Datenmüll

Littering am Informationshighway?

„Mein Handy ist voller Fotos!“, empört sich eine junge Frau. „Und das Schlimmste ist: Ich sehe mir sie nie an!“, führt sie ihre Tirade weiter, bevor die Lösung für ihr Problem präsentiert wird. Mittels App kann sie ein Fotobuch bestellen. Nun kann sie, so impliziert es die Werbung, die oft in sozialen Netzwerken zu sehen ist, ihr Handy von dem Datenmüll befreien und sich ihre Fotos in analoger Form ansehen. Ob man sich Fotos eher ansieht, wenn sie in Buchform im Regal stehen, ist vermutlich eine Frage der individuellen Präferenz.

Die Werbung berührt aber einen Punkt, der uns alle betrifft: Auf unseren elektronischen Geräten wie Smartphones oder Laptops sammeln sich mit der Zeit Dateien, die wir nicht (mehr) brauchen. Ist dieser Datenmüll, wie das Phänomen umgangssprachlich genannt wird, ein Problem für die Umwelt? Die Analogie zum echten Müll drängt sich auf, auch in der Symbolsprache der Betriebssysteme – das Thema ist enorm komplex und zeigt, dass wir als Gesellschaft viele Probleme der Digitalisierung noch überhaupt nicht ganz begriffen haben.

Zu Beginn stellt sich schon einmal die Frage, ob „Datenmüll“ überhaupt der richtige Begriff ist – und was genau damit gemeint sein soll. In der Informatik unterscheidet man zwischen garbage und Trash. Garbage ist ein technisches Problem, mit dem sich Programmierer*innen herumschlagen müssen: Es handelt sich um Daten, die während der Ausführung eines Programms den Arbeitsspeicher (memory, nicht zu verwechseln mit dem sogenannten Massenspeicher in Form von Festplatten oder USB-Sticks) füllen und irgendwann nicht mehr benötigt werden. Je nachdem, welche Programmiersprache benutzt wird, müssen die Entwickler*innen selbst darauf achten, dass dieser garbage entsorgt wird – ansonsten läuft das Programm irgendwann sehr langsam oder stürzt ab. Viele Programmiersprachen haben jedoch eine eingebaute Müllabfuhr, garbage col­lection genannt.

Willkommen in der Zettabyte-Ära

Worum es in diesem Artikel jedoch hauptsächlich gehen soll, ist Trash: Also jene Dateien, die wir als Nutzer*innen einmal benutzt haben, nun aber nicht mehr benötigen. Um sie loszuwerden, schieben wir sie im deutschsprachigen Windows in den Papierkorb, auf Englisch ist es ein recycle bin. Bei Mac OS wird nicht recycelt, sondern lediglich ein bin benutzt. Manche Programme, die Daten besonders sicher von der Festplatte tilgen – indem sie mehrmals überschrieben, statt wie standardmäßig nur als „nicht mehr benötigt“ markiert werden –, benutzen die Symbolik eines Schredders. Die Papierakten-Symbolik ist nicht zufällig, sondern sollte den ersten Computer-Nutzer*innen, die in Büros arbeiteten, vertraute Metaphern bieten.

Das Anthropozän als neue, vom Menschen markierte geologische Epoche ist vielen ein Begriff. Eine andere, neue Zeitrechnung hat seit 2012 begonnen: Die Zettabyte-Ära. Ein Zettabyte entspricht 1021 Bytes, was natürlich eine Zahl ist, die man sich kaum vorstellen kann. Die Wikipedia (die, im Kontext dieses Artikels besonders lustig, manchmal liebevoll „allwissende Müllhalde“ genannt wird) zieht einen Vergleich heran: Wenn ein Terabyte einem Kilometer entspräche, wäre ein Zetabyte 1.300 mal die Strecke von der Erde bis zum Mond. Ein oder zwei Tera­byte ist das Speichervermögen einer halbwegs modernen Festplatte. 

