„The Batman“ von Matt Reeves

Eine glückliche Hand konnte man der Produktionsfirma Warner bis dato beim Ausbau ihres Superheldenuniversums wahrlich nicht attestieren – zumindest nicht im direkten Vergleich zum Hauptkonkurrenten, dem Marvel Cinematic Universe (MCU). Den wenigen künstlerischen und kommerziellen Höhepunkten wie Wonder Woman (Patty Jenkins, 2017) und Joker (Todd Phillips, 2019) steht eine beachtliche Serie an kostspieligen Flops gegenüber – etwa Batman v Superman: Dawn of Justice (Zack Snyder, 2016), Justice League (Joss Whedon, 2017) und Birds of Prey (Cathy Yan, 2020), um nur drei hervorzuheben –, die Kritiker*innen und Fans regelmäßig darüber staunen lassen, wie wenig Warner und DC Films offenkundig mit ihrer hochkarätigen, populärkulturell relevanten Superheldenarmada anzufangen wissen.
❝Nicht nur auf Grund der üppigen – und oft kritisierten – Lauflänge von fast drei Stunden wirkt alles an The Batman (im positiven Sinne) obskurer, gedämpfter, resignativer und geerdeter.❞
Noch kurioser ist allerdings die Tatsache, dass manche dieser Produktionen, wie etwa Joker oder The Batman, zwar auf etablierte Figuren des DC Extended Universe (DCEU) zurückgreifen, gleichzeitig aber gar nicht Teil dieses DCEU sind – sie fungieren als eigenständige Filme, die ihrerseits ein in sich geschlossenes filmisches Universum aufbauen sollen. Das Resultat: Ein- und dieselbe Comicfigur wird im DC-Kino von unterschiedlichen Schauspieler*innen verkörpert, ein Umstand, den man inzwischen allerdings auch von Sony/Marvels vielen Spiderman-Reinkarnationen kennt.

In The Batman (Matt Reeves, 2022) übernimmt der Brite Robert Pattinson nun die Haupt- und Titelrolle, nach (u.a.) Adam West, Michael Keaton, Val Kilmer, George Clooney, Christian Bale und Ben Affleck. So faszinierend der zuletzt immer ambivalenter und zerrissener gezeichnete (Anti-)Held im ganzkörpergepanzerten Fledermauskostüm auch sein mag, drängt sich doch inzwischen die Frage auf: Wie oft kann und möchte Hollywood diese Figur zum wiederholten Male filmisch neu erfinden – und welche Facetten kann man ihr überhaupt noch abgewinnen? Nachdem Christopher Nolan (u.a. The Dark Knight, 2008) und Zack Snyder den maskierten Rächer und Verbrechensbekämpfer zwischenzeitlich zum martialisch auftretenden High-Tech-Ritter hochgerüstet hatten, schaltet Autor und Regisseur Matt Reeves (u.a. Cloverfield, 2008 und Dawn of the Planet of the Apes, 2014) hier wieder einige Gänge zurück und legt das Augenmerk mehr auf die kriminologischen und detektivischen Fähigkeiten des Fledermausmanns.
Nicht nur auf Grund der üppigen – und oft kritisierten – Lauflänge von fast drei Stunden wirkt alles an The Batman (im positiven Sinne) obskurer, gedämpfter, resignativer und geerdeter.

Stilistisch und architektonisch bedient sich Reeves zwar bei Tim Burton und dessen Achtziger-Jahre-Gothic-Flair (Batman, 1989), lässt aber gleichzeitig das Überdrehte, das Fantasievoll-Burleske außen vor. Batmans Spielwiese, die fiktive Millionenstadt Gotham, erscheint hier als fauler, verregneter und korrupter Moloch, in dem Verbrechen und Gewalt zur Alltäglichkeit geworden sind – trotz der Präsenz eines maskierten Rächers, der mehr oder weniger offiziell mit der Polizei zusammenarbeitet. Inspiration fand Reeves daneben offensichtlich auch bei der Videospielreihe Max Payne (seit 2001), bei Neo-Noir-Filmen wie David Finchers kompromisslosem Serienmörderthriller Se7en (1995), sowie beim Subgenre der sogenannten Torture Porn-Horrorfilme, die nach dem Low-Budget-Erfolg von Saw (James Wan, 2004) für einige Jahre Konjunktur im Kino feierten; visuell (Kamera: Greig Fraser) pendelt The Batman dementsprechend zwischen bildgewaltig und außergewöhnlich finster. Bis auf wenige Ausnahmen bewegen sich alle Figuren im Schatten, im wörtlichen wie im übertragenen Sinne – Batman konstatiert sogar: „I am the shadows“.

