„Die, die uns mögen, werden uns finden“

Interview mit Cactus-Geschäftsführer Laurent Schonckert

Cactus-Supermärkte bestechen nicht gerade durch eine ansprechende Ästhetik, wenn man etwa an traditionellere Filialen wie beispielsweise die in Mersch, Howald oder Echternach in brauner Bunker-Architektur denkt. Auch das Projekt in Esch/Lallingen ist sozusagen architektonischer Minimalismus. Wie erklären Sie sich die äußerlich geringe Attraktivität Ihrer Gebäude? Gibt es dafür in Luxemburg keinen Bedarf?

Laurent Schonckert: Architektur ist Ansichtssache, was dem einen gefällt, muss der andere nicht schön finden. Genauso lässt sich darüber streiten, ob ein modernes Cube Haus oder doch eher ein renoviertes Bauernhaus aus dem 19. Jahrhundert erstrebenswerter ist. Ich stelle auch fest, dass in letzter Zeit zunehmend darüber diskutiert wird, was als schützenswert anzusehen ist und was nicht. Soviel aber nur am Rande. 

Die älteren Cactus-Gebäude, die Sie erwähnt haben, stammen aus den 80er/90er Jahren und zeichnen sich durch die sogenannten Waschbeton-Elemente aus, die Cactus in der Vergangenheit einen gewissen Widererkennungswert verliehen haben. Das ist sicherlich ein erster Aspekt, der eine Rolle gespielt hat. Da wir im Gegensatz zu unseren Konkurrenten allerdings über eine eigene Bauabteilung verfügen, sind wir in die Bauarbeiten stark impliziert. Auch das ist Teil einer Familien­geschichte. Es ist in etwa vergleichbar mit einem Hausbau. Wenn Sie Ihr Haus bauen, wünschen Sie sich etwas Massiveres, das überdauert. Unsere Gebäude sind gut gealtert. Ich möchte keinen Vergleich mit anderen bemühen, allerdings werden Sie sicherlich feststellen, dass die Gebäude mancher Kollegen nach zehn bis fünfzehn Jahren etwas mitgenommen aussehen. Ein drittes Element ist aber sicherlich auch, dass wir bei unseren Gebäuden stets auf Funktionalität achten müssen: Wie sind die Zuliefererwege, wie gut ist die Kundenzufahrt, wie sind die Parkgelegenheiten? All das muss sich als Ensemble darstellen. 

Um trotzdem aber auch die etwas rezenteren Gebäude zu erwähnen, verweise ich auf Esch/Brill, das sich, wie ich finde, sehr schön in die Umgebung eingegliedert hat. Dieses Gebäude ist mit seiner größeren gläsernen Wand etwas atypischer. Aber auch Windhof und Bettemburg sind deutlich heller geworden. Windhof seinerseits hat eine Besonderheit dadurch, dass es sich um ein multifunktionales Gebäude handelt, das sowohl den Supermarkt als auch die Bürogebäude vereinen muss. Ein weiteres Beispiel wäre Rodt-Syr, wo wir mit einer Graswand und verstärkt mit hölzernen Elementen arbeiten. Nun lässt sich sicherlich auch hier darüber diskutieren, was schön ist und was nicht. Tatsächlich hat auch Cactus Howald einige Transformationen durchgemacht, die ihn von seinem 1989er Look unterscheiden. Dabei haben wir versucht, Funktion und Ästhetik zu verbinden.

Cactus plant seit mindestens 25 Jahren einen neuen Markt in Esch/Lallingen. Die Konzepte für Einkaufszentren haben sich in diesem Vierteljahrhundert gewandelt. Mit welchen Ideen haben Sie die Planungen begonnen, und was hat sich seitdem für Ihre Branche verändert?

