Angriff der Coronaviren auf das System Schule

Die Schule, wie wir sie kannten, ja der gesamte Bildungssektor, wurde durch das C-Virus im Turbo-Tempo schachmatt gesetzt. Vorerst. COVID-19 in Reichweite, Unterricht Ende, Schulen zu. Alles was eben noch zu den heiligen Säulen unseres Bildungssystems zählte, hinweggefegt. Präsenzpflicht, der unauflösliche Klassenverband, Fächerkanon, Schulzeiten, die pädagogischen Routinen der LehrerInnen – alles kehrte sich abrupt und kompromisslos ins Gegenteil um. Ende der Affäre? Ungewiss. Das bisher zwar erlaubte, aber doch geächtete Format des Homeschoolings war so plötzlich wie unvorbereitet – alternativlos; einziger Ausweg aus dem Lockdown der Bildungseinrichtungen.

Viel mehr als nur Startschwierigkeiten

Und was nicht alles unter diesem Corona-Homeschooling auflief. Zunächst einmal mussten unter den denkbar ungünstigen Marktbedingungen (Lockdown/Panic/Run) irgendwie die unterschiedlichsten Ausstattungen an Technik und Software besorgt und angeglichen werden, um überhaupt flächendeckend etwas Unterrichtsähnliches in Gang zu bringen. Dann stellte man fest, dass selbst wenn Hard- und Software angepasst waren, die Internet-Breitband-Verbindung stand, die Kontaktzeiten abgestimmt waren, es gar keine Digital-Pädagogik gab. Weder Programme noch Handwerkszeug oder Material sind in nennenswerter Weise für einen effektiven, kind- und altersgerechten Fernunterricht im bisherigen System Schule vorhanden. Warum auch? Wir schreiben das Jahr 2020, analog wird nirgendwo mehr großgeschrieben, nur in einem kleinen gallischen Dorf namens Schule. Selbstverständlich war unter Eingeweihten des längeren, also bereits vor dem Eindringen dieses Virus, bekannt, dass eine substanzielle, kreative und konsequente Anwendung der digitalen Spielräume im Bildungswesen sehr nützlich, CO2 minimierend, horizonterweiternd, flexibilisierend, individualisierend, damit ergebnissteigernd und unzweifelhaft zukunftsaffin gewesen wäre. Ja, Konjunktiv eben.
Gänzlich unerwartet standen Tausende von EinzelkämpferInnen am 16. März 2020 ohne Schule da und mussten ihre Funktion neu erfinden. Alle lösten das – individuell, nach eigenem Erleben und Ermessen, nach ihrem ureigensten Stand der digitalen Technik und dem ihrer SchülerInnen, die ebenfalls mit Ausnahme der Tablet-Klassen über keinerlei einheitliche digital-unterrichts-geeignete Schulausstattung verfügen. Wer mal schmunzeln will, der wage einen Blick auf die analogen Listen, die alle Jahre wieder für den Schulanfang ausgeteilt werden… Hier erübrigt sich jeglicher digital-affiner Kommentar. Das Digitale, das im Jahr 2020 nahezu jeden Arbeitsplatz in der Erwachsenenwelt dominiert und ständig mit Neuerungen bedrängt, hat in den behüteten Schulwelten noch keinen selbstverständlichen Platz erringen können. Die Forderungen danach sind nicht erst seit gestern laut und dringlich, in der Fläche aber bisher nicht integrierbar gewesen. Das ist selbstverständlich eine Breitseite, die man diesem Virenangriff überließ.

Alte, alt bekannte und nie gelöste Probleme

Die Schwächen unseres vergleichsweise teuren und gebäudetechnisch hochmodernen Bildungssystems sind natürlich nicht durch die Coronakrise entstanden; sie wurden auch nicht erstmalig – durch Corona – offengelegt. Nein, die zentralen Kritikpunkte waren längst bekannt, die Ergebnisse legten Zeugnis ab, wenn man denn hinsah. Aber das Bildungswesen ist so eine eigenwillige Sparte. Da jeder die Schule durchlaufen hat, da unglaublich viele AkteurInnen sich in diesem Bereich tummeln und jeder eine Meinung hat, wird jede Diskussion darüber schnell zum Richtungsstreit in ideologisch ausgetretenen Pfaden. So ist es müßig, jetzt Corona für die ungleiche Verteilung, gar Verunmöglichung von Bildungschancen verantwortlich zu machen. Das haben wir schon zuvor gut, soll heißen, schlecht hingekriegt.

Zahlreiche Statistiken und Studien zeigen seit der Jahrtausendwende auf, wo der Hase im Pfeffer liegt; dazu brauchte es nicht COVID-19. Die ZukunftsforscherInnen, die SoziologInnen, die PsychologInnen, die BildungsforscherInnen, die NeurologInnen und andere NaturwissenschaftlerInnen, sie alle haben bereits seit langem in die ihnen zur Verfügung stehenden Megafone gestöhnt, haben um die längst anstehende Evolution im Bildungssektor gekämpft. Das meiste prallte am Bestehenden ab, ging im Ausbau der bürokratischen Verwaltungsmaschinerie unter. Schulalltag blieb, wie er immer schon war, mit kleinen dekorativen Änderungen in Form und Farbe: Gruppenarbeit statt Frontalunterricht, Smileys statt Noten, Windowdressing. Aber die innere Struktur, die blieb wie sie war. Und damit blieben auch die Defizite und die Unmöglichkeiten, das Leid und die Verhinderungen, die Einzelerfolge