3 Fragen an …

Philippe Nathan und Sergio Carvalho (2001) zu ihrem Projekt "Soil and People"

forum: Das Team um 2001 war eines der Architekten-Teams, das im Rahmen des Projektes Luxembourg in Transition Szenarien für ein klimaneutrales Luxemburg entwickelte. Das Szenario, das Sie vorgelegt haben, trägt den Titel Soil and People. Warum ist für Sie der Boden noch immer zentral für die Zukunftsentwicklung eines Landes?

2001: Das Ressourcen-Vokabular hat sich in den letzten 20 Jahren zögerlich in das Narrativ der Stadt- und Landesentwicklung, aber auch in das der Architektur eingebracht, sogar in Luxemburg: zögerlich, weil insgesamt Konzepte wie z. B. graue Energie, die Berücksichtigung der Herkunft oder Reduktion von Materialien sich immer noch schwertun und in den Schatten der, oder eher einer, Energieeffizienz gestellt werden. Der Earth-Overshoot Day ist hierzu wohl die greifbarste Illustration, um das Verständnis der Beziehungen zwischen Lebensstilen und Ressourcen-Konsum zu fördern. Unser Abschneiden ist hier ja bekannt; am Valentinstag haben wir unsere theoretischen Ressourcen aufgebraucht. 

All-you-can-eat territory

Der Boden oder eher das Land, über das wir verfügen, wird dabei vor allem in Luxemburg als Ressource chronisch unterbewertet. Dies erscheint natürlich wie eine ironisch-­sarkastische Aussage, wenn man sich die Preise von Bauland anschaut. Zu berücksichtigen sind jedoch eher die Art und Weise unserer Entwicklung, sprich unsere Planungskultur, welche bis heute das Land recht exklusiv in vier Funktionen fragmentiert: Wirtschaftliche Zonen, Wohnungsbau, Infrastruktur, Landschaft, häufig mittelmäßig bis fahrlässig bebaut oder genutzt. Ein erschreckendes Fazit ist hier, dass unsere demografische und ökonomische Entwicklung – bei uns eher Ausbreitung – fast immer auf Kosten von Landschaft und Landwirtschaft gehen und das mit verheerenden Folgen für die Wasserwirtschaft, das Klima, die Biodiversität, die Ernährungssouveränität, kurz: für unsere Lebensqualität.

Black-Friday-Ansturm auf ein All-you-can-eat-Buffet 

Vor allem in unserem kleinen Land ist das bulimische Auffressen von Flächen flagrant: Mit 0,5 Hektar pro Tag haben wir die vierthöchste Landnahme-Rate in Europa. Des Weiteren ist es aber nicht nur der Bau, sondern auch die Infrastruktur, die Flächen frisst: Luxemburg wurde somit zur fragmentiertesten Landschaft der Großregion, Ausdruck einer mittelmäßigen Bebauung, welche die suburbane Ausbreitung mit sich bringt. Der Fußabdruck von Bau und Infrastruktur hat sich somit zwischen 1990 und 2020 fast verdoppelt, von 8 % auf 15 %. Bei dem heutigen Wachstum und der jetzigen Planungs- und Baukultur wäre das Land somit in 250 bis 350 Jahren komplett überbaut, verbaut…

Dies war also unsere Ausgangsgleichung: der Mensch, welcher den Boden bewirtschaftet. Diese Bewirtschaftung, Ausnutzung, Pflege, kurz diese Beziehung vom Menschen zu seinem Boden hat enorme gesellschaftliche, aber auch ökologische Auswirkungen, aber natürlich auch Potenzial. 

Eine Region, die sich ernähren und bauen kann

In verschiedenen Simulationen hat sich ergeben, dass der Boden Luxemburgs und seiner bio-funktionalen Region (gemeint ist ein Territorium, im Gegensatz zur funktionalen Region; erstere ist nicht definiert durch exklusiv ökonomische Zusammenhänge, sondern durch ökologische und landschaftliche Ressourcen, meist grenzüberschreitende Einheiten) die theoretische Kapazität hat, Nahrung und Baumaterial für eine wachsende Gesellschaft zu produzieren. Natürlich unter verschiedenen Bedingungen.

Unser Lebensstil ist ausschlaggebend für diese Bedingungen: Sowohl unser Wunsch nach einem Einfamilienhaus in der Vorstadt als auch unsere milch- und fleischintensive Ernährung spiegeln sich in unserer CO2-Bilanz, aber auch in unserem Bedarf an Boden wider. Somit benötigen wir heute enorme Ackerflächen im Ausland, um sowohl unsere Viehherden als auch uns selbst zu ernähren; teilweise auch, weil diese Flächen vom (Vor-)Stadtbau verdrängt worden sind. Der Bezug vom Menschen zum Boden ist somit essenziell, nicht nur im Hinblick auf die Klimakrise, sondern auch auf die ganzheitliche Zukunft unserer Gesellschaft.

Welche ökologischen Funktionen müssen wir beim Boden berücksichtigen?

