Einzelhandel als Motor der Stadtentwicklung

„Handel ist Wandel“ gilt auch in Luxemburg

Cloche d’Or, Infinity, Royal-Hamilius. Der luxemburgische Einzelhandel ist in den vergangenen Jahren von einer starken Entwicklungsdynamik geprägt – analog zur Gesamtentwicklung des Großherzogtums. Wie sind diese Vorhaben in der Retrospektive zu sehen? Und welchen Einfluss haben sie auf die zukünftige Entwicklung, vor allem im Hinblick auf die Hauptstadt und im Besonderen deren Innenstadt? Im Folgenden lesen Sie eine Analyse, die die durch die Coronakrise verursachten Verwerfungen noch nicht berücksichtigen konnte.

Betrachtet man allein die Anzahl der Geschäfte in der Landeshauptstadt, so gab es in den letzten zehn Jahren keine gravierenden Veränderungen, vielmehr ist eine leichte Zunahme zu verzeichnen von rund 950 (2010) auf nunmehr knapp 970 Betriebe im Jahr 2019. Zunächst ein interessanter Befund, zeigen doch die Entwicklungen in deutschen Städten, dass in diesem Zeitraum üblicherweise ein deutlicher Rückgang im Handelsbesatz festzustellen ist. Eine Abnahme um bis zu einem Viertel ist keine Seltenheit und verdeutlicht, unter welchem Veränderungsdruck der Handel steht. Diese Diagnose ist für den Einzelhandel der Stadt Luxemburg zunächst nicht zutreffend. Dennoch gibt es auch hier Veränderungen. Vorrangig sind davon Anbieter*innen in den Stadtteilen betroffen, die aus unterschiedlichen Gründen ihren Betrieb nicht fortführen, seien es wegbrechende Kundenfrequenzen oder ungeklärte Nachfolgefragen. In der Innenstadt ist ein Rückgang vor allem in den Zulauflagen zu den Haupteinkaufsstraßen zu beobachten; sie kommen ebenso vermehrt unter Druck wie die zahlreichen Passagen in der Innenstadt, die z. B. die Grand-Rue mit den parallel verlaufenden Straßenzügen verbinden. Insgesamt sank die Anzahl der Betriebe in der Innenstadt von 423 im Jahr 2010 auf 357 im Jahr 2019. Stark frequentierte Bereiche wie die Gegend rund um die Place d’Armes, die Grand-Rue oder die Rue Philippe II weisen dagegen eine Konstanz im Besatz auf und sind dank ihrer hohen Besucher*innenfrequenzen für die dortigen Fachgeschäfte und Filialist*innen auch langfristig interessante Standorte.

 

Anzahl der Betriebe

Verkaufsfläche (in m²)

 

2010

2019

2010

2019

Innenstadt

423

357

37790

38980

Stadt Luxemburg

947

967

130630

175710

Quelle: cima

Maßgeblichen Anteil an dieser Entwicklung haben dabei die in den letzten Jahren umgesetzten Handelsgroßvorhaben, so z. B. das 2019 eröffnete Shopping-Center Cloche d’Or im neu entstandenen Stadtquartier Ban de Gasperich. Insgesamt knapp 100 neue Betriebe sind durch diese Entwicklung zum Luxemburger Einzelhandel hinzugekommen, was bei der festzustellenden Konstanz bei der Gesamtzahl der Betriebe einen vergleichbaren Abgang in der übrigen Stadt signalisiert. Dabei ist allerdings nicht zwingend davon auszugehen, dass diese Veränderungen in einem kausalen Zusammenhang stehen. Zwar gibt es Verlagerungen von Betrieben in das Shopping-Center, die vorher anderweitig im Stadtgebiet angesiedelt waren, dies dürften aber Ausnahmefälle sein. Es ist vielmehr von einer üblicherweise zu registrierenden Veränderungsdynamik auszugehen, denn: Handel ist Wandel.