Cactus Lallingen gehört zu den ersten Standorten. Wir haben zwei Grundstücke in Lallingen, eines davon ist das Grundstück, auf dem Anfang der 80er Jahre ein Cactus eröffnet wurde, der bis 1996 in Betrieb war. Dort sollte nun der neue Cactus entstehen. Im selben Jahr haben wir auf dem alten Fußballgelände den, wie wir heute noch im Hausjargon sagen, „provisorischen Cactus“ eröffnet, der auch heute noch da ist. Derweil wurde auf dem alten Grundstück ein Cactus Hobby eingerichtet, der bis 2005 in Betrieb war und anschließend abgerissen wurde, um das neue Projekt zu verwirklichen. Dieses Projekt konnte aber lange Zeit nicht umgesetzt werden, da es von einigen Nachbarn beanstandet wurde. Dieser Prozess hat sich rund fünf Jahre vor dem Verwaltungsgericht hingezogen. Obwohl wir diesen Prozess im Berufungsverfahren gewonnen haben, haben wir uns letztlich gegen das ursprüngliche Projekt entschieden, das viel größer angelegt war und eine Supermarktfläche enthalten sollte, die vergleichbar mit der der Belle Etoile gewesen wäre. Vorgesehen war auch eine Galerie mit etwa 50 bis 60 Ladenzeilen. 

Im Grunde genommen also eine zweite Belle Etoile in Esch. 

Genau das war letztlich der Knackpunkt. Wir mussten uns überlegen, ob eine zweite Belle Etoile in Esch der richtige Weg war. Es war nichts Halbes und nichts Ganzes, sondern etwas dazwischen. In der Zwischenzeit ist aber viel passiert: Die Uni ist nach Esch gezogen, Esch-Belval hat eröffnet. Es zeichnete sich allerdings schon recht früh ab, dass der Erfolg nur mäßig war. Esch ist nicht Paris. Angesichts aller Entwicklungen, die in diesem Zeitraum noch bevorstanden, haben wir beschlossen, unser Projekt in einigen Punkten zu verkleinern, gleichzeitig aber auch neue Wege einzuschlagen. So war im neuen Projekt eine Supermarktfläche vorgesehen, die nur noch halb so groß sein sollte, wie die ursprünglich geplante. Statt der 60 Läden sollten es nur noch knapp 20 werden. Einige Vorvereinbarungen gab es bereits. Hinzu kam auch der Aspekt, dass das Segment „Hobby“ und der Vertrieb von elektronischen Geräten durch das Internet anfälliger geworden ist. Zudem sind Saturn/Mediamarkt auf den luxemburgischen Markt gekommen. All das waren Beweggründe, die zur Entscheidung geführt haben, von dem ursprünglichen Plan abzusehen. Eigentlich hatten wir alles – die Baugenehmigung lag bereits vor –, rückblickend war es vermutlich dennoch die richtige Entscheidung, es nicht zu tun. Dafür sollte das neue Projekt einige Innovationen enthalten, die im ursprünglichen Konzept nicht vorgesehen waren: ein Fitnesscenter, eine Kindertagesstätte und rund 60 Wohnungen. 

Sie beschreiten damit ein Feld, auf dem, wie wir wissen, in Luxemburg Not herrscht. Das war sicherlich eine strategisch bewusste Entscheidung. 

Das Grundstück ist rund vier Hektar groß. Im ursprünglichen Projekt wurde die gesamte Fläche veranschlagt, so haben wir nur zwei Drittel davon genutzt. Die Frage war nun, wie die restliche Fläche genutzt werden sollte. Wie Sie richtig feststellen, besteht inzwischen ein großer Bedarf an Kita-Plätzen. Weder die Kindertagesstätte noch das Fitnesscenter werden allerdings von uns betrieben, wir vermieten die Räumlichkeiten lediglich. Was die Wohnungen anbelangt – Grundstücke in Luxemburg sind knapp und teuer. Wir haben versucht, das Grundstück maximal zu valorisieren, natürlich auch im Interesse des Eigentümers. Wenn ein Eigentümer investiert, erwartet er Rendite. Ein weiterer Aspekt war aber sicherlich auch, dass ein multifunktionelles Projekt die Genehmigungsprozeduren sowohl auf Gemeindeebene als auch beim Staat vereinfacht. Damit konnten wir einen zusätzlichen Nutzen anbieten, der über den rein kommerziellen hinausgeht. Das ist allerdings nichts, was Cactus erfunden hat; Aldi beispielsweise hat diesen Weg in Deutschland schon vor einiger Zeit eingeschlagen. 

Handelt es sich bei den Wohnungen um Mietwohnungen oder spielen Sie auch mit dem Gedanken zu verkaufen? 

Es handelt sich um Mietwohnungen. Das ist sicherlich eine vue patrimoiniale. Wir sind ein Familienbetrieb und wollen den Besitz in eigener Hand halten. 

Ist damit zu rechnen, dass Cactus in den Immobilienmarkt einsteigt? 

