“No Time to Die” von Cary Joji Fukunaga
No Time to Die, der 25. offizielle Bond-Film und Daniel Craigs letzter Auftritt in der Rolle des britischen MI6-Agenten, bricht bewusst mit einigen kanonischen Regeln der Franchise – dass das Resultat trotzdem unausgegoren wirkt, liegt auch daran, dass die Macher sich sichtbar schwer damit taten, Bond im 21. Jahrhundert noch als das zu zeigen, was er ist.

Gemessen an der Vorfreude und den Erwartungen, aber auch an den unvermeidbaren Kontroversen, die ausnahmslos jeden neuen Bond-Film begleiten, dürfte No Time to Die, die 25. offizielle 007-Produktion und Daniel Craigs letzter Auftritt in der titelgebenden Rolle, einer der wichtigsten Kinostarts des Jahres sein.
Eine fast sechzigjährige Geschichte
Die James-Bond-Franchise ist inzwischen, wie ihre Hauptfigur, gewissermaßen ein Dinosaurier in der Kinolandschaft – oder, um es netter auszudrücken: ein Unikat. In ihrer fast sechzigjährigen, kommerziell sehr erfolgreichen Geschichte (die erste 007-Verfilmung, Dr. No, kam 1962 in die Kinos) trotzte sie allen möglichen Krisen und Veränderungen – z.B. Großbritanniens Bedeutungsverlust in der Außenpolitik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts –, indem sie den von wechselnden Schauspielerns verkörperten britischen MI6-Agenten immer wieder neu justierte und so an die Gegebenheiten ihrer Zeit anpasste.
Zu längeren Pausen kam es dabei immer dann, wenn sich die tatsächliche, reale Welt plötzlich schneller veränderte, als die filmische Wirklichkeit Schritt halten konnte. Nach Timothy Daltons zweitem erfolglosen Anlauf in Licence to Kill (John Glen, 1989) und dem Ende des Kalten Krieges, brauchte es ganze sechs Jahre, um Bond in das Digitale Zeitalter zu hieven und mit seinem sexistischen Gebaren zu konfrontieren (GoldenEye, Martin Campbell, 1995); nach 2002 war eine weitere, vierjährige Unterbrechung nötig, um mit den Mätzchen der Brosnan-Ära aufzuräumen und den Doppelnullagenten, fortan mit Daniel Craig in der Titelrolle, an die Herausforderungen der Post-9/11-Realität anzupassen, die maßgeblich geprägt war von internationalem Terrorismus, Paranoia, Überwachung und Desinformation (v.a. in Casino Royale, Martin Campbell, 2006 und Skyfall, Sam Mendes, 2012). Mit Craig wurden die Bond-Filme ernster, realitätsbezogener – und physischer. Insbesondere bei seinen ersten Leinwandauftritten verkörperte er 007 mit deutlich mehr Tiefgang als seine Vorgänger, als schelmisch grinsenden und gleichsam unerfahrenen, nervösen, mitunter unkontrollierbaren Draufgänger, der erst nach und nach zu der für ihn typischen Souveränität fand.

