„Indiana Jones and the Dial of Destiny” von James Mangold

In der Nostalgiefalle

Vor mehr als vierzig Jahren begründete Steven Spielberg mit Raiders of the Lost Ark eine der kommerziell erfolgreichsten und beliebtesten Franchisen der Kinogeschichte – und anders als man annehmen könnte, legten insbesondere die drei ersten Indiana-Jones-Filme eine bemerkenswert vielschichtige Beschäftigung mit Vergangenheit und Geschichte an den Tag.

©2023 Lucasfilm Ltd. & TM. All Rights Reserved.

Vordergründig mögen „Indys“ filmische Abenteuer (zuzüglich Videospielen, einer kurzlebigen Fernsehserie sowie unzähligen Trivialromanen) in erster Linie von der Erkundung versunkener Stätten und der Beschaffung geheimnisumwobener historischer Artefakte gehandelt haben, die es gegen konkurrierende (Söldner-)Archäologen, okkultistische Priester oder die Handlanger des Faschismus zu verteidigen galt, um sie schließlich in einem Museum unterzubringen, und dadurch einer (westlichen) Allgemeinheit zugänglich zu machen. Deutliche Inspiration für die Indiana-Jones-Filme waren zum einen die B-Serial Films der 1930er und 1940er Jahre, zum anderen die seit 1962 regelmäßig erscheinenden James Bond-Produktionen, von denen Spielberg (Regie) und Georges Lucas (Story) nicht nur die Globetrotter-Exotik und den Eskapismus übernahmen, sondern auch die überkandidelten Actionsequenzen, den trockenen Humor sowie den kernigen, lakonischen und gänzlich unvollkommenen Helden mitsamt markantem Outfit (bestehend aus Lederjacke, Fedora-Hut und Bullenpeitsche). Mit dieser simplen, aber effizienten Mischung gelang es Spielberg und Lucas, die Nostalgiebedürfnisse der Kinogänger.innen generationenübergreifend zu befriedigen, und so eine der bedeutendsten Ikonen der jüngeren Kinogeschichte zu schaffen.

Geschichte hatte bei Indiana Jones aber auch stets eine dezidiert mythische Dimension, sei es durch die Wahl der biblischen (oder im weitesten Sinne religiösen) und mit übernatürlichen Kräften ausgestatteten Artefakte, die im Mittelpunkt der Filmhandlung standen und sich schon mal gegen ihre Inbesitznahme wehrten, oder durch die inhärenten Reflexionen über Zeit und Zeitlichkeit, Vergänglichkeit und (Un-)Sterblichkeit, die sich aus der Beschäftigung mit diesen außerweltlichen, mitunter furchteinflößenden Kultobjekten ergaben (nicht alleine für Indy und seine Kontrahenten, sondern auch für das Publikum). Wenn sich am Ende von Raiders of the Lost Ark die alttestamentarische Bundeslade der Israeliten gegen die frevelhafte Instrumentalisierung ihrer Kräfte durch die Nationalsozialisten wandte und eine Schaar nebulöser Geisterwesen freisetzte, die an die geschundenen Seelen der Abermillionen Holocausttoten erinnerten, transzendierte Spielberg die Grenzen des Mediums Film und machte sich zugleich dessen ungeheure Kraft zunutze, um auf den ephemeren Charakter vergangener Zivilisationen, weit entfernt oder noch ganz nah, hinzuweisen.

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Derlei erzählerische Geniestreiche machten es den unmittelbaren Sequels Indiana Jones and the Temple of Doom (1984) und Indiana Jones and the Last Crusade (1989) freilich nicht ganz leicht, mitzuhalten – wenngleich beide Filme unter Kritiker.innen wie unter Fans als nahezu makellose Unterhaltungsfilme unbedingten Kultstatus innehaben und rückblickend von einer Ära zeugen, in der sich das Abenteurerkino noch auf naiv-unbedarfte Weise allerlei kolonialistischer und orientalistischer Klischees bedienen konnte, ohne dass ein allzu großes Aufheben darum gemacht wurde.

