Alten- und Krankenpastoral im Erzbistum Luxemburg

„Alles wirkliche Leben ist Begegnung“

Wer altert und/oder krank wird, sieht sich konfrontiert mit einer Änderung des bekannten Umfeldes bzw. der gewohnten Lebensweise. Das können ein Aufenthalt, respektive sich wiederholende Aufenthalte in der Klinik sein oder die zwangsläufige Wahl, wie das Leben unter neuen Umständen gestaltet werden soll. Ist es möglich, weiter zu Hause zu leben, braucht es ambulante Hilfe und Unterstützung oder muss es ein Umzug in ein Alten-/Pflegeheim sein? Wie mit der Erkrankung und den einhergehenden Unannehmlichkeiten und Einschränkungen umgehen?

Damit verbunden sind viele existenzielle Fragen: die wachsende Abhängigkeit, Krankheit, Trauer und das Bewusstwerden der Endlichkeit. Matthäus 25 erinnert uns daran, in jedem Menschen Christus zu sehen und die Hand zu reichen.

Diesem Appell und vielen anderen Erzählungen der Begegnungen von Jesus mit Menschen, die am Rande der Gesellschaft stehen1, folgend, ist eine der vier Grundfunktionen der katholischen Kirche die Diakonie.

Organisatorisch ist dieser Bereich im Erzbistum Luxemburg im Service de la pastorale angesiedelt und nochmals unterteilt. Befinden sich Menschen durch äußere Umstände wie Alter, Krankheit oder Behinderung in einer besonderen Situation, gehören sie zur Pastorale spécialisée.

Im Rahmen dieser Seelsorge folgen in Luxemburg gut 130 Laien, Priester, Diakone und Ordensleute mit haupt- oder ehrenamtlichem Auftrag Jesu Beispiel und begleiten Menschen, u.a. in Kliniken und Pflege- und Wohneinrichtungen für Senioren, aber auch zuhause.

„Alles wirkliche Leben ist Begegnung“, dieses Zitat von Martin Buber ziert den Titel der Leitlinien der Pastorale spécialisée nicht grundlos. Dem Gegenüber auf Augenhöhe zu begegnen, ihm zuzuhören, ihm durch einfaches Dasein zu zeigen: „Du bist wertvoll“ – unabhängig von dem, was die Person erlebt und erleidet, unabhängig von Alter, Krankheit oder Schwäche.

Die Seelsorgenden absolvieren für ihre Tätigkeit eine fast 100-stündige Ausbildung. Nach verschiedenen Einheiten zur Einführung in den christlichen Glauben und der Frage, wie dieser Glaube heute konkret gelebt werden kann, werden praktisch orientierte Inhalte vermittelt: Was bedeutet Seelsorge, besonders in Klinik und Altersheim? Was bedeutet es, heute zu altern? Wie kann man auf PatientInnen in Krankenhäusern zugehen? Welche Rituale, Gebete und Sakramente können angeboten werden und wie geht aktives Zuhören? Wie händelt man Nähe und Distanz? Wie mit der Konfrontation von Leid und Sterben umgehen? Das sind einige der Kernfragen, die hier behandelt werden. Um der sprachlichen Entwicklung in der luxemburgischen Realität Rechnung zu tragen, wird diese Ausbildung abwechselnd auf Luxemburgisch und Französisch angeboten. Ein begleitendes Praktikum sowie der Austausch in der Praxisbegleitung komplettieren den Ansatz. Wer all diese Etappen erfolgreich absolviert und ein regelmäßiges Engagement wünscht, wird vom Erzbischof von Luxemburg beauftragt.

Auch während des folgenden Engagements bestehen für die haupt- und ehrenamtlichen Möglichkeiten der Aus- und Weiterbildung, spirituelle Angebote, organisatorische Treffen, Supervision, Begegnungen und Austausch mit dem Ziel, alten und kranken Menschen bestmöglich begegnen zu können. Dabei geschieht diese Begegnung auf Anfrage und aus Respekt vor den jeweiligen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen.

Die Tätigkeit in Alten- oder Pflegeheimen sowie Kliniken ist stets in Zusammenarbeit mit den entsprechenden Direktionen organisiert. So ist eine pastorale Präsenz in von Schwesterngemeinschaften gegründeten Häusern (Franziskanerinnen, Elisabeth- und Zitha-Schwestern) selbstverständlicher Teil des Angebots, bei anderen Trägern entscheiden die Verantwortlichen über eine Integration von regelmäßiger Seelsorge. Die Begleitung geschieht in ers-ter Linie menschlich als Gesprächsgegenüber, um den Betroffenen für gewünschte Themen Raum zu geben, Gefühlen nachzuspüren, Erfahrungen auszudrücken und so die persönliche Situation klarer einordnen zu können und Ressourcen zu erkennen.