Gleichsam von diesem Wandel betroffen ist neben der Anzahl der Betriebe auch die Verkaufsfläche. Hier zeigen sich in viel stärkerem Maße die Auswirkungen der neuen Großvorhaben. So hat im Betrachtungszeitraum die Verkaufsfläche in der Stadt Luxemburg um rund ein Drittel zugenommen und liegt mittlerweile bei knapp 175.000 m². Unter Betrachtung der konstanten Entwicklung bei der Anzahl der Betriebe ist damit unverkennbar, dass die Verkaufsfläche pro Betrieb deutlich zugenommen hat, es somit in zunehmendem Maße Betriebe mit größeren Verkaufsflächen gibt; der Zuwachs liegt auch hier bei knapp einem Drittel. Somit manifestiert sich auch hier ein Wandel, denn normalerweise verschwinden vor allem kleinflächige Handelsformate mit schwierigen Zukunftsaussichten vom Markt und werden von großflächigen Anbietern z. B. in Shopping-Centern ersetzt. Die Dynamik des Luxemburger Einzelhandels zeigt sich folglich in den Großvorhaben. Sie haben die Anzahl der Betriebe konstant gehalten und gleichzeitig durch ihre größeren Formate zu einer Zunahme der Verkaufsfläche geführt.

Damit verbunden stellt sich die Frage, ob die Großvorhaben außerhalb der Innenstadt den Druck auf die Innenstadt erhöht haben, sie vielleicht gar in ihrem langfristigen Bestehen als lebendiges, multifunktionales Zentrum gefährden. Oder sind sie doch vorrangig als sinnvolle Ergänzung zu verstehen, etwa als Aufwertung neuer Stadtquartiere, die bislang über keine eigene Versorgung verfügen oder auch als Ausweichstandort für Großformate, die die Innenstadt aufgrund ihrer historisch geprägten kleinteiligen Struktur nicht aufnehmen kann? Ist es vielleicht gar mehr ein Miteinander als ein Gegeneinander? Ist vielleicht mit den derzeitigen Handelsstandorten ein Gleichgewicht erreicht? Gibt es einen Punkt, ab dem der Druck auf die Innenstadt, z. B. durch Verlagerungen von strukturprägenden Betrieben in die Peripherie, zu groß wird und eine Gefährdung einsetzt?

Dabei ist zudem zu bedenken, dass die Konkurrenzsituation im Handel nicht an der Stadtgrenze Halt macht. Bereits in den 1970er Jahren wurden in Luxemburg großformatige Handelsvorhaben realisiert, zu nennen sind hierbei vor allem die beiden in der Kommune Bartringen beheimateten Shopping-Center Belle Etoile und City Concorde. Unweit der westlichen Stadtgrenze gelegen signalisieren hohe Kund*innenfrequenzen und volle Parkplätze eine erhebliche Attraktivität, auch und vor allem für Kunden aus der nahen Stadt Luxemburg, die die beiden Shopping-Center vielleicht an Stelle der Innenstadt aufsuchen: wegen der guten Erreichbarkeit, freier Parkplätze und eines umfangreichen Angebots an einem Standort. Trotz dieser Konkurrenz, die über die Jahre durch umfangreiche Ausbau- und Modernisierungsmaßnahmen noch verstärkt wurde, hat die Luxemburger Innenstadt eine positive Entwicklung genommen bzw. konnte ihre Position als Einkaufsstandort halten. Diese Tatsache manifestiert sich in einer weitgehenden Konstanz der Verkaufsfläche; bei einer moderaten Abnahme der Anzahl der Betriebe hat somit auch in der Innenstadt eine Zunahme der Verkaufsfläche pro Betrieb stattgefunden, allerdings mit rund 20 % in einem geringeren Umfang als im gesamten Stadtgebiet.

Im Hinblick auf die Entwicklung der Innenstadt ist zudem zu bedenken, dass bei den betrachteten Zahlen eine maßgebliche Handelsentwicklung noch nicht berücksichtigt werden konnte: die Ende 2019 erfolgte Eröffnung des Handelsvorhabens Royal-Hamilius in der Innenstadt, unmittelbar an die Haupteinkaufsstraße Grand-Rue angrenzend. Damit ist der Luxemburger Stadtentwicklung etwas gelungen, was über lange Jahre als schwierig, für die Weiterentwicklung der Innenstadt aber notwendig angesehen wurde: die Etablierung einer Handelsimmobilie für großflächige Formate, ein Shopping-Center innerhalb der kleinteiligen Struktur der historischen Altstadt, und damit mithin ein Gegengewicht zu den Entwicklungen auf der „Grünen Wiese“.

