouvernement LU übertragen werden, nicht mehr integral der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.“1 Die als „nonchalant“ bezeichnete Begründung ließ die Journalisten „sprachlos“ zurück: „Jetzt soll ein fehlendes Mikro oder eine Kamera als Grund dafür herhalten, warum Fragen und Antworten an einen Minister oder an eine Ministerin nicht für die Öffentlichkeit zugänglich sind?“ Dass es sich dabei nicht um eine Lappalie handelte, zeigt die ungewohnt breite Resonanz, auf die diese Mitteilung in den sozialen Medien gestoßen ist. Auch die Menschenrechtskommission hatte in ihrem Gutachten 03/21 zur Pandemiegesetznovelle kein Verständnis für das Handeln der Regierung und forderte sie dazu auf, im Namen der Transparenz den Status quo ante wiederherzustellen.2 Die ALPJ brachte es auf den Punkt, um den sich alles dreht: die Rechenschaftspflicht einer Regierung, deren Handeln, besonders in Pandemie- und damit Krisenzeiten, für alle Bürger nachvollziehbar sein muss. „Vielleicht weiß es der Regierungs-Pressedienst nicht, aber ministerielle Pressekonferenzen sind dafür da, dass eine Regierung die Allgemeinheit informiert und sich den kritischen Fragen der Medien stellt – und keine Rednertribüne für Minister/innen, die lediglich eine gute Figur machen wollen.“ Am 22. Februar knickte die Regierung schließlich ein. Der SIP wird die Pressekonferenzen wieder integral zugänglich machen.

Aber ob mit oder ohne dieses Informationszurückhaltungsgeplänkel ist es offensichtlich, dass insbesondere Regierungsmitglieder und anderes politisches Personal aus der Partei des Premierministers in den letzten Monaten nicht bella figura gemacht haben. Im Gegenteil, es hat sich vieles summiert, seitdem die zweite Welle der Pandemie mit über 500 Toten das Land im Griff hat. Deren Wucht hat nicht wenig zu tun mit der Art und Weise, wie die Regierung unter liberalem Druck mit der Pandemie umgegangen ist: ein erratischer Wechsel zwischen nonchalantem Laisser-faire bis in den November 2020 hinein, schmeichelnden Hinweisen auf die Eigenverantwortung der Bürger, und dann, als dies scheiterte, aufgebrachten Drohungen samt Sanktionen. Das alles zwischen nicht immer nachvollziehbarem Anziehen und Lockern während der Winter­monate, Ausgangssperre inklusive. Aber darüber hinaus zeigte sich auch, dass besonders die Partei des Premierministers mitten in der Krise hemmungslos ihre eigene Agenda der Transformation des Staates in ein loseres liberales Gebilde weiterverfolgte. Da die DP aber personell relativ schwach aufgestellt ist und ihre Exponenten, von einigen seltenen Ausnahmen abgesehen, nicht durch Fachkenntnis und rechtliche Absicherung ihrer Vorhaben glänzen, ist so manches schiefgelaufen. Sieben Beispiele – eigentlich sieben Affären – zeigen, warum die DP-Regierungsmitglieder vielleicht nicht mehr so oft mit dem eigenen Bild konfrontiert werden wollen.

Meisch, der Rechthaber

Da ist Erziehungsminister Claude Meisch, der in unzähligen Presseauftritten über den ganzen Winter mit breitem, rechthaberischem Tonfall, zuweilen auf seine Ausbildung als Mathematiker in Trier hinweisend, die Tatsache negierte, dass das Coronavirus sich in den Schulen stärker als im Rest der Gesellschaft verbreiten könnte. Er tat dies trotz anderslautender Berichte von Betroffenen und versuchte die mit inhouse zusammengebastelten Studien, über die Experten nur noch den Kopf schüttelten, und Angriffen gegen die Presse zu widerlegen. Sogar Lehrer in Quarantäne wurden dazu angehalten zu unterrichten. Bis irgendwann nach der Jahreswende die Zahlen sogar für ihn zu erdrückend waren. Ein alternatives Konzept hatte er nicht bereit. Seitdem werfen die Lehrerverbände ihm Navigation auf Sicht, Konzeptlosigkeit, Respektlosigkeit und Inkompetenz vor. Dabei hatten sie ihn ursprünglich darin unterstützt, den normalen Lehrbetrieb so lange wie möglich aufrechtzuerhalten.

