Vom Sprechen und Gehörtwerden

Nachtrag zum public forum über #metoo

Am 16. April hatte die Zeitschrift forum zu ihrer Veranstaltungsreihe public forum in die Rotonden nach Luxemburg-Bonnevoie geladen. Diesmal zum Thema #metoo. Dass der Abend in der luxemburgischen Version #echoch angekündigt war, setzte indirekt gleich zwei Fragen voraus, die es zu klären galt: Welche Relevanz kann ein im Kontext des Hollywood Film-Business entstandener Hashtag in den sozialen Medien in einem Land wie Luxemburg haben? Und wie viel von der zumindest im US-Diskurs beanspruchten „Bewegung“ ist hierzulande tatsächlich angekommen? Was als offene Diskussion zwischen Vertretern aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen und dem anwesenden Publikum, hauptsächlich über die Medien- und Öffentlichkeitsrezeption in Luxemburg des zum größten Teil medial getragenen Phänomens, vorgesehen war, sollte sich u.a. zu der weitaus problematischeren Frage hin entwickeln, welche Möglichkeiten Betroffene tatsächlich haben, zu ihrem Recht zu kommen.

Dass #metoo seit Oktober 2017 Ausdruck der skandalösen Enthüllungen in der Filmbranche und spezifischer noch der mutmaßlichen Übergriffe eines männlichen Filmproduzenten und Medienunternehmers gegenüber seinen weiblichen Kolleginnen geworden ist, hat in der öffentlichen Wahrnehmung nicht zwangsläufig auch dazu geführt, dass es zu einer einheitlichen Definition des Phänomens gekommen ist. Was hauptsächlich als Symbol eines männlichen Machtmissbrauchs gegenüber Frauen wahrgenommen wird, kann generell, wie Céline Derveaux präzisierte, überall dort stattfinden, wo ungleiche und asymmetrische Machtbeziehungen vorherrschen, die Übergriffen unterschiedlichster Art (von verbaler Bedrängnis, über körperliche Belästigung, Nötigung bis hin zur Vergewaltigung) – eben nicht nur heterosexueller, sondern auch homosexueller Natur – den Weg ebnen. Auch sei eine begriffliche Unterscheidung in der Terminologie zwischen „sexueller Gewalt“ und „sexualisierter Gewalt“ geboten, um zu kennzeichnen, dass die positive Dimension von Sex und Erotik in dieser Form von Machtanmaßung und Gewaltausübung ausgeklammert werden muss. Dass aber gerade die Filmbranche, in der der eigene Körper als Arbeitsinstrument dient und die zeitweilige Abgabe der Verfügungsgewalt über ihn zum Berufsprofil gehört, für diese Form des Missbrauchs anfällig ist, sei laut der Theaterregisseurin Anne Simon insofern naheliegend, als sich unter dem Deckmantel der Darstellungs- und Inszenierungskunst körperbezogene Handlungen einfordern lassen, die als Teil des „Jobs“ gerechtfertigt werden können. Dieser schmale Grat zwischen Privatraum und öffentlicher Person, der dem Beruf des Schauspielers per definitionem eingeschrieben ist, führe dazu, dass gerade diese Branche viel Gelegenheit für Machtmissbrauch biete, gleichzeitig aber auch an der Quelle jener Öffentlichkeitsproduktion stehe, die diese Missstände erstmals erfolgreich offenlegen konnte.

Wo liegt das Verdienst der Medien?

Die Rolle der Medien liegt auf der Hand, auch wenn es schon lange vor der Geburt des Hashtags Versuche gegeben hat, Frauen zur Solidarisierung aufzufordern und sie zu ermutigen, von ähnlichen Erfahrungen zu berichten. Welches Verdienst den Medien dabei tatsächlich zukommt, dass Frauen dieser Aufforderung heute vermehrt nachkommen, bleibt insofern ambivalent, als gerade die Medien in ihrer Debatte um das Phänomen #metoo mit Rhetoriken vom „zur Sprache bringen“ bestimmter Missstände seitens der Medien und dem dadurch ermöglichten „Brechen des Schweigens“ seitens der Frauen einen eigenen Opferdiskurs produzieren, der droht, den eigentlichen Kern der Debatte zu verfehlen und dadurch hegemoniale Machtverhältnisse zu reproduzieren. Der Opferdiskurs, der von der Prämisse der eingeschüchterten Frau ausgeht, die jahrelang geschwiegen habe und erst durch den technologischen Fortschritt zu einer neuartigen Sprachfähigkeit gekommen sei, die ihr den Weg aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit ebnen konnte, ignoriert eine der wichtigsten Erkenntnisse, die sich aus den Hollywood-Enthüllungen um Weinstein oder auch den jüngsten Anschuldigungen gegen den deutschen WDR retrospektiv ziehen lassen – nämlich die, dass das vermeintliche „Schweigen“ der Betroffenen und Opfer eben nicht Ausdruck von fehlender Aussagebereitschaft, sondern mangelnder Aufnahmebereitschaft war. Nicht zuletzt deswegen lässt sich auf die Spekulation der Medien, wieso die betroffenen Frauen bis jetzt geschwiegen haben, nicht anders als mit einer Gegenfrage antworten: Wieso können die ausdrücklichen Versuche von damals, zur Kenntnis zu bringen, was z.T. über Jahrzehnte etwa als Vermerk in Personalakten, wie der des WDR-Korrespondenten stumm geblieben ist, heute erst lautstark nachhallen? Ein Teil der Antwort darauf könnte zumindest in der Revidierung der Ausgansfrage – nicht danach, wieso betroffene Frauen nichts gesagt haben, sondern danach, wieso sie nicht gehört wurden, zu finden sein. Während also die Frauen, die in der Vergangenheit sehr wohl schon gesprochen haben, nicht auf Gehör gestoßen sind, wird jenen, die sich tatsächlich jetzt erst trauen, der Zeitpunkt ihrer Wortmeldung zur Last gelegt. Wie gut oder schlecht ein Thema in der Presse aufgegriffen wird, hängt, wie die Journalistin Ines Kurschat erklärte, nicht unwesentlich davon ab, wie es in der breiteren Öffentlichkeit diskutiert wird. Die Presse habe in erster Linie eine Abbildungsfunktion.

