- Geschichte, Gesellschaft, Kultur, Politik
Altern in Luxemburg
Portugiesische Migrantinnen und Migranten in Luxemburg
Migration und Altern sind in den letzten Jahren auch in Luxemburg gesellschaftliche Kernthemen geworden. Der Anteil der Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit ist in der Gruppe der über 65-jährigen stark angestiegen und wird noch weiter ansteigen (1961: 7,7%; 2011: 21,4%)1. Ein großer Teil der älteren, nicht-luxemburgischen Bevölkerung ist dabei selbst nach Luxemburg eingewandert und viele davon im Erwachsenenalter. Der Anteil der über 65-jährigen ist unter den in Luxemburg lebenden portugiesischen Migrant_innen mit 3,7% zwar noch relativ gering2, jedoch wird sich dieses Altersverhältnis in den nächsten Jahren zunehmend ändern, wenn die Migranten der ersten großen portugiesischen Einwanderungswellen vom Anfang der 1970er Jahre das Rentenalter erreichen.
Die Bildungsabschlüsse der Älteren portugiesischer Nationalität liegen zudem deutlich unter dem Niveau der Luxemburger. Während insgesamt ein Anstieg des Bildungsniveaus der Altersgruppe 55-64 gegenüber der Gruppe 65+ erkennbar wird, zeigt sich dieser Effekt bei der portugiesischen Bevölkerungsgruppe kaum3. Das monatliche Median-Einkommen der älteren, portugiesischen Bevölkerung liegt weit unter dem der luxemburgischen Bevölkerung4. Vor diesem Hintergrund starteten an der Universität Luxemburg in 2013 zwei Forschungsprojekte, die u.a. das Thema des Alter(n)s portugiesischer Migrant_innen in Luxemburg behandeln.
Die Rolle der Kinder in Sorge- und Pflegearrangements
Bezüglich der intergenerationellen Solidarität zeigte sich in portugiesischen Familien – wie allerdings auch in luxemburgischen – prinzipiell ein hoher Zusammenhalt. Während in beiden Kontexten eine hohe generelle Unterstützungsbereitschaft von den Eltern an ihre Kinder zu verzeichnen war, scheinen umgekehrt die Erwartungen der portugiesischen im Vergleich zu den luxemburgischen Eltern an ihre Kinder etwas höher, beispielsweise was die Kontakthäufigkeit betrifft oder die Erwartung, dass sich die Kinder bei Bedarf um die Eltern kümmern und sich für ihre Pflege – in welcher Form auch immer – verantwortlich fühlen. Auch scheinen portugiesische erwachsene Kinder häufiger im Alltag Dinge für ihre Eltern zu erledigen.
Die meisten erwarten allerdings nicht, von ihren Kindern körperlich gepflegt zu werden, und sie wollen auch nicht bei ihren Kindern wohnen. Gründe für diese Zurückhaltung sind die Sorge, sich nicht an den Lebensstil der Kinder anpassen zu können, sowie die gespürten Differenzen in Bezug auf Alter, Persönlichkeit und Alltagsorganisation. Des Weiteren wollen sie keine Belastung im Alltag der Kinder sein, die arbeiten und eigene Familien haben.
Carla – Sie sind keine Kinder, die uns im Stich lassen. Sie werden etwas arrangieren: entweder ein Pflegeheim (…), oder eine Person, die zuhause nach uns schaut. (…) Ich weiß, ich bin sicher, sie werden es tun, weil ich es bereits sehe. Wenn wir momentan etwas sehr Kleines haben, sind sie gleich da. ([61-65], Biographisches Interview, BiSoNetMig)
Entscheidend ist aber, dass dennoch von den Kindern angenommen wird, dass sie einen wichtigen Beitrag in der Organisation von Pflege leisten werden, auch wenn sie selbst keine Pflegeleistungen erbringen werden. Aufgrund der niedrigen Schulbildung der portugiesischen Migrant_innen kann den Kindern dabei eine wichtige Rolle in administrativen und rechtlichen Prozeduren zukommen, weil sie über eine höhere Schulbildung verfügen und die luxemburgische Sprache beherrschen.
Der Wunsch, zuhause gepflegt zu werden
Viele ziehen es vor, so lange wie möglich zuhause gepflegt zu werden, z.B. durch einen mobilen Pflegedienst. In Bezug auf die Möglichkeit, in ein Seniorenheim zu ziehen oder bei den Kindern zu wohnen, gibt es Unterschiede: Luxemburger_innen – und dabei insbesondere die Mütter –, scheinen ein Seniorenheim zu präferieren im Gegensatz zu Portugies_innen, welche am liebsten bei den erwachsenen Kindern leben. Wie bereits weiter oben erwähnt bedeutet dies allerdings nicht unbedingt, dass deshalb von den Kindern erwartet werden würde, dass diese auch die Pflege erbringen. In Bezug auf ihre generelle Ablehnung bezüglich des Lebens im Heim werden zumeist drei Barrieren, die mit der sozialen Positionierung als portugiesische Migrant_innen in Luxemburg verknüpft sind, genannt: Sprachbarrieren aufgrund der momentanen Situation als Minderheit im Heim, vor allem in Bezug auf die Mitbewohner_innen, wahrgenommene kulturelle Differenzen, z.B. Unterschiede in der Gesprächsführung und den Themen, die Frage nach geteilten Erfahrungen (Traditionen, Erinnerungen, Orte) wie auch das Essen und finanzielle Bedenken.
