Blühende Konsum-Landschaften?
Einführung ins Dossier
Der Begriff „Konsum-Landschaft“ verweist auf den Zusammenhang zwischen einer Tätigkeit und einem Raum. Man kann in einer Stadt etwas konsumieren, man kann für ein Land etwas produzieren, man kann aber auch in Grund und Boden einer Stadt investieren, indem man dort eine Shopping-Mall aufbaut – die ist dann ihrerseits eine Stahl, Glas, Beton und neuerdings Holz und Pflanzen gewordene Konsum-Landschaft. Luxemburg bietet viele – teils interessante, teils erschreckende – Konsum-Landschaften. Die Beiträge in diesem Dossier beleuchten sie vor dem Hintergrund historischer und rezenter Stadtentwicklung, urbanistischer Pläne und Unternehmensstrategien.
Dass Luxemburg mittlerweile in einen Prozess der Metropolisierung eingetreten ist, haben wir vor zwei Jahren in einem Themen-Dossier anschaulich beleuchtet (forum 397, Juli 2019). Luxemburg ist zu einem Zentrum der Weltfinanz geworden, knapp 50 Prozent der im Land Beschäftigten wohnen im Ausland und pendeln tagtäglich nach Luxemburg, und die Einwohnerzahl nimmt stetig zu. Unsere Städte verdichten sich, Ortschaften wachsen zusammen. Das lässt die Art, wie wir wohnen, nicht unberührt. Aber auch die Architektur der Konsumbauten verändert sich. In kürzester Zeit sind mehrere Großprojekte realisiert worden: Cloche d’Or im entstehenden Viertel Ban de Gasperich, die Galeries Lafayette am Royal-Hamilius, Infinity auf dem Kirchberg. Wer möchte und es sich leisten kann, wird demnächst eine Wohnung an der Stäreplaz kaufen können, dort tagsüber in sein Büro gehen und nach getaner Arbeit noch die Wocheneinkäufe dort erledigen. Das wäre dann eine Art 2-Minuten-Platz. Alles an einem Ort. Und den unten im Stau Stehenden lässt sich vom Hochglanzbalkon aus die lange Nase zeigen und zurufen: Chacun à sa place.
Die 15-Minuten-Stadt und die Großprojekte
Gewiss, der Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo schweben andere Dinge vor, wenn sie von der 15-Minuten-Stadt spricht, in der der Auto-Verkehr weitgehend verdrängt und Konsum, Arbeiten und Leben auf einem überschaubaren Areal möglich ist. Denn was Hidalgos Vision von derjenigen der sich in Luxemburg austobenden Investor*innen und ihrer politischen Erfüllungsgehilf*innen unterscheidet, ist der Blick auf den in den öffentlichen Raum eingebundenen und dort sich entfaltenden Menschen, auf die Bürger*innen, die zwar auch Konsument*innen sind, aber deren Lebenssinn nicht im Konsum aufgeht.
Beispiel Rout Lëns: Nachdem 2020 trotz anhaltender Proteste die Keeseminnen weitgehend abgerissen wurden, soll auf dem Minett-Areal an der französischen Grenze nun ein riesiges Wohn- und Shoppingparadies entstehen. Im Plan d’aménagement particulier (PAP) sind für das neue Viertel 30.000 Quadratmeter für den Handel vorgesehen – und dies, man vergesse nicht, bei 20 Prozent Leerstand in der Escher Innenstadt.
Beim Projekt Stäreplaz präsentiert sich den interessierten Bürger*innen das Vorhaben zwar auf den ersten Blick als nachhaltige und grüne Wohn-, Büro- und Konsum-Landschaft, stellt sich bei näherem Hinsehen, folgt man dem Beitrag von Markus Hesse in diesem Heft, aber als Wertschöpfungsvehikel für gewiefte Investor*innen heraus. Nur scheinbar hilft das Sterne-Projekt dabei, die Wohnproblematik zu lösen, tatsächlich verschärft es sie. Luxus-Wohnungen bieten selbst einer gehobenen Mittelschicht, die sich bald einen Kredit oder die Miete nicht mehr leisten kann, nicht sonderlich viel. Dass die Geringbezahlten oder Nichtverdienenden im Lande in den Diskussionen über die Wohnungskrise mittlerweile kaum noch erwähnt werden, spricht für die Tragik und Aussichtslosigkeit dieser luxemburgischen Dauerbaustelle.
Noch problematischer als bei der Stäreplaz wird es, wenn nicht nur ein Platz, sondern gleich ein ganzes Viertel einer privaten urbanistischen Planung überlassen wird. Christine Muller und Lex Faber nehmen in ihrem Text und in unserem Gespräch mit ihnen das Großprojekt Cloche d’Or unter die Lupe. Hier sieht man wie unter einem Brennglas, wohin die Reise in Zukunft noch führt. Die französische Immobilienfirma Ceetrus, beteiligt an den Einkaufszentren auf Kirchberg und auch Cloche d’Or, tat sich im Januar dieses Jahres mit der Firma Nodi zusammen. Es entstand die Immobilienverwaltungs- und -entwicklungsagentur Nhood. Die Vision von Nhood, so ihr Präsident Antoine Grolin am 8. Februar 2021 im Luxemburger Wort: „Bisher waren wir Betreuer von Einkaufszentren, jetzt werden wir zu Betreuern von ganzen Vierteln“. Das läuft hinaus auf die totale Privatisierung des öffentlichen Raums zu kommerziellen Zwecken, nicht sonderlich geschickt kaschiert hinter einem Jargon aus dem Wörterbuch des green und social washing: „plus vivant, attractif, connecté, et centré sur l’humain“, so die Nhood-Internetseite.
