Fallhöhe
Der folgende Text enthält leichte Spoiler.
In Jordan Peeles Debütfilm Get out (2017) besucht ein afroamerikanischer Fotograf (Daniel Kaluuya) zum ersten Mal die Schwiegereltern seiner weißen Freundin auf einem Landsitz in der Provinz. Dort stößt er auf einen rassistischen Medizinkult, deren Mitglieder das Bewusstsein gebrechlicher weißer Wohlstandsbürger*innen in die potenten Körper junger Schwarzer transplantieren, um dadurch die eigene Lebensdauer zu verlängern. Regisseur und Autor Peele lenkte in Get Out den Zuschauerblick geschickt auf eine unterschwellige Form von Alltagsrassismus: Die Schwiegereltern sind keine einfältigen White-Power-Anhänger, sondern gebildete und geachtete, bemüht progressistisch auftretende Linksliberale, in deren Geist die kolonialen Weltanschauungen von früher weiterschlummern. Rückblickend war Get Out auch der richtige Film zur richtigen Zeit: Peele fand eindringliche Bilder für die Marginalisierung und Ausbeutung der Schwarzen Bevölkerung und Kultur in den USA, Themen, die zu einem wiederkehrenden Motiv in seiner Filmographie wurden.

Mit Get Out überraschte Peele, Jahrgang 1979, Kritiker*innen wie Publikum gleichermaßen. Peele, der bis dato vor allem als Drehbuchautor und Comedian in Erscheinung getreten war (unter anderem in MADtv, 2003, sowie als Teil des Sketch-Duos Key & Peele in der gleichnamigen Fernsehserie auf Comedy Central, von 2012 bis 2015) erwies sich auf einmal als versierter Kenner des Horrorkinos, der scheinbar mühelos mit den Versatzstücken und Konventionen des Genres zu jonglieren wusste – und es obendrein verstand, sie mit scharfer Sozialkritik zu paaren. Aus dem Stand wurde der New Yorker Filmemacher als einer der einflussreichsten Horrorfilmregisseure der Gegenwart gehandelt – womit freilich auch sehr hohe Erwartungen an seine Nachfolgewerke einhergingen.
In seinem zweiten Film Us (2019) trifft eine afroamerikanische Familie auf ihre rachsüchtigen Doppelgänger, die, zusammen mit Millionen anderen Schattenexistenzen, jahrzehntelang in einem komplexen Tunnelsystem unter der Erdoberfläche ihr Dasein fristen mussten. Us geriet erkennbar ambitionierter und größer als Get Out, und obwohl der Film ebenfalls als äußerst wirkungsvoller Horrorthriller funktionierte, erwies er sich in der Deutung bereits als sperriger und unentschlossener als der Vorgänger. Wer waren diese Anderen, die aus dem Untergrund unserer Existenz emporkrochen und Chaos verbreiteten? Verkörperten sie das Unterbewusste oder standen auch sie für die Marginalisierten und Ausgebeuteten, auf deren Rücken die westliche Zivilisation zu Status, Fortschritt und Wohlstand gelangte? Eindeutige Antworten lieferte Peele nicht – auch nicht in der Schlusssequenz, in der seine Vorliebe für die Populärkultur und mediale Ästhetik und der achtziger und neunziger Jahre zum Vorschein kam.

In Nope scheint sich diese Tendenz nun fortzusetzen. Ausgestattet mit einem (für Genrefilme) recht hohen Budget von 68 Mio. US-Dollar, gegenüber 20 Mio. US-Dollar für Us, fährt Peele hier noch größere Geschütze auf und verortet seine dritte Regiearbeit an der Schnittstelle zwischen Horror, Science-Fiction und Neowestern – mit den nochmals gewachsenen Ambitionen büßt Nope aber auch weiter an jener erzählerischen Stringenz und Fokussierung ein, die Get Out noch auszeichneten.
I will make you a spectacle
Nope wird eröffnet mit einem alttestamentarischen Bibelvers (Nahum 3:6 – I will cast abominable filth upon you, make you vile, and make you a spectacle), und wie so oft bei diesen aus dem Entstehungskontext gerissenen Eröffnungszitaten, weiß man als Zuschauer*in natürlich auf Anhieb nicht so recht, wohin damit. Immerhin deutet sich an, zusammen mit den ersten Bild- und Tonfetzen: Es geht um Spektakel, um Show, um Sehen und Gesehen werden. Aus dem Off hören wir Gespräche, die an Filmdialoge erinnern, dann folgen Aufnahmen eines verwüsteten Sitcom-Sets, in dem ein blutverschmierter Schimpanse neben einem leblosen Frauenkörper hockt.