Während 2012 ein Zettabyte an Daten vorlag, waren es 2019 schon 41, letztes Jahr 59, und dieses Jahr werden laut einer Schätzung der Statistik-Website Statista1 74 Zettabyte an Daten existieren. 2016 wurde das erste Mal ein Zettabyte Daten über das Internet übertragen. Der Großteil dieser Daten stammt von Video­streaming-Diensten wie Youtube oder Netflix. Die immer größere Datenmenge wird uns in Zukunft vor gewaltige Herausforderungen stellen, denn sie verbraucht Ressourcen für Speichermedien und Energie. Aber wie viel von den produzierten Daten ist eigentlich Datenmüll?

Diese Frage zu beantworten, ist gar nicht so einfach, denn so genau ist Datenmüll gar nicht definierbar. Bei einer Gattung von digitalem Abfall ist es wohl klar: Spam- oder Junkmails mag niemand. Unverlangt zugeschickte Werbung für Potenzpillen, günstige Kredite oder vermeintliche Lotteriegewinne verstopfen unsere Postfächer. Obwohl viele E-Mail-Dienste mittlerweile sehr gute Spamfilter entwickelt haben und sich die Endnutzer*innen oft nur wenig mit Junkmails beschäftigen müssen, hat das Phänomen Effekte: Der Versand von E-Mails verbraucht Energie und Speicherplatz. Im März 2021 waren laut Statista2 jedoch „nur“ noch 45 Prozent aller versandten E-Mails Spam – der Anteil ist zurückgegangen, 2014 lag er über 70 Prozent. Die Zahlen variieren jedoch je nach Quelle, sodass es schwierig ist, einen wirklichen Überblick über das Phänomen zu bekommen.

Zu Hause oder in der Cloud?

Was ist mit all den anderen Daten, die auf Festplatten, auf Smartphones und in Clouds schlummern? Die meisten von uns beschäftigen sich wohl erst dann mit überflüssigen Dateien, wenn der Speicherplatz knapp wird. Die meisten Betriebssysteme, sowohl am Rechner wie auch auf dem Smartphone, schlagen dann einige Dateien vor, die gelöscht werden können. Es handelt sich meistens um „temporäre Dateien“, automatisch erstellte Miniaturansichten von Fotos oder dem Cache des Browsers – Elemente also, von denen wir meist nicht wussten, dass sie sich auf unseren Geräten befinden oder warum wir sie (nicht) brauchten.

Die bereits erwähnten Handyfotos verbrauchen oft viel Speicherplatz. Vermutlich nicht nur, weil wir alle sehr daran gewöhnt sind, viele Schnappschüsse zu machen, sondern auch, weil wir „zur Sicherheit“ mehrere Fotos von ein und demselben Motiv machen. Solange diese Fotos auf ein und demselben Gerät bleiben, ist das eigentlich kein Problem. In der Betriebswirtschaft würde man sagen: Die Kosten sind „sprungfix“. Das heißt, es kostet erst mehr, wenn man sich zum Beispiel eine neue externe Festplatte kauft, um Fotos oder andere Dateien zu archivieren. Das gilt auch für die Umweltfolgen: Solange kein neues Speichermedium hergestellt werden muss, ist nur der Stromverbrauch relevant.

Doch: Viele Daten, die wir täglich produzieren, bleiben nicht einfach nur auf einem Gerät, sondern landen in der sogenannten Cloud, also in den Rechenzentren von meist großen Firmen. Als Nutzer*innen müssen wir uns dann (meistens) nicht mehr darum sorgen, dass uns der Speicherplatz ausgeht, geben in gewisser Weise aber auch die Hoheit über unsere Daten ab. Wenn morgen Google, Apple oder Dropbox entscheidet, dass unsere Daten „Müll“ seien, verschwinden sie. Es gibt zwar genug Gründe, daran zu glauben, dass das nicht einfach so passieren wird, aber ein gesundes Misstrauen ist dennoch angebracht.