Um unsere CO2-Bilanz bis 2050 senken zu können, brauchen wir negative Emissionen. Hierzu gibt es zwei Möglichkeiten: eine technische, für die der Kostenpunkt um ein Vielfaches höher ist (±134-342$/tCO2 vs. ±27$/tCO2) und die Technologie gerade erst erschaffen und getestet wird, und eine natürliche, bei der die Bindung von Kohlenstoff im Boden und der Flora stattfindet. 

Verschiedene Bodenbegebenheiten haben dabei verschiedene Produktions- und Speicherkapazitäten. Dabei ist Bewaldung bei der Kohlenstoffbindung und Wasserwirtschaft nur schwer schlagbar. Jedoch entwickeln auch die Land- und Forstwirtschaft Techniken, um den im Boden gebundenen Kohlenstoff bei der Bearbeitung nicht freizusetzen – und trotzdem gewinnbringend zu bewirtschaften. 

Mithilfe von Algorithmen konnten wir simulieren, inwiefern verschiedene demografische Wachstumsraten verschiedene Bedürfnisse an produktiven Flächen benötigen werden. Der Einfluss unseres Ernährungsstils wird hier zunehmend entscheidend. Der Wechsel zu proteinreicheren Getreiden scheint unausweichlich, um die Gleichung zwischen Wachstum, Land und Ernährung, aber auch neuen Wirtschaftszweigen zu lösen. 

Grundlegend ist: Ein versiegelter Boden nimmt kein Kohlendioxid auf. In der Boden-und-Mensch-Dialektik gedacht, müssen wir also anfangen, Land unter verschiedenen Aspekten zu berücksichtigen. Hier ist der überirdische Wert produktiv: sowohl für die Immobilie als auch für den Ackerbau oder die Forstwirtschaft. Der unterirdische Wert sollte die Allgemeinheit interessieren: die Kapazität des Wasserrückhalts und vor allem der Kohlenstoffbindung. 

Zwischen diesen beiden Aspekten müssen wir also in Zukunft bei Planung und Politik abwägen; nicht nur wie, sondern wo und wann wir bauen, werden die zentralen Fragen sein, die aber unsere Bauwirtschaft und gesellschaftliche Entwicklung nicht zwingend aufhalten oder bremsen müssen. 

In Luxemburg besteht eine enorme Nutzungskonkurrenz im Hinblick auf den Boden, und die Versiegelung schreitet schnell voran. Wie ließe sich diese Entwicklung konkret umkehren? Was bräuchte es dazu?

Um die doppelte Kapazität unseres Bodens zu mobilisieren, also sowohl die produktive als auch die kohlenstoffbindende Eigenschaft mit der Entwicklung unserer Gesellschaft zu verknüpfen, bedarf es eines Paradigmenwechsels: einer neuen Planungs- und Baukultur. 

Zu einer neuen Planungs- und Baukultur

Wir brauchen eine Planungskultur, welche systematisch verhindert, dass bestehendes Acker- oder Waldland der mittelmäßigen Entwicklung verfällt, jedoch zugleich unterentwickelte versiegelte Flächen identifiziert und neue Maßstäbe setzt, um diese Gebiete optimal zu nutzen und somit demografisches und wirtschaftliches Wachstum qualitativ ermöglicht. Denn auch angesichts der Wohnungsbaukrise und des Verkehrskollaps scheint die jetzige Herangehensweise pervers. Diese neue Planungskultur wird zugleich eine Baukultur fördern, die Zugriff auf regionale Ressourcen vorziehen und somit regionale und lokale Wertschöpfungsketten beschleunigen wird.

Net-zero growth

Ein zentrales Konzept dieser Verknüpfung ist hier net-zero growth; die Kontraktion zwischen net-zero emmissions, also der Klimaneutralität, net-zero landtake, der verhinderten Landnahme, und growth, sprich Wachstum als gesellschaftliches Modell. So lange Wachstum als exklusives systemrelevantes Modell dient, muss es zwingend in die Gleichung von Entwicklung und Klimakrise eingebracht werden.

Transferrable development rights vs. perimeter plague

Da aber in unseren Bebauungsplänen heute Landnahme verankert ist und die ökonomische Bewirtschaftung von Grünflächen durch Immobilienentwicklung in die spekulativen Buchhaltungen eingeflossen ist, bedarf es eines transitorischen Instruments.

Die Übertragung von Entwicklungsrechten und somit wirtschaftlicher Ausschöpfung – weg von Grünflächen, hin zu versiegelten und/oder mittelmäßig ausgeschöpften Bebauungen – kann hier zum legalen Planungswerkzeug werden. In der anglosächsischen Gesellschaft verankert, um kulturelles und landschaftliches Erbe für die Allgemeinheit zu schützen, könnte dieses Instrument uns dazu dienen, die fahrlässige Ausbreitung unserer Dörfer und Städte zu bremsen, diese jedoch funktional, räumlich und sozial zu intensivieren.

Damit hätten wir ein transitorisches Instrument, das private Interessen und Rechte mit dem Nutzen für die Allgemeinheit verbindet – in Erwartung einer neuen Generation von Bebauungs- und Intensivierungsplänen.  

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