Später wird Peele diesen Handlungsstrang wieder aufnehmen, doch zunächst geht es um das ungleiche Geschwisterpaar OJ (Daniel Kaluuya) und Emerald Haywood (Keke Palmer), die in Kalifornien eine Ranch für die Dressur von Filmpferden betreiben. Doch das Geschäft läuft schlecht: Nach dem Tod ihres Vaters, der gleich zu Beginn stirbt, als Münzen und Schlüssel wie Projektile über der Familienranch niederregnen und ihn tödlich am Auge verletzen, fassen die Geschwister nur schwer Fuß im Hollywoodbusiness. Während Emerald („Em“) extrovertiert bis zum Gehtnichtmehr ist, und die Filmproduktionen als Bühne nutzt, um Werbung für ihre Talente zu machen, ist OJ das genaue Gegenteil. Lakonisch, fokussiert und schüchtern, gelingt es ihm nicht, der aufdringlichen Filmcrew die Benimmregeln im Umgang mit den Pferden einzutrichtern – nachdem ein Crewmitglied das Filmpferd mit einem Spiegel erschrickt, bockt es, und die beiden Geschwister verlieren den Auftrag. Dabei liegt die Verbindung zum Kino quasi in der Familie: Der Ur-Ur-Urgroßvater der Haywoods soll jener Schwarze Jockey aus Eadweard Muybridges zweisekündiger Bewegtbildsequenz The Horse in Motion von 1878 gewesen sein. Doch während der Name des Pferdes überliefert ist („Sallie Gardner“), ist der mutmaßlich afroamerikanische Jockey der Vergessenheit anheimgefallen – in Nope erhält er sozusagen eine fiktionalisierte Biografie.
❝Jordan Peeles dritte Regiearbeit ist dermaßen vollgepackt mit filmischen Referenzen, Ideen und Themen, dass man gar nicht recht weiß, worauf man sich fokussieren soll.❞
Just als die Haywoods laut darüber nachdenken, Ranch und Pferde zu verkaufen, bemerken sie ein mysteriöses Naturschauspiel über ihrem Anwesen. Eine einzelne Cumulus-Wolke scheint sich nicht von der Stelle zu bewegen, kurze Zeit später glaubt OJ ein UFO-ähnliches Objekt zwischen den Wolken herumfliegen zu sehen, das sich nachts Tiere, Gegenstände – und Menschen – einzuverleiben scheint. Die Geschwister wittern ihre Chance: Zusammen mit dem etwas instabilen Elektromarktverkäufer Angel (Brandon Perea), später auch mit dem gefeierten Kameramann und Dokumentarfilmer Antlers Holst (Michael Wincott), wollen OJ und Em das fliegende UFO-Wesen mit der Kamera einfangen, es auf Film bannen, um die Aufnahmen als Money- bzw. Oprah-Shot für viel Geld zu kommerzialisieren.