Meisch und Hansen, die Privatisierer

Eine schwere Schlappe musste Meisch hinnehmen, als er Anfang Februar mit zwei Gesetzesprojekten scheiterte. Diese sahen vor, dass für einige Lyzeen mit spezifischer beruflicher Ausbildung auch Personen ohne pädagogische Erfahrung und ohne die im öffentlichen Dienst vorgesehenen sprachlichen Voraussetzungen aus dem Privatsektor in die obere beamtete Lehrerlaufbahn als Direktoren wechseln könnten. Entscheidend für sein Scheitern war, dass sich die mächtige Beamtengewerkschaft CGFP diesmal einmischte. In ihr ist ein nicht unerheblicher Teil der DP-Wechselwähler – insbesondere der jüngere Mittelbau im Öffentlichen Dienst – organisiert. Ohne die Unterstützung oder Neutralität der CGFP hätte es zudem nach den Wahlen von 1999, 2013 und 2018 keine Regierungsbeteiligung der Liberalen gegeben. Wegen der um sich greifenden Privatisierungs­tendenzen im Öffentlichen Dienst hatten die Beziehungen zwischen CGFP und dem zuständigen Minister Marc Hansen parallel zur Meisch-Affäre einen solchen Tiefpunkt erreicht, dass diese nur noch mit dem Premier reden wollte und inzwischen ein Schlichtungsverfahren in dieser Sache eingeleitet hat. „Bettel verkennt vollkommen den Ernst der Sache“, hieß es Ende Januar von Seiten der CGFP, als dieser sich taub stellte. Es gab zwar Genugtuung, nachdem Meisch und Hansen die Gesetzesprojekte zurückgenommen hatten, aber das Schlichtungsverfahren läuft weiter. Denn Marc Hansen macht munter weiter, und versucht, der Öffentlichkeit die schleichende Privatisierung des Staats als alten Hut zu verkaufen.

Polfer, Hansen und ihre Privatmiliz

Das tut auch die Bürgermeisterin der Hauptstadt, Lydie Polfer, die seit Dezember 2020 private Sicherheitsleute gegen geltendes Recht im Bahnhofsviertel der Hauptstadt durch den öffentlichen Raum patrouillieren lässt. Sie bekam dafür explizit Schützenhilfe von Minister Hansen und der größten Oppositionspartei, der CSV, die der Meinung waren, dies sei gesetzlich rechtmäßig und, wie man es ja wisse, eh schon anderswo gängige Praxis. Polfer setzte sich gegen den expliziten Widerspruch von Minister Henri Kox (Déi Gréng), immerhin zuständig für die Innere Sicherheit, und Innen­ministerin Taina Bofferding (LSAP) durch. Diese bestehen immer noch, im Einklang mit Verfassung und Gesetz, auf die Ausübung des staatlichen Gewaltmonopols durch das einzig legitime Exekutivorgan des Staates, nämlich die Polizei. Polfer aber macht einfach weiter.3 Am 10. Februar, ein paar Tage nach dem gewaltsamen Tod eines jungen Mannes bei einer Auseinandersetzung unter Jugendlichen in Bonneweg, machte Polfer bekannt, dass das vorläufig auf zwei Monate begrenzte „Experiment“ bis in den März fortgesetzt werde. Dies, obschon mehrere Informationen über Übergriffe und unerlaubte Platzverweise – das nennt man jetzt „Überzeugungsarbeit“ durch die Sicherheitsleute – und grenzwertige Hilfeleistungen bei Festnahmen durchgesickert waren. Sie wirft weiter dem Staat vor, die Stadt sicherheitspolitisch im Stich zu lassen. Beharrlich unterminiert die DP-Bürgermeisterin der Hauptstadt in übelster populistischer Manier so den Rechtsstaat, und die schwachen LSAP- und Déi-Gréng-Minister schauen zu, weil die Regierungskoalition mit der DP noch immer das Primat hat.

