Friendly Fire

Über vertraute Nähe, klare Worte und Musikjournalismus in Luxemburg

Luxemburgs Musikszene ist klein, eng und vielschichtig. Doch wie kritisch darf man mit ihr umgehen, wenn man selbst Teil davon ist? Gedanken eines Journalisten, der Nähe nicht als Hindernis, sondern als Möglichkeit begreift.

Es ist ein Abend wie viele, wenn in Luxemburg Musik gefeiert wird. Der Saal ist voll, das Publikum bestens gelaunt und die Stimmung erwartungsvoll. Auf der Bühne präsentiert ein*e Künstler*in das Ergebnis monatelanger Arbeit, vielleicht sogar einer geförderten Residenz. Der Applaus ist freundlich, der Austausch danach ebenso.

Doch im Halbdunkel des Innenhofs, am Tresen oder auf dem Heimweg beginnen die leisen Kommentare. Zweifel an der künstlerischen Reife. Kritik an der Performance. Oder Fragen nach der Fairness der Rahmenbedingungen. Ausgesprochen wird das alles nur selten. Jedenfalls nicht laut.

In Luxemburgs kleiner, eng vernetzter Musikszene ist das keine Ausnahme. Unterstützung wird öffentlich gezeigt, Kritik lieber diskret dosiert, wenn überhaupt. Und auch wir Journalist*innen beschreiben oft lieber, als zu bewerten.

With a Little Help from My Friends

An gutem Willen fehlt es in diesem musikalischen Mikrokosmos beileibe nicht. Man hilft einander, wo man kann, feiert Erfolge und zeigt Präsenz. Es gibt ein gemeinsames Bestreben, die Szene voranzubringen, zusammen zu wachsen und einander die Türen offen zu halten. Viele Musiker*innen verbindet neben der Leidenschaft für die Kunst eine tiefe, oft langjährige Freundschaft. Man kennt sich seit langem, hat unzählige Konzertnächte miteinander verbracht, Proberäume geteilt und in verschiedensten Bands zusammen musiziert. Diese Nähe ist wertvoll, sie gibt Halt und hilft den Einzelnen, sich zu entwickeln. Doch sie kann auch problematisch sein.

Ich selbst habe in Bands gespielt, bevor ich zum Radio kam. Musik aus Luxemburg in meinem Job zu unterstützen, lag mir immer besonders am Herzen. Als Verantwortlicher für Musik und Programm beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk sehe ich es darüber hinaus als meine Aufgabe, lokale Musik beim lokalen Publikum groß zu machen. Auch meine Kolleg*innen sind auf unterschiedliche Weise musikalisch aktiv oder in der Szene engagiert. Das sorgt dafür, dass wir das Geschehen aus verschiedensten Blickwinkeln und mit viel Begeisterung verfolgen.

Auch wir tun uns, bedingt durch die Nähe und Enge der Szene, schwer mit aufrichtiger Kritik. Selten geben wir Musiker*innen direktes Feedback, aus Sorge, jemandem zu nahe zu treten. Leider machen wir, wenn wir ehrlich sind, sogar oft das Gegenteil: Selbst Musik, die wir als weniger stark empfinden, wird hervorgehoben, allein weil sie von Künstler*innen aus Luxemburg stammt.

Doch dieser Trend scheint sich erfreulicherweise zu verändern. Als wir uns vor einigen Wochen erneut intensiv mit dem luxemburgischen Repertoire in unserer Musikrotation beschäftigten, sonderten wir zahlreiche Titel aus: Stücke, die bislang gespielt wurden, obwohl sie unseren redaktionellen Ansprüchen eigentlich nicht gerecht wurden. Trotzdem stammen immer noch weit über der selbstauferlegten Quote von 10 % der gespielten Songs von lokalen Künstler*innen. Die Qualität der Produktionen aus Luxemburg ist in den letzten Jahren weiter konstant gestiegen – eine äußerst positive Entwicklung. Damit das so bleibt, braucht es jedoch mehr als Technik, Talent und Förderung: Eine lebendige, offene Kritikkultur ist ein entscheidender Faktor.

Unison

Vor einigen Monaten war ich in Island, einem Land, das Luxemburg in vielerlei Hinsicht ähnelt. Auch dort ist die Szene klein und eng vernetzt. Mein Eindruck war jedoch: Die einst legendäre kreative Strahlkraft scheint etwas an Energie verloren zu haben. Ob das mit einem Mangel an kritischer Auseinandersetzung zusammenhängt, lässt sich schwer sagen, aber der Gedanke drängt sich auf.

Auf Einladung der European Broadcasting Union war ich im November 2024 beim Iceland Airwaves, dem nördlichsten aller Showcase-Festivals, das schon lange auf meiner persönlichen Wunschliste stand. Besonders daran ist die Programmgestaltung: Traditionell treten dort sowohl bekannte (und weniger bekannte) Acts aus aller Welt als auch Künstler*innen aus Island auf. Viele der isländischen Namen konnten mich allerdings nicht überzeugen. Ich hatte den Eindruck, dass es dem lokalen Publikum oft genügte, wenn ein Act einfach isländisch war. Einige Bands wirkten, als hätten sie zum ersten Mal überhaupt eine Gitarre in der Hand und noch nie zuvor gesungen. Bei aller Liebe zum Indie-Spirit gab es aus meiner Sicht keinen objektiven Grund, diese Acts einem internationalen Fachpublikum zu präsentieren.

Natürlich lässt sich der ausgeprägte kulturelle Patriotismus der stolzen Inselnation nicht mit dem in Luxemburg vergleichen. Doch die nahezu bedingungslose Begeisterung für alles Isländische fand ich zumindest irritierend.