Da die Internetgiganten keine Daten, die ihnen anvertraut worden sind, verlieren wollen, machen sie natürlich Backups. Das vergrößert den Umweltimpakt tendenziell zwar gegenüber einer einzigen Kopie auf einer privaten Festplatt, aber es ist unklar, ob dieser nicht von den Vorteilen, die ein Rechenzentrum bietet, wieder wettgemacht wird: Da es sich um kommerzielle Anwendungen handelt, wird vermutlich versucht, so effizient – oder kostengünstig – wie möglich zu handeln. 

Die Cloud – die ökologischere Alternative zum Heimarchiv? Hier fehlt die Transparenz. Zuhause kann ich meinen Stromverbrauch messen, die nicht genutzte externe Festplatte abstecken, während im Rechenzentrum eines Cloud-Anbieters die Server durchgehend laufen und wir selten wirklich einen Einblick erhalten, ob „grüner“ Strom bezogen wird. Im Endeffekt ist es die Masse, die das Problem macht: Wenn wir alle im Urlaub zwanzig Fotos von der gleichen Tourist*innenfalle machen und die in die Cloud laden, sind auch die großen, effizienten Server in den Rechenzentren irgendwann voll. Dadurch, dass sie ständig laufen, müssen die Festplatten öfters ausgewechselt werden, und durch den Datenmüll entsteht jede Menge handfester Elektroschrott.

Eine Aktivität, die jedoch sicher mehr Energie verbraucht als die Speicherung von Dateien im Heim-Archiv, ist das Strea­ming. Wenn wir Musik bei Spotify hören oder Filme bei Netflix anschauen, kostet das jedes Mal Energie, denn die Daten müssen ja übertragen werden. Wer sich eine MP3 anhört, muss die jedoch nur ein einziges Mal herunterladen. Allerdings: In manchen Medienberichten wurde der Energieverbrauch durchs Strea­ming maßlos überschätzt. Wie das deutsche IT-Magazin ct berechnet hat, spielt beim Videostreaming vor allem die Größe des Bildschirms eine Rolle: Ob man eine DVD oder einen Netflix-Film auf einem großen Plasmabildschirm anschaut, macht keinen großen Unterschied.3 Bei der Musik mag das anders sein, die Effekte sind jedoch viel kleiner als beispielsweise eine Autofahrt.

Der tägliche Datenmüll aus dem Web

Ein Datenmüll-Phänomen wird von vielen Menschen vielleicht gar nicht so empfunden, ist jedoch sehr real: moderne Websites. Galt in den Urzeiten des Internets, als man sich mühevoll mittels lärmender Modems4 über die Telefonleitung einwählen musste, bei Webdesigner*innen der Grundsatz, durch Datensparsamkeit für einen schnellstmöglichen Seitenaufbau zu sorgen, so ist diese Philosophie mit dem Aufkommen von Breitbandverbindungen über Bord geworfen worden. Der Erfolg von Google als Suchmaschine lag nicht nur an den guten Ergebnissen, sondern zum Teil auch daran, dass die schnörkellose Seite schnell geladen war.

Heute werden die Besucher*innen von Websites nicht selten von Videos oder großformatigen Fotos begrüßt. Im Hintergrund laufen jede Menge Scripte, die alles ein wenig bunter und interaktiver machen und natürlich dafür sorgen, dass Internetriesen wie Google oder Facebook uns auf Schritt und Tritt verfolgen können und auch die Websitenbetreiber*innen (Stichwort Cookies) einiges über uns erfahren. Das Einbinden von zunehmend aufdringlicher Werbung tut sein Übriges, um Websites unnötig aufzublasen.

Natürlich sollen die Möglichkeiten des technischen Fortschrittes genutzt werden, aber viel von dem Schnickschnack, der auf Websites angezeigt wird, ist wenig sinnvoll und verbraucht Speicherplatz und Bandbreite. Eine Analyse des Statistik-Anbieters Pingdom5 aus dem Jahr 2018 zeigte, dass die Top 1.000-Websites im Durchschnitt 2,07 Megabyte groß waren – ihr Inhalt würde also nicht einmal mehr auf eine Diskette6 passen. 2010 war die durchschnittliche Website nur 0,45 Megabyte groß. Hinzu kommt, dass viele der meistgenutzten Seiten (und Apps) endloses Scrollen ermöglichen: Inhalte wie Bilder oder Videos werden ständig nachgeladen, um ein möglichst flüssiges (oder: süchtig machendes) Nutzer*innenerlebnis zu gewährleisten.

