Die geflügelte Volkspartei

Frage an den Spitzenkandidaten: Wie hältst du’s mit dem Klimaschutz?

Die Volkspartei CSV als Flugzeug. Zwei Flügel sorgen für den notwendigen Auftrieb, der die Maschine in der Luft hält. Die Tragfläche rechts vom Rumpf ist der Wirtschaftsflügel, die linke steht für den sozial-ökologischen Flügel. Beide bedingen sich gegenseitig, sind aufeinander angewiesen, um den christlich-sozialen Vogel auf Gemeinwohlkurs zu halten. Bei atmosphärischen Turbulenzen braucht es ein besonnenes, nervenstarkes Team im Cockpit, das die divergierenden Kräfte von Interessen und Standpunkten austarieren kann. Getreu dem Motto der Airline („Jidder Eenzelen zielt“) sollte es an Bord keine Passagierklassen geben. Doch darüber gehen die Meinungen sicher auseinander.

Die Flieger-Metapher gehört, in verkürzter Form, zum Repertoire der CSV-Grande Marc Spautz. Evident falsch ist sie nicht, hinterfragbar allemal. So zum Beispiel der Begriff vom „sozial-ökologischen“ Flügel. Heißt das, dass (christliche) Gewerkschafter, die sich, ihrer Rolle entsprechend, für den Erhalt von Arbeitsplätzen und die materielle Besserstellung der Lohnabhängigen einsetzen, seit jeher und mit gleichem Engagement auch für ökologische Belange kämpfen?1 Bzw., dass auf Seiten des „Wirtschaftsflügels“ der Bauern, Banker und Mittelständler naturgemäß keinerlei ökologische Sensibilität vorhanden ist?

Eine akademisch akkurate Analyse widerstreitender Tendenzen innerhalb einer großen Volkspartei mit proeuropäischer Geschichte und „C“ im Namen identifiziert mindestens drei Achsenpaare, die jeweils eine innerparteiliche Konfliktlinie beschreiben: die sozioökonomische („Freiheit“ vs. „Gleichheit“), die kulturelle („konservativ“ vs. „liberal“) und die (post-)materialistische („Ökonomie“ vs. „Ökologie“). Jedes Parteimitglied ist auf jedem dieser drei Achsenpaare mal so, mal so verortbar. Um bei der Aeronautik zu bleiben: die CSV als Hubschrauber mit sechs Rotorblättern.

Hier spricht Captain Frieden

Seit einem Monat nun hat der Heli einen neuen Chefpiloten: Luc Frieden. Seine ersten Presseauftritte waren von der Form her eloquent, inhaltlich aber noch recht unverbindlich. Nach neun Jahren Auszeit müsse er zuerst in die Partei hineinhorchen, ehe er programmatische Ankündigungen machen könne. So weit, so fair.

Seit einem Monat nun hat der Heli einen neuen Chefpiloten: Luc Frieden.

Wie aber darf man Luc Friedens Aussage vor der RTL-Kamera interpretieren, die CSV wolle „mat konkreten Iddie fir d’Sozialpolitik, fir d’Wirtschaftspolitik, fir eng raisonnabel Ëmweltpolitik“ in die Regierung zurückkehren? Warum zweimal ohne Adjektiv und einmal mit? Schließlich könnte man ebenso von einer „vernünftigen Sozialpolitik“ sprechen, die sich weniger durch teure Kollektivbeglückung mit der Gießkanne auszeichnet als vielmehr durch gezielte Hilfe dort, wo Armut und Not am größten sind. Oder von einer „vernünftigen Wirtschaftspolitik“ ohne Kollateralschäden – wenn z. B. immer mehr Menschen, obwohl sie sich in Luxemburg zuhause fühlen, als „Wohnflüchtlinge“ ins nahe Ausland abwandern müssen.

Klar soll Umweltpolitik in dem Sinne vernünftig sein, dass gesetzliche Regelungen und bürokratische Prozeduren transparent und zweckmäßig sind und der rechtschaffene Bürger den Behördengang nicht als kafkaesk-willkürlichen Spießrutenlauf erlebt.

Insofern es aber um fundamentale, weil existenzielle, die Zukunft des Planeten und aller nachfolgenden Generationen prägende Politikbereiche wie Klima- und Artenschutz geht, entwickelt das Adjektiv „raisonnabel“ einen schalen Beigeschmack. Weil es befürchten lässt, dass die CSV den Wettkampf der Ideen auch weiterhin auf einem rhetorischen Nebenkriegsschauplatz zu führen gedenkt, um auf jedermanns Darling zu machen und die eigene, hausgemachte Inkohärenz zu übertünchen.

Der Flieger bleibt am Boden, wo er einem Kreisel gleich um die eigene Achse rotiert.

Kommen wir nochmal zurück auf das Bild der Volkspartei als Flugzeug. In Sachen Klimapolitik offenbart die CSV eine Flügelspannweite ähnlich dem Airbus A380. Die Positionen reichen von ein paar rührigen Klimakämpfern und etlichen Klimabesorgten über viele Klimagleichgültige oder Klimaignoranten bis hin zu diversen Klimaskeptikern und einer Handvoll Klimaleugnern. Kurz, die ganze Bandbreite an Überzeugungen ist vertreten – Volkspartei eben. Man könnte es heiter und gelassen als parteiinternen Karneval der Kulturen abtun, wenn … ja, wenn die potenziellen Konsequenzen nicht so ernst wären. Denn dieses Flugzeug, in diesem Zustand, kann nicht in die Lüfte abheben, es kann überhaupt nicht fliegen, weil der Schub der Turbinen unter rechter und linker Tragfläche in entgegengesetzte Richtungen wirkt. Der Flieger bleibt am Boden, wo er einem Kreisel gleich um die eigene Achse rotiert.