Siggi Gunnars, Musikchef beim öffentlich-rechtlichen RÚV 2, erklärte mir, dass rund die Hälfte der Songs auf seinem Sender von heimischen Künstler*innen stammt. Es erscheinen so viele Alben, dass die Redaktion jede Woche eine isländische Produktion als „Album der Woche“ vorstellt. Dabei, so Gunnars, versuche man grundsätzlich einen positiven und konstruktiven Ton zu treffen. Gleichzeitig schrecke man nicht davor zurück, ehrliches Feedback und konkrete Verbesserungsvorschläge zu geben.

Spannend fand ich zudem seine Beobachtung, dass derzeit immer mehr Künstler*innen auf Isländisch singen. Die Szene scheint sich zunehmend auf den eigenen Markt zu konzentrieren – einen Markt, den es in Luxemburg in dieser Form noch nicht gibt.

Papa Don’t Preach

Auf den Stolz der Isländer*innen für Musik aus ihrer Heimat blicken viele Luxemburger Musikschaffende mit einer gewissen Sehnsucht. Ich erinnere mich, dass Island immer wieder als Vorbild genannt wurde, als 2009 der Luxemburger Musikexport music:lx gegründet wurde: Weil das kleine Land früh in den Export seiner Künstler*innen investierte, hätten Acts wie Björk und Sigur Rós internationale Erfolge feiern können und zugleich der gesamten Szene Türen geöffnet.

Solch originelle Kunstprojekte seien nicht zuletzt möglich gewesen, weil die gesamte isländische Bevölkerung ihren Musiker*innen Anerkennung und Rückhalt bietet.

Über 15 Jahre nach der Gründung von music:lx ist Luxemburg spürbar sichtbarer auf der musikalischen Weltkarte geworden. Für mich wurde das im Mai 2024 besonders greifbar, als mein Kollege Philip Crowther der Band Francis of Delirium auf ihrer US-Tour in New York begegnete.

Nach dem Konzert in der legendären Mercury Lounge sprach er mit einem Fan, der sagte: „This is one of those shows where I’m going to think about this years from now and say I saw that band at that club.“

Aber leider ist Francis of Delirium nach wie vor ein Einzelfall, und ich bezweifle, dass viele den Namen kennen würden, wenn man Passant*innen in Luxemburg danach fragte. Musikjournalismus fühlt sich hierzulande deshalb oft eher wie eine Predigt an die Ungläubigen an, und nicht wie eine kritische Auseinandersetzung mit Kunst. Wie soll man einem Publikum von den Qualitäten und popkulturellen Feinheiten einer Szene erzählen, wenn sie kaum über ihre eigene Blase hinauskommt?

Such a Shame

Einige Stimmen aus dem Kulturbereich waren der Meinung, man könne den Luxemburger*innen stärker ins Bewusstsein rufen, dass auch hierzulande großartige Musik entsteht, und zwar durch eine erneute Teilnahme am Eurovision Song Contest. Die anfängliche Euphorie verklang jedoch schnell. Selbst die wenigen, die an dieses Märchen glaubten, merkten bald, dass eingekaufte Disney-Melodien und fernsehtaugliche Auftritte kein authentisches Bild der Popmusik zeichnen. Menschen, die sich wirklich für Musik interessieren, schenken diesem Wettbewerb ohnehin kaum Beachtung.

Ein inspirierendes Erlebnis war für mich die Teilnahme an einem Panel internationaler Musikjournalist*innen beim Sharpe Festival 2018 in Bratislava. Dort stellten slowakische Musiker*innen und Bands ihre Stücke zur Diskussion, eine Form des Austauschs, die es in ihrer eng vernetzten Szene bis dahin kaum gegeben hatte. Die Journalist*innen aus Großbritannien, Slowenien, Tschechien und Luxemburg teilten ihre Einschätzungen offen und fundiert. Seitdem wünsche ich mir auch in Luxemburg vergleichbare Formate. Solche Räume können wertvolle Impulse für eine respektvolle und offene Diskussionskultur geben.

Something Changed

Unsere Musikredaktion erhält jede Woche mehrere Songs von Luxemburgischen Musiker*innen, die sich Airplay wünschen. Manche von ihnen geben sich inzwischen nicht mehr mit einer Absage zufrieden, sie fordern professionelles Feedback ein. Angesichts der Flut an Bemusterungen ist das leider nicht immer möglich. Und oft liegt es auch gar nicht an der Qualität, sondern schlicht daran, dass die Musik stilistisch nicht ins Programm passt; etwa bei Metal, EDM oder Folklore. Doch es zeigt, dass einige Künstler*innen das kritische Ohr von außen nicht als Angriff auf ihre Person verstehen, sondern als Einladung zur Auseinandersetzung mit ihrer Kunst.

Umfeld, Know-how und Niveau stimmen in Luxemburg. Was es vielerorts noch braucht, ist die Bereitschaft, Kritik zu äußern, und seitens der Musikschaffenden anzunehmen. Musikjournalist*innen können dabei eine Rolle spielen. Nicht nur im Nachhinein, sondern vielleicht schon früher im kreativen Prozess. Gerade weil viele von uns die Szene gut kennen, den Markt überblicken und im Austausch mit internationalen Medien stehen, könnten wir Feedback geben, das ehrlich und hilfreich ist. Nähe muss kein Problem sein. Sie kann ein Vorteil sein, wenn man sie professionell nutzt. Wenn wir wollen, dass Musik aus Luxemburg gehört wird, dürfen wir Nähe nicht scheuen, sondern als Chance begreifen. 

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