Zwischen Hoffnung und Verzweiflung

ARTikel

Kunst polarisiert und spaltet. Sie wühlt auf und entzieht sich jeglicher Logik. Dennoch kann sie eine sedierende Wirkung entfalten und ein unabdingbares Element der Entschleunigung sein. Museen sind Orte dieser Entschleunigung. Intro- und Retro­spektion, Selbstfindung und Identitätsentwicklung sind lediglich einige ihrer Merkmale. Museen müssen nicht zwangsläufig ein abgeschirmter, abgesonderter Ort am Stadtrand sein, in dem der Betrachter ein Gemälde als Fenster nach außen auffasst. Sie können überall sein: an jeder Straßenecke, im Hinterhof, gar im Vorgarten des Nachbarn. Kunst im öffentlichen Raum hat wahrlich eine lange und bewegte Geschichte, und auch sie polarisiert und spaltet – Stichwort Lady Rosa of Luxembourg. Ein Aufschrei erschütterte damals das Land und ließ so manchen rat- und fassungslos zurück.

Ratlos fühlen sich auch diejenigen, die Opfer einer subversiven Kunstgattung werden: Hausbesitzer, Kommunen, Transportdienstleister. Die Verursacher: verpönte Verunstalter des Straßenbildes, die sich selbst als Künstler bezeichnen und nahezu unbeobachtet ihr Werk verrichten. Street-Art-Künstler machen Kunst, die auf der Straße passiert und somit für jeden zugänglich ist. 

In Luxemburg dürften ihre Anfänge in den 90er Jahren liegen, als Spike, Sumo und Stick sich gegenseitig mit Farbdosen versorgten. Eine Zero-Tolerance-Strategie gegen Straßenkünstler, wie sie einst New York verfolgte, wurde seitens der Luxemburger Behörden nie ausgesprochen, fristeten die Street-Art-Künstler doch eher ein Schattendasein. Im Laufe der Jahre aber veränderte sich das Stadtbild und somit auch das Bewusstsein. Graffiti-Künstler gewannen an Einfluss, auch in Luxemburg. Aus anfänglich illegalen Eskapaden wurden heißbegehrte Kunstobjekte als Ausdruck der Individualität und gesellschafts­kritischen Haltung. Der Weg zur Institutionalisierung konnte beschritten werden.

© Philippe Reuter

Anno 2022: Das Werk ist vollbracht 

Fast ein Jahrzehnt lang tobten sich Künstler aus. Jeder Einzelne schuf ein einzigartiges Werk für das, was einst von der Escher Kulturfabrik initiiert wurde, und um das herum ein ganzes Universum entstand: Ateliers mit pädagogischen Ansätzen, gezielte Förderprogramme, Kolloquien, Konferenzen und Publikationen. 

Das „Kufa’s Urban Art“ war in aller Munde und veränderte die Stadt Esch nachhaltig. Bunt, schrill, avantgardistisch und grenzüberschreitend präsentierte sich das Festival Jahr für Jahr und punktete mit der Verpflichtung international renommierter Künstler, die der einst florierenden Hochburg der Stahlindustrie einen neuen Anstrich verpassten. Einige der in Auftrag gegebenen Werke fügen sich nahtlos ins Stadtbild ein. Kunst und urbaner Raum fließen so regelrecht zusammen. Fast so, als wären die Kunstwerke immer da gewesen.

Die argentinische Künstlerin Tamara Djurovic, 1975 in Argentinien geboren und 2020 in Spanien an Leukämie gestorben, hat ein solches Kunstwerk erschaffen: eine poetische Hommage an den Feminismus und die Frau selbst. Kaum wahrnehmbar verziert ihr titelloses Werk die Seitenwand eines Plattenbaus am Rande des Escher Stadtkerns, der an einer überaus hektischen Verkehrsachse gelegen ist. Tagein, tagaus bewegt sich eine schier endlose Blechlawine in Richtung Luxemburg-Stadt und Frankreich entlang des Kunstwerks. 

Schweift unser Blick dennoch von der roten Ampel nach links ab oder hebt sich von der dunkelgrauen Zapfsäule, erscheint ihm ein sakrales Gemälde, das uns Zeit und Raum vergessen lässt und uns dennoch ins Bewusstsein ruft, dass das Leben endlich ist. Hyuro, so Djurovics Künstlername, hat in Esch ein einzigartiges, ausdrucksstarkes Kunstwerk hinterlassen. Eine Wand, bestehend aus Hoffnung und tiefster Verzweiflung zugleich.  

Als partizipative Debattenzeitschrift und Diskussionsplattform, treten wir für den freien Zugang zu unseren Veröffentlichungen ein, sind jedoch als Verein ohne Gewinnzweck (ASBL) auf Unterstützung angewiesen.

Sie können uns auf direktem Wege eine kleine Spende über folgenden Code zukommen lassen, für größere Unterstützung, schauen Sie doch gerne in der passenden Rubrik vorbei. Wir freuen uns über Ihre Spende!

Spenden QR Code