Vor fünf Jahren, mit Claude Wiseler am Steuerknüppel, hatte es den hoffnungsvollen Anschein, als hätte die CSV ihre klimapolitischen Flugkoordinaten ernsthaft berechnet. Heute aber überwiegt der Eindruck des anything goes, mit Paul Galles als Mister Klima und einigen anderen als verkappten Lobbyisten von ExxonMobil und den Koch Broth­ers, für die das fossile Zeitalter erst dann zu Ende ist, nachdem der letzte Tropfen Öl aus dem Boden gesaugt, der letzte Kubikmeter Gas gefrackt und die letzte Tonne Kohle verfeuert wurde.

Die Phantomdebatte

Das Resultat als vermeintlich kleinster gemeinsamer Nenner ist eine substanzlose Phantomdebatte mit den Schlagworten „Ideologie“ und „Verbotspolitik“ (= böse) gegen „Pragmatismus“ (= gut). Ein konstru­ierter Widerspruch, gleichermaßen gefährlich wie falsch und unredlich. Er ist gefährlich, weil er den Begriff der Ideologie als solchen auf anti-intellektuelle Weise diskreditiert und dem weithin verbreiteten, vom aktuellen Premierminister bis zur Karikatur verkörperten Lebensgefühl von lustvoll-ungebundener Oberflächlichkeit Vorschub leistet. Wenn Ideologie, wie bei Mao, den Roten Khmer oder den Nazis zur totalitären Politischen Religion2 mutiert, führt sie in die Katastrophe. Doch gemeinhin steht das Wort als Synonym für Weltanschauung, Menschen- und Gesellschaftsbild, Grundsatzkanon oder Wertekatalog. Ideologie fungiert als theoretischer Überbau, als sinnstiftendes Instrument der Orientierung für alle Parteien. Auch die Katholische Soziallehre ist eine solche Gebrauchsanweisung mit hohem Nutzwert – frei nach dem Bonmot: „Es gibt nichts Praktischeres als eine gute Theorie“. Ganz abgesehen davon gilt die Erkenntnis: Selbst die vorgebliche, modisch-schicke Nicht-Ideologie ist unvermeidbar und unentrinnbar doch eine solche. Sie heißt dann Opportunismus oder Populismus. Es ist die Geisteshaltung der Schleimer und Hetzer ohne moralischen Kompass.

Mit Bezug auf Klimawandel und Artensterben ist das zitierte Narrativ zugleich grundlegend falsch. Im Normalfall ist Politik das Bohren dicker, harter Bretter. Um Entscheidungen im Rahmen gängiger Gesetzgebungsverfahren wird oft mühsamst beraten und verhandelt, gefeilscht und gestritten. Ungezählte Akteure in ungezählten Gremien auf ungezählten Ebenen produzieren ungezählte Entwürfe und Gutachten, bis am Ende des unendlich langen Prozesses ein parlamentarisch mehrheitsfähiger Kompromiss steht, der die meisten irgendwie zufriedenstellt und doch niemanden begeistert.

Nicht so beim Klimawandel, der kein Normalfall ist, sondern ultimative Bedrohung mit rasant schrumpfendem Zeitfenster und dem die Demokratie und deren Rituale schlichtweg egal sind. Und so reicht es bei dieser Menschheitsaufgabe leider nicht, die kleinen Verhandlungsnischen im Spannungsfeld kontradiktorischer Interessen auszuloten. Es gibt in der Klimapolitik nur einen ethisch – und letztlich auch ökonomisch – verantwortbaren Weg, den nicht wohlstandsbürgerliche Befindlichkeiten, nationale Egoismen oder die parteipolitische Farbenlehre, sondern einzig und allein das globale Gemeinwohl und die unwiderlegbaren Fakten der Naturwissenschaft diktieren.

Noch ein Wort zur Kampfvokabel der „Verbots­politik“. Mit Verlaub, aber von Seiten einer CSV als Inbegriff der Partei für Recht und Ordnung, Schutz und Sicherheit – Stichwort Cannabis-­Legalisierung – klingt dieser Vorwurf an die Konkurrenz geradezu unredlich. Die Conditio humana ist und bleibt, was sie nach theologischem Duktus immer war: erbsündenbehaftet. Weshalb keine Rechtsordnung, keine Straßenverkehrsordnung, keine Hausordnung und auch keine Badeordnung ohne Verbote auskommen kann.

Zu guter Letzt ein wohlwollender Ratschlag an Luc Frieden: Zeigen Sie Führungsstärke, ignorieren Sie das Gezeter in den Parteiniederungen, sprechen Sie mit Papst Franziskus, António Guterres, Joe Biden, John Kerry, Ursula von der Leyen und Frans Timmermans. Keiner von denen ist ein Grüner. Alle stehen sie auf der richtigen Seite der Geschichte. 

1 Siehe das Dossier „Gewerkschaften und die ökologische Frage“, in: forum 413 (Januar 2021).

2 Prof. Hans Maier (CSU), bayerischer Kultusminister von 1970 bis 1986, hat das Konzept der Politischen Religionen in mehreren Werken ausführlich erforscht und beschrieben.

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