Vor 20 Jahren wurde der Bahnhof Gare-Usines dem Centre de Documentation sur les Migrations humaines (CDMH) von der öffentlichen Hand – Gemeindeverwaltung Düdelingen und Kulturministerium – als Vereinssitz zur Verfügung gestellt. Dies mit der Auflage, in den frisch renovierten Mauern ein Migrationsmuseum einzurichten. Gekommen ist es anders.
Im Bahnhof selber ist seitdem das Centre Doc untergebracht, ein Ort an dem man sich über Wechselausstellungen, in einer spezialisierten Bibliothek und Archiven sowie bei Vorträgen und Tagungen in verschiedenster Weise über das Migrationsgeschehen (Ein- und Auswanderung) in Luxemburg und in der Welt informieren kann. Das eigentliche Museumsgeschehen spielt sich dagegen vor den Toren des Bahnhofs ab, nämlich in dem von der Migration geprägten Viertel „Italien“. Studierende der Architektur-abteilung der Miami University Oxford/Ohio und ihre Professoren haben für das Dokumentationszentrum das Konzept des „Museums ohne Mauern“ entwickelt. Besucher können demnach viele Aspekte der vielfältigen Einwanderungsgeschichte Luxemburgs vor Ort in dem Quartier entdecken.
Die Gründe für diese originelle, aber bescheidene Lösung liegen auf der Hand. Die Migrationsgeschichte Luxemburgs ist derart facettenreich, dass es im Kulturhauptstadtjahr 2007 schon die fast 6000 m2 des stillgelegten Düdelinger Stahlwerks brauchte, um ihr in der aufwändigen Ausstellung „Retour de Babel“ annähernd gerecht zu werden.1
Dies führt uns zurück zu den „grass roots“-Anfängen des Dokumentationszentrums in den 1980er Jahren, einer Zeit die von vielen gesellschaftlichen Basis-Bewegungen geprägt war. In dem Verein CDMH haben sich erinnerungs- und kulturpolitische sowie pädagogische Stränge verflochten. Erinnerung forderten die Nachkommen zweiter oder dritter Generation der italienischen Einwanderer Düdelingens ein. Sie bedauerten, dass mit dem Verschwinden der Hütte auch die Verdienste ihrer Eltern und Groß- eltern um den wirtschaftlichen Aufschwung Luxemburgs in Vergessenheit zu geraten drohten. Sie betrieben „oral history“, sammelten Fotos und Dokumente.2 Freiraum für die pädagogische Auseinandersetzung mit Migration, auch in der Absicht eines „empowerment“ von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund, bot das damals am Lycée Nic Biever praktizierte „Didelenger Modell“. Erinnerungskultur und Pädagogik haben 1988-1989 in dem Projekt An Italien zusammengefunden. Erstellt wurde eine Fotoausstellung und eine Videodokumentation über das Italienviertel. Unabdingbarer Partner war bei dieser Aktivität das neu entstandene Centre national de l›audiovisuel (CNA). Die Sichtbarkeit vom An Italien hat ihrerseits die Lokalpolitik in der Absicht bestärkt, das Thema Migration in Düdelingen dauerhaft und prominent zu etablieren. Das im Umfeld der Fondation Bassin Minier entwickelte Projekt der itinéraires interdisciplinaires du Bassin minier hatte nämlich der Forge du Sud die Auseinandersetzung mit den Thematiken „Soziales und Migration“ empfohlen.3 So wurde 1993 die Initiative An Italien durch die Gründung des Vereins CDMH dauerhaft etabliert. Ziel des Zusammenschlusses sollte sein, auf die historische Normalität von Migration hinzuweisen, sowie die wissenschaftliche Aufarbeitung der Migrationsgeschichte zu fördern. Damit sollte ein Zeichen gegen die aufkeimende Fremdenfeindlichkeit gesetzt werden.
Dieses Ansinnen ist durchaus auch heute noch aktuell. Trotzdem schien es zum Saisonabschluss 2016/2017 angebracht, einmal Bilanz zu ziehen, da sich in dem Verein CDMH nicht nur ein Generationswechsel, sondern auch ein Übergang von überwiegend ehrenamtlicher zu professioneller Arbeit anbahnt. Ob und wie die öffentliche Hand bereit ist, diese Entwicklung zu begleiten, ist eine offene Frage.
Nachzulesen ist dieses spannende Kapitel Zeitgeschichte in dem Buch Migrations – Histoire, mémoire, patrimoine. Les 20 ans du CDMH, das soeben als 9. Band in der Publikationsreihe Mutations der Fondation Bassin Minier erschienen ist.4
Antoinette Reuter
1 Die Ausstellung war ein Gemeinschaftsprojekt des CDMH, des Ausländervereins CLAE und der Stadt Düdelingen.
2 Diese Akteure um Marcel Lorenzini waren die eigentlichen Vordenker des CDMH.
3 Die mit öffentlichen Geldern dotierte «Fondation Bassin Minier» wurde 1989 geschaffen, um sozio-kulturelle Projekte in den von der Stahlkrise gebeutelten Gemeinden der Südregion anzuregen und zu unterstützen.
4 Zu beziehen über das CDMH oder www.fondationbassinminier.lu (25 €)
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