Ich will nicht behaupten, dass das nun zur Regel wird. Man soll aber auch niemals nie sagen. In Lallingen hat sich das ergeben. Wenn Sie das Viertel kennen, wissen Sie, dass es sich um ein Wohnviertel handelt. In Rodt-Syr bietet sich das weniger an, alleine schon aus dem Grund, dass der Standort etwas ländlicher gelegen und nicht unmittelbar in das Dorf integriert ist. Es muss schon ein Umfeld sein, das sich dazu eignet. Wir werden aber aus dem Projekt Lallingen lernen und beobachten, wie es sich entwickelt. Ich gehe davon aus, dass man diese Option bei ähnlichen Projekten in Zukunft durchaus im Hinterstübchen behalten wird, ob man sie auch umsetzt, weiß ich nicht. 

Was kann Cactus den Kunden bieten, das andere Supermärkte nicht können? Wie würden Sie den Unterschied zwischen Cactus und Auchan bzw. zwischen Cactus und Delhaize formulieren? 

Diese Fragen werden Ihnen die Kunden wahrscheinlich besser beantworten können als ich. Im Gegensatz zu den Supermärkten, die Sie ansprechen, bieten wir vier unterschiedliche Formate an: die zwei Hypermärkte Belle Etoile und Käerjeng, dann die klassischen, mittelgroßen Supermärkte, die kleineren beispielsweise in Merl oder Bonneweg und seit wenigen Jahren die Shoppis an den Tankstellen, die den Convenience-Bereich abdecken. Delhaize z. B. ist Spezialist in eher kleineren Flächen. Wenn Sie beispielsweise eine Bratpfanne oder einen Rasenmäher suchen, werden Sie sie bei Delhaize nicht finden. Auchan hingegen ist ein Hypermarkt-Spezialist aus Frankreich, der inzwischen auch an Aral-Tankstellen präsent ist. Da gibt es sicherlich einige Überschneidungen mit Cactus, was das Format anbelangt. Im Angebot unterscheiden wir uns wiederum dadurch, dass Cactus eher der Marken-Supermarkt ist, während Auchans Eigenmarke einen großen Teil ihres Angebots ausmacht. Cactus hat auch einige Eigenmarken, vergleichsweise aber viel weniger als Auchan oder auch Delhaize. Diese können darauf aufbauen, weil sie ganz andere Produktionsmöglichkeiten haben. Wenn wir einen Lastwagen Ware bestellen, bestellen sie einen Zug voller Waren – in dem Volumen dann sicherlich auch zu anderen Preisen und Bedingungen. Zu unseren Eigenproduktionen zählen die Metzgerei mit unterschiedlichen Fleischwaren sowie der Caterer „Schnékert“ mit u. a. einem eigenen Patisserie-Angebot und Convenience-Produkten. Die Herausforderung, die eine Eigenproduktion mit sich bringt, ist ein gewisser Qualitätsstandart, der im Zweifelsfall höher sein sollte als bei der Konkurrenz. 

Wir haben allerdings auch eigene Labels aufgebaut wie u. a. Eist Uebst, Bio Green Beef, Poulet vum Lëtzebuerger Bauer oder Rëndfleesch vum Lëtzebuerger Bauer, die andere in dem Maße nicht anbieten. Am Label Fleesch vum Lëtzebuerger Bauer sind 150 Bauern beteiligt. Das ist aber auch mit sehr viel Arbeit verbunden, man muss zusehen, dass alle 150 Bauern auf einer Linie sind. Die Zusammenarbeit mit lokalen Produzenten haben viele versucht. Wir haben sie auch nicht erfunden, allerdings haben wir womöglich einen gewissen Vorteil dadurch, dass wir Luxemburger sind. Es ist nunmal ein kleines Land, in dem man sich kennt. Wir bieten feste Ansprechpartner, bei großen internationalen Gruppen ist das anders. Diese Kontinuität bedeutet aber auch Hege und Pflege, die uns wiederum eine gewisse Kredibilität verleiht. Es geht darum, eine triple win-Situation zu schaffen, für die Produzenten, für uns und die Kunden. 

