5 Fragen an … 

Misch Strotz

Als multimediale Agentur haben Sie sich selbst als Ziel gesetzt, „neue Medien zu verstehen“. Sind Ihrer Meinung nach Unterschiede auf internationaler und nationaler Ebene (insbesondere in Bezug auf Social-Media-Plattformen) festzustellen? Wenn ja, welche?

Luxemburg ist eine sehr kleine Bubble. Einen internationalen medialen Hype mit einem nationalen Thema zu erzeugen, ist sehr schwer bis unmöglich. Eher selten kommt es vor, dass es mal ein lokales Thema über die Grenzen hinaus schafft. In diesem Sinne ist es also meistens so, dass wir Luxemburger die Trends aus dem Ausland aufgreifen, statt unsere eigenen Trends zu erzeugen. 

Will man wiederum als Luxemburger online eine richtig große Reichweite aufbauen, muss man sich auf das Ausland konzentrieren, und vor allem auch die Zielgruppe dort verstehen. Hat man es im Ausland geschafft, springen die Luxemburger von selbst auf den Zug auf. Das war schon immer so: Wir schauen ausländische Filme, hören ausländische Musik und lesen ausländische Nachrichten. Schafft es mal ein Luxemburger in die internationale Presse, kennt ihn auf einmal jeder. Mit den sozialen Medien ist es heute nicht anders.

Im Ausland ist die Konkurrenz aber natürlich viel größer und so kommt es öfter vor, dass der luxemburgische Content Creator sich auch mal geschlagen gibt, weil er es trotz vieler Versuche nicht geschafft hat, im Ausland die notwendige Reichweite aufzubauen. Er/Sie kommt dann zurück nach Luxemburg und profitiert von den Erfahrungen und dem Wissen, das er/sie sich angeeignet hat.

Die Algorithmen der sozialen Medien spielen ebenfalls eine Rolle: Je nachdem, wo man sich befindet, werden die Inhalte an eine andere Zielgruppe ausgestrahlt. Postet man zum Beispiel seine TikTok-Videos nur in Luxemburg, mit dem Ziel in Berlin bekannt zu werden, dann wird das nicht funktionieren, denn der Algorithmus strahlt die Inhalte dort nicht automatisch aus.

Sie haben seit der Gründung von Neon Internet im November 2018 ein Netzwerk von Kreativen und Content Creators in Luxemburg aufgebaut. Wie hat sich die Branche in den vergangenen Jahren in Luxemburg verändert bzw. entwickelt?

Als wir Neon Internet gegründet haben, sah die Online-Welt noch etwas anders aus. Social media advertising war ein sehr gehyptes Thema, das gerade in Luxemburg angekommen war, und die App Musical.ly wurde eben erst in TikTok umbenannt. Der Hauptunterschied von damals zu heute ist, dass man heute den Leuten nicht mehr erklären muss, dass die sozialen Medien den Großteil unserer Aufmerksamkeit online beanspruchen. Die meisten Firmen optimieren nun ihre Inhalte für diese Medien, statt sie als unnötiges Übel abzutun. 2018 mussten wir den Leuten das erst noch beibringen, heute weiß das eigentlich jeder.

Hat man es im Ausland geschafft, springen die Luxemburger von selbst auf den Zug auf.

Die Marketing-Branche hat sich dementsprechend stark weiter entwickelt und auch die lokalen Content Creator arbeiten professioneller und qualitativer. Leider ist es aber immer noch so, dass der lokale Markt einfach sehr klein ist, und es erstens nicht viele große Marken gibt, die sich das Talent und die Reichweite dieser Leute leisten können (und sollen), und zweitens, dass wir bei einigen Kunden (vor allem bei Institutionen) noch manchmal auf Resistenz stoßen, wenn es darum geht, etwas Ausgefallenes oder Modernes zu produzieren. Allein als Content Creator von Werbeeinnahmen luxemburgischer Kunden zu überleben ist sehr schwer, und so haben auch heute eigentlich alle „Influencer“ immer noch einen „normalen“ Job neben der eigenen Präsenz in den sozialen Medien.

