Luxfilmfest_04: „The Columnist“, „Aristocrats“ und „Quo Vadis, Aida?“

Vielfältiger und weiblicher sollte das Programm der diesjährigen Ausgabe des Luxembourg City Film Festival werden – eingelöst haben die Verantwortlichen diesen Anspruch u.a. mit den Filmen The Columnist, Aristocrats sowie dem erschütternden Historiendrama Quo vadis, Aida?, das am Samstag mit dem Grand Prix des Festivals ausgezeichnet wurde.

Quo vadis, Aida? (c) Deblokada Film

Den Verantwortlichen des Luxembourg City Film Festival war es eigenen Angaben zufolge ein Anliegen, das Programm der diesjährigen – inzwischen 11. – Ausgabe vielfältiger, weiblicher zu gestalten. Neben dem Eröffnungsfilm Nomadland (Regie: Chloé Zhao), den Viviane Thill auf forum_C besprochen hat, zeugen noch (u.a.) drei weitere Filmproduktionen davon, dass dieser Anspruch eingehalten wurde: Während Aristocrats (im Original: Anoko wa kizoku, Regie: Yukiko Sode) und Quo vadis, Aida? (Regie: Jasmila Žbanić) in der offiziellen Auswahl liefen, wurde die niederländische Produktion The Columnist (De Kuthoer, Regie: Ivo van Aart) im Rahmen einer Cinélunatique-Spezialvorführung gezeigt. Den drei Filmen gemein ist die Prämisse, dass sie Frauenfiguren zeigen, die – wenn auch in völlig unterschiedlichen Situationen – gegen die Widrigkeiten ihrer Lebensumstände aufbegehren.

The Columnist (Ivo van Aart)

Die schrille, mitunter makabre Mediensatire The Columnist streift gleich mehrere Themenfelder, die nicht deutlicher in der Gegenwart des digitalen Zeitalters verankert sein könnten: Hatespeech, Rufmord, Frauenhass, Trollkultur. Ivo van Aart erzählt die Geschichte der Kolumnistin und Buchautorin Femke Boot (Katja Herbers), die, nachdem sie einen kritischen Meinungsbeitrag über die in den Niederlanden umstrittene Folklore-Figur „Zwarte Piet“ verfasst hat, im Internet unentwegten misogynen, abfälligen Hasskommentaren ausgesetzt ist – der Originaltitel De Kuthoer (im Engl. übersetzt „cunt-whore“) spricht hier eine wesentlich deutlichere Sprache als der entschärfte internationale Titel des Films.

The Columnnist (c) NL Film & TV

Versucht sie diese Herabwürdigungen und Todesdrohungen anfangs noch zu ignorieren, so reift doch mit zunehmender Dauer der Wunsch in Femke, sich ihrer vor allem männlichen, toxischen „Follower“ gewaltsam zu entledigen. Mittels weniger Klicks gelingt es ihr tatsächlich, deren wahre Identität herauszufinden – was folgt, sind absurd-komische Begegnungen, bei denen Femke die Männer zunächst mit ihren Aussagen konfrontiert, um sich dann auf möglichst kreative und archaische Weise an ihnen zu rächen. Obwohl Femkes Schreiblust nach jedem Mord wieder sprunghaft ansteigt, schöpfen weder ihre Tochter Anna (Claire Porro) noch ihr neuer Lebensgefährte, der spleenige Goth-Autor Steven Dood (Bram van der Kelen), Verdacht…

Bei dieser Thematik hätte The Columnist eigentlich ein großer Wurf werden können, der unbequeme Fragen aufwirft: Wie geht man mit Hasskommentatoren um, wenn die Netiquette nicht mehr greift? Wie weit werden die Grenzen des Sagbaren noch verschoben in den sozialen Netzwerken? Wie können sich Betroffene überhaupt noch zur Wehr setzen?

The Columnnist (c) NL Film & TV

Doch trotz einer famosen, großartig aufspielenden Katja Herbers, die ihre liberale und weltgewandte, es-ja-nur-gut-meinende-Autorin mit der nötigen selbstironischen Distanz verkörpert, wirkt Ivo van Aarts Revenge-Satire am Ende doch gefälliger und zahnloser, als sie es eigentlich sein möchte. Ihrer Antiheldin Femke fehlt schlicht das Subversive, das Ambivalente – die Sympathien der Zuschauer*innen sind ihr ohnehin sicherer als den aggressiven Trollen, die sie blutig um die Ecke bringt – und zu viele unnötige Handlungsstränge und artifizielle Nebenkonflikte (Tochter Anna kämpft zeitgleich für Redefreiheit an ihrer Schule und verdächtigt den bizarren, aber grundharmlosen Papiertiger Steven der Taten) lenken vom eigentlichen Thema ab. Nichtsdestotrotz ist The Columnist einen Blick wert – vor allem wegen den ungemütlichen Fragen, die der Film hinsichtlich der Nutzung von Sozialen Medien aufwirft.