Die meisten älteren portugiesischen Einwander_innen – das Gleiche trifft allerdings auch für andere Bevölkerungsgruppen mit niedrigem Einkommen zu – können die Kosten für Unterkunft und Verpflegung mit ihren Renten nicht finanzieren. Einige bringen dabei deutlich zum Ausdruck, dass der Verkauf von Immobilien emotional für sie keine Option darstellt, denn diese sind sichtbares Symbol einer erfolgreichen Migrationsgeschichte und sollen in der Familie bleiben. Dies spiegelt sich im Übrigen auch im hohen Anteil an Wohneigentum in Luxemburg unter den Migranten der ersten Generation wider5.
Francisco – Kannst Du Dir das vorstellen? Man hat so hart gearbeitet und muss nun alles dem Staat geben? Kannst Du Dir den Schock für uns vorstellen? Unser Haus würde nicht an unsere Kinder gehen, und auch nicht an unsere Enkel, es geht an den Staat. (M, [61-65], Biographisches Interview, BiSoNetMig)
Zurückkehren im Alter?
Obwohl die große Mehrheit der Befragten zu Beginn ihres Aufenthalts in Luxemburg den Plan hatte, nach einiger Zeit nach Portugal zurückzukehren, bevorzugen die meisten jetzt, permanent in Luxemburg zu leben. Einige würden es vorziehen, zwischen beiden Ländern – Portugal und Luxemburg – zu pendeln und nur eine Minderheit plant noch immer, in der Rente dauerhaft nach Portugal zurückzukehren. Die Gruppe der „Rückkehrer“ ist hierbei noch etwas jünger und fast durchgängig berufstätig, wohingegen die Teilnehmer der beiden anderen Gruppen etwas älter und öfter schon in Rente sind. Interessanterweise haben die „Rückkehrer“ bis auf wenige Ausnahmen auch noch keine (in Luxemburg lebenden) Enkelkinder, was hingegen bei fast der Hälfte der „Pendler“ und der dauerhaft Bleibenden der Fall ist. Ob diejenigen, die zurückkehren möchten, ihre Meinung in Zukunft ändern werden, bleibt eine offene Frage, da sie ihre endgültige Entscheidung aufgrund ihrer momentanen beruflichen Bindung an Luxemburg wahrscheinlich bisher aufgeschoben haben.
Gleichzeitig kann die Rückkehr ins Herkunftsland vor dem Hintergrund der antizipierten sozialen Isolation in den luxemburgischen Pflegeheimen und der Angst, das Haus zu verlieren, für manche eine „last-exit“-Möglichkeit darstellen, und das obwohl eine Rückkehr aufgrund der Einbindung vor Ort, der Familie in Luxemburg und der prinzipiellen Qualität der Pflege eigentlich nicht vorgesehen ist.
Francisco – Ich stelle mir vor, wie ich nicht fähig bin, irgendetwas zu tun und in einem Pflegeheim zu wohnen, wo jeder Luxemburgisch sprechen wird. Das ist die unglaublichste Sache, die mir passieren könnte. Es würde mich umbringen. Interviewer – Glaubst du, du würdest in so einer Situation zurück nach Portugal gehen oder…? Francisco – Ja, wenn es keinen anderen Weg gibt, wäre das die einzige Lösung. Denn, ehrlich gesagt, ich akzeptiere es nicht. (betont) Wenn ich in ein Pflegeheim gehe, wo die Menschen nur Luxemburgisch mit mir sprechen, würde ich es nicht akzeptieren. Ich akzeptiere es nicht! (M, [61-65], Biographisches Interview, BiSoNetMig)
In beiden Projekten wird also deutlich, wie sich die Entscheidung zurückzukehren, zu bleiben oder zu pendeln über den Lebensverlauf ändern kann und situativ erneut ausgelotet wird.
Perspektiven
Insgesamt kann man festhalten, dass die luxemburgische Gesellschaft sich in den nächsten Jahren mit neuen Herausforderungen konfrontiert sehen wird, die altersspezifische Bedürfnisse einer wachsenden Gruppe von alternden Migrant_innen betreffen. Im Einklang mit verschiedenen Studien, die in anderen europäischen Ländern durchgeführt wurden, kann man davon ausgehen, dass ein Großteil der portugiesischen Migrant_innen auch über das Renten-
alter hinaus in Luxemburg verbleiben wird. Wichtig für die Entscheidung, wo man in Zukunft leben möchte, scheint insbesondere die familiäre Situation, und hiermit können durchaus auch besondere Erwartungen an intergenerationelle Solidarität verknüpft sein.
Obwohl die generelle Unterstützungsbereitschaft in den portugiesischen Familien groß zu sein scheint, bedeutet das allerdings nicht, dass die Pflege durch Familienangehörige erbracht werden wird. Diese Situation stellt die institutionelle Pflege (ambulant, teilstationär, stationär) vor Herausforderungen, um das Wohlbefinden der älteren Migrant_innen und ihrer Familien zu gewährleisten. Die enge Zusammenarbeit von Forschung, Politik und Praxis, z.B. in der Umsetzung von Modellprojekten könnte hier ein Ansatzpunkt sein, um innovative Wege zu beschreiten. u
1 Paul Zahlen, 50 ans de migrations. Le Luxembourg 1960–2010, 2012, Luxembourg, STATEC.
2 Dieter Ferring, Andreas Heinz, François Peltier & Germaine Thill, Les personnes âgées – Ältere Menschen in Luxemburg, 2013 (Eprint/ Working paper retrieved from http://www.statistiques.public.lu/en/ publications/series/rp2011/2013/29-13-agees/index.html)
3 Paul Zahlen, „Elderly migrants in Luxembourg. Diversity and inequality” in: Ute Karl & Sandra Torres (Eds.), Ageing in Contexts of Migration, Abingdon/New York: Routledge, 2016, S. 45.
4 Zahlen, 2016, S. 47.
5 Darüber hinaus besitzen viele der Befragten auch ein Eigenheim in Portugal.
6 C12/SC/4009630/IRMA/Albert
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