Von dem renommierten Star-Architekten Norman Foster entworfen, ist der Bau einer Stadtmarke gelungen, die neben dem Handel auch neues Wohnen und die immer nachgefragten Büroflächen in die Innenstadt bringt. Und es hat durch die Belegung der Flächen einen weiteren qualitativen Sprung für die Innenstadt gegeben. War zunächst Galeria Inno als Anker vorgesehen, deren Ansiedlung sich aber nicht realisierte, so konnte ein mehr als gleichwertiger Ersatz gefunden werden: Das französische Nobelkaufhaus Galeries Lafayette hat Ende 2019 seine achte Niederlassung außerhalb Frankreichs im Royal-Hamilius eröffnet. Vor allem die edlen Sortimente der Galeries Lafayette ergänzen damit das bereits bestehende Angebot an Luxuslabeln. Die Innenstadt braucht hier also keinen Vergleich zu anderen europäischen Metropolen scheuen. Zudem ist es gelungen, auch größere Angebote mit Sortimenten des täglichen Bedarfs wieder in die Innenstadt zu bringen, womit ein häufig zu beobachtendes Defizit von Innenstädten behoben werden konnte: Ein qualitativ und quantitativ angemessenes Angebot an Lebensmitteln für den täglichen Bedarf. Ergänzt wird das Angebot durch einen Elektronikfachmarkt sowie seit Februar 2021 durch die erste luxemburgische Filiale des französischen Sportartikelfilialisten Decathlon; nicht wie so häufig auf der „Grünen Wiese“, sondern in der Innenstadt.

Stichwort Marken: Hier verfügt die Luxemburger Innenstadt über ein vielfältiges Angebot. So verbreiten die Luxuslabel in der Rue Philippe II das Flair einer europäischen Metropole: Chanel, Dior, Gucci, Hermès sind nur einige der vertretenen Namen. Aber auch die „üblichen Verdächtigen“ fehlen nicht: H&M mit seinen Sublabels Arket, COS und & other stories ebenso wie Pull & Bear und Zara. Und natürlich nicht zu vergessen die etablierten inhabergeführten Geschäfte aus Luxemburg: Oberweis, wo in einem modern gestalteten Gebäude in der Grand-Rue hochwertige Speisen und Süßwaren angeboten werden, die Buchhandlung Ernster unweit des großherzoglichen Palais oder Kaempff-Kohler mit seiner ausgewählten Feinkost zwischen Place Guillaume II und Place d’Armes seien hier beispielhaft genannt. Es wird deutlich: Auf dem recht überschaubaren Raum einer kompakten Innenstadt ergibt sich ein sehr abwechslungsreicher Mix, der eine entsprechende Anziehungskraft auf Kund*innen von nah und fern entwickelt. Vor allem der in dieser Form nicht zweimal anzutreffende Mix aus belgischen, deutschen, französischen und luxemburgischen Besucher*innen macht nicht zuletzt das Flair des Handelsstandorts Luxemburg aus. 

Die Innenstadt als europäischer Anziehungspunkt

Frankreich, Deutschland, Belgien – die räumliche Nähe der Luxemburger Innenstadt zu ihren europäischen Nachbarn macht sie zu einem attraktiven Ziel für ausländische Besucher*innen. So fragte die cima im Zuge der City-Studie 2017 im Auftrag der Stadt Luxemburg nach der Bekanntheit und Besuchshäufigkeit und kam dabei zu dem Ergebnis, dass neben den Kund*innen aus dem Großherzogtum auch ein beträchtlicher Anteil der Bewohner*innen aus dem nahen Ausland regelmäßig die luxemburgische Hauptstadt aufsuchen. Immerhin die Hälfte der Befragten aus dem angrenzenden Ausland gab an, dass sie in den letzten zwölf Monaten die Luxemburger Innenstadt besucht hatten.

Interessant auch: Vor allem die Jüngeren fühlen sich von der Innenstadt angezogen. So gab ein Anteil von knapp 80 % der Befragten im Alter zwischen 16 und 24 an, innerhalb der letzten zwölf Monate da gewesen zu sein; in den weiteren Altersgruppen immerhin noch über 70 %. Beeindruckende Zahlen für den Handelsstandort. Dabei sind die Gründe für einen Besuch vielfältig, wobei es keine erheblichen Unterschiede zwischen den Luxemburger*innen und den Gästen aus den Nachbarländern gibt: Schaufensterbummel und Shopping stehen an erster Stelle, gefolgt von Freizeit- und Kulturangeboten, die über das Jahr verteilt stattfinden, von den Antiquitätenmärkten auf der Place d’Armes bis zur Schueberfouer auf dem Glacis. 

