Die Grenzen der Strafgesetze im Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung

Vor einigen Jahren fand in Luxemburg-Stadt eine öffentliche Protestaktion gegen ein internationales Handelsabkommen statt. Dieser Demonstration, welche ebenfalls vom Veranstalter gefilmt wurde, wohnte ein Teilnehmer bei, welcher als orthodoxer jüdischer Rabbi gekleidet war. Während der Veranstaltung blieb diese Person stumm. Erst als sie von einem Passanten auf ihre Kostümierung und deren Sinn angesprochen wurde, erklärte die Person, dass sie einen jüdischen Kleriker darstelle, welcher das internationale Kapital repräsentiere. Es kam daraufhin zur Anklage durch die Staatsanwaltschaft, welche hierin einen strafbaren Aufruf zum Hass gegen die jüdische Gemeinschaft sah. Hierdurch würde das Vorurteil des „reichen Juden“ bedient, welcher im Hintergrund als Strippenzieher der internationalen Politik alle Nicht-Mitglieder dieser Gemeinschaft dominiere. Die Justiz sah diesen Vorwurf jedoch als nicht erwiesen an und erteilte einen Freispruch.1 Zwar wäre das Tragen der Verkleidung im öffentlichen Raum im Rahmen einer politischen Veranstaltung dazu angetan, die Gefühle der Mitglieder der jüdischen Gemeinschaft zu verletzen, es läge jedoch kein Aufruf zum Hass, zur Gewalt oder zur Diskriminierung gegen besagte Gemeinschaft vor. In seiner Urteilsfindung hat das Gericht die gesamten Umstände der Manifestation einfließen lassen, insbesondere die Tatsache, dass die jüdische Gemeinschaft nicht Gegenstand der Veranstaltung war und dass der kostümierte Teilnehmer erst auf Nachfrage eines Passanten seine umstrittenen Äußerungen getätigt hatte.

Bereits 2015 hatte ein landbekannter Anwalt für Aufruhr gesorgt, als er sich in einem offenen Brief an die Bürgermeisterin der Stadt Luxemburg derbe über Bettler echauffierte, welche er auf seinem Weg zu seinem Büro vorfand. Diese wurden unter anderem mit Begriffen wie „puanteurs“ und „mendiants dégueulasses“ beschrieben. Auch hier kam es zur Anklage basierend auf Paragraf 457-1 des Strafgesetzbuches. Die Tatsache, dass die herabwürdigenden Bemerkungen öffentlich getätigt wurden und dass diese allen Mitgliedern einer bestimmten Gruppe von Personen negative Eigenschaften andichtete, wurde von der Justiz nicht in Frage gestellt. Das sind die ersten beiden Bedingungen, um den Straftatbestand des Aufrufes zum Hass zu erfüllen. Zum Erstaunen einer Reihe von Prozess­beobachtern wurde besagter Anwalt trotzdem in zwei Instanzen freigesprochen, weil es auch hier als nicht erwiesen angesehen wurde, dass die strittigen Passagen mit der Absicht verfasst und veröffentlicht wurden, zu Hass, Diskriminierung oder Gewalt gegen die Gruppe der Straßenbettler aufzurufen2. Wobei im Gegensatz zu dem oben erwähnten Urteil das Gericht diese Entscheidung nicht weiter erläutert hat, zum Beispiel durch eine Analyse der gesamten Umstände der Tat, sondern es bei der allgemeinen Fest­stellung beließ, die verbrecherische Absicht, die Öffentlichkeit gegen eine bestimmte Gruppe von Personen aufzuwiegeln, sei nicht bewiesen. 

Die schwierige Suche nach der Absicht

Beide Fälle illustrieren vorbildlich die Schwierigkeiten, die auftreten, wenn man dem Problem des Rassismus und der Diskriminierung über den Weg der Strafjustiz zu begegnen versucht.