Dass seit Craigs letztem Auftritt in Spectre (Sam Mendes, 2015) abermals sechs Jahre vergingen, bevor mit No Time to Die ein weiterer – der 25. offizielle – Film in den Kinos anlaufen konnte, hatte mehrere Gründe.
Der 25. offizielle James Bond-Film
Das lag zum einen an Craig selbst, der nach Spectre offenbar mit der Filmfigur abgeschlossen hatte und in Interviews die strapaziösen, kräftezehrenden Dreharbeiten beklagte – „I’d rather slash my wrists than play James Bond again“ –, und deswegen mit gutem Zureden und viel Geld zur Rückkehr bewogen werden musste. Auch die Dreharbeiten gestalteten sich schwierig – Regisseur Danny Boyle (Trainspotting, 1996) warf noch in der Vorbereitungsphase wegen kreativer Differenzen das Handbuch und musste durch den US-Amerikaner Cary Joji Fukunaga ersetzt werden; auf dem Set kam es immer wieder zu Unfällen und Konflikten. Schließlich durchkreuzte die seit Frühjahr 2020 weltweit grassierende Corona-Pandemie mehrfach den Kinostart, so dass No Time to Die am 30. September mit mehr als anderthalb Jahren Verspätung in den internationalen Kinos anlief (der US-Kinostart ist für den 8. Oktober vorgesehen).
❝No Time to Die führt ungewollt deutlich vor Augen, in welcher erzählerischen Sackgasse sich die Bond-Filme, in ihrem endlosen Oszillieren zwischen Tradition und Modernisierung, im 21. Jahrhundert befinden.❞
Inhaltlich knüpft No Time to Die an den Vorgänger Spectre an, und möchte zugleich eine Vielzahl an losen Handlungssträngen aus anderen Craig-Filmen aufgreifen und zu Ende erzählen. Nach der Ergreifung des S.P.E.C.T.R.E.-Oberhaupt Ernst Stavro Blofeld (Christoph Waltz) ist Bond aus dem aktiven Geheimdienst ausgeschieden; mit seiner Geliebten, der Psychologin Madeleine Swann (Léa Seydoux) besucht er das pittoreske Matera im Süden Italiens, um am Grab seiner tragischen, unerfüllten Liebe Vesper Lynd einen Abschluss mit der Vergangenheit zu finden. Anstelle von Frieden wartet an Vespers Grabmal jedoch eine Sprengfalle auf Bond, aus dem Gefängnis heraus dort platziert von Blofeld. Dem Tod nur knapp entkommen, verfolgt Bond die Hintermänner des Attentats – in der wohl besten Actionsequenz des Films – zu Fuß, auf dem Motorrad und mit seinem Aston Martin DB5 quer durch die Stadt, nur um am Ende zu der Erkenntnis zu gelangen, dass womöglich Madeleine selbst ihn an seine Gegenspieler verraten hat. Desillusioniert setzt er sie in einen Zug und verlässt sie.

Die Handlung macht anschließend einen Zeitsprung von fünf Jahren; Bond lebt inzwischen als Einsiedler auf Jamaika (im Übrigen der Dreh- und Handlungsort des allerersten Bond-Films, Dr. No). Als eine neuartige Biowaffe namens „Herakles“ (die erstaunliche, wenn auch unbeabsichtigte Gemeinsamkeiten mit der Corona-Pandemie trägt), zusammen mit dem Wissenschaftler Waldo Obruchev (David Dencik) von Unbekannten aus einem britischen Staatslabor im Herzen Londons entwendet wird, treten die CIA und Felix Leiter (Jeffrey Wright) an Bond heran, um den Hintergründen dieses Überfalls auf die Spur zu gehen. Rasch kreuzen sich Bonds Wege mit denen seiner MI6-Nachfolgerin Nomi (Lashana Lynch), die nunmehr Bonds Codenummer 007 trägt und ihn ermahnt, sich aus der Suche nach Herakles und Obruchev herauszuhalten. Nach einer missglückten Rettungsaktion auf Kuba, wo Bond unter anderem mit der Agentin Paloma (mit viel zu wenig Screentime: Ana de Armas) zusammenarbeitet, fällt Obruchev endgültig in die Hände von Lyutsifer Safin (Rami Malek), der sich als Drahtzieher zu erkennen gibt, und sowohl mit Blofeld als auch mit Madeleine Swann eine gemeinsame Vergangenheit teilt. Wie nicht anders zu erwarten, hegt auch Safin einen sinistren Plan: Mittels der Wunderwaffe Herakles und seines Giftgartens möchte er „Gott spielen” und weltweit unzählige Menschen in den Tod schicken. Auf einer verlassenen Militärinsel in den Gewässern zwischen Russland und Japan kommt es schließlich für Bond zum letzten Gefecht…
Licht und Schatten
Bei No Time to Die liegen Licht und Schatten nahe beieinander. Auf der einen Seite findet Craigs letzter Bond-Auftritt einen durchaus kohärenten Abschluss für den seit Casino Royale horizontal – d.h. über mehrere Filme – erzählten Handlungsbogen, der sich mit Bonds Seelenleben infolge seiner Verletzung durch Vesper Lynd ebenso beschäftigte wie mit seiner obsessiven Suche nach den Hintermännern und -frauen in einem wahren Geflecht an kriminellen Machenschaften, die schließlich in der Festnahme Blofelds gipfelte; mitdiskutiert wurden dabei auch stets die Fragen nach der gesetzlichen Legitimität von Bonds gewaltsamen Methoden und seiner grundsätzlichen Relevanz im Informations- und Digitalzeitalter.