Das Verdienst der Medien im Hinblick auf #metoo kann sich insofern gerade nicht auf das Aufdecken eines Phänomens beziehen, sondern nur darauf, einem immer schon existierenden Missstand zu Sichtbarkeit und Nachdruck verholfen zu haben, hauptsächlich dadurch, dass allein die schiere Masse an Aussagen von Betroffenen und Opfern vor allem auf Kanälen wie Twitter, Facebook und Co. dazu führen musste, dass sie auch von den Mainstream-Medien endlich aufgegriffen wurden. Nicht weil es sie nicht vorher schon gegeben hätte, sondern weil sie in ihrer offensichtlichen Anzahl nicht mehr übergangen, abgewiegelt, in ihrer Beweislast als zu geringfügig zurückgewiesen oder unterschlagen und kaschiert werden können – eine Dimension, die in der Diskussion um #metoo und den Begriff des „Machtmissbrauchs“, auf den es allgemein zugespitzt wird, erschreckend unreflektiert bleibt. Nicht zuletzt weil gerade solche Fälle wie der von Weinstein oder Bill Cosby eindrucksvoll gezeigt haben, dass sich das eigentliche Problem nicht auf vereinzelte und gelegentliche Fauxpas von übermächtigen Einzelpersonen beschränkt, sondern den systematischen und konsequenten Missbrauch durch ein geschlossenes Machtgefüge umfasst, das Weinstein und Co. erst mit den Ermächtigungen ausstattete, das zu tun, was sie mutmaßlich zigfach und jahrelang tun konnten. Eben weil sie in einem gut funktionierenden System aufgehoben waren, das sie institutionell wirksam schützte.

Das Problem des selektiven Zuhörens

Die Annahme, dass sexualisierte Übergriffs- oder Gewalthandlungen nur Symptom eines strukturell viel tiefergreifenden Problems sein könnten, müsste dann auch zu der Einsicht führen, dass sich die asymmetrische Machtkonstellation zwischen Täter und Opfer auch auf anderen Ebenen – notgedrungen auch auf der der Kommunikation – fortsetzen muss. Dass eine Aussage nicht beim Rezipienten ankommt, muss nicht zwangsläufig darauf zurückzuführen sein, dass sie nie versendet wurde, sondern kann eben auch bedeuten, dass ihre Übermittlung auf der Empfängerseite gehemmt war. Ein systematisches Problem, das sich konkret in der Frage äußert, wie viel von einer Aussage die für Strafverfolgung zuständigen Behörden und Institutionen im Konkretfall überhaupt erreichen kann, wenn ihre Übermittlung schon auf den untersten Stufen des langen Instanzenweges im Ermessen unbetroffener Dritter liegt.

Dass es neben den vielen schwer traumatisierten und eingeschüchterten Frauen durchaus auch solche gibt, die sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten lautstark zu Wort melden und damit auf eine übergreifende Problematik jenseits des Täter-Opfer-Modells hinweisen, wurde deutlich, als sich wider Erwarten auch beim public forum zwei Frauen aus dem Publikum meldeten, die als ehemalige Opfer von sexueller Gewalt jeweils einen persönlichen Erfahrungsbericht mit den Anwesenden teilten. Weit über die Filmbranche hinaus kann Macht überall dort missbraucht werden, wo sie in konzentrierter Form auftritt und für ungleiche Ausgangsbedingungen sorgt. Es handelt sich demnach ganz klar um ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, das alle Berufssparten und gesellschaftlichen Schichten umfassen kann.