Aber nicht nur die Angebote von Handel, Gastronomie, Freizeit und Kultur ziehen die Besucher*innen an. Auch das Stadtbild als solches trägt zur Attraktivität der Innenstadt bei. Dabei werden vor allem Sicherheit und Sauberkeit gut bewertet; auch die Gestaltung der Innenstadt kommt gut an, fügt sich mit dem kosmopolitischen Ambiente zu einer dichten, einladenden Atmosphäre.

Onlinehandel: Ergänzung oder Konkurrenz?

Ein maßgeblicher Faktor für die weitere Einzelhandelsentwicklung ist auch in Luxemburg der Onlinehandel. Die Zahlen belegen: Die Luxemburger*innen sind online-affin und generieren im europaweiten Vergleich mit die höchsten Onlinekäufe. Insgesamt betrachtet hat der Onlinehandel in den vergangenen Jahren im Handel europa- und weltweit für erhebliche Verwerfungen gesorgt und stellt nicht zuletzt für die Händler*innen vor Ort eine starke Konkurrenz dar. Die Folge: Händler*innen, die auf ein digitales Standbein verzichten, sehen sich in zunehmendem Maße unter Druck. 

Mit dem Angebot letzshop.lu will Luxemburg hier gegensteuern bzw. dem lokalen Handel helfen, der Konkurrenz aus dem Internet entgegenzutreten. Als Multi-Channel-Angebot ebnet letzshop.lu dem klassischen Einzelhandel den Weg in die digitale Zukunft und sichert ihm somit wichtige Anteile an dem großen Kuchen des Onlinehandels. Seinen Wert hat das Angebot dann nicht zuletzt in den vergangenen Monaten bewiesen: Als die Läden schließen mussten, wurde das digitale Standbein zur Überlebenshilfe und in einem nie gekannten Maße angenommen. Entsprechend nahm die Anzahl der beteiligten Betriebe stark zu, auch viele Anbieter aus der Innenstadt nahmen die Möglichkeit wahr, ihr Portfolio zu vergrößern und für die Krise gerüstet zu sein. Mit durchschlagendem Erfolg: Knapp zweieinhalb Jahre nach seiner Gründung ist die bis dato moderate Entwicklung der Shoppingplattform durch die COVID-19-Pandemie in eine sprunghafte gewechselt. So haben die Bestellungen um rund 1.400 % zugenommen, die ausgelösten Umsätze sind um 800 % gestiegen, insgesamt 450.000 Kund*innen haben das Angebot genutzt. Beeindruckende Zahlen, die die Frage aufwerfen, welche Auswirkungen auf den stationären Einzelhandel zu erwarten sind, natürlich nicht nur durch das nationale Online-Kaufhaus letzshop.lu, sondern auch durch die Gesamtheit des Internethandels.

Wohin geht’s Luxemburg?

Attraktive Innenstadt, starke „Grüne Wiese“, wachsender Onlinehandel: Der Luxemburger Einzelhandel befindet sich in einem interessanten Spannungsfeld, das die handelnden Akteur*innen, seien es Händler*innen, Investor*innen oder Verwaltung, vor täglich neue Aufgaben stellt. Hier die richtige Balance aus Bewahren und Wachsen zu finden, ist eine ständige Herausforderung, für deren erfolgreiche Bewältigung der Luxemburger Einzelhandel und nicht zuletzt die Innenstadt gute Voraussetzungen hat. Zielsetzung muss dabei sein, die Innenstadt als historischen Kern und Kommunikationszentrum in ihrer Funktion zu erhalten und zu stärken sowie städtebaulich weiterzuentwickeln, auch z. B. durch eine weiter verbesserte Vernetzung mit den Angeboten im Stadtteil Gare, der von den Wechselwirkungen auch profitieren kann. Zudem stellen langfristige Entwicklungsvorhaben im näheren Umfeld, wie die Porte de Hollerich, durch neue Büro- und Wohnnutzungen ein zusätzliches Potenzial für den innerstädtischen Einzelhandel dar. 

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