Innenstadt im Wandel
Doch all diese angeblich grünen und menschlichen Projekte bräuchte es nicht, wenn die Innenstädte nicht verkümmern würden. Fast nostalgisch kann man werden, wenn man den historischen Abriss über die urbane Geschichte der Warenhäuser und Passagen in Luxemburg-Stadt von Robert L. Philippart zu Beginn unseres Dossiers liest. Danach geht es aber direkt in unsere Gegenwart. Die deutsche Beratungsgesellschaft cima, von der Matthias Hartmann einen Beitrag zu unserem Dossier beigesteuert hat, hat in den Jahren 2010 und 2017 City-Studien im Auftrag der Stadt Luxemburg durchgeführt und beobachtet die Entwicklung in den luxemburgischen Städten bis heute. Die Anzahl der Geschäfte in Luxemburg-Stadt sei zwischen 2010 und 2019 zwar gestiegen, in der Innenstadt aber gesunken. Dennoch erkennt Hartmann in der Stadt eine hochattraktive Kulisse für den Tourismus, weil nicht nur Luxemburger*innen, sondern auch Gäst*innen aus den drei Nachbarländern von der Vielfalt der Stadt profitieren. Die Herausforderung sieht er in einem ausgewogenen Verhältnis von Bewahren und Wachsen.
Während Hartmann die großen Einkaufszentren eher als Ergänzung zum innerstädtischen Einzelhandel ansieht denn als Konkurrenz, machen nicht nur Gewerkschafter*innen, sondern auch Einzelhändler*innen die Großen für das Sterben der Kleinen verantwortlich. Der OGBL fordert sogar ein Moratorium für den Bau von neuen großflächigen Einkaufszentren (wie es das von 1997 bis 2005 in Luxemburg übrigens bereits gab). Und es gibt durchaus Ansätze zur Revitalisierung der Innenstädte von Seiten der Kommunen, wie sich im umfassenden Beitrag von Jacques Hillion nachlesen lässt. Unter anderem sind es Pop-up-Stores, die es jungen Unternehmer*innen erlauben, sich auf dem Markt der innerstädtischen Konsum-Landschaft zu verhältnismäßig moderaten Mietpreisen auszuprobieren.
Shopping à la luxembourgeoise
Relativ gut durch die Krise kommt ein Riese in der luxemburgischen Konsum-Landschaft, der sich innerhalb von 50 Jahren fest in der kollektiven Identität der Luxemburger*innen verankert hat. Im Interview mit forum spricht Cactus-Chef Laurent Schonckert über aufgegebene und zukünftige Pläne, über die spezifische Cactus-Ästhetik und die Sonderstellung, die seine Läden auf dem hiesigen Markt einnehmen. Auch der immer weiterwachsende Bereich des Online-Handels stelle, so Schonckert, für den Supermarktriesen keine große Bedrohung dar.
Mit Blick auf Luxemburg in der Coronazeit kann man sowieso nicht sagen, dass die Digitalisierung den Einzelhandel gefährdet hat. Im Gegenteil: Seit 2018 gibt es den Online-Marktplatz Letzshop. Im Gegensatz zu amazon bedroht der den Einzelhandel nicht, sondern unterstützt ihn. Nur Firmen, die in Luxemburg ihren Sitz haben, dürfen dort mitmachen. Die über Letzshop vermittelten Bestellungen haben sich von Ende 2019 zu Ende 2020 um 1.434 Prozent erhöht, der Umsatz ist im selben Zeitraum um 803 Prozent gestiegen. Wenn die Erfolgsgeschichte so weitergeht, könnte ironischerweise gerade der Online-Handel die Rettung für den stationären innerstädtischen Einzelhandel sein.
Zum Abschluss des Dossiers erzählt uns dann noch Guy Rewenig eine Geschichte, die dem Handel Hoffnung machen dürfte. Selbst wenn Medien wie unsere, selbst wenn die Klimaschutzbewegung oder schlecht gelaunte Selbstversorgerinnen oder Lieferkettengesetz-Verfechter weiter ihre kapitalismuskritischen und zukunftspessimistischen Nörgeleien vortragen sollten: Der Kapitalismus hat ja bisher noch die stärkste Kritik eingebunden. Im Café Nada, von dem Rewenig erzählt, trifft sich jedenfalls ein heiteres Konsumverweigerungsgrüppchen und hält dem Handel paradoxerweise die Stange. Auch die Welt des Konsums steckt voller Widersprüche!
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