Etgen, der Freund der „presse amie“

Mitte Januar wartete dann Reporter.lu mit einer neuen DP-Geschichte auf.4 Fernand Etgen, Parlaments­präsident und damit protokollarisch erster Bürger des Landes, hatte im Alleingang dem seiner Partei nahestehenden Journal, das seit Anfang Januar nur noch digital erscheint, die Publikation des Chamber-Berichts als PDF-Datei online gegen Entgelt gewährt. Mit dieser „Grundsatzentscheidung“ wird „erstmals ein Onlinemedium über diesen Weg subventioniert“, stellte Reporter.lu fest. Die Posse um das „wahrscheinlich teuerste PDF der Welt“ dauerte allerdings nicht lange. Der in Bedrängnis geratene Etgen erklärte, er habe die Tragweite seiner Entscheidung fehleingeschätzt. Die Subvention für ein paar Klicks wurde annulliert. Etgen musste sich bei den Kollegen des Chamber-Büros entschuldigen.5 Seitdem werden die DP-Spitzen nicht mehr müde, immer wieder zu erklären, dass das Journal keine DP-Zeitung sei. Dennoch, die Vermutung, dass hier trotz eines Interessenkonfliktes versucht worden war, einem Medium eine neue, diskrete Art von Subvention zukommen zu lassen, dessen Philosophie einer gewissen politischen Strömung nähersteht, wie es Xavier Bettel in einer Antwort zu einer parlamentarischen Frage umschrieb, steht noch immer im Raum.6

Cahen, die Nichtzuständige

In denselben Tagen des Januar 2021, als offenbar wurde, dass sich die Todesfälle in den Altenheimen mehrten, wurde dann endlich auch der rechtliche Rahmen, innerhalb dessen diese Tode sich ereigneten, ein Thema. Der Öffentlichkeit wurde in mehreren Presseorganen detailliert erklärt, dass die Schutz-, bzw. Abschottungsmaßnahmen ganz im Ermessen der Direktionen dieser Einrichtungen lagen. Familienministerin Corinne Cahen (DP) fühlte sich ansonsten nicht so richtig zuständig für systemische Maßnahmen im Rahmen einer Krise, die ja eine Gesundheitskrise sei. In einem Interview mit der Wort-Journalistin Annette Welsch, das kurz vor dem 19. Januar geführt wurde, gibt sie an, mit allen Altenheimdirektoren geredet zu haben.7 Ihre ministeriale Regierungsmethode: „Fall für Fall betrachten“, keine Systematik in Sachen Sicherheitsvorkehrungen, auch für einzelne Einwohner eine Lösung selbst einleiten, immer zur Verfügung stehen für jeglichen Anruf. „Insofern betreibt sie typische DP-Trottoirspolitik – sich mit einzelnen Gefallen beliebt machen, aber keine Gesamtkonzepte vor­legen“, urteilt Annette Welsch im Wort-Editorial, das sie auf ihr Interview folgen lässt.8 Ihr Fazit ist gnadenlos: „Es ist ein Totalversagen, ein Wegducken vor der Verantwortung, ein Verstecken hinter der Vielfalt der einzelnen Häuser.“

Rückblickend bekommt dieses Interview, in dem die Ministerin alles kleinredet, einen faden Nachgeschmack. Cahen wusste nämlich schon während ihres Interviews mit dem Luxemburger Wort über das Ausmaß des Infektionsclusters im Altenheim Ste Elisabeth „Am Park“ Bescheid, das der Öffentlichkeit erst Anfang Februar bekannt wurde, und schwieg dazu.9 Denn man liest im Tageblatt des 2. Februar: „,Das Cluster ist aktuell wieder am Abklingen’, sagt Familienministerin Corinne Cahen im Gespräch mit dem Tageblatt. Der erste Fall sei am 12. Januar aufgetreten.“10 Cahen schien zu hoffen, dass ihr zehn Tage altes Interview mit dem Luxemburger Wort schon vergessen sei. Vertuschen als Regierungsmethode wird hier offenbar. Dass es um Leben und Tod geht, wird einfach verdrängt. Und dann erinnert sich der aufmerksame Leser an ein anderes Zitat von Cahen aus diesem Interview, in dem sie erklärt, warum es in den Altenheimen zu Infektionen kommt: „Denn immer wieder wurde dann doch im Zimmer die Maske ausgezogen und sich wie im Leben draußen nicht an die Regeln gehalten, so dass in verschiedene Häuser das Virus hereingetragen wurde.“ Es waren, typisch neoliberal, die anderen, d. h. die verantwortungslosen Bürger bzw. Angehörigen, die zu den Infektionsclustern geführt haben, nicht das Fehlen eines systemischen Sicherheitskonzeptes in den Altersheimen. Die Familienministerin sah sich über jede Verantwortung erhaben. Unheimlich!

