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alternativ ≠ alternativ
Intro ins Dossier
Luxemburg stellt als flächenmäßig kleines Land einen Sonderfall in der Medienforschung dar. Dies ist nicht nur durch die in Europa eher außergewöhnliche Form der staatlichen Pressehilfe bedingt, sondern auch durch die proportional zur Größe vielfältig wirkende Presselandschaft, deren Meinungspluralismus aber durchaus in Frage gestellt werden darf. Beachtet man zudem, dass den dominierenden sogenannten „MainstreamMedien“ im Großherzogtum seit Jahrzehnten eine unmöglich zu bestreitende Parteinähe nachgesagt werden kann, so stellt sich die Frage nach der Notwendigkeit und Existenz einer Art „Gegenöffentlichkeit“, also nach den sogenannten „alternativen Medien“. Gibt es sie überhaupt, wodurch zeichnen sie sich aus und wie sind sie strukturiert?
Für die einen ist es eine Beleidung, für die anderen die wohl wichtigste Bezeichnung in der journalistischen Welt. Am Begriff „alternativ“ scheiden sich nicht nur die Geister, sondern es gehört eigentlich schon zum Wesen der Debatte um „alternative Medien“ dazu, dass nicht nur jene von außen, sondern sogar die Akteure selbst, allesamt etwas anderes unter der Bezeichnung verstehen. In Bezug auf den Begriff herrscht kein Konsens, denn er impliziert, dass etwas Bestehendes diskutiert werden muss und dass es mehr als nur eine Sichtweise gibt.
Bei der Frage danach, wie man alternative Medien definieren könnte, antwortete der Schriftsteller und Medienaktivist Michael Albert einst „the dominant answer has long been self-definition“. Obwohl er die Aussage vor fast 20 Jahren tätigte, scheint sie noch immer aktuell. Daher ist das vorliegende Dossier durch Selbstdefinitionen verschiedener luxemburgischer Medien strukturiert, welche man unter dem ein oder anderen Gesichtspunkt als „alternativ“ bezeichnen könnte. Angefangen bei einem der wohl ältesten alternativen Medien, nämlich der woxx, bis zur Schülerzeitung StatusQuo aus dem Lycée Ermesinde, wird der Begriff mehr diskutiert als definiert. Die Aussagen verschiedener journalistischer Generationen geben wiederum Aufschluss darüber, wie sich nicht nur der Begriff, sondern auch die Medien selbst verändert haben. Inwiefern der Übergang in das digitale Zeitalter hier gleichzeitig als Fluch und als Segen gelten kann, wird anhand der einzelnen Geschichten ersichtlich.
Die jungen Gründer und Autoren der Zeitschrift Onkraut, welche ihre Entstehungsgeschichte in diesem Dossier beleuchten werden, haben den Namen bewusst gewählt, da er ihrer Auffassung nach aufzeigt, wie wichtig regelmäßige Perspektivwechsel sind. Was für die einen als Unkraut gilt, muss es noch lange nicht für andere sein. Der Begriff „alternativ“ an sich klingt also nicht nur uneindeutig, sondern steht auch für eine reell vorhandene Uneindeutigkeit, die sich innerhalb der Gesellschaft widerspiegelt. Diese wird jedoch oftmals recht einseitig in der sogenannten Mainstream-Presse dargestellt. Also ein Grund mehr für den Bedarf an Gegendarstellungen.
Alles, nur kein Mainstream
Vor fast zehn Jahren betonte einer der Mitbegründer des luxemburgischen queesch-Magazins, Gary Diederich, schon in einem forum-Artikel, dass es kein Manifest gibt, das festschreibt, ab wann ein Medium „alternativ“ ist und wann nicht. Damals fragte er provokativ: „Sollen wir ein Label dafür einrichten, damit es nicht missbraucht werden kann? Eben nicht! Alternative Medien sollen Teile von emanzipatorischen Prozessen sein und nicht durch Labels und Kontrollsysteme den Menschen die Verantwortung wegnehmen, selbst kritisch zu sein.“ Man kann ihm nur beipflichten und doch scheint es wichtig, potentielle Merkmale eines alternativen Mediums zu umreißen und somit einen Rahmen zu setzen.
