Einen Rückblick auf 15 Jahre Sozialalmanach von Caritas Luxemburg hat sich die forum-Redaktion erbeten. Rückblickend auf 15 Jahre Sozialalmanach hat auch einer der Journalisten anlässlich der Pressekonferenz zur Publikation der 2021er Ausgabe gefragt, ob sich dieses Unternehmen gelohnt habe. Ich hatte und habe darauf mindestens drei Antworten parat.

Hat es sich gelohnt?

Erstens hat es Caritas Luxemburg geholfen, selbst zu sozialen Themen Stellung zu beziehen und nicht nur „Pflaster auf die Wunden zu kleben“, Almosen zu verteilen und aufzupassen, nicht im Assistenzialismus zu versinken. Dazu kam, dass Caritas Luxemburg wahrgenommen wurde als eine Organisation, die etwas zu sagen hat – und das auch tut. Sie wuchs zu einem anerkannten Gesprächspartner in sozialpolitischen Fragen hier im Land heran.

Zweitens, und diese Anerkennung stammt von jemandem, der selbst in verschiedenen Funktionen in der sozialpolitischen Arena Luxemburgs tätig war, haben wir es geschafft (gemeinsam mit anderen selbstverständlich), dass über Armut in Luxemburg wieder ernsthaft gesprochen, gestritten, gekämpft und verhandelt wird. Noch vor einigen Jahren hieß es stereotyp, Armut in Luxemburg sei nur rein statistisch vorhanden, und der Indikator „Armutsrisiko“ sei ungeeignet, und zwar vor allem für die Luxemburger Situation; so als würde man das Thermometer wegwerfen, wenn es Fieber anzeigt! Machen wir uns nichts vor, ganz ausgestanden ist die Sache noch nicht. Immer wieder tauchen Argumentationsketten auf, dass es bei einer solchen Definition zwangsläufig immer Arme geben werde, egal, wie reich ein jeder sei. Diese Leute haben leider noch immer nicht verstanden, worum es geht und wie der Indikator berechnet wird, was er folglich aussagt und was er nicht aussagt. Diesen Indikator habe ich in einem Beitrag für forum im Oktober 2010 beschrieben.1 In einer Vorlesung an der Universität habe ich mit den Studenten Beispiele von solchen falschen Äußerungen aus Tageszeitungen und anderen Medien besprochen: Den Studenten war sofort klar, dass die jeweiligen Autoren das Konzept nicht verstanden hatten.

Drittens, und das ist neben den zwei ersten Antworten die entscheidende: In aller Bescheidenheit dürfen wir notieren, dass wir mitgeholfen haben, den Anstoß für die eine oder andere soziale Reform zu liefern. Wir beanspruchen nirgendwo „Autorenrechte“, sind aber trotzdem für den erreichten sozialen Fortschritt genauso erfreut, wie wir traurig sind über nicht durchgeführte, aber unserer Meinung nach notwendige Reformen.

Die Idee

Der Sozialalmanach der Luxemburger Caritas entstand im Herbst 2006. Seit dem Beginn der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts fanden regelmäßig zweimal im Jahr Treffen zwischen Caritas Schweiz und Caritas Luxemburg statt, einmal hier und einmal dort. Während am Anfang vor allem die Koordinierung gemeinsamer Einsätze in der humanitären und Entwicklungshilfe im Fokus der Gespräche standen, kamen zunehmend auch andere Themen ins Spiel. Unter anderem auch die Sozialpolitik, und so stellte Caritas Schweiz uns ihren seit 1999 erscheinenden Sozialalmanach vor. Nachdem intern schnell abgeklärt war, dass so eine Publikation auch in Luxemburg gut passen würde, wurde das Projekt in Angriff genommen, um im Frühjahr 2007 anlässlich der Erklärung des Premierministers zur Lage der Nation die erste Edition zu veröffentlichen. Es war von Anfang an unsere Absicht, mit diesem Erscheinungsdatum zweierlei zu verknüpfen: einerseits das politische Geschehen nicht nur zu kommentieren, sondern auch zu beeinflussen, andererseits aber auch eine gewisse Sichtbarkeit zu erlangen. 

Die Struktur

Da zum Zeitpunkt der Planung der ersten Ausgabe Caritas Luxemburg mit daran beteiligt war, die erste der Journées sociales du Luxembourg zu organisieren und hierzu als Gastredner Gerhard Kruip, Professor an den Universitäten von Mainz und Hannover, vermitteln konnte, und da gleichzeitig die Tradition begründet wurde, dass dabei auf einen internationalen Redner der luxemburgische Premierminister eine Replik gab, waren die ersten beiden Autoren für den zweiten Teil der ersten Ausgabe schon gefunden. Dieser wird seit der ersten Ausgabe, wie beim Schweizer Vorbild, von externen, nationalen und internationalen Autoren bestritten. Er steht daher auch jedes Jahr unter einem bestimmten Schwerpunktthema, das nicht von Anfang an, aber seit mehreren Jahren bereits bottom up von Caritas-Mitarbeitern erarbeitet und dann von den Gouvernance-Gremien offiziell festgelegt wird. Das erste Schwerpunktthema „Soziale Gerechtigkeit“ hatte sich dabei übrigens, wie so häufig im Verlauf der 15 Jahre, quasi von selbst aufgedrängt.