Ein weiterer Punkt ist sicherlich auch, dass wir immer noch auf Präsenzpersonal in den Regalen und an den Kassen setzen. Andere Supermärkte teilen ihr Personal in Schichten ein und setzen eher morgens zum Auffüllen der Regale auf Personal, reduzieren dann im Lauf des Tages auf ein Minimum. Wenn Sie auf Präsenzpersonal setzen, brauchen Sie gutes und freundliches Personal, das bestenfalls multidisziplinär einsetzbar ist, also bereit ist, in mehreren Abteilungen auszuhelfen. Das ist ein Ansatz, den wir fördern und der bei uns auch relativ gut funktioniert. Was die Kassen anbelangt, würde ich nicht behaupten, dass wir niemals in Erwägung ziehen werden, Selbstbedienungskassen einzuführen, allerdings ist die Kasse der letzte Kontakt mit dem Kunden – und der ist uns wichtig. Wenn die Kassiererin oder der Kassierer freundlich ist, kann uns das einen Pluspunkt bringen. Ich höre immer noch Leute sagen: „Ich gehe zu meiner Kassiererin“ – und das sogar in der Belle Etoile, die immerhin 45 Kassen hat. Wir halten daran fest. Allerdings muss ich fairerweise zugeben, dass wir in vielen kleinen bis mittelgroßen Läden den Thekendienst oder die Fisch-Abteilung eingeschränkt haben, weil sie sich nicht mehr rentieren. Es rechnet sich eher auf größeren Flächen, die genug Umsatz bringen, um den Thekendienst gewährleisten zu können. 

Während ausländische Supermarktketten ihre Filialdichte in Luxemburg erhöhen wollen, plant Cactus keine Expansion über die Landesgrenzen hinaus. Ist das Angebot von Cactus zu sehr auf den luxemburgischen Konsumenten zugeschnitten, als dass es im Ausland Erfolg haben könnte? Oder anders gefragt: Ist der luxemburgische Markt so lukrativ, dass es sich für Cactus eher lohnt, seine Marktführung in Luxemburg zu verteidigen als auf dem ausländischen Markt zu konkurrieren? 

Die Antwort darauf ergibt sich fast schon logisch aus den vorherigen Erläuterungen. Wenn Sie mit Téi vum Séi einen Auftritt in Metz oder auch Trier machen, bezweifle ich, dass Sie Erfolg damit haben werden. Schon allein deswegen, weil man es nicht versteht. Dafür ist unser Sortiment dann doch zu spezifisch. Als Herr Leesch den ersten Laden 1967 in Bereldingen aufgebaut hat, war auf dem inländischen Markt viel zu tun. Mit Ausnahme von Match und den traditionellen Epicerien gab es damals nicht viele Anbieter. Vor dem Euro war es dann letztlich auch eine Frage der unterschiedlichen Währungen und Preise. Wenn Sie sich nun anschauen, wie viel Gewerbefläche in den vergangenen Jahren im Grenzgebiet erschlossen wurde, werden Sie merken, dass, salopp ausgedrückt, niemand auf uns gewartet hat. Welchen Mehrwehrt hätten wir dort für den deutschen, belgischen oder französischen Kunden? Durch die Kleinheit des Landes haben wir notgedrungen einige Läden, die grenznah sind, so Echternach oder Remich für deutsche, Windhof und Belle Etoile für belgische und Esch, Kayl und Bettemburg für französische Kunden. Die, die uns mögen, werden uns finden. 

Luxemburg hat in den letzten Jahren eine starke demografische Entwicklung durchgemacht. Dadurch ist, wie ich immer zu sagen pflege, der Kuchen auch größer geworden. Durch die vergleichsweise konstant hohe wirtschaftliche Entwicklung ist in Luxemburg immer noch eine höhere Kaufkraft gegeben. Andererseits habe auch ich vor 20 Jahren schon gedacht, dass die Blase irgendwann platzen muss. Auch wir müssen so langsam darauf achten, uns nicht selbst auf die Füße zu treten, weil wir inzwischen flächendeckend gut vertreten sind. Ich möchte nicht die Beispiele nennen, die in den letzten zwei, drei Jahren eröffnet haben, daran sehen Sie allerdings, dass es so langsam knapp wird. Lukrativ? Ja, doch muss man mittlerweile gut rechnen können und darf sich keine größeren Fehler erlauben.