Ein potentielles Merkmal alternativer Medien ist z.B. die Themenwahl. Man versucht, im Gegensatz zu den sogenannten Mainstream-Medien, nicht die gleichen Nachrichten zu verbreiten wie alle anderen. Hier muss sich jedoch gefragt werden, ob in Luxemburg nicht auch so langsam exotische Themen Einkehr in den Mainstream halten… Diese Frage beantwortet Richard Graf, Chefredakteur der Zeitschrift woxx, in seinem Artikel über den Wandel der Publikation im Laufe der letzten beiden Jahrzehnte: „Der Mainstream hat es wohl verstanden, die Elemente des Alternativseins, die ihn nicht ins Wanken bringen, zu übernehmen.“
Mach mit!
„Selbst kritisch sein, überlegen, handeln, schreiben, reden und somit aktiv zur Gestaltung der Gesellschaft beitragen ist das, was alternative Medien wollen“, hieß es weiterhin im Artikel von Gary Diederich in der forum-Ausgabe 269. Partizipation spielt also eine wichtige Rolle. Alleine aufgrund der Entwicklungen des sogenannten Web 2.0 mit der Möglichkeit zum „ProdUser“ (ein Wort welches sich aus Producer und Consumer zusammensetzt) zu werden, ergibt sich die Frage, ob der in Brechts „Radiotheorie“ (1930) formulierten Forderung, den Empfänger zum Sender zu machen, jetzt Folge geleistet wurde. Hier verweist die Graffiti-
Koordinatorin Anna Trautwein in ihrem Artikel „Zwischen den Wellen“ auf einen Beitrag der Megaherz aus dem Jahre 1987, in dem gefordert wird, das Radio solle „die Anderen zu Wort kommen lassen, die Minderheiten, die Außenseiter, die Andersdenkenden“. Gerade in diesem Kontext bringt der Kabinettschef des Staats- und Medienministers, Paul Konsbruck, einen interessanten Aspekt mit ins Spiel, indem er am Ende des Dossiers in einem Interview die These aufstellt, aufgrund der kurzen Wege in die Medien hinein, habe man es in Luxemburg bei fast allen Medien mit Gemeinschaftsmedien, also community media, zu tun.
Unabhängigkeit ja, aber welche?
Ein anderer Begriff, welcher in dieser Diskussion immer wieder ins Feld geführt wird, ist die ebenso schwer fassbare „Unabhängigkeit“. Vor allem wird es schwierig, wenn man sie im Zusammenhang mit Geld nennt. Ist man schon unabhängig, wenn man keine staatliche Unterstützung erfährt? Diese Frage stellt sich beispielsweise in Deutschland nicht, da man dort keine Pressehilfe wie in Luxemburg erhält. Deshalb haben wir mit zwei Akteuren aus der deutschen Medienlandschaft, nämlich Markus Beckedahl vom Online-Medium netzpolitik.org und Marcus Stölb, einem Mitbegründer des Trierischen Nachrichten-Portals 16vor, gesprochen. In diesen Unterredungen ging es unter anderem um Spenden, die Abhängigkeit von Werbekunden und die potentielle Bringschuld gegenüber den Lesern.
Teil der Öffentlichkeit
In seiner umfangreichen und äußerst interessanten Masterarbeit über alternative Medien in Luxemburg setzt sich der Luxemburger Chris Dublin mit dem Begriff der Gegenöffentlichkeit auseinander. Die Bezeichnung „Gegenöffentlichkeit“ ist, wie „alternative Medien“ relativ schwer zu definieren. Dublin stellt fest, dass wenn wir, knapp gesagt, Öffentlichkeit als Voraussetzung der Entstehung der öffentlichen Meinung sehen, diese ebenfalls Voraussetzung für die Entstehung der Gegenöffentlichkeit ist. Sie bezeichnet nicht das Gegenteil der Öffentlichkeit, wie man aufgrund der Bezeichnung meinen könnte, sondern stellt im eigentlichen Sinne einen Teil dieser dar.