❝Den drei Filmen gemein ist die Prämisse, dass sie Frauenfiguren zeigen, die – wenn auch in völlig unterschiedlichen Situationen – gegen die Widrigkeiten ihrer Lebensumstände aufbegehren.❞

Aristocrats (Yukiko Sode)

Japans Eliten unter dem Brennglas – so ließe sich das zurückhaltende Beziehungsdrama Aristocrats von Regisseurin Yukiko Sode (nach einem Roman der Autorin Mariko Yamauchi) in wenigen Worten zusammenfassen.

Aristocrats (c) Tokyo Theatres

In fünf Kapiteln verwebt sie das Schicksal von zwei jungen Frauen aus dem Tokio von heute – hier die gut behütete Arzttochter Hanako (Mugi Kadowaki) aus wohlhabendem Hause, dort die aus ländlichen und deutlichen ärmeren Verhältnissen stammende Miki (Kiko Mizuhara), die sich an die Spitze der Gesellschaft, oder wenigstens in Sichtnähe davon, kämpfen möchte. Beide Frauen eint, dass sie ein Verhältnis mit dem gleichen Mann haben, dem Upper-Class-Manager und künftigem Politiker Aoki (Kengo Kora). Während Hanako diesen nach einer recht frustrierenden und wenig einträglichen Partnersuche kennenlernt (gleich zu Beginn des Films erfahren wir, dass sich Hanakos Langzeitfreund von ihr getrennt hat, was die junge Frau – und ihre Familie – in eine Existenzkrise wirft) und alsbald einen Heiratsantrag von ihm erhält, kennen sich Miki und Aoki noch aus Studienzeiten und führen eine nunmehr zehnjährige, unverbindliche Beziehung im Stillen. Ihre Treffen bestehen hauptsächlich darin, dass Miki den Jungunternehmer als Hostess zu glamourösen Abenden begleitet, und dadurch Zugang zum gesellschaftlichen Leben der Oberschicht bekommt. Als Hanako von ihrer Nebenbuhlerin erfährt, reagiert sie nicht mit Härte oder Ablehnung, ganz im Gegenteil: Sie heiratet Aoki dennoch und zwischen beiden Frauen entwickelt sich eine Freundschaft und gegenseitiger Respekt für die Situation und Sichtweise der Anderen…

Aristocrats (c) Tokyo Theatres

Regisseurin Yukiko Sode zeichnet wahrlich kein schmeichelhaftes Bild der japanischen – insbesondere der Tokioter – Gesellschaft und ihrer vornehmlich männlichen Eliten, deren Denken durchzogen ist von Oberflächlichkeit, Standesdünkel und eiserner Ausgrenzung sozial Benachteiligter. In diesem rigiden Sozialkodex spielt es für die Frauen letztlich keine Rolle, ob sie aus mehr oder weniger privilegierten Verhältnissen stammen – die Hürden, die sich ihnen bei der Suche nach einer erfüllten Liebesbeziehung bei gleichzeitiger Selbstverwirklichung in den Weg stellen, spiegeln sich frappierend: Hier die dominante Familie, die sich in die Partnerwahl einmischt (und dabei bis zum Privatdetektiv greift) und unter ihresgleichen bleiben möchte, dort die unsichtbaren Wände, gegen die man läuft, wenn man der öden Provinz entfliehen möchte.

Aristocrats ist ein leises und unprätentiöses Drama, elegant gefilmt, präzise beobachtet, in den beiden Hauptrollen herausragend gespielt und charakterlich nuanciert – auch Aoki ist kein Unsympath, sondern letztlich, wie alle anderen auch, gefangen in einer starren Sozialordnung, die niemandem Raum zur individuellen Entfaltung lässt. Bezeichnenderweise gelingt es sowohl Hanako als auch Miki am Ende nichtsdestotrotz, sich selbst zu verwirklichen – was aber nur ohne Mann an ihrer Seite möglich ist. Sehr empfehlenswert.

Quo vadis, Aida? (Jasmila Žbanić)

Das Massaker von Srebrenica, bei dem im Juli 1995, während des Bosnienkriegs, bosnisch-serbische Milizen unter dem General Ratko Mladić die Stadt – eigentlich eine UN-Schutzzone – besetzten, ihre Einwohner verfolgten und schließlich mehr als 8.000 muslimische Jungen und Männer jeglichen Alters in Massenhinrichtungen ermordeten, gilt als eines der verheerendsten Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Die Vereinten Nationen, die zwar niederländische und kanadische Blauhelm-Soldaten (unter dem Kommando des niederländischen Offiziers Thomas Karremans) in die Region entsandt hatte, musste – oder wollte – Mladićs Mordkommandos tatenlos zusehen. Nach dem Genozid der Hutu an den Tutsi, der sich ein Jahr zuvor im Ruanda abspielte (und u.a. in dem Drama Hotel Rwanda thematisiert wurde, Regie: Terry George, 2004) war dies bereits das zweite Mal in Folge, dass die Handlungsfähigkeit der UN-Truppen an unrühmliche Grenzen stieß, und berechtigte Fragen nach ihrer Sinnhaftigkeit hervorrief.