Wobei es durchaus eine ganze Reihe von Verurteilungen gibt, welche sich hauptsächlich auf Kommentare in den sozialen Medien beziehen. So wurden zum Beispiel ehrabschneidende Äußerungen über Personen allein auf Grund ihrer Hautfarbe – Äußerungen, die auf einem privaten Facebook-Profil getätigt wurden – als strafrelevant angesehen. Wobei das besagte Urteil auf der Prämisse basiert, dass nicht die wahre Absicht des Täters ausschlag­gebend sei, sondern die Wirkung, welche seine Worte bei seinem Publikum hervorrufen können.3

So wurde auch die Behauptung, Luxemburg müsse von allen Personen muslimischen Glaubens sowie allen Asyl­antragstellern „befreit“ werden, von sich aus als aufrührerisch angesehen und der Autor dieser unsäglichen Zeilen allein wegen des Inhalts seiner Äußerungen verurteilt4.

Wäre diese Prämisse bei den beiden oben erwähnten Fällen angewandt worden, so hätte es wohl nicht unbedingt Freisprüche gegeben. Insbesondere die unflätigen und herabwürdigenden Bemerkungen über die Straßenbettler könnten in einem neuen Licht gesehen werden, wenn es darum geht, ihre Wirkung auf den Leser zu untersuchen, und nicht die Frage, welches denn die reale Absicht des Autors der Zeilen war.

© Carlo Schmitz

Es liegt in der Natur eines Strafverfahrens, dass die beschuldigte Person kaum von sich aus zugeben wird, mit der Absicht gehandelt zu haben, die Öffentlichkeit gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen aufzuwiegeln. Wie die vorher erwähnten Fälle belegen, kommt es also darauf an, ob die Staatsanwaltschaft den Beweis erbringen muss, dass das Ziel der öffentlichen Äußerungen darin bestand, zu Hass oder Gewalt gegen bestimmte Personen aufzurufen. Oder aber ob der Inhalt der strittigen Äußerungen den Schluss auf eine solche Wirkung zulässt und zur Verurteilung führen kann.

Wenn man rezente Urteile der luxemburgischen Strafgerichte in Betracht zieht, so scheint sich die Ansicht durchzusetzen, dass die reale Absicht des Täters erörtert werden muss. Neben dem bereits erwähnten Urteil des Berufungsgerichtes bezüglich der Unmutsäußerungen über Straßenbettler, wurde in erster Instanz noch kürzlich geurteilt, dass nicht die wörtliche Bedeutung eines Textes ausschlaggebend sei, sondern die vom Verfasser beabsichtigte Wirkung, die erzielt werden sollte5.

Man muss also Absichten erörtern, welche mit Sicherheit vom Beschuldigten abgestritten werden und wo gemäß dem allseits bekannten Grundsatz „in dubio pro reo“ jeder berechtigte Zweifel an dem vom Angeklagten beabsichtigten Ziel diesem zugutekommt und einen Freispruch nach sich ziehen muss.

Der Rechtsstaat auf Gratwanderung

Es wäre aber zu kurz gedacht, wenn man jetzt per Gesetzesänderung die Absicht zum Aufruhr des Hasses allein am Inhalt einer Äußerung festmachen wollte. Der Rechtsstaat befindet sich hier nämlich auf einer Gratwanderung und muss abwägen zwischen dem Schutz vor Diskriminierung anlässlich der Herkunft oder der Angehörigkeit auf der einen Seite und der Wahrung der Meinungsfreiheit auf der anderen.

Zwar ist die Meinungsfreiheit nicht grenzenlos und kann eingeschränkt werden, wenn sie dazu missbraucht wird, um bestimmte Personen an den Pranger der Gesellschaft zu stellen, ihnen weniger Rechte als anderen zuzugestehen. Was zu einer Verletzung ihrer elementaren Rechte führen kann. 

