Liebe Freund*innen!
Wenn Sie diese Zeilen lesen, herrscht in Europa seit einer Woche Krieg. Selbstverständlich gehörte das Wort „unfassbar“ am vergangenen Donnerstag, dem 24. Februar, zu den meist gehörten. Noch unfassbarer als der Kriegsbeginn, der alles andere als überraschend kam, war indes das globale Zögern in Bezug auf Sanktionen. Bis zuletzt spielte Europa die Rolle des Dürrenmattschen Biedermanns, der dem Brandstifter Russland auch noch den Tee reichte. Bis zuletzt hielten die Deutschen an Nordstream 2 fest, und bis zum Sonntag, drei Tage nach der russischen Invasion in die Ukraine, klebten zwei ehemalige LSAP-Top-Politiker an ihren Aufsichtsratssesseln im russischen Unternehmen Sistema (Etienne Schneider) und bei der russischen East West United Bank (Jeannot Krecké). Ein Magazin wie forum, das nur alle zwei Monate erscheint, muss zu diesem Anlass auf Beiträge, die sich auf die Tagesaktualität beziehen, verzichten. Wir können versuchen, in den kommenden Monaten historische und geopolitische Hintergrundanalysen beizutragen, aber wir werden im Heft, mit seiner relativ langen Produktionszeit, nicht tagespolitisch intervenieren. Für solche Art von Intervention haben wir unsere neue Rubrik forum+ (www.forum.lu/forumplus), in der wir letzte Woche Freitag den Augenzeugenbericht von Daniel Porcedda von den ersten beiden Kriegstagen aus Kiew veröffentlicht haben. Ansonsten können wir in diesem Moment, in dem in der Ukraine die Menschen um ihr Leben fürchten oder aber längst aus ihrer Heimat geflüchtet sind, nicht viel tun. Außer wie jeder Mensch, der halbwegs bei Sinnen ist, für das Beste – je nach Präferenz – beten oder hoffen. Wer spenden möchte, um die Ukrainer*innen zu unterstützen, wird zahlreiche Möglichkeiten finden. Eine davon zum Beispiel auf der Seite caritas.lu. Was wir noch tun können? Die anderen Orte russischen Großmachtstrebens nicht aus dem Auge verlieren. Die Menschenrechtsorganisation ACAT konzentriert sich in diesem Monat in ihrer Kampagne und in ihren Veranstaltungen und Aktivitäten auf Belarus; wir bringen ab Seite 12 einen Text von Philippe Schockweiler über den Fall Raman Pratassewitsch.
Die eben angesprochene neue Online-Rubrik forum+ hat sich in den letzten beiden Monaten zu einer erhellenden Spielwiese für Interventionen unterschiedlicher Art entwickelt. Paul Rauchs, Marc Baum, Claude P. Muller und Jean-Paul Nicolay haben sich zur Impfpflicht geäußert, Michel Cames zum parteipolitischen Neuzugang namens Fokus, und Anna-Lena Högenauer hat darüber aufgeklärt, was eigentlich ein Plagiat ist. Das waren alles Beiträge, die ein wunderbares Edito in forum abgegeben hätten. Aber, da forum ja nur noch alle zwei Monate erscheint und wir einfach keine Lust dazu haben, brillante Texte in der Schublade zurückzubehalten, haben wir in der Redaktion entschieden, dass wir im Heft kein Edito mehr abdrucken, dafür aber diese sehr aktualitätsbezogenen Einlassungen auf forum+ veröffentlichen. Sollten Sie weder bei Facebook oder Instagram noch bei Twitter angemeldet sein, wo wir über jeden neuen Text auf forum+ informieren, so schauen sie doch einfach dienstags und donnerstags auf unserer Internetseite vorbei. Unter „Aktuelles“ und unter der Rubrik „forum+“ finden Sie immer die neuesten Beiträge. Jede Woche erscheint dort einer, manchmal zwei. Ein Besuch auf der Homepage lohnt sich ohnehin: Seit diesem Jahr bringen Viviane Thill und Yves Steichen dort nämlich immer mittwochs ihre kenntnisreichen Analysen zu aktuellen Filmen oder Serien. Wer Thills und Steichens 2017 gegründete Rubrik „forum_C“ noch nicht kennt: Unter www.forum.lu/forum_c finden Sie das komplette Archiv dieses cinephilen Leckerbissens.