Eine erste Begegnung fängt damit an, dass der/die Seelsorgende sich vorstellt und fragt, ob er/sie ein bisschen bleiben darf. Oft erzählen die Menschen dann aus ihrem Leben, von der Familie, Freunden, der beruflichen Tätigkeit oder von Hobbies und sozialem Engagement, all dem, was für sie wertvoll ist oder war. Das kann ein „einfaches“ Gespräch „nur so“ sein. Oder ein Blick oder Schweigen – immer wieder anders, je nachdem, welche Geschichte der Mensch gegenüber mitbringt und was ihm/ihr jetzt wichtig ist. Die Seelsorgenden hören in erster Linie zu, greifen genannte Themen erneut auf, formulieren Gesagtes neu. In der Haltung von Achtsamkeit, Authentizität und Wertschätzung bieten sie ihr Dasein, ihr Zuhören, ihre Begleitung, ihr Mitaushalten, Stützen oder Entlasten offen für alle an. Darüber hinaus unterstützen die Seelsorgenden die Person darin, die Kraft ihrer eigenen Spiritualität zu entdecken.

Wenn eine ältere Dame ihrem Gegenüber anvertraut, dass sie jede Nacht mit dem Schal ihres verstorbenen Mannes schläft, dann ist das etwas, das über einen zwischenmenschlichen Kontakt hinausgeht. Der Schal als Erinnerung an das Leben, das sie mit ihrem Partner geteilt hat und ein Symbol für ihre Liebe spendet ihr heute Trost und Hoffnung, ja, ist für sie sinnstiftend.

Auf Wunsch stehen die Pastoralteams auch für Gebete, Segen, Sakramente und Rituale, die über das Gespräch hinauswirken können, zur Verfügung, um das Glaubensleben zu gestalten.

„Beten Sie für mich!“, ist eine Bitte, die immer wieder ausgesprochen wird. Und die auch zeigt: Im Gebet kann eine große Chance liegen. Nämlich nicht allein unsere Sorgen und Ängste und alles, was uns beschäftigt zu tragen, sondern Gott um seine Kraft und Nähe bitten, durch Schönes und Schweres hindurch mitzugehen.

Des Weiteren werden liturgische Feiern in den Häusern angeboten, von Meditationen, Andachten, Gebeten bis hin zu Wortgottesdiensten und Messen. Hochbetagte sind oft dankbar für das Bekannte und auch dafür, dass Erfahrungen wie Alter und Krankheit, erlebte Brüche und Grenzsituationen auch beim Feiern ihren Platz haben und sein dürfen. All dies ermöglicht, ergänzt und vertieft eine ganzheitliche Begleitung.

Dabei richtet sich das pastorale Angebot neben den BewohnerInnen und PatientInnen auch an Familienangehörige und Nahestehende, die durch einen Krankenhausaufenthalt oder den Umzug in eine Senioren-/Pflegeeinrichtung mitbetroffen sind. Sie stehen oft unter großer Belastung, besonders, wenn Hilflosigkeit, Schuldgefühle, gegenseitige Schonung und unerledigte Erlebnisse die Beziehung erschweren. Die Präsenz der Seelsorgenden kann hier unterstützend wirken, insbesondere bei Abschied und Trauer.

Auch das Personal der verschiedenen Einrichtungen wird durch die Konfrontation mit Leid und Schwäche vor viele Fragen gestellt: Werte, Sinn, Verantwortung, Menschlichkeit, die persönliche Betroffenheit von Tod und Sterben. Die Seelsorgenden stehen ihnen ebenfalls als GesprächspartnerInnen zur Verfügung.

Um all diesen Adressaten gerecht werden zu können, ist eine interdisziplinäre bzw. multidisziplinäre Zusammenarbeit von Vorteil. Im Austausch mit sozialen und psychologischen Diensten sowie verschiedenen Therapiebereichen kann der Mensch ganzheitlich gepflegt, umsorgt und begleitet werden.

Neben der beschriebenen Pastoral gibt es in Zusammenarbeit mit verschiedenen Institutionen auch Projektarbeit. So gab es beispielsweise erstmals 2017 den Versuch, luxemburgische Jugendliche in Kontakt mit BewohnerInnen von Alters- bzw. Pflegeheimen zu bringen, um den Austausch zwischen den Generationen zu fördern (oder überhaupt entstehen zu lassen), sich füreinander zu öffnen und voneinander zu lernen.