Wenn man sich vergegenwärtigt, welche entmenschlichende Propaganda Völkermorden, wie zum Beispiel dem Holocaust oder dem in Ruanda, vorangegangenen sind, dann begreift man, dass eine solche Begrenzung der Meinungsfreiheit ihre Berechtigung hat.

Die Absicht des Aufrufs zum Hass allein am textlichen Inhalt eines strittigen Vortrages und nicht an anderen Elementen festzumachen, birgt einerseits die Gefahr einer subjektiven Interpretation der Gesinnung durch das Gericht mit möglichen strafrechtlichen Folgen für die Betroffenen. Andererseits kann dies ebenfalls einen übertriebenen Eingriff in die Meinungsfreiheit nach sich ziehen.  Gemäß der Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte beinhaltet das Recht auf Meinungsfreiheit auch die Möglichkeit, solche Meinungen zu äußern, welche den Staat oder Teile der Bevölkerung beunruhigen oder sogar schockieren können6. Wenn man aber strafrechtliche Verfolgung allein zwecks eines Meinungsbeitrages befürchten muss, der sich abfällig über bestimmte Gruppen oder Personen auslässt, dann wird die Bereitschaft, solche „unbequemen“ Kommentare zu tätigen, mit Sicherheit nachlassen. Und die freie Meinung als ein Fundament des demokratischen Diskurses und der politischen Entscheidungsfindung riskiert, Schaden zu nehmen.

Eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe

Es gibt also keine Zauberformel, um sicherzustellen, dass bestimmte Gruppen oder Personen ausreichend durch das Strafrecht gegen diskriminierende oder rassistische Äußerungen geschützt werden, ohne dass hierbei zu weit in die Meinungsfreiheit eingegriffen wird oder andere Grundprinzipien der rechtsstaatlichen Ordnung, wie zum Beispiel die Unschuldsvermutung, in Frage gestellt werden. Es wird wohl auch in Zukunft zu Freisprüchen kommen wegen Aussagen, die schockierend sein können, geschuldet der Tatsache, dass die Absicht des Aufrufes zum Hass nicht nachgewiesen werden konnte.

Eine Lehre daraus besteht darin, dass der Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung nicht allein dem Strafrecht überlassen werden kann, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe darstellt, die uns alle angeht und im Alltag angegangen werden muss. Dies betrifft die aktive Widerrede zu rassistischem Gedankengut, welches wohl jedem Nutzer der sozialen Medien früher oder später begegnen wird, aber auch die Vorbildfunktion, sei es im privaten oder im öffentlichen Raum. 

Wenn Respekt vor dem Anderssein vorgelebt wird, dann erhöht sich die Chance, dass dies auch von zukünftigen Generationen als nicht verhandelbare Grundfeste unserer Gesellschaft angesehen wird. Wenn aber auch öffentliche Akteure, etwa aus Politik, Kultur oder Wirtschaft, anfangen, verschiedenen Gruppen auf Grund ihrer Herkunft oder Religion weniger Rechte zugestehen zu wollen, dann können auch die besten Strafgesetze der Welt den Vormarsch der Intoleranz nicht aufhalten.   

  1. Urteil vom 07.06.2018 der 7. Strafkammer des Bezirksgerichtes Luxembourg, N° 1736/2018
  2. Urteil vom 17.01.2023 des Berufungsgerichtes Luxemburg
  3. Urteil vom 12.11.2014 der 13. Strafkammer des Bezirksgerichtes Luxemburg, N°3019/2014
  4. Urteil vom 30.10.2013 der 16. Strafkammer des Bezirksgerichtes Luxemburg, N°2770/2013
  5. Urteil vom 03.06.2022 der 19. Strafkammer des Bezirksgerichtes Luxemburg, N°1551/2022
  6. Urteil Handyside g. UK des EGMR vom 07.12.1976, N°5493/72

Frank Wies ist Anwalt und Menschenrechtsaktivist.

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