Während dieser zweite Teil also sehr demjenigen des Schweizer Vorbildes ähnelt, ist der dritte Teil mit seinen untermauernden Statistiken ein vollständiges „Eigengewächs“. Dabei besteht er aus einer ersten Partie, in der seit 2010 die Indikatoren in ihrer Entwicklung dargestellt werden, die zur Evaluation des Fortschritts beim Erreichen der Ziele der Strategie „Europa 2020“ herangezogen werden. Sodann folgen in der zweiten Partie weitere Indikatoren zur Darstellung von Armut und Ungleichheiten. Während diese beiden Partien seit 2011 unverändert geblieben sind, wechseln die Indikatoren und Statistiken der dritten Partie im Gleichklang mit dem jeweils aktuellen Schwerpunktthema.

Im ersten Teil nunmehr, um auf diesen zum Schluss einzugehen, geht es wie bei Caritas Schweiz darum, jährlich die soziale und wirtschaftliche Entwicklung des Landes unter die Lupe zu nehmen. Das zentrale Kernstück im Luxemburger Sozialalmanach ist dabei stets ein Rückblick auf die letzte „Rede zur Lage der Nation“ des Premierministers sowie ein Ausblick auf die kommende. Daneben haben wir bis 2013 jährlich zahlreiche Beiträge, überwiegend von Caritas-Mitarbeitern und mir selbst, in diesem Teil versammelt. Seit 2014 gab es neben den beiden Kapiteln über die „Rede zur Lage der Nation“ nur noch eines, das sich mit der sozialpolitischen Entwicklung im abgelaufenen Jahr befasste, sowie eines, das die Fortschritte Luxemburgs beim Erreichen der Ziele der Strategie Europa 2020 im Rahmen des Europäischen Semesters analysierte.

Bewusst wurde auch von Anfang an Wert auf die Sprachenvielfalt gelegt. Während Teil 1 anfänglich deutsche und französische Kapitel enthielt, wurde seit der Ausgabe 2015 die erste Rede zur Lage der Nation von 2014 des 2013 neu gewählten Premierministers in derselben Sprache kommentiert wie die Rede selbst: auf Luxemburgisch. 2016 kam dann ein zweites luxemburgisches Kapitel hinzu, nämlich das mit dem Ausblick auf den nächsten „Etat de la Nation“. Und Teil 2 enthielt ab 2008 neben deutschen und französischen auch englische Artikel, zuletzt sogar mit sechs von 13 fast die Hälfte. Insgesamt überwog aber das Französische, von 183 Beiträgen waren deren 97 in der Sprache Molières verfasst gegenüber 59 in der Sprache Goethes und 37 in jener Shakespeares.

Während ein Vorwort der/des jeweiligen Präsidentin/Präsidenten den Almanach einleitete, konnten wir für eine Einleitung in den zweiten thematischen Teil jeweils einen Minister – passend zum Thema – finden (außer in Wahlkampfzeiten). Auf diese Weise haben zehn verschiedene Minister ihre Spuren im Sozialalmanach hinterlassen. Dabei war es wie eine weitere Klammer, dass sowohl die erste als auch die letzte Ausgabe jeweils vom amtierenden Premier „prefassiert“ wurde.

Überhaupt offenbart dieser Bogen von der ersten zur letzten Ausgabe in Bezug auf die Schwerpunktthemen, dass diese (meistens) sehr aktuell waren (siehe Tabelle). Darüber hinaus empfinden wir besonders die Themenfolge seit 2016 als in starkem Maße aufeinander aufbauend. Und letzten Endes ist das Thema 2021, das letzte, so etwas wie der Kulminationspunkt, auf den alles zulaufen musste.

Der Abschluss

Mit dem letzten Schwerpunktthema die großen Zukunftsfrage(n) aufzuwerfen: Was kann einem Schöneres passieren? Für diese letzte Ausgabe konnten wir 17 nationale und internationale Autoren gewinnen, die das Schwerpunktthema aus ihrem jeweiligen Blickwinkel in 13 Beiträgen bearbeitet haben. Sie werfen die entscheidenden Fragen auf, geben aber auch Antwortmöglichkeiten vor. Dabei wird deutlich, dass es zwar keine Patentrezepte gibt, auf die man sich zurückziehen könnte, dass es aber sehr wohl einer Kurskorrektur bedarf. „Auf keinen Fall so weiter wie bisher!“, könnte die gemeinsame Überschrift aller Beiträge sein. Und wenn man den ersten (nationalen) Teil dazu nimmt, dann wird deutlich, dass bei einem „Neustart“ nach Corona nicht die alten Fehler wiederholt werden dürfen. Als dringende Handlungsfelder werden herausgeschält: Armut und Ungleichheiten, Wohnungspolitik, Klimawandel, Steuerpolitik sowie Digitalisierung und Datenschutz. Dabei hängen diese Themen sehr eng miteinander zusammen, und nur, wenn in sie gleichzeitig Bewegung kommt, kann etwas Neues, Besseres entstehen. Dabei könnte unser neues Motto lauten: Respekt und Solidarität!

… und weiter!

Caritas Luxemburg wird auch nach dem Ende des Sozialalmanachs weiterhin ein Ohr an der und ein Auge auf die Politik haben und sich dort zu Wort melden, wo die Vulnerablen und Vergessenen eine Stimme brauchen. Wie genau, das wird sich nächstes Jahr zeigen. Bleibt mir hier nur noch, der Œuvre Nationale de Secours Grand-Duchesse Charlotte zu danken, die die Produktion des Sozialalmanach all die Jahre unterstützt hat. Ohne sie und ihre Unterstützung hätte es den Sozialalmanach nicht gegeben.  

  1. Robert Urbé, „Armut? Was ist das?“, in: forum 300, Oktober 2010, S 18-22.

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