Auf der anderen Seite tun sich Regisseur Fukunaga und sein Autorenteam – zu dem u.a. die Bond-Veteranen Neal Purvis und Robert Wade gehören, sowie die Drehbuchautorin Phoebe Waller-Bridge, die für Überarbeitungen des Drehbuchs verpflichtet wurde –, aber auch sichtbar schwer damit, Bond in den Zwanziger Jahren des 21. Jahrhunderts noch als das zu zeigen, was er eigentlich ist: einen cool-lässigen, aber auch zynischen, kompromisslosen und moralisch fragwürdig agierenden Vollstrecker (und Womanizer) im Geheimdienst Ihrer Majestät. No Time to Die führt damit ungewollt deutlich vor Augen, in welcher erzählerischen Sackgasse sich die Bond-Filme, in ihrem endlosen Oszillieren zwischen Tradition und Modernisierung, im 21. Jahrhundert befinden: Die konsequente Vermenschlichung und Emotionalisierung Bonds, die hier auf die Spitze getrieben wird und mit einigen kanonischen Regeln der Franchise bricht, mag ihn zugänglicher, stromlinienförmiger und weniger kontrovers daherkommen lassen, und Kritiker*innen weniger Angriffsfläche bieten – sie beraubt die Figur aber gleichzeitig ihrer Originalität und Singularität.
Vieles an No Time to Die wirkt deshalb seltsam unausgegoren und unentschlossen – woran auch die stattliche Laufzeit von 163 Minuten und das unglückliche Pacing, das den Film nach einem fulminanten ersten Drittel in sich zusammenfallen lässt, nicht ganz unschuldig sind.

Auch den Gott spielenden Antagonisten, der aus Rache oder anderen, vorgeblich höheren Beweggründen einen Teil der Menschheit auslöschen möchte, sah man in letzten Jahren schlichtweg zu oft im Kino, als dass diese Wendung noch als originell wahrgenommen werden könnte; selbst Rami Malek, einem zweifelsohne talentierten Schauspieler, gelingt es so nicht, in seinen wenigen gemeinsamen Szenen mit Bond eigene Akzente zu setzen. Einen zwiespältigen Eindruck hinterlassen schließlich auch die weiblichen Neben- und Hauptrollen. Während Ana de Armas einen tollen Auftritt als zunächst schusseliges, dann überraschend kämpferisches Bond-Girl Paloma hinlegt, und damit vor allem die Frauenfantasien aus der Moore-Ära ironisch unterläuft, gelingt die Charakterzeichnung bei Lashana Lynchs Nomi weniger gut. Wenngleich großartig und mit physischer Präsenz von Lynch gespielt, ist die Figur gleich in doppelter Hinsicht mit einer undankbaren Rolle gestraft: Während zwei Dritteln der Filmhandlung ist es ihre wiederholte „Aufgabe“, Bond daran zu erinnern, dass sie grundsätzlich alles besser weiß und kann, und er ohnehin zum alten Eisen gehört – im Schlussakt ordnet sie sich ihm aber schließlich unter, da sie erkennen muss, dass sie nicht in seine Fußstapfen treten kann.
Daniel Craigs Abgang nach fünfzehn aufeinanderfolgenden Jahren in der Rolle des MI6-Agenten geriet in der Summe trotzdem souveräner als die seiner Vorgänger. Weder Sean Connerys schräger Las-Vegas-Mumpitz Diamonds Are Forever (Guy Hamilton, 1971), noch Roger Moores ungelenkes Kalter-Krieg-Revival A View to a Kill (John Glen, 1985) und schon gar nicht Pierce Brosnans überkandidelter Jubiläums-Bond Die Another Day (Lee Tamahori, 2002) gehören bis heute zu den beliebtesten Teilen der Reihe – welchen Platz No Time to Die auf Dauer im Gesamtwerk der Adaptationen von Flemings Bond-Erzählungen einnehmen wird, hängt auch maßgeblich damit zusammen, welche Richtung die Franchise mit der Neubesetzung der Titelrolle einschlagen wird.
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