Der vierte Indy-Film, Indiana Jones and the Kingdom of the Crystal Skull (2008), wieder unter der Regie von Steven Spielberg, tat sich, fast zwanzig Jahre nach Teil drei, bereits schwerer mit der logischen Positionierung seiner inzwischen merklich gealterten Hauptfigur in einer Post-Zweiter-Weltkrieg- (im Film) und Post-Kolonialen-Welt (in der Realität). Die Mythisierung der Geschichte fand hier erstmals nicht mehr nur innerhalb der Filmhandlung statt, sondern erfasste auch die Filmreihe und -figur Indiana Jones selbst, der hier, im sich wandelnden zeitlichen Kontext von Area 51, Rock ’n‘ Roll und Kalter-Kriegs-Paranoia, mit Sowjetagenten anstelle von Nazis, zum unverwundbaren Comichelden mutierte, der sogar imstande war, eine Atomexplosion in einem wild umherfliegenden Kühlschrank zu überleben. Je älter Jones – und der untrennbar mit ihm verbundene Harrison Ford – wurde(n), desto mehr entwickelte er sich zu einer überlebensgroßen, nostalgisch verklärten Konstanten in einer sich verändernden Welt.

Raiders of the Lost Ark © Lucasfilm Ltd. & TM. All Rights Reserved.

Im Gegensatz zu früheren Abenteuern stieß Kingdom of the Crystal Skull allerdings auf sehr geteilte Meinungen – neben den mitunter dürftigen Spezialeffekten monierten Kritiker.innen auch das halbherzige, als unwürdig empfundene (vorläufige) Ende der Indy-Saga. In den Folgejahren kochten daher immer wieder Gerüchte und Berichte über ein anstehendes fünftes Filmabenteuer hoch, zumal Hauptdarsteller Harrison Ford, Jahrgang 1942, selbst in hohem Alter immer noch eine beeindruckende Gesundheit und Fitness an den Tag legte.

Mit Indiana Jones and the Dial of Destiny (erstmals unter der Regie von James Mangold, u.a. Logan, 2017 und Ford v Ferrari, 2019) ist jetzt der fünfte und mutmaßlich letzte Indy-Film mit Harrison Ford in der Titelrolle in den internationalen Kinos angelaufen – und bereits die ersten Filmminuten lassen zumindest erahnen, dass die Nostalgisierung der Figur Indiana Jones hier noch weiter vorangetrieben wurde.

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Dial of Destiny beginnt mit einer Rückblende in die letzten Tage des Dritten Reichs, in der ein etwa vierzigjähriger Jones und ein befreundeter Archäologe namens Basil Shaw (Toby Jones) versuchen, historische Artefakte, die zuvor von den panisch fliehenden Nazis gestohlen wurden, wieder in ihren Besitz zu bringen; Indy gerät dabei in Gefangenschaft und muss sich auf seiner explosiven Flucht aus einem Schloss, mittels Motorrad und Zug, gegen eine Überzahl karikaturartiger Nazi-Schergen behaupten. Alles wie immer, also? – Eine Antwort auf diese Frage zu geben ist nicht ganz leicht, denn der rasant inszenierten und montierten Eingangssequenz wohnt etwas gleichsam Wirkliches wie Unwirkliches inne. Der mittels digitalen Computereffekten verjüngte (engl. de-aging) Harrison Ford sieht zwar größtenteils aus wie sein früheres Ich, doch seine Motorik und Stimme wollen nicht recht dazu passen; dass fast der gesamte Prolog bei Nacht spielt, hilft immerhin, die Illusion über zwanzig Minuten aufrecht zu halten.

Auf seiner Flucht begegnet Indy auch erstmals einem NS-Astrophysiker und Kunsträuber namens Jürgen Voller (verkörpert von einem ebenfalls digital verjüngten Mads Mikkelsen), dem er in letzter Sekunde eine Hälfte einer von Archimedes (287 v. Chr. bis 212 v. Chr.) geschaffenen Apparatur namens Antikythera entreißt, mit der sich, wie wir später erfahren, Risse im Raum-Zeit-Kontinuum aufspüren und kontrollieren lassen. Indy überlässt die Hälfte des Mechanismus‘ seinem Kollegen Basil Shaw, und der Film macht einen abrupten Sprung in das Jahr 1969. Im Jahr der ersten erfolgreichen US-Mondlandung gibt es für Jones selbst wenig zu feiern: Er ist von Marion Ravenwood geschieden und lehrt zwar noch am New Yorker Hunter College, doch die Arbeit mit den Studierenden erfüllt ihn nicht mehr – verbittert hadert er mit der modernen Welt, in der er (vorerst) keine aktive Rolle mehr zu spielen scheint.

