König der Berge
Recht formelhaft, aber eindrucksvoll bebildert und mit sympathischen Charakteren ausgestattet, vermengt der norwegische Regisseur Roar Uthaug in Troll Motive der skandinavischen Folklore mit bekannten Katastrophenfilmszenarien.

Der Konflikt zwischen Zivilisation und Natur, sowie das Unbehagen vor den archaischen, unkontrollierbaren Kräften des Naturreichs, sind wiederkehrende Motive des Fantasy- bzw. Horrorfilms. Sie finden ihren filmischen Ausdruck dort häufig über hybride, mitunter widersprüchliche Mischwesen, denen sowohl Facetten des Menschlichen wie des Monströsen anhaften.
Während diese Ambivalenz bei Lykanthropen (Werwölfen) nach innen gerichtet ist und vor allem psychoanalytisch gelesen wird, reflektiert sie bei „Missing-Link“-Kreaturen wie dem Gill-Man aus Jack Arnolds B-Horrorklassiker Creature from the Black Lagoon (1954) oder King Kong (1933, Regie: Merian C. Cooper, Ernest B. Schoedsack) tiefe Verunsicherungen gegenüber den Erkenntnissen der Evolutionsbiologie (bzw. den Wissenschaften im Allgemeinen) oder den chaotischen, primitiv-gewaltsamen Einbruch einer mystischen Vorzeit in die Moderne.
Einen vergleichbaren Pfad schlägt auch Regisseur Roar Uthaug (u.a. Bølgen/The Wave, 2015 sowie Tomb Raider, 2018) ein – basierend auf nordischer Folklore und Mythologie.
King Kong (c) RKO Pictures LLC Jurassic Park (c) Amblin Entertainment
Bei den von Umweltprotesten begleiteten Bauarbeiten zu einem Eisenbahntunnel im norwegischen Dovre kommt es nach einer Sprengung im Inneren eines Berges zu einem Unglück, bei dem zahlreiche Menschen von Geröllmassen erschlagen werden. Da auf Videoaufnahmen vom Unglücksort auch riesige Fußspuren zu erkennen sind, lässt ein eilig einberufener Krisenstab rund um Premierministerin Berit Moberg (Anneke von der Lippe) auch die junge Paläontologin Nora Tidemann (Ine Marie Wilmann) einfliegen, um den Vorkommnissen nachzugehen. Als die Wissenschaftlerin, zusammen mit dem nerdigen Stabsmitarbeiter Andreas Isaksen (Kim Falck) sowie dem militärischen Kapitän Kristoffer Holm (Mads Sjøgård Pettersen) die Spur des noch unbekannten Wesens im freien Gelände verliert, nehmen sie mit Noras recht schrägem Vater Tobias (Gard B. Eidsvold), der als Einsiedler in der Natur lebt, Kontakt auf, und kommen zu dem Schluss, dass es sich bei der überlebensgroßen Kreatur um einen Troll handeln muss – ein menschenähnliches Fabelwesen, hier aus Erde, Geröll und Stein, dessen Wurzeln in der paganen, vorchristlichen skandinavischen Folklore liegen. Da weder das versammelte Arsenal des norwegischen Militärs noch Noras Rückgriff auf mythologisch tradiertes Wissen (Trolle mögen augenscheinlich keine Kirchenglocken) der Zerstörungswut des übellaunigen Riesen Herr werden, erwägen die politischen Entscheidungsträger gar einen atomaren Schlag gegen die Hauptstadt Oslo…

Nach einem inszenatorisch starken ersten Akt, der einzig darunter leidet, dass der offizielle Trailer zahlreiche Überraschungsmomente bereits vorwegnimmt (seien Sie also gewarnt!), verlieren sich Regisseur Uthaug und sein titelgebender Troll leider in einer sehr formelhaften Erzählstruktur, die nicht nur alle, von internationalen Wegbereitern des Creature-Horror wie bspw. King Kong, Godzilla (1954, Ishirō Honda) und Jurassic Park (1993, Steven Spielberg) erprobten und etablierten Genretropen, übernimmt – sondern gleich auch noch alle deren Logikfehler: Warum schießt das Militär unentwegt auf den Troll, obwohl bereits der allererste Angriff zeigt, dass dies keine Wirkung hat? Warum nimmt niemand das Wort „Troll“ in den Mund, obwohl nach zwanzig Minuten klar ist, dass dies die einzig mögliche Erklärung für die überlebensgroßen Fußabdrücke sein kann (und die Kreatur auf Videoaufnahmen zu erkennen ist)? Wie kommen Militär und Regierung zu der Erkenntnis, dass es sinnvoller wäre, Oslo mit Atomwaffen (!) dem Erdboden gleich zu machen, als den Troll zu isolieren?
Sieht man von diesen Ungereimtheiten ab – sowie von der Tatsache, dass Regisseur und Drehbuchautor Uthaug (mit Espen Aukan) deutlich tiefer in die faszinierend-urige folkloristische Sagenwelt der Trolle hätte eintauchen können, um dadurch seinem Film einen genuin skandinavischen Touch zu verleihen – bleibt ein fantasyhafter Katastrophenfilm übrig, der zwar absolut nichts neu erfindet, gleichzeitig aber mit visuell eindrucksvollen Zerstörungsorgien und sympathischen, durchweg ordentlich gespielten Charakteren, anspruchslose Unterhaltung bietet, um das Jahr ausklingen zu lassen.
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