Der Begriff ist folglich eher schlecht gewählt, da Gegenöffentlichkeit in dem Sinne offener sein will, als Öffentlichkeit es schon ist. Sie fängt da an, wo Öffentlichkeit aufhört. Oder wie Brecht es seinerzeit ausdrückte: „Die Vorstellung von Gegenöffentlichkeit beinhaltet eine Kritik herrschender Öffentlichkeit und eine Zurückweisung der bürgerlich-liberalen Auffassung, Öffentlichkeit als allgemeine, vernünftige Verhandlung sei gleichbedeutend mit Herrschaftsfreiheit, und dies sei in den politischen Formen der liberalen Demokratie gewährleistet. Gegenöffentlichkeit entsteht, wo die festgesetzten, ungeschriebenen oder faktischen Regeln herrschender Öffentlichkeit überschritten werden, um sagbar zu machen, was in der herrschenden Öffentlichkeit nicht sagbar ist.“ Unter Berücksichtigung dessen ist mit Gegen- bzw. alternativer Öffentlichkeit jener Teilbereich der Öffentlichkeit gemeint, zu dem die alternativen Medienakteure gehören, also nicht die als „Mainstream“ bezeichneten Akteure.
Obgleich das angeführte Zitat von Brecht aufgrund seines Entstehungsdatums als veraltet gelten könnte, ist es inhaltlich zumindest immer noch so relevant wie zur Zeit seiner Entstehung: Durch den Strukturwandel von Öffentlichkeit hat sich die Bedeutung vielleicht sogar erweitert, zumindest was Gegenöffentlichkeit angeht. Hier kommen auch politische Akteure mit ins Spiel, die man nicht auf Anhieb in dieser Debatte vermuten würde: Dass der Begriff „alternativ“ beispielsweise nicht unbedingt an linksorientierte Inhalte gebunden sein muss, beweist nicht zuletzt auch die „Alternativ Reform Partei“ hier in Luxemburg. Maxime Weber geht in seinem Artikel darauf ein, wie Gruppierungen am rechten Rand, nicht nur rechtsorientierte „alternative“ Medien, sondern auch alternative Realitäten schaffen.
Es muss jedoch beachtet werden, dass alternative Medien sich weder in Luxemburg noch anderswo nur durch einzelne Elemente dieser Merkmale definieren lassen. Dass eine Art Raster an der einen Stelle passen und es dann doch wieder an der anderen Stelle hapern kann, zeigt das Beispiel der deutschsprachigen überregionalen taz, welche in der Regel als gegenöffentliches und alternatives Medium bezeichnet wird. Und dies obwohl sie eine bestimmte Auflage und somit Reichweite hat, welche jene einiger anderer als Mainstream-Medien zu bezeichnenden Tageszeitungen übertrifft. Gleiches kann für viele andere Medien in Luxemburg gelten. Kann feierkrop, wenn auch nicht linkskatholisch, so doch unabhängig von staatlichen Beihilfen, aufgrund seiner inhaltlichen Ausrichtung als „alternativ“ gelten? Sind mywort, der dok- und Uelzechtkanal und etliche andere partizipatorische Projekte in Luxemburg automatisch alternativ oder handelt es sich „nur“ um hausgemachten hyperlokalen Journalismus?
Zu guter Letzt stellt sich die Frage, ob man wirklich behaupten kann, dass sich nie ein linksorientiertes alternatives Medium in Luxemburg wirklich durchgesetzt hat (siehe Artikel über goosch.lu von Henri Wehenkel), wenn man beachtet, dass eigentlich in allen und vor allem den großen luxemburgischen Redaktionen Menschen arbeiten, welche unter anderem bei Ara und woxx angelernt wurden?
Ich möchte diese Intro mit einem weiteren Zitat von Michael Albert abschließen:“[W]e mustn’t make the mistake of thinking that having broadly defined what media choices are alternative, we should then use our definition to attack others and, for that matter, ourselves as well. The purpose of discerning what it means to be ,alternative‘ and how to become more alternative is not to attack or bemoan other’s or our own shortcomings, but to realize where we need to improve and to embark on mutually supportive efforts to do so”. Albert zufolge ist es die Aufgabe der alternativen Medien selbst, dem Begriff immer wieder eine neue Bedeutung zu geben, statt ihn an Wert verlieren zu lassen. Dieser Aufforderung stellt sich das vorliegende Dossier.
Wer in diesem Heft eine Antwort auf die Frage sucht, ob forum sich selbst als alternatives Medium wahrnimmt, der wird dies vergeblich tun. Dass mehr als nur eines der hier besprochenen Merkmale auf die Autorenzeitschrift zutreffen könnte, vermag nicht bezweifelt zu werden, aber Einsicht in die Selbstwahrnehmung bekommt man erst in der folgenden Juli-Nummer, in der forum sein 40-jähriges Bestehen beleuchtet und die ein oder andere Innen- wie Außenansicht erlaubt. u
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