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Das ändert sich schlagartig mit der Ankunft von Helena Shaw (Phoebe Waller-Bridge), Tochter seines früheren Kollegen Basil und gleichzeitig Indys Patenkind, die ihn an die vermisste zweite Hälfte der Antikythera erinnert. An dieser ist nicht nur die undurchsichtige Helena selbst interessiert, sondern auch der Alt-Nazi Voller, der nach Kriegsende unter falschem Namen als Wissenschaftler am Apollo-Programm federführend mitwirkte – und in der Zeitreise-Apparatur nun eine Möglichkeit sieht, die historischen „Fehler“ Hitlers und des Dritten Reichs auszubügeln, und dem Nationalsozialismus gewissermaßen nachträglich zum „Endsieg“ zu verhelfen.

Dass der Film trotz allen Anstrengungen nicht mehr als eine uninspirierte Zitatensammlung geworden ist, lässt die Zuschauer.innen jedoch unfreiwillig zum Schluss kommen, […] dass manches früher leider doch besser war.

Was folgt, ist ein Indiana-Jones-Abenteuer der (ganz) alten Schule, mit allen erwartbaren Situationen, Figurenkonstellationen und erzählerischen Volten. Indy, Helena und Voller jagen den beiden Antikythera-Hälften von New York über Marokko bis in den Mittelmeerraum hinterher, und versuchen sich dabei gegenseitig auszustechen – die charakterlichen Brüche aus der ersten Filmhälfte sind spätestens jetzt vergessen, und Jones ist wieder der unkaputtbare Abenteurer und Weltenbummler, dem keine noch so haarsträubende Verfolgungsjagd, Schießerei oder sonstige Gefahrensituation etwas anhaben kann. (Selbst-)ironische Brechungen gibt es in diesem mit 154 Minuten überlangen Treiben nur noch sporadisch – beispielsweise dann, wenn sich eine wichtige Station der Abenteuerreise als touristisches Ausflugsziel entpuppt, oder (Spoilerwarnung) sämtliche Figuren mit einem Bomber der Luftwaffe im Jahr 214 v. Chr. im griechischen Syrakus auf Sizilien landen, wo Archimedes gerade an seinem Zeitmechanismus arbeitet.

Anlässlich seiner Uraufführung bei den Filmfestspielen von Cannes erntete Dial of Destiny nochwohlwollende bis durchwachsene Kritiken, aktuell scheint sich die Stimmungslage jedoch eher ins Negative zu verkehren. Der Film mag dabei nicht jenes Hunderte Millionen teure Ärgernis sein, zu dem er gerade (nieder-)geschrieben wird, und mit etwas gutem Willen vermag er sogar, auf eine trivial-oberflächliche Weise zu unterhalten (und sei es bloß wegen Ford, der hier angesichts seines fortgeschrittenen Alters eine tatsächlich respektable Leistung abliefert).

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Und doch merkt man Dial of Destiny in jeder Sekunde sein Dilemma an: Einerseits möchte der Film, mehr noch als Kingdom of the Crystal Skull, mittels unzähliger selbstreferenzieller Anspielungen den unbeschwerten, analog-nostalgischen Charme der Originalwerke heraufbeschwören – und stößt dabei doch unentwegt an die Grenzen seiner eigenen Ideenarmut sowie an die des technisch und erzählerisch Machbaren. Vor allem der unvermeidbare Einsatz teilweise bestenfalls mittelmäßiger Digitaleffekte, die allenthalben nötig waren, um die alternden Hauptdarsteller zu verjüngen oder in den aufwendigen Actionsequenzen zu doubeln, berauben den Film jener handwerklichen Finesse und Verve, die die früheren, unter Spielbergs Federführung entstandenen Filme auszeichneten; dazu kommen die quasi-vollständige Abwesenheit einer Leinwand-Chemistry zwischen Harrison Ford und Phoebe Waller-Bridge, Charaktere mit unklaren Motivationen, im Nirgendwo verschwindende Handlungsstränge sowie ein allgemein zähes, schlecht ausbalanciertes Erzähltempo.

Dial of Destiny möchte ein nostalgischer, wehmütiger Abgesang auf eine der bedeutendsten Ikonen der Popkultur der vergangenen Jahrzehnte sein. Dass der Film trotz allen Anstrengungen nicht mehr als eine uninspirierte Zitatensammlung geworden ist, lässt die Zuschauer.innen jedoch unfreiwillig zum Schluss kommen, dass die Macher offensichtlich zu keinem Moment eine halbwegs klare Vorstellung davon hatten, auf welche Reise sie ihre Titelfigur im Jahr 2023 noch schicken sollten – und, dass manches früher leider doch besser war.

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