Das Warenangebot von Cactus ist auf die lokale Bevölkerung abgestimmt. Im Sortiment finden sich sowohl Bio- und Fairtrade-Produkte als auch Produkte aus Portugal, Italien oder dem Balkan. Ist das Warenangebot im gesamten Land dasselbe, oder reagiert Cactus möglicherweise auf Unterschiede in den Kaufpräferenzen der Kunden nach demografischer Verteilung der Bevölkerungsgruppen in Luxemburg (z. B. Norden, Zentrum und Süden)? 

Die Ausstattung folgt, je nach Ladengröße, einem bestimmten Sortimentcode, angefangen bei einer Grundausstattung, die mit steigender Ladenfläche immer kleinteiliger wird. Die Belle Etoile ist insofern ein schönes Beispiel, weil wir inzwischen ein Angebot für die englischsprachige Community in Luxemburg aufbauen konnten. Das Angebot an die ansässige ausländische Bevölkerung hat sich im Laufe der Zeit entwickelt. Für die portugiesische Gemeinschaft, die inzwischen rund 100.000 Menschen in Luxemburg zählt, gibt es ein Kernangebot. Das war vor 10 bis 15 Jahren noch anders. Rückblickend betrachtet hätten wir vielleicht sogar schon viel früher ein konsequentes portugiesisches Angebot aufbauen müssen. Das haben wir mittlerweile aber nachgeholt. Auch für die Gemeinschaft aus Ex-Jugoslawien, die stärker im Süden des Landes vertreten ist, haben wir inzwischen ein Angebot. Letztlich aber entscheidet die Größe des Ladens über das Sortiment. So finden Sie beispielsweise Bio-Produkte oder das „Onverpakt“-Angebot weniger in kleinen Läden als in größeren. 

Welche Bedeutung hatte die Pandemie für Ihr Unternehmen und das Einkaufsverhalten der Bevölkerung in Luxemburg? 

Im März letztes Jahr wusste noch niemand, nicht einmal die Wissenschaft, so richtig, was das alles bedeuten und welches Ausmaß das Ganze annehmen würde. Sie können sich vorstellen, dass wir während des ersten Ansturms erst einmal Sorge hatten, die Lieferkette abzusichern, damit genug Ware vorrätig ist. Wir hatten sicherlich einen großen Vorteil durch unsere Logistikzentren und Lager, die hier im Land sind. Dadurch hatten wir nur wenige Beschaffungslücken, abgesehen von einzelnen Produkten wie Mehl und Nudeln, die schnell ausverkauft waren. Wir mussten allerdings einige Thekendienste schließen, da ein Anteil des Personals aus nachvollziehbaren Gründen ausgefallen ist. Wie sich das Einkaufsverhalten der Menschen verändert hat, konnte sicherlich jeder beobachten, ohne dass ich große wissenschaftliche Thesen aufstellen müsste: Die Kunden sind weniger oft gekommen, haben aber viel mehr eingekauft. Inzwischen kommen sie wieder viel häufiger als auf dem Höhepunkt der Pandemie im März, April, Mai letztes Jahr und kaufen immer noch mehr ein als früher. Das ist zum einen durch die Schließung der Restaurants und zum anderen dadurch zu erklären, dass die Menschen weniger reisen. Es ist schwierig, Prognosen darüber zu machen, was davon überdauern wird. Persönlich aber glaube ich, dass der Mensch schnell vergisst. Wir neigen dazu, zu unseren Gewohnheiten zurückzukehren, es wäre auch schlimm, wenn wir das nicht täten. 

Sie haben also nicht vor, ähnlichen Szenarien in Zukunft vorzubeugen und befürchten auch nicht, dass Ihnen der Online-Handel irgendwann einen Strich durch die Rechnung machen könnte? 

Wir haben durch die Pandemie gelernt, dass auch die Wissenschaft nicht alles voraussehen konnte. Andererseits ist es beeindruckend, wie schnell sie auf die Situation reagiert hat. Trotzdem halte ich es für schwierig, sich auf mögliche neue Pandemien einstellen zu wollen. Was den Online-Handel anbelangt, so hat schon vor der Pandemie in erster Linie die Bekleidungsindustrie oder Elektronik großen Absatz über das Internet gefunden. Der Lebensmittelmarkt in Luxemburg ist davon nur marginal betroffen, weil Sie innerhalb von zehn Minuten einen Cactus finden werden. Der Online-Lebensmittelhandel bleibt zurzeit noch ein Nischengeschäft. Das bedeutet allerdings nicht, dass das auch in Zukunft so bleiben wird. 