Wie das anders geht, zeigt das Low tech magazine7: Deren Website läuft nur dann, wenn am Balkon des Betreibers in Barcelona die Sonne scheint; denn sie ist solarbetrieben. Wenn die verwendete Batterie leer ist, ist die Seite offline. Um möglichst ressourcenschonend zu arbeiten, ist die Website darauf optimiert, möglichst klein zu sein: Keine dynamischen Inhalte, komprimierte Bilder, Standardschrift, kein Logo. Die Gefahr, bei schlechtem Wetter nicht erreichbar zu sein, ist für viele Websites keine Option – aber die Kunst, möglichst kleine und gut komprimierte Websites zu bauen, sollte auch aus Umweltschutzgründen wieder eine Renaissance erleben.

Bis dahin können die Nutzer*innen entweder Däumchen drehen oder die Tools der digitalen Selbstverteidigung nutzen, frei nach dem Motto Adblocking for Future. Wer sich mit Werbeblockern oder Plug-ins, die das Tracking durch Internet­riesen vermeiden sollen, ausrüstet, sorgt damit auch für weniger Datenverkehr. Das ist zwar nicht mehr als ein sehr kleiner Tropfen auf einen sehr heißen Stein, könnte irgendwann jedoch zu einem Umdenken führen.

Datenmüll, der irgendwo auf einer Festplatte oder einem USB-Stick schlummert, ist tendenziell kein Umweltproblem, solange man sich nicht ständig neue Geräte kauft (und die den ganzen Tag laufen lässt). Zum Problem werden doppelte Fotos, nie wieder angeschaute verwackelte Konzertvideos und stundenlange Sprachnachrichten dann, wenn sie in der Cloud landen und dort ständig verfügbar sein müssen. Wer dafür sorgen will, dass die eigene Datenproduktion nicht zu einem potenziellen Umweltproblem führt, kann die automatische Synchronisierung mit der Cloud abstellen und sich vor dem Hochladen genau überlegen, was denn nun wirklich auf den Festplatten anderer Leute (bzw. denen von Internetgiganten) gespeichert werden muss. Dazu gehört vielleicht auch, sich von verwackelten Konzertvideos zu verabschieden. Dieser Prozess hat außerdem den angenehmen Nebeneffekt, dass höchstprivate Daten nicht in Hände gelangen können, in die sie nicht gehören.  

  1. https://www.cloverdx.com/blog/how-much-data-will-the-world-produce-in-2021 (alle Internetseiten, auf die in diesem Beitrag hingewiesen wird, wurden zuletzt am 22. September 2021 aufgerufen). 
  2. https://www.statista.com/statistics/420391/spam-email-traffic-share/
  3. https://www.heise.de/ct/artikel/Streamen-ohne-Schuldgefuehle-Was-Nutzer-fuer-den-Klimaschutz-tun-koennen-4665976.html
  4. Anmerkung für jene, die das Internet noch nicht so lange nutzen: Telefonmodems, wie sie Ende der 1990er und Anfang der 2000er-Jahre in Gebrauch waren, haben beim Einwählen eine grandiose Kackophonie aus Pfeif-, Rausch- und Piepgeräuschen von sich gegeben, bevor man „online“ war. Eine Kostprobe kann man auf Youtube hören: https://www.youtube.com/watch?v=gsNaR6FRuO0
  5. https://www.pingdom.com/blog/webpages-are-getting-larger-every-year-and-heres-why-it-matters/ 
  6. Heute vor allem als das „Speichern“-Symbol bekannt, waren Disketten mal ein günstiges und handliches magnetisches Speichermedium.
  7. https://solar.lowtechmagazine.com/about.html

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