Mehrere Häuser haben sich an 50 Deeg Uuchten beteiligt. In der Zeit von Ostern bis Pfingsten haben junge Menschen von 15 bis 25 Jahren eine Person mehrfach besucht. Darauf vorbereitet haben ein Informationsabend für die Jugendlichen und eine erste Begegnung als Gruppe zusammen mit den interessierten BewohnerInnen in deren Heim.

Durch die individuellen Treffen führte ein Fragebogen rund um die Themen Familie und Freundschaft, Werte und Glaube. Ein Gruppentreffen in den jeweiligen Häusern schloss das Projekt ab. Auf Wunsch der Teilnehmenden gab es darüber hinaus noch weitere Möglichkeiten der Begegnung, z.B. im Rahmen einer liturgischen Feier oder während eines Liedernachmittags. Einzelne Jugendliche haben auch nach Ende des Projekts weiterhin „ihre“ Person besucht.

Von beiden Gruppen der Teilnehmenden, von den Häusern sowie von den Initiatoren wurde ein durchweg positives Résumé gezogen. Ein Projekt, das zeigt, dass es vielfältige Gelegenheiten der intergenerationellen Arbeit geben kann, und ein Versuch, der zur Weiterführung ermutigt.„Alle denken, hier geht es um Sterben, Sterben, Sterben – Dabei geht es um Leben, Leben. Leben in der Nähe des Todes. Und da ist verdammt viel Leben drin, das können Sie ruhig weitersagen!“2

Dieses Zitat wird umwerfend authentisch vom Gospelchor Op der Rhum umgesetzt: 40 BewohnerInnen des Seniorenwohnkomplexes begeistern mit ihren Konzerten. 2018 kommen sie schon zum zweiten Mal, um im Rahmen der Muttergottesoktave eine Andacht musikalisch zu gestalten. Ihr mitreißendes Singen zeigt: Wir lieben und leben Gospel – und das geht in jedem Alter, auch hochbetagt.

Während der Oktave haben alte und kranke Menschen übrigens einen besonderen Platz, so etwa in den gut besuchten Alten- und Krankenwallfahrten an den beiden Samstagen und in verschiedenen anderen liturgischen Feiern. Wie alle anderen Gläubigen auch sind sie wichtig und weiterhin Teil der Gemeinschaft, die sich mit Gott unterwegs sieht.

Kontinuierlich gibt es in den Pfarreien einen Besuchsdienst für Menschen, die zuhause die Kommunion empfangen möchten. Damit soll gezeigt werden: ihr gehört weiterhin zu uns, ihr bleibt uns wichtig; wenn ihr nicht mehr zu uns kommen könnt, kommen wir zu euch.

Mit all dem folgt die Kirche dem Auftrag Jesu, zu den Menschen zu gehen und leistet ihren Beitrag dazu, Leiden und Sterben nicht ins Abseits zu drängen. Und folgt auch dem Aufruf von Cicely Saunders „Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben.“

[1] Auch Papst Franziskus ruft die Kirche auf, an die Ränder zu gehen. Predigt Gründonnerstag 2013: „Das kostbare Öl, das das Haupt Aarons salbt, beschränkt sich nicht darauf, ihm selbst Duft zu verleihen, sondern breitet sich aus und gelangt bis in die ‚Randgebiete‘. Der Herr wird es dann deutlich sagen: Seine Salbung ist für die Armen, die Gefangenen, die Kranken und für die, welche traurig und einsam sind. (…) So müssen wir hinausgehen, um unsere Salbung zu erproben, ihre Macht und ihre erlösende Wirksamkeit: in den ‚Randgebieten‘, wo Leiden herrscht, Blutvergießen. (…)(…) Der Himmlische Vater erneuere in uns den Geist der Heiligkeit, mit dem wir gesalbt worden sind; er erneuere ihn in unseren Herzen so, dass die Salbung zu allen gelangt, auch in die ‚Randgebiete‘, dorthin, wo unser gläubiges Volk sie am meisten erwartet und schätzt.“ Vgl. auch Evangelii Gaudium 46: „Eine Kirche ‚im Aufbruch‘ ist eine Kirche mit offenen Türen. Zu den anderen hinauszugehen, um an die menschlichen Randgebiete zu gelangen, bedeutet nicht, richtungs- und sinnlos auf die Welt zuzulaufen. Oftmals ist es besser, den Schritt zu verlangsamen, die Ängstlichkeit abzulegen, um dem anderen in die Augen zu sehen und zuzuhören, oder auf die Dringlichkeiten zu verzichten, um den zu begleiten, der am Straßenrand geblieben ist.“

[2] Inger Herrmann, Wie kommt Tim in den Himmel, 2005.

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