Inwiefern hat das Personal von Cactus, das in dieser Zeit stark unter Druck stand, vom außergewöhnlichen Unternehmenserfolg des letzten Jahres profitieren können?

So sehr wir uns auch über den Erfolg unserer Supermärkte freuen, können wir denselben Erfolg nicht für andere Standbeine unseres Unternehmens beanspruchen. Eine Entwicklung, die man in den Kontext setzen muss, betrifft unseren Caterer Schnékert, dessen Restaurants und Event-Service brach lagen. Dadurch, dass wir mehrere Standbeine haben, ist die Situation für Schnékert nicht lebensbedrohlich, allerdings sind hier nicht unerhebliche Einbußen entstanden. 

Wie Sie wissen, hat Cactus rund 250 Mieter in seinen Häusern. Ihnen haben wir zwei Monaten Miete erlassen. Gesetzlich waren wir nicht dazu verpflichtet, haben uns aber bewusst dazu entschieden. Um niemanden zu bevorzugen oder zu benachteiligen, haben wir diese Entscheidung integral auf alle Mieter ausgeweitet, darunter auf große Marken wie Zara und Konsorten, aber eben auch auf kleinere, luxemburgische Unternehmen, die wir unterstützen wollten. 

Dem Personal haben wir im Sommer 2020 eine Prämie von rund 500 Euro ausbezahlt. Eine zweite Prämie in Höhe von 250 Euro folge gegen Ende des Jahres in Form von Einkaufsgutscheinen. Jetzt lässt sich darüber streiten, ob das eine angemessene Summe war. Wenn Sie diese allerdings auf ein paar Tausend Mitarbeiter hochrechnen, kommt da schon was zusammen. 

Die Initiativen von Cactus im Bereich der Responsabilité sociale des entreprises (RSE) werden unter dem Namen „Cactus Charity“ zusammengefasst, was den „charitablen“ Anspruch dieser Initiativen noch einmal betont. Müsste ein Unternehmen, das wie die Migros in der Schweiz eine ganze Gesellschaft seit Jahrzehnten strukturiert, nicht einen viel ehrgeizigeren Ansatz haben, um der Gesellschaft etwas von den Gewinnen zurückzugeben, die generiert werden?

Auch wenn Migros und Cactus das Gleiche machen, muss man trotzdem einen wichtigen Unterschied hervorheben: Migros ist eine Genossenschaft, Cactus eine société anonyme. Migros verpflichtet sich laut Statuten zur Abgabe des sogenannten Kulturprozents, also 1 % seines Umsatzes für Kulturzwecke – was im Übrigen ein großer Begriff ist – zu spenden. Das ist in den Statuten unserer Unternehmensform nicht vorgeschrieben. 

Dafür unterstützen wir unterschiedliche Initiativen, von denen ich an dieser Stelle nur einige nennen möchte: Da wäre z. B. die ASBL Jonk Entrepreneuren, der wir uns verpflichtet fühlen und in deren Verwaltungsrat einer unserer Leute sitzt. Es wird oft kritisiert, dass viele junge Menschen lieber beim Staat oder den Gemeinden arbeiten; konkrete Initiativen, jene zu unterstützen, die sich in die Unternehmenswelt wagen, gibt es aber kaum. Eine ähnliche Unterstützung bieten wir Microlux, um Geschäftsideen junger Menschen, die weder über das Know-how noch das nötige Kapital verfügen, zu fördern. Es geht nicht um big business, sondern kleinere Starthilfen für junge Menschen, die den Mut aufbringen, sich selbstständig zu machen. Das Gleiche gilt für eine Reihe von Start-Ups oder z. B. Gin oder Craft Beer-Produzenten, die wir unterstützen. Diese Unterstützung kann vielfältig sein, sie kann sich auf finanzielle Hilfen beschränken, aber auch Initiativen umfassen, die uns erlauben, langfristig impliziert zu bleiben und unser Know-How zu teilen. 

Weniger bekannt ist, dass wir viel im Cent Buttek aushelfen. Dieses Engagement muss leider von Jahr zu Jahr zunehmen, weil es immer mehr Menschen gibt, die Hilfe brauchen. Gleiches gilt für die Croix-Rouge Buttek. 