In den letzten zwei Jahren kam dann noch eine ganz neue Herausforderung hinzu, nämlich die generative künstliche Intelligenz. Der Content Creator von heute konkurriert inhaltlich nicht mehr nur mit realen Menschen, sondern auch mit Inhalten, die von einer Maschine generiert wurden. Das ist deshalb eine Herausforderung, weil die Aufmerksamkeit der Leute gleich geblieben ist. Ein Tag hat immer noch 24 Stunden, aber es gibt heute einfach viel mehr Inhalte als noch vor ein paar Jahren. 

Lohnt es sich, als Werbeagentur bzw. als Kollektiv tätig zu sein oder hat man als Einzelunternehmer*in bzw. Freischaffender mehr Vorteile?

Ich denke hier gehen die Meinungen stark auseinander. Das hängt vor allem von der Persönlichkeit ab und davon, wo man die Agentur oder das Unternehmen hinsteuern will. Wir haben selbst die Erfahrung gemacht: Wir sind bei Neon Internet innerhalb der ersten drei Jahre auf fast 20 feste Mitarbeiter gewachsen, nur um zu merken, dass das nicht das ist, was wir wollen. Die Kreativität hat darunter gelitten, unsere Agentur ist in eine Art Fließband­arbeit gefallen und auch die Profite wurden kleiner. Im letzten Jahr haben wir deshalb wieder stark zurück gerudert und uns an den neuen Markt und auch an die neuen KI-Möglichkeiten angepasst. Ist einem als Geschäftsführer der persönliche Stempel nicht (oder nicht mehr) so wichtig, sehen wir für Agenturen im Prinzip kein Problem in dieser Fließbandarbeit und im „Big Business“, aber uns hat das gelangweilt und das ist nicht, wofür wir stehen wollen.

© Carlo Schmitz

Was wir über die Jahre aber deutlich als Schema festgestellt haben, ist, dass die Motivation gute und vor allem schnelle Arbeit zu leisten, bei Freischaffenden einfach viel größer ist. Wir haben deshalb auch letztes Jahr die Entscheidung getroffen, keine Kreativen mehr als feste Mitarbeiter einzustellen, sondern die kreativen Ressourcen tatsächlich nur noch im Kollektiv einzukaufen. Unser Slack-Server (firmeninternes Chat-Programm) zählt heute über 50 Leute aus verschiedenen Ländern und mit unterschiedlichen Kompetenzen, sodass wir hier die richtigen Leute für die verschiedensten Jobs quasi auf Knopfdruck abrufen können. Das funktioniert super und lohnt sich mehr.

Wie gehen Sie bei der Auswahl von Influencer*innen / Content Creators für eine Kooperation vor? Folgen Sie einem moralischen Codex, Regeln oder Grenzen, bevor Sie eine Zusammenarbeit eingehen?

Wir haben über die Jahre ein Netzwerk an Content Creators aufgebaut, auf das wir für unsere Kampagnen zählen können. Die Auswahl treffen wir über verschiedene Kriterien: Passt die Person zur Marke? Vertritt sie deren Werte? Passen diese Werte zur Kampagne? Und haben wir überhaupt ein gutes Konzept? Die wichtigste Regel hierbei ist, dass der Creator authentisch ist. Wir haben auf unserer Plattform Neontools.io ein Tool entwickelt (Social Audit), das die Leute benutzen können, um genaue Zahlen zu ihren Influencern zu erhalten. Hiermit können wir auch Listen erstellen und unseren Kunden dann eine Auswahl vorschlagen. Der Kunde sieht dann sofort, ob die Influencer viele Fake-Follower haben, wie ihre Engagement Rates sind usw. Wir arbeiten grundsätzlich nicht mit Leuten die Inhalte produzieren, die wir nicht selbst konsumieren würden. 