In Gotham City brodelt es, mehr noch als gewöhnlich. Ein Serienmörder geht um – er tötet, einen nach dem anderen, die politischen, institutionellen und gesellschaftlichen Würdenträger der Stadt und hinterlässt rätselhafte Nachrichten an den Tatorten. In Videobotschaften, die er über das Internet verbreitet, sagt der „Riddler“ (Paul Dano), so sein Spitzname, der durch und durch korrupten Stadt und ihren Autoritäten den Kampf an, er fordert das „Ende der Lügen“, des Machtmissbrauchs, des Klüngels, der Unmoral. Zusammen mit Lieutenant James Gordon (Jeffrey Wright) geht Bruce Wayne/Batman der Mordserie nach, und erhält dabei auch Unterstützung von der Martial-Arts-erprobten Diebin Selina Kyle/Catwoman (Zoë Kravitz), die ihrerseits das Verschwinden ihrer Freundin aufklären möchte. Über Umwege landen beide bei Clubbesitzer Oswald „Pinguin“ Cobblepot (Colin Farrell!) und Mafiaboss Carmine Falcone (John Turturro), der im Schatten agierende, allmächtige Pate der Stadt. Allmählich gerät aber auch Bruce Waynes/Batmans Selbstverständnis ins Wanken, als er Verbindungen zwischen den Unterweltgrößen und seinem eigenen Vater entdeckt…

Robert Pattinsons Batman ist jünger als seine Vorgänger, und gewissermaßen noch ein Anfänger. Zwar ist er seit zwei Jahren im Dienst, doch so richtig souverän wirkt sein Auftreten nicht immer, von ungelenken Flugeinlagen – einschließlich sehr harter Landung – bis zu Gegnern, die ihn an seinem Cape über den Boden schleifen. Überhaupt scheint dieser Bruce Wayne/Batman (ob mit oder ohne Kostümierung) ein ziemlicher Sonderling zu sein, psychologisch instabil, sich seiner Motivationen und Zielsetzungen im Unklaren, zugleich menschenscheu und voyeuristisch-intrusiv.
❝Reeves stellt die selbstgewählte und -gerechte Mission des „Riddler“ als Heilsbringer jener des Batman gegenüber, und reflektiert so die unterschiedlichen Konzeptionen von Selbstjustiz, die beide Protagonisten vertreten […].❞
Das alles erinnert ein bisschen an Michael Keatons Inkarnation von Bruce Wayne/Batman, der in seinen besten Momenten auch mal den Joker (Jack Nicholson) mit dem Kaminbesteck angriff – den Wunsch nach moralischer Eindeutigkeit will jedenfalls auch Pattinsons Interpretation der Selbstjustizfigur gar nicht erfüllen. Sein strauchelnder, von Rachefantasien beseelter Batman (einer Horde Schläger stellt er sich mit den Worten „I am vengeance“ vor) ist eine willkommene Abwechslung zum gewohnten hedonistisch-weltentrückten Playboygehabe – und zum Glück erzählt der Film nicht zum gefühlt hundertsten Mal, wie Bruce Wayne zum Vollwaise wurde, sondern setzt dieses Wissen voraus.
Wie die meisten Superhelden ist auch Batman nur so gut bzw. furchteinflößend, wie die Gegner, die er bekämpft – und in dieser Beziehung schlägt Reeves einen interessanten Weg ein. Reflektierten die Filme der Nolan-Trilogie (2005-2012) noch das Klima politischer Desorientierung und tiefgreifender Unsicherheit, das die westliche Welt nach 9/11 erfasste, mit Gegenspielern wie dem Joker (Heath Ledger), die weder eine dezidiert kriminelle noch eine politische Agenda haben, sondern Gotham in ein zivilisatorisches Chaos stürzen möchten, so arbeitet sich The Batman an dem Gefühl fundamentalen Misstrauens und an den Verschwörungserzählungen gegenüber „denen da oben“, also den Eliten, dem Staat, seinen Institutionen und Repräsentant*innen, ab, die derzeit zahlreiche westlichen Gesellschaften befallen haben (und 2016 dem Republikaner Donald Trump den Einzug in das Weiße Haus ermöglichten).

Paul Danos fetischhaft kostümierter und mit verfremdeter Stimme sprechender „Riddler“, bei dem selbst das Herumhantieren mit Klebeband und Handwerkszeug eine bedrohliche Note bekommt, erscheint als der Prototyp jener gesichtsloser Nobodies (bzw. Incels), die sich im Verborgenen radikalisieren und schließlich als Speerspitze einer vermeintlichen Befreiungsbewegung wähnen, die zu Gewalttaten greifen muss, um endlich Gutes zu tun, um Korruption und Filz auszumerzen. Reeves stellt die selbstgewählte und -gerechte Mission des „Riddler“ als Heilsbringer jener des Batman gegenüber, und reflektiert so die unterschiedlichen Konzeptionen von Selbstjustiz, die beide Protagonisten vertreten – wenngleich an den gegenüberliegenden Enden des ethischen Spektrums. Wie gerecht kann Gerechtigkeit sein, wenn sich beide Protagonisten außerhalb der Jurisdiktion bewegen und Rache ihr vereinendes Element ist?
Diese Art der filmischen Auseinandersetzung mit bzw. Dekonstruktion der „DNA“ der Batman-Figur, ihren Motiven, Gesinnungen und politischen Positionen, ist gewiss nicht neu – die Radikalität, mit der Reeves ihren persönlichem Nihilismus und ihre Ambivalenzen ergründet, ohne den Verschwörungsideolog*innen dabei in die Hände zu spielen, hebt The Batman aber zweifelsohne über das Mittelmaß der allermeisten Superheldenfilme hinaus; einzig eine Lauflänge von drei Stunden wäre dafür nicht zwingend nötig gewesen.
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