Im Rahmen der Gesundheitskampagne „Gesond Iessen Méi Beweegen“ haben wir vor einigen Jahren in Zusammenarbeit mit den Ministerien gemeinsame Aktionen gestartet. Eine weitere wichtige Partnerschaft ist die mit natur&ëmwelt, mit denen wir drei größere Projekte unternommen haben. Cactus Bësch im Norden ist ein Projekt über fünf Jahre, das wir wiederum finanziell unterstützen. Cactus Bongert, ein weiteres Projekt, in Ettelbrück, ist inzwischen abgeschlossen. Das Ziel war es, eine Reihe Obstbäume zu schützen, gerade vor dem Hintergrund des Bienensterbens und des Biodiversitätsverlustes. In einem weiteren Projekt werden wir rund 25 Weiher im ganzen Land anlegen. Vor der Pandemie haben wir die Stiftung Stand Up Speak Up der Großherzogin unterstützt. Es waren eine Reihe Aktionen vorgesehen, die situationsbedingt nicht stattfinden konnten. Und damit habe ich wirklich nur die großen Initiativen aufgezählt, ohne das Sport-Sponsoring im Fußball oder Fahrradvereine oder kulturelle Projekte zu erwähnen. Ich persönlich bin Mitglied des Verwaltungsrates der Unicef. Insgesamt sind Mitglieder unseres Managements stets bemüht, diese Art von längerfristigem, persönlichen Engagement einzugehen. Was das wert ist, müssen andere entscheiden. Es ist jedenfalls nicht nur ein Lippenbekenntnis, wir stehen dazu. Man kann von den genannten Initiativen halten, was man will, allerdings glaube ich nicht, dass wir uns schämen müssten. 

Wie gehen Sie an die Aufgabe heran, die CO2-Emissionen Ihrer Aktivitäten (d. h. auch die Emissionen ihrer Zulieferer und Kunden) bis 2030 um 55 % zu reduzieren und bis 2050 klimaneutral zu werden?

Da wären zum einen unsere Lagerhallen, die die ohnehin schon kurzen Transportwege zusätzlich verkürzen. Auch mit unseren Abteilungen versuchen wir, unsere Produktionsketten so nah wie möglich im Land zu halten. Das ist sicherlich nicht klimaneutral, aber klimapositiv. Natürlich verhindert das nicht, dass wir eine Orange aus Spanien liefern lassen müssen. Dass wir Kooperationen mit Luxemburger Bauern eingehen, bedeutet auch nicht, dass wir kein Fleisch importieren müssen. Es gibt ganz klar auch Business-Aspekte, die man nicht ignorieren kann, dennoch glaube ich, dass unsere Herangehensweise im Umkehrschluss durchaus positive Nebeneffekte hat. Unseren Merchandisern, die regelmäßig unsere Läden kontrollieren, haben wir inzwischen Elektroautos zur Verfügung gestellt, und wir stellen zunehmend auch Anschlüsse für Elektro-Autos bereit. Auf fünf Cactus-Dächern haben wir mittlerweile Photovoltaik-Anlagen installiert. Dafür haben wir eine gemeinsame Gesellschaft mit Enovos. Des Weiteren sind wir auch im Verwaltungsrat der Valorlux und ecotrel vertreten, um Fragen in diesem Bereich aktiv zu begleiten. Ich hatte vorhin auch die Produktreihe „Onverpakt“ erwähnt, die wir eingeführt haben. Wir sind u. a. bemüht, auf verantwortungsvolle Fischerei zu setzen. Wir sind uns all dieser Fragen sehr bewusst, nicht zuletzt, weil die Kunden sie zunehmend fordern. 

Eine letzte, aber wichtige Frage: Sie haben bestimmt regelmäßig Kontakt mit Yuppi. Man hat in letzter Zeit wenig von ihm gehört. Wie ist es ihm während der Pandemie ergangen?

Yuppi ist wohlauf und munter, das kann ich Ihnen bestätigen. Auch er musste im letzten Jahr leider seine Kontakte einschränken, hatte dadurch aber mehr Zeit, sich auf seine zukünftigen Aufgaben vorzubereiten. Aktuell ist er stärker bei Unicef eingebunden, wird Cactus in Zukunft aber wieder häufiger besuchen. 

Vielen Dank für das Gespräch.  

(Das Interview fand am 16. April 2021 in Bartringen statt. Die Fragen stellte SC.)

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