Wen interessiert schon die Weltausstellung?

Von Dubai nach Düdelingen: Luxemburgs Partizipation an der Weltausstellung 2020

Unter dem Motto „Mir wëlle bleiwen, wat mir ginn“ (re-)präsentierten acht Luxemburger Künstler*innen aus sieben Kunst-Sparten Luxemburg auf der Weltausstellung in Dubai 2020. Die Ausstellung, deren Werke noch bis Anfang Januar 2024 im CNA in Düdelingen zu erleben waren, führt einen zurück an die Anfänge: Was will Luxemburg eigentlich auf einer Weltausstellung?

Geht es um Wirtschaftsinteressen, eine Leistungsschau, das Nation Branding oder am Ende doch darum, spezifische Kunst und Kultur zu zeigen? Ein Blick auf die 23 Weltausstellungen, auf denen Luxemburg bisher vertreten war, zeigt: sie spiegelten stets auch die politischen Verhältnisse wider. Auf der Weltausstellung 1935 in Brüssel, die unter Ausschluss der USA, Deutschlands und der ehemaligen Sowjetunion stattfand, ging es in dem erstmals eigenen Pavillon der Luxemburger Architekten Georges Traus und Michel Wolff vor allem um die Metallindustrie. 1958 war das Atomium das Symbol für den Zeitgeist, der Luxemburger Pavillon glänzte in Stahl und setzte auf die Kunst der drei wichtigsten Stahlproduzenten des Landes (Hadir, Arbed und Rodange).1

Gut 30 Jahre später in Sevilla (1992) hatte Luxemburg auch andere Kunst dabei, darunter Filmvorführungen und Konzerte. Der Luxemburger Bildhauer Bertrand Ney zeigte eine monumentale Skulptur aus Rümelinger Kalkstein in Sevilla. Quasi über Nacht musste Jos Welter vom Cercle Artistique eine repräsentative Ausstellung zeitgenössischer Luxemburger Kunst aus dem Hut zaubern. Denn erst hatte es geheißen, es gebe dafür im Pabellón de las Artes keinen Platz; kurzfristig war es dann doch möglich.2  Bei der Weltausstellung in Shanghai 2010 wurde die Gëlle Frau von Claus Cito und damit das Denkmal der Unabhängigkeit Luxemburgs schlechthin kurzerhand nach Shanghai verfrachtet, um Aufmerksamkeit zu erregen. Welches Symbol könnte Luxemburg besser im Ausland repräsentieren als das nationale Kriegsdenkmal?

Der Beteiligung Luxemburgs in Dubai 2020 waren erhitzte Diskussionen vorausgegangen, Kritik ging maßgeblich vom Künstlerkollektiv Richtung22 aus. In einem offenen Brief forderte es zum „Rückzug des Kunstsektors aus dem Pavillon“ in Dubai auf. Da Kunst zum Nation Branding geradezu missbraucht werde und somit Realitäten verschleiere, statt diese aufzuzeigen, sollten Luxemburger Künstler*innen und Kulturinstitutionen sich nicht „vor den Karren dieser Wirtschaftsmission spannen lassen“.

Am 10. Dezember 2019, dem internationalen Tag der Menschenrechte, stellte Richtung22 aus Protest gegen die Beteiligung Luxemburgs an der Weltausstellung eine Skulptur vor dem Kultur­ministerium auf, die mit den Worten beschriftet war „Dem Kulturministère fir säi couragéierten Asaz fir d’Konschtfräiheet a Mënscherechter am Kader vun der Expo 2020 zu Dubai3 und die in Windeseile abgebaut und ins Foyer geräumt wurde. 

Ein kurzer Blick in den Bericht von Amnesty International zu den Vereinigten Arabischen Emiraten 2020 zeigt, dass die Kritik ihre Berechtigung hat: Mindestens 25 gewaltlose politische Gefangene waren inhaftiert, unter ihnen der bekannte Menschenrechtsverteidiger Ahmed Mansoor. Mehrere Gefangene saßen auch noch nach Verbüßung ihrer Haftstrafe weiterhin im Gefängnis. Ein britisches Gericht befand zudem, dass Regierungschef Mohammed bin Rashed Al Maktoum zwei seiner Töchter entführt und inhaftiert habe. Die Behörden duldeten weiterhin keine politische Opposition und verhafteten Andersdenkende.4 

Pfeifendes Unbehagen: Mit „Artefacts“ greift Julie Conrad auf die jahrtausendalte traditionelle Handwerkskunst der Tontöpferei aus Nospelt zurück. Die Sensoren der Lampen reagieren auf die Bewegungen der Besucher*innen. © Anne Letellier/CNA

Wieso beteiligt sich Luxemburg, welches sich die Einhaltung der Menschenrechte auf die Fahnen schreibt, und viele Jahre einen Außenminister hatte, der sonst mit großem moralischem Impetus auftrat, an der Weltausstellung in einem Land, das die Menschenrechte mit Füßen tritt? Oder bedient diese Frage angesichts der Touristenmassen oder Minister*innen, die gern ins schillernde Dubai fahren, auch nur ein bigottes Muster, um sich den eigentlichen Normalzustand schönzureden?

Nachdem Maggy Nagel (DP) 2015 unter anderem wegen einer durch Staatsgelder beglichenen Spesenabrechnung eines Spanferkels als Kulturministerin abgesetzt wurde, sollte sie sich, ab April 2016, als Regierungsrätin im Wirtschaftsministerium angeblich ausschließlich um den Luxemburger Pavillon auf der Weltausstellung kümmern. Im stillen Kämmerlein heckte sie dort die Partizipation aus. 2017 wurden schließlich durch ein „Comité en charge“5 mit Julie Conrad, Adolf El Assal, Guy Helminger, Karolina Markiewicz & Pascal Piron, Simone Mousset, Patrick Muller und Renelde Pierlot acht Künstler*innen ausgewählt, die nicht zu Unrecht als kritisch und in ihren Sparten als herausragend gelten. Sie bespielten den Pavillon in Dubai vom 15. bis zum 28. Januar 20226 zumindest zwei Wochen lang.

Doch blickt man heute auf die Webseite zum Luxemburger Auftritt von Dubai 2020, so stößt man auf Bilder des glamourösen Baus (Metaform Architects). 3D-Brillen und VR künden von der Technik der Zukunft und eine Rutsche, die an die Schobermesse erinnern soll, wird als Attraktion gehypt. Darüber konnten die Besucher*innen den Pavillon rutschend verlassen.7 

Im Einklang mit dem Motto der Weltausstellung „Connecting Minds, Creating the Future“ verfolgte der Pavillon die künstlerische Idee, Geisteshaltungen miteinander zu verknüpfen, um zur Realisierung kollektiver und transdisziplinärer Kunstwerke zu gelangen.

Unter der plakativen Verfremdung des Leitmotivs Luxemburgs „Mir wëlle bleiwen wat mir sinn“ in „Mir wëlle bleiwen, wat mir ginn“ setzten die acht Künstler*innen unter der Ägide von zwei Kuratoren, Bernard Baumgarten und Kevin Muhlen, auf eine explizite Öffnung. Ganz nach dem Motto: nicht Festhalten an alten Traditionen, Werten und Strukturen, sondern Aufbruch, Öffnung und Weltoffenheit!

Die Ausstellung mit den Kunstinterventionen von acht Künstler*innen war vom 23. September 2023 bis zum 7. Januar 2024 zudem im Waassertuerm+Pomhouse des CNA in Düdelingen zu sehen und fristete dort ein eher tristes Dasein. Wieso zeigt man die Kunstinstallationen einer Weltausstellung nicht in der Hauptstadt?

Reflexion über das Unsichtbare: Die Installation „How to Host a Ghost“ am Boden liegender Karten, Fäden und Fragmente von Simone Mousset und Renelde Pierlot lässt einen ratlos zurück. © Armand Quetsch

Schaffte man es als Besucher*in doch bis zum Pomhouse und Waassertuerm in Düdelingen, so lockten die Ausstellungsräume dort geheimnisvoll durch ihre zahlreichen Spiegelungen, ihr Geraune und Geflüster. Mit „Artefacts“ griff die Designerin Julie Conrad auf die traditionelle Handwerkskunst der Tontöpferei zurück, mit der die „Péckvillecher“ hergestellt werden. Mit Ton aus Nospelt hat Conrad 100 Objekte als 3D-Drucke realisiert und in einem Raum mit verspiegelten Wänden angebracht. Beim Durchschreiten dieses Zelts voller Spiegel und herab­hängender Lampen stellt sich ein diffuses Unbehagen ein, denn die Sensoren reagieren auf die Bewegungen der Besucher*innen. Die Geräusche ziehen gleichwohl in den Bann.

Gespenstisch irritierend wirkt auch die Installation „How to Host a Ghost“ der Choreographin Simone Mousset und der Regisseurin Renelde Pierlot. Am Boden ein Sammelsurium an Karten, Fäden und Fragmenten. Deren Ghostcatcher, der an einen gigantischen Traumfänger erinnert, wurde zwischen Juli und Dezember 2020 gemeinsam mit der Luxemburgerin Laurie Lamborelle, Sonja Obradovic (HR), Katerina Andreeva (RU) und Sasha Abela (LI) konzipiert, lässt einen jedoch recht ratlos zurück. – Es sei eine Reflexion über das Unsichtbare, die Stille und die Abwesenheit, liest man. Mit etwas Phantasie gelangt man hier zu der Frage, ob es die luxemburgische Identität gibt. Besteht sie nicht vielmehr aus vielen Puzzleteilen und Erinnerungen?

Verheißungsvoll schillern hingegen die Sound­installationen „Gestalten“, die vom Sounddesigner Patrick Muller in Zusammenarbeit mit dem Autor Guy Helminger entworfen wurde. Drei audiovisuelle Spiegel-Säulen locken die Besucher*innen mit einer gigantischen flimmernden Iris und ziehen sie flüsternd in ein Universum von Geschichten: Es sind Auszüge aus einer Anthologie, die begleitend zur Ausstellung mit Gedichten bekannter Luxemburger*innen, übersetzt auf Englisch und Arabisch, erschienen ist. Der prunkvolle schwarze Band versammelt Gedichte des Who-is-Who der Luxemburger Literaturszene.

In der Videoarbeit „Spectrum Cinqfontaines“ zeichnet das Künstlerduo Karolina Markiewicz und Pascal Piron, die sich in ihren Projekten schon seit langem mit den NS-Verbrechen auseinandersetzen, unter anderem das Schicksal des deutschen Juden Richard Hellmann nach, der aus dem luxemburgischen Exil nach Auschwitz deportiert wurde – auch dies ein Splitter der luxemburgischen Geschichte.

Im Kurzfilm „Full Memory“ von Adolf El Assal können die Zuschauer*innen schließlich dem (Alb-)Traum eines aus Syrien nach Luxemburg Geflüchteten folgen. Ziad möchte seinem Bruder den Wohlstand in Luxemburg zeigen, wird jedoch von der Realität eingeholt. Dieser Beitrag konterkariert das Leitmotiv Luxemburgs „Mir wëlle bleiwe, wat mir sinn“ durch die Realität der Migration. Der Film zeigt unter allen Beiträgen vielleicht am stärksten auf, wie brüchig die luxemburgische Identität heute ist und wie tragfähig eigentlich die Ausgangsidee der acht Künstler*innen ist, das Leitmotiv in die Zukunft gerichtet zu verfremden.

Fährt man mit dem Aufzug hoch hinauf in den letzten Stock im Waassertuerm, so kann man in einem Kinosaal, abgekoppelt vom Rest der Ausstellung, einen Streifen sehen, in dem Luxemburg mit seinem Nation Branding fürs Space Mining und für seine Stahlträger, die weltweit verwendet werden, etwa auch an einem gigantisch glänzenden Hochhaus in Dubai, wirbt. Dazu passt die Video-Botschaft des Großherzogs Henri, der einen beim Betreten des Pavillons staatstragend mit den Worten empfing: „Welcome to our resourceful Luxembourg“ – Man möge einen faszinierenden Besuch haben! Die in der Dauerschleife abgespielte Grußbotschaft am Eingang übertönt groteskerweise den Rest der Ausstellung.

So erweist sich der Auftritt auf der Weltausstellung in Dubai 2020 als ein Mäandern zwischen kritischer Kunst auf der einen Seite und blanken Wirtschaftsinteressen auf der anderen Seite. Welche halbgare Botschaft sollte er aussenden, mit wem wollte man kommunizieren? Schlimmer noch: Nach den erhitzten Anfangsdebatten zog er sang- und klanglos an den meisten Luxemburger*innen vorbei.

Dieser Beitrag konterkariert das
Leitmotiv Luxemburgs „Mir wëlle bleiwe, wat mir sinn“
durch die Realität der Migration.

Was die Partizipation Luxemburgs auf der Weltausstellung in Osaka 2025 betrifft: Anlässlich der Konferenz im CNA am Abend des 29. November warb das für den Bau des neuen Pavillons designierte Architekturbüro Steinmetzdemeyer8 damit, dass der Pavillon auf der Weltausstellung 2025, der sich um die Kreislaufwirtschaft drehe, ganz ressourcensparend mit lokalen Materialien aus Japan gebaut werde. Das ist sicher verdienstvoll, doch mit welchem Inhalt wird gefüllt? Bleibt zudem die Frage, wie viele Menschen sich ins Flugzeug setzen werden, um den halben Globus zu umkreisen und diese Weltausstellung zu besuchen.

Die Benennung von Eric Thill (DP) als Kultur­minister, der ‚nebenbei’ noch als beigeordneter Minister zuständig für Tourismus ist, durch die neue schwarz-blaue Regierung, erscheint in dem Kontext nicht zufällig, sondern reiht sich in das liberale „Kulturverständnis“ ein, wie es bereits im Kulturhauptstadtjahr Esch2022 zum Tragen kam. Bleibt sich die schwarz-blaue Regierung treu, so droht in Osaka trotz eines ressourcen­sparenden schmucken Baus wohl eher ein touristisch-­kommerzieller Spielpark, bei dem die Kunst allenfalls für Content zuständig ist.  

  1. Vgl. „Kunst und die Luxemburger Beteiligungen an 23 Weltausstellungen (London 1851 – Shanghai 2010)“ mit Ulrike Degen, Kunsthistorikerin am MNAHA und Jean-Luc Mousset, Conservatoire honoraire am MNAHA. Die Konferenz fand am 29. November 2023 um 19h30 im CNA in Düdelingen statt.
  2. Ebd.
  3. http://tinyurl.com/R22-Dubai (alle Internetseiten, auf die in diesem Beitrag verwiesen wird, wurden zuletzt am 10. Dezember 2023 aufgerufen).
  4. http://tinyurl.com/Amn-Rep
  5. 2017 setzte sich dieses zusammen aus: Bernard Baumgarten, Claude D. Conter, Patrice Hourbette, Mathis Junet, Jo Kox, Paul Lesch, Kevin Muhlen, Laurence Rollier, Pascal Seil, Paul Thiltges, Giovanni Trono, Barbara Zeches.
  6. Der Zeitraum der Ausstellung wurde wegen der Covid-19-Pandemie verschoben und fand schließlich vom 1. Oktober 2021 bis zum 31. März 2022 in Dubai statt.
  7. http://tinyurl.com/2020LuxDub
  8. http://tinyurl.com/osaka2025

Anina Valle Thiele hat Politikwissenschaften in Bonn studiert und ist seit rund zehn Jahren als Journalistin in Luxemburg tätig. Sie schätzt gute Kultur wie „Anatomie d’une chute“ von Justine Triet, Baumkuchen, Bioweine und Brecht.

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