Parallel dazu erzählt Peele aber auch die Geschichte des ehemaligen Kinderstars Ricky „Jupe“ Park (Steven Yeun), der in der Nähe der Haywood-Ranch einen Westernpark („Jupiter’s Claim“) unterhält. In Rückblenden erfahren wir, dass Ricky als Einziger das Massaker auf dem Filmset der (fiktiven) 90s-Sitcom Gordy’s Home überlebt hat. Seinerzeit wurde einer jener Schimpansen, die die tierische Hauptfigur Gordy verkörperten, durch einen platzenden Luftballon aufgescheucht, so dass dieser durchdrehte und die gesamte Crew einschließlich der Schauspieler*innen angriff – bis auf Ricky, der, hinter einer transparenten Küchenplane versteckt, den Angriff mit Gordy unverletzt überlebte. Den dramatischen Zwischenfall, der seine Karriere als Kinderdarsteller beendete und ihn traumatisiert hinterließ, schlachtet er jetzt in einer Art Gedächtnismuseum aus.
Auch er hat das fliegende Wesen über dem weiten Präriehimmel entdeckt. Beseelt von seinem eigenen Mut und der Annahme, dass ihm, dem einzigen Unversehrten, Naturphänomene nichts anhaben können, organisiert er paranormale Westernshows, in denen er die unbekannte Kreatur mit den Pferden der Haywoods anlocken möchte. Dabei zeigt sich: Wer das Wolkending, das an ein fliegendes Auge oder an einen überdimensionierten Cowboyhut erinnert, zu lange ansieht, wird unweigerlich von ihm aufgesogen und gefressen – unverdauliche Gegenstände wie Schlüssel, Geld, Girlanden und ähnliches spuckt es dabei in einer visuell beeindruckenden, aber doch recht unappetitlichen Sequenz wieder über der Ranch der Haywoods aus. Doch das Quartett bleibt dabei: Sie wollen den Oprah-Shot um jeden Preis, und fordern das Wesen, inzwischen Jean Jacket getauft, zum Duell in der Agua-Dulce-Valley heraus…
Sehen und gesehen werden
Jordan Peeles dritte Regiearbeit ist dermaßen vollgepackt mit filmischen Referenzen, Ideen und Themen, dass man gar nicht recht weiß, worauf man sich fokussieren soll – und auch Peele gelingt es nicht, wie etwa in Get Out, die verschiedenen Thematiken über die Dauer von 130 (insbesondere im Mittelteil und im Finale erstaunlich zähen) Minuten auf einen gemeinsamen aussagekräftigen Nenner zu bringen. Da geht es unter anderem um das Ausklammern der Leistungen afroamerikanischer Darsteller in der US-Kinogeschichte, aber auch um den zweifelhaften, oft unethischen Umgang mit Filmtieren und Kinderdarstellern. Während Peele erstgenanntem Aspekt in Nope selbstbewusst moderne afroamerikanische und asiatisch-stämmige Cowboys entgegensetzt, die sich diesen – auch in filmgeschichtlicher Hinsicht – uramerikanischen Raum wie selbstverständlich aneignen, ist es schon weitaus schwieriger, einen Zusammenhang mit den für filmische Belange ausgebeuteten Tieren und Kinderstars zu sehen.

Daneben scheint Peele aber auch noch von der gegenwärtigen Besessenheit mit Profilierung, medialer Aufmerksamkeit und Unterhaltung erzählen zu wollen – nahezu alle Figuren in Nope gieren auf die eine oder andere Weise nach Ruhm, Erfolg oder Geld, und wollen sich das Himmelwesen zu eigen machen. Steht die allsehende Kreatur ihrerseits sinnbildlich für die Hollywoodsche Unterhaltungsindustrie, die ihre Stars (wie Dressurpferde) kontrolliert und verschlingt, sobald sie sich aufbäumen? Und: Warum bekommt eigentlich niemand außerhalb der Agua-Dulce-Valley etwas mit von den seltsamen Phänomenen?
Get Out, und mit Abstrichen auch Us, funktionierten deshalb so gut, weil sie allem metaphorischen Subtext zum Trotz über eine nachvollziehbare Handlung verfügten. Da man aber in Nope insbesondere über das mysteriöse Flugwesen nichts (wirklich: nichts) erfährt, weder über seine Herkunft noch über seine Motivationen (woran auch eine Transformation im letzten Akt nichts ändert), lässt sich bequemerweise alles Mögliche in es hineininterpretieren – es ist eine beliebte Form des lazy scriptwriting, die die Deutung und die Zusammenhänge des Leinwandgeschehens auf das Publikum verlagert, um so jene erzählerischen Lücken zu füllen und jene Fragen zu beantworten, auf die Peele selbst keine Antworten finden wollte oder konnte. Der Nebeneffekt: einige Zuschauer*innen und Kritiker*innen machen den Film mitunter intelligenter und vielsagender, als er tatsächlich ist.
Wahr ist aber auch: Bei Regisseur*innen, die einen außergewöhnlich gefeierten und erfolgreichen Debütfilm hingelegt haben, gehen Kritik und Publikum wesentlich härter mit den Nachfolgewerken ins Gericht – die Erwartungen sind größer, die Fallhöhe tiefer. Quentin Tarantino (Jackie Brown, 1997), M. Night Shyamalan (The Signs, 2002) oder Patty Jenkins (Wonder Woman 1984, 2020) können ein Lied davon singen.
Auf der Habenseite kann Nope immerhin, wie bereits Get Out und Us, durchweg ausgezeichnete Schauspielleistungen für sich verbuchen; und auch die IMAX-Kamera des niederländischen D.O.P. Hoyte van Hoytema (Interstellar, 2012, Dunkirk, 2017 und Ad Astra, 2019) sorgt für einige visuell beeindruckende Tag- und Nachtaufnahmen, die dem Film über die langen 130 Filmminuten hinweg helfen. Bleibt zu hoffen, dass der zweifellos talentierte und mit politischem Sendungsbewusstsein ausgestattete Peele bei seinem nächsten Film wieder fokussierter zu Werke geht.
Aktuell im Kino.
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