Ob das Potenzial des „Multiplikator-Effekts“ sozialer Medien aber dazu beitragen kann, dass das Phänomen #metoo tatsächlich eine Rückkopplung in der Gesellschaft erfährt und dadurch auch andere Bereiche durchdringen kann, bleibt nach Einschätzung von Ines Kurschat noch abzuwarten. Dass #metoo, angetrieben durch Hollywood-Schauspielerinnen, also größtenteils Frauen der Öffentlichkeit, die bereits einen hohen Bekanntheitsgrad und große Reichweite hatten, eine medienwirksame Lawine lostreten konnte, bietet, wie Céline Derveaux betonte, keinen Anlass zu großer Hoffnung. #metoo muss keinesfalls den gleichen Effekt bei weitaus unbekannteren oder sozial schwächeren Frauen haben, sondern kann sich sogar zu ihrem Nachteil auswirken.

Bis wohin reicht der Arm des Gesetzes?

Eine Entwicklung, die von allen Anwesenden als positiv hervorgehoben wurde, ist die Aufnahme des Phänomens der sexuellen Belästigung ins Arbeitsrecht. Jeder Arbeitgeber ist heute juristisch dazu verpflichtet, seine Mitarbeiter*innen vor sexueller Belästigung jeglicher Art zu schützen und etwaigen Meldungen nachzugehen – ein zweifellos entscheidender Fortschritt und grundlegend in seiner Bedeutung für potenzielle Opfer. Zumindest theoretisch und im Idealfall. Diskutiert wurde nicht, was geschieht, wenn die vermutete Schutzwirkung des Gesetzes versagt. Die Kernfrage bleibt immer noch, wie sich die viel subtilere Form des Machtmissbrauchs, etwa in Form von unterlassener Hilfeleis-tung seitens des Vorgesetzten, nachweisen – oder viel wichtiger noch – der Versuch zur Anzeige zu bringen, was schon am Arbeitgeber gescheitert ist, konsequent weiterverfolgen lässt? Über genau diesen blinden Fleck des Gesetzes sprechen wir nämlich, wenn wir über Machtmechanismen und -strukturen reden – eine Schwachstelle, die, wie der Jurist und UN-Botschafter für Menschenrechte Marc Bichler erklärte, zweierlei Gründe hat: Zum einen den, dass das Gesetz so allgemein wie möglich formuliert sein muss, um die möglichst höchste Anzahl an Tatbeständen abzudecken und zum anderen den, dass das Gesetz eben erst post factum, also nach begangener Tat greift. Und diese gilt es erst einmal zu beweisen.

Dass der Gesetzgeber also durchaus bemüht ist, einen umfangreichen Strafrahmen mit entsprechenden Maßnahmen zum Schutz von potenziellen Opfern anzubieten, kann nicht darüber hinweg täuschen, dass die juristische Verpflichtung zu Gesetzestreue alleine oder ein potenzielles Strafmaß bei Nichteinhaltung keinen allumfassenden und effektiven Schutz bietet. Was übrig bleibt, ist die bittere Erkenntnis, dass der vermeintlich lange Arm des Gesetzes eben doch nicht in alle Winkel reicht.

Fazit

Während sich beim public forum gleich zwei Frauen mit einem so traumatischen wie intimen Erlebnis selbstbewusst den Augen der Öffentlichkeit stellten und offen und bereitwillig Auskunft gaben, kann die Justiz auf Anfrage der neugewählten Präsidentin des Presserats gerade einmal einen aktenkundigen Fall anführen, der unter dem Kennzeichen sexueller Belästigung geführt wird – ein zweifellos repräsentativer Wert für ein ganzes Land. Die Frage bleibt nur wofür. Und weil niemand sich dieses Fehlen von angezeigten Fällen so recht erklären kann, werden wir uns auch weiterhin fragen, wie wir eingeschüchterte und vermeintlich unmündige Opfer dazu ermutigen können, Anzeige zu erstatten. Ein möglicher Ausblick im Kontext von #metoo könnte das Schaffen eines angemessenen und grundlegenden Bewusstseins sein. Genau dieses Bewusstsein kann schon damit anfangen, dass man sich der eigenen privilegierten Position bewusst wird, aus der heraus man argumentiert. Oder aber als öffentliches Medium und Veranstalter sich bewusst der Verantwortung stellt, mit der man die Rahmenbedingungen und Parameter dessen legt, wie und unter welchen Bedingungen eine solche Diskussion überhaupt erst verlaufen kann. Es wäre utopisch zu erwarten, bei einer solchen Veranstaltung zu einem zufriedenstellenden Ergebnis für alle Beteiligten kommen zu können. Man kann aber dazu beitragen, dass in der Diskussion um Machtmissbrauch auch die Stimmen jener Menschen zur Kenntnis genommen werden, die nicht so privilegiert waren, über dieses Thema nur aus theoretischer Sicht debattieren zu dürfen.

 

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