Ein Leckerbissen sollte auch die Eröffnung von Esch2022 sein, der großen partizipativen Show im Remix-Format zum Mitmachen und Miträtseln. Am vergangenen Samstag war es dann so weit, und nun lasst uns mal nicht so tun, als hätte der Krieg in der Ukraine den Organisator*innen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Das haben die ganz allein vollbracht. Merkwürdigerweise drehte sich in den Tagen vor der Eröffnung des europäischen Kulturhauptstadtjahres der ganze Diskurs um eine Rakete. Es ging in den Verlautbarungen der Verantwortlichen nicht um Künstler*innen oder Bürger*innen, nicht um Themen und Formate, es ging um eine verdammte Rakete. Das Tamtam, das im Vorfeld darum gemacht wurde, steht symptomatisch für die totale Eventisierung der Kultur, bei der am Ende nicht einmal mehr das umjubelte Surrogat in die Luft steigt. Als Nancy Braun einige Tage vor der Eröffnung in einer Diskussionsrunde auf Radio 100,7 zu bedenken gab, man müsse auch mal den Begriff der Kultur klären, kam kurz Hoffnung auf; Braun beließ es aber bei diesem Hinweis, um dann ganz schnell zum Lieblingsbegriff der Esch2022er*innen zu kommen: dem P-Wort. Irgendwann begann ich unweigerlich zu zählen, wie oft Braun es schaffen würde, das Wort „Partizipation“ in einer Minute Redezeit unterzubringen. Die in die Runde eingeladenen Kritiker reizten ihre Rollen leider nicht ganz aus, weil der eine unterinformiert war (was, das gab Braun zu, auch an der noch nicht ganz ausgereiften Internetseite von Esch2022 gelegen haben könnte – zur Erinnerung: die Sendung lief sechs Tage vor der Eröffnung), und der andere ganz generell nichts von kulturellen Großevents hielt und seine kulturpessimistische Generalkritik an Braun abperlte wie ein Tropfen Öl an einer Teflonpfanne. Die nächsten Wochen und Monate werden zeigen, wie ernst es den Organisator*innen mit der Partizipation ist und was diese überhaupt bedeutet. Denn bis heute weiß keiner so recht, wer sich wie und wann und wieso und in welcher Form überhaupt woran partizipieren kann. Sobald das klar ist, wird auch forum – vielleicht – über Esch2022 schreiben. Momentan wollen wir es hierbei belassen.
Stichwort Veranstaltungen: Nach unserem ersten public forum im Januar, das zum Thema „Kooperationspolitik“ in den hauptstädtischen Rotondes stattfand und das Sie auf unserer Internetseite nachschauen können, sind wir nun dabei, die nächsten beiden Debatten vorzubereiten. Am 11. April geht es – erneut in den Rotondes – um das Thema, das in diesem Monat Gegenstand unseres Dossiers ist: um das Grundeigentum. Und nur 15 Tage später, am 26. April, organisieren wir im Rahmen der LiteraTour gemeinsam mit den Bettemburgern ein Gespräch zwischen Jean-Claude Juncker und dem niederländischen Publizisten Geert Mak zu der Frage „Was bleibt vom europäischen Traum?“ Der Abend wird moderiert von Caroline Mart. Die Veranstaltung findet übrigens nicht nur statt im Rahmen der mittlerweile (dank Laurent Zeimet) legendären LiteraTour, sondern auch im Rahmen von Esch2022; und wir versprechen Ihnen, dass wir dabei keine Rakete zünden wollen und dass wir den Begriff Partizipation für uns geklärt haben. Sie müssen keine Rätsel zum Rauchverhalten von Juncker oder dem Seitenausstoß pro Jahr von Geert Mak lösen. Sie müssen nur kommen und bitte während der und im Anschluss an die Veranstaltung ordentlich mitdiskutieren.
Wir wünschen Ihnen eine friedliche Zeit in Zeiten des Krieges.
Ihr
Henning Marmulla
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