Quo vadis, Aida? (c) Deblokada Film

Filmisch aufgearbeitet wurden diese Ereignisse jüngst von der bosnischen Regisseurin Jasmila Žbanić in der Produktion Quo vadis, Aida?, die am Samstag mit dem Grand Prix des Luxembourg City Film Festival sowie mit dem Prix de la Critique ausgezeichnet wurde, und zugleich der Eintrag von Bosnien und Herzegowina bei der diesjährigen Oscarverleihung darstellt; im Übrigen waren nicht weniger als neun (!) Länder an der Finanzierung des Filmprojektes beteiligt (Bosnien und Herzegowina, Österreich, Rumänien, die Niederlande, Deutschland, Polen, Frankreich, Norwegen sowie die Türkei).

Im Mittelpunkt von Quo vadis, Aida? steht die bosnische Lehrerin und Dolmetscherin Aida Selmanagic (Jasna Ðuriči), die in einem UN-Auffanglager in der Nähe der Stadt Srebrenica im Dienst der Vereinten Nationen arbeitet, und das sprachliche Bindeglied ist zwischen den niederländischen UNPROFOR-Truppen und der verängstigten muslimischen Bevölkerung, die sich zu Tausenden in die verlassene Fabrikanlage gerettet hat, bzw. vor deren Toren in der brütenden Julihitze auf Einlass hofft.

Quo vadis, Aida? (c) Deblokada Film

Auch Aidas Familie, ihr Mann Nihad (Izudin Bajrović) sowie die beiden Söhne Hamidja (Boris Ler) und Ejo (Dino Bajrović) sind unter den wartenden Menschen. Aida versucht, ihren Einfluss bei den UN-Offizieren spielen zu lassen und erreicht immerhin, dass ihre Angehörigen auch in das Lager eingelassen werden – in Sicherheit sind sie dafür aber keinesfalls, denn General Mladić (Boris Isakovic) und seine paramilitärischen Truppen verschaffen sich ebenfalls Zugang und suchen gezielt nach bosnischen Männern. Die UN-Truppen unter der Führung von Colonel Thomas Karremans (Johan Heldenbergh) sind derweil hoffnungslos mit der Situation überfordert: blutjung, unerfahren und in der Unterzahl, können sie nicht verhindern, wie Mladić Frauen, Kinder und Männer selektiert und in Massenhinrichtungen ermorden lässt. Hektisch und der Verzweiflung nahe rennt Aida durch die Fabrikanlage, von einem Offizier zum nächsten, um immerhin ihre Familie in Sicherheit zu bringen – doch die Frau gerät zwischen die Mühlen der Militärmaschinerie beider Parteien und muss schließlich feststellen, dass auch sie nichts gegen das Morden der einen und die Tatenlosigkeit bzw. Gleichgültigkeit der anderen Seite ausrichten kann; (was der Film aber interessanterweise nicht erwähnt, ist die Tatsache, dass Mladićs Milizen wenige Tage zuvor mehrere UNPROFOR-Soldaten als Geiseln nahmen, und bei der Einnahme von Srebrenica mit deren Exekution drohten, falls es zu Luftschlägen kommen sollte).

Vieles an Quo vadis, Aida? macht sprachlos. Jasna Ðuričis Verkörperung von Aida als rastlose, verzweifelte, überlebensgroße Mutterfigur, die an etlichen Fronten für das Leben ihrer Familie kämpft, General Mladić, der sich der Weltöffentlichkeit in  Interviews als Wohltäter und Menschenfreund geriert und gleichzeitig das Schicksal tausender Jungen und Männer besiegelt, die Militärbürokratie der UN, die ängstlich und zaudernd nach Protokoll verfährt, und nicht einmal den Versuch unternimmt, mehr Menschenleben zu retten, als sie könnte.

Quo Vadis, Aida? (c) Deblokada Film

Regisseurin Jasmila Žbanić findet eindringliche Bilder für die verzweifelten Menschenmassen, die um ihr Leben bangen, deutet vieles aber auch nur an, bzw. lässt es im Off passieren. Es ist ein durchaus zweischneidiges Schwert: Einerseits unterstreicht Žbanić dadurch, dass sie keine voyeuristischen Exzesse nötig hat, um die Tragödie greifbar zu machen. Andererseits riskiert sie damit aber auch, dass einige Facetten ihre filmischen Darstellung des Massakers bei Zuschauer*innen, je nach Wissensstand, abstrakt bleiben, und so der Blick auf die ganzheitliche, letztlich unfassbare Dimension der Ereignisse verstellt bleibt – Fragen, die sich alle Filme, die sich der Aufarbeitung kollektiver traumatischer Geschehnisse verschrieben haben, stellen müssen: Wieviel kann, muss, darf man letztlich zeigen?

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