Cahen und Bettel, die „Cleaner“

Ebenso beklemmend waren die Auftritte von Xavier Bettel und Corinne Cahen in der Affäre Semedo, die in der zweiten Januar-Hälfte aufflog. Die EP-Abgeordnete Monica Semedo, ehemalige RTL-Moderatorin, politisch vollkommen unerfahren, über ihre Muntermacher-Sendungen nicht für Tiefgang in den Gesprächen mit ihren Gästen bekannt, von Xavier Bettel davon überzeugt, 2019 auf der Liste der DP zu kandidieren, die dieser Partei, der sie vorher nie verbunden gewesen war, nach vielen Jahren wieder einen zweiten Sitz im Europäischen Parlament einbrachte, war nach einer neun Monate andauernden Untersuchung durch einen Ausschuss von ihren Pairs wegen psychologischen Mobbings gegen ihre Mitarbeiter für 15 Tage suspendiert worden. Sehr schnell wurde der Öffentlichkeit klar, dass dies „keine Bagatelle“ sein könne, wie es auch der Premier­minister nach anfänglichem Klein­reden und Werben für Zurückhaltung gegenüber der „am Boden liegenden“ Semedo einräumen musste. Die von ihrem Mandat offensichtlich überforderte Monica Semedo, die zudem über keine eigene Basis in der DP verfügte und auch nicht zu einem der traditionellen liberalen Clans oder Familien gehörte, erkannte bald in den langen Gesprächen, die sie nach dem Rückzieher des Premiers u. a. mit der Partei­vorsitzenden Corinne Cahen führte, dass die DP über sie den Stab brechen würde. Sie hatte nie richtig dazu gehört, auch wenn sie es zuweilen geglaubt haben dürfte, als sie als Kandidatin umworben und als Wahlsiegerin gefeiert wurde. Denn während die DP-Granden bestritten, vor ihrem Auffliegen etwas von der Affäre gewusst zu haben, hatte Semedo hier mit Vehemenz widersprochen. Und das war Majestätsbeleidigung.

Was folgte, war spektakulär. Cahen veröffentlichte eine Pressemitteilung, in der sie und Parteigeneralsekretär Claude Lamberty erklärten, dass ein Rat der Weisen über die Auswirkungen der Mobbingaffäre auf die Mitgliedschaft von Monica Semedo in der DP beraten würde. In einem Video gaben sie dann die Details preis.11 Diese Details sind weniger relevant als die Haltung und das Bild, das beide, insbesondere Cahen, ungewollt abgeben. Die Einstellung ist frontal und statisch. Der Hintergrund ist graublau und neutral. Kein Emblem, kein Logo, nichts. Beide erscheinen als Büsten, schauen direkt in die Kamera. Während Lambertys Auftritt schulmeisterlich neutral ist, runzelt Cahen die Stirn, stiert mit strafendem Blick ins Objektiv, mahnt, verurteilt. Wie versteinert vollzieht sie eine politische Exekution. Semedo wird postwendend ihren Austritt aus der DP erklären.

Am 15. Februar hat Monica Semedo dann ihren ersten öffentlichen Auftritt auf RTL.12 Die sichtlich angeschlagene junge Noch-Politikerin schildert mit gebrochener Stimme und reichlich unsouverän noch einmal, dass die Granden ihrer Ex-Partei schon seit Ende 2019 über ihre Probleme Bescheid gewusst hätten. Damit bezichtigt sie Bettel und Cahen indirekt der Lüge. Die Reaktion des Premiers, ebenfalls bei RTL, zeigt, wie drohend, autoritär und rachsüchtig Bettel mit jenen umgehen kann, die ihm im Wege stehen oder ihm widersprechen: „Ech hunn et gesinn an ech mengen, et ass am Interêt vun der Madamm Semedo, dass ech net op d’Gespréicher aginn, déi se déi lescht Méint mat verschiddene Leit gefouert huet, dat géif hir net hëllefen. Dofir fir mech, l’affaire est close, an ech wëll net nach Polemik frësch opmaachen an anere Weeër. Ech hunn hir nogelauschtert, dat ass hir Version des faits, basta. Et geet duer, et soll een net mat Bulli werfen an et wier net an hirem Interêt, wann ech elo déi lescht Méint géing relatéieren.“13 Paul Helminger, Marc Ruppert und Charles Goerens aus der DP, Enrico Lunghi und Wim Delvoye aus der Kultur fallen einem da als Personen ein, die vom Premier ähnlich behandelt wurden. Abhaken, irreführen, demütigen, gesellschaftlich vernichten, drängen sich als Verben zur Beschreibung dieser Strategie auf.

Bettel, der Anwalt der Mitunterzeichner

Dass das schon mal schiefgehen kann, zeigt das Urteil in zweiter Instanz, das Ende Januar vom Verwaltungsgericht gefällt wurde. Der Abgeordnete Sven Clement von den Piraten hatte gegen die Entscheidung von Medienminister Xavier Bettel geklagt, weil dieser den Mitgliedern der Medienkommission der Chamber keinen Einblick in den vollständigen RTL-Konzessionsvertrag gewähren wollte, der vertraulich sei. In seinem zweiten Urteil befand das Gericht auf Basis der luxemburgischen Verfassung, dass die Abgeordneten zur Kontrolle der Regierung über Informationen verfügen müssten, inklusive Passagen in einem vertraulichen Vertrag.

Dann gab Bettel Jean-Michel Hennebert in der französischen Version des Luxemburger Wort ein Video-Interview, das trotz aussagekräftiger Passagen weit­gehend unbeachtet blieb.14 Der Titel: „La transparence risque d’impacter l’attractivité du pays“. Tout un programme! Bettels Bedenken drehen dort um die Idee, dass er nun nicht mehr allein mit einer anderen Vertragspartei einen Kontrakt unterschreiben könne, sondern es auch im Namen der 60 Abgeordneten werde tun müssen, die Einsicht in Vertragswerke haben werden, die seiner Meinung nach im Detail nicht in die Öffentlichkeit gehören. Auch befürchtet er, dass eine solch breitere, wenn auch immer noch beschränkte Öffentlichkeit, abschreckend auf mögliche Vertragspartner wirken könnte. Daher wünscht er sich wegen der Immunität, die Abgeordnete im Gegensatz zu ihm genießen, Regeln, und das heißt Sanktionen, sollten Abgeordnete sich nicht an die Vertraulichkeitsregeln halten, die es auch für das Verwaltungsgericht geben müsste.

Bettel begann sofort wieder zu mauern, als er sich in diesem Interview, in dem er durchaus legitime Fragen aufwarf, in erster Linie nicht als Advokat des Staates äußerte, dessen Regierungschef er ist, sondern als der sehr pingelige Anwalt seiner potenziellen Mitunterzeichner, also der anderen Vertragspartei. In diesem Fall war es RTL, das in Luxemburg den Status einer heiligen Kuh genießt. Aber es braucht keine große Vorstellungskraft, um an andere staatliche und privatwirtschaftliche machtvolle Entitäten zu denken. Man denke nur an das Memorandum of Understanding mit der Volksrepublik China oder die Abmachungen mit Google. Das Urteil des Verwaltungsgerichts wird die Gouvernance in Luxemburg verändern, aber es hat vor allem offenbart, wie die DP in den großen Fragen von Transparenz und Demokratie tickt: nach dem Prinzip Vivons cachés, vivons heureux für die, die am meisten davon profitieren.

DP-Dämmerung

Diese Regierungsweise der DP, die den Bürgern ein X für ein U vormacht, kann sich nur solange erhalten, wie es der Partei gelingt, so viele Posten wie möglich an sich zu reißen, um sie verteilen zu können, und nur solange, als sie eine beschwichtigende Kontrolle über die Umverteilungskämpfe innerhalb des minoritären und wirtschaftlich nicht mehr entscheidenden luxo-luxemburgischen Wahlvolks ausüben kann, damit dieses dem auf den Finanzplatz zentrierten Wirtschaftsmodell, von dem es langfristig an den Rand gedrängt wird, nicht allzu sehr in die Quere kommt.

Nach fast acht Jahren aber zeigt dieses System immer mehr Schwächen. Die inhaltliche Konsistenzlosigkeit des DP-Parteiapparats und seiner in den Staatsapparat kooptierten leitenden Beamten, die ständige erratische Hybris ihrer Granden während der Pandemiekrise, ihre Selbstherrlichkeit, wenn sie mit den dubiosesten und löchrigsten Argumenten ihren Anspruch auf ein richtungsangebendes Deutungsmonopol behaupten wollen, die Affären der letzten paar Monate, wo keine Gelegenheit verpasst wurde, sich zu blamieren, die Nonchalance im Umgang mit Leben und Tod, all das stößt in der Öffentlichkeit immer mehr auf Widerwillen, bis in jene Teile des freiberuflichen Mittelstands hinein, die zur traditionellen Wählerschaft der Liberalen gehören und wegen der Pandemiemaßnahmen starke Einbußen hinnehmen mussten. Dass die Koalition hält, hat neben der Krise nur noch einen Grund: die sich selbst zerstörende CSV stellt für die Koalitionspartner LSAP und Déi Gréng keine Alternative dar. Was für eine Karikatur von bürgerlicher Koalition eine von vielen Liberalen und ordoliberalen Christlich-Sozialen herbeigesehnte DP-CSV-Koalition in der aktuellen politischen und personellen Konstellation abgeben würde, wagt man sich kaum auszumalen. Und noch ein Indiz, dass die Bettel-Ära ihren Zenit überschritten hat: Der Großherzog, der zu einem noch älteren Klub von Selbstherrlichen gehört, tanzt dem Premier, der hier mit seiner Regierung in der Sache Recht hat, trotz aller Abmachungen systematisch auf der Nase herum mit seinen beharrlichen Versuchen, der Großherzogin über die Hintertür doch wieder eine Rolle in der Monarchie zu bescheren.15 Aber das ist eine andere Geschichte.16

 

  1. Die Pressemitteilung der ALJP findet man auf der Internetseite von RTL, da der Internetauftritt der ALJP nicht aktualisiert wurde: https://www.rtl.lu/news/national/a/1671575.html (alle Internetseiten, auf die in diesem Beitrag verwiesen wird, wurden zuletzt am 23. Februar 2021 aufgerufen).
  2. https://ccdh.public.lu/dam-assets/dossiers_thématiques/pandémie/avis/CCDH-avis-PL-7768.pdf
  3. Zu den Hintergründen siehe Victor Weitzel, „Politisches Zocken um den Rechtsstaat im Bahnhofsviertel“, in: forum 413, Januar 2021, S. 6-12.
  4. https://tinyurl.com/8mudm2te
  5. https://tinyurl.com/3rarqv6z
  6. https://tinyurl.com/zu2sphru
  7. https://tinyurl.com/3par37gz
  8. https://tinyurl.com/yjtr5oll
  9. Über 40 Pensionäre und über 40 Mitglieder des Pflegepersonals waren betroffen. Acht alte Menschen sollten ihre Infektion nicht überleben.
  10. https://tinyurl.com/1uju4bh1
  11. https://www.rtl.lu/news/national/a/1660904.html
  12. https://www.rtl.lu/radio/reportage/s/3440829.html
  13. https://www.rtl.lu/news/national/a/1673289.html
  14. https://tinyurl.com/1gn1mj7q
  15. https://tinyurl.com/jakd5xfr
  16. Zu den Hintergründen siehe Victor Weitzel, „Henri oder der Schatten Marie Adelheids“, in: forum 411, November 2020, S. 16-22.

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