Eine Herausforderung in der Zusammenarbeit Influencer/Kunde ist tatsächlich, etwas zu produzieren, das nicht wie eine offensichtliche Werbung aussieht. Ansonsten leidet sowohl das Image des Creators wie auch der Marke darunter. Wenn ein Kunde mit einer Idee zu uns kommt, und wir sofort merken: „Das wird nix“, bemühen wir uns auch, ihm das klar zu machen, und die meisten verstehen das dann auch.

Wie erreichen Sie die von Ihnen anvisierten Zielgruppen? Konnten Sie in den vergangenen Jahren feststellen, dass sich das Verhalten bzw. der Konsum derselben Zielgruppe (bspw. nach Altersgruppe) auf Social Media verändert hat?

Die meisten unserer Kampagnen zielen auf den luxemburgischen Markt ab. Dieser Markt ist insgesamt so klein, dass es sehr schwer ist, konkrete Aussagen zu machen. Über die Jahre wurde das Ausstrahlen von Inhalten via Werbung an bestimmte Zielgruppen auch immer stärker reglementiert und auch das Analysieren bringt weniger Resultate. Das liegt zum einen an neuen Regelungen zur Privatsphäre, sowie an entsprechenden Änderungen bei den Plattform Betreibern (z. B. Meta).

Die wichtigste Regel hierbei ist, dass der Creator authentisch ist.

Was man aber ganz klar über die letzten fünf Jahre beobachten konnte, ist, wie die Funktionsweise der Plattform TikTok unseren Medienkonsum verändert hat. Will ich die Aufmerksamkeit einer Person auf Social Media, habe ich mit meinem Video oder Bild dafür weniger als eine Sekunde Zeit. Setze ich also ein Logo oder „Intro“ an den Anfang meines Videos, habe ich meine Chance schon verspielt. Es gibt heute viele akademische Regeln darüber, wie meine Inhalte gestaltet sein sollen, damit sie die Aufmerksamkeit am besten einfangen. Wenn wir also einen wichtigen Tipp für heute geben können, würde dieser lauten: „So kurz wie möglich, so lang wie nötig“.

Interessant für die nächsten Jahre sind zwei Fragen. Erstens: Inwiefern wird man die Inhalte überhaupt noch für Menschen produzieren? Die Alternative wären multi­modale KIs/Bots, die die existierenden Inhalte noch einmal für den realen Menschen kuratieren und neu zusammenfassen. Zweitens: Werden die Inhalte selbst nicht bereits maßgeschneidert für den Nutzer sein? Der Algorithmus bzw. die Plattform weiß, was einem gefällt und generiert die Inhalte einfach selbst. Wer also heute „Content Creator“ werden will, dem empfehlen wir, sich mit generativer KI auseinanderzusetzen und zu verstehen, wie der Content von morgen aussehen wird.  


Misch Strotz ist ein luxemburgischer Unternehmer in den Bereichen creative tech und Marketing. Er ist CEO und Mitgründer von Neon Internet, einer Agentur, die sich auf neue Medien spezialisiert. Strotz ist ebenfalls der Erfinder hinter der Plattform LetzAI, der ersten Webseite, mit der sich KI-Bilder von luxemburgischen Dingen generieren lassen. 


Mehr zur Agentur 

Misch Strotz würde Neon Internet nicht als klassische Werbeagentur bezeichnen, sondern eher als Software-Firma mit dem Fokus auf Marketing-Themen. Was sie von anderen Agenturen unterscheide, sei ihre Leidenschaft für neue Technologien. Bei Neon Internet versuche man, sich nahe am Puls der Zeit zu bewegen und die Kunden bestmöglich mitzunehmen. Die Dienstleistungen seien dabei vielfältig und decken alle gängigen Medienformen ab, der Fokus läge heute aber klar auf Social Media und generativer KI. In diesem Sinne betreiben sie ebenfalls zwei eigene Plattformen: LetzAI (www.letz.ai), die erste KI-Plattform, mit der man Bilder von lokalen luxemburgischen Dingen generieren kann, und Neontools (www.neontools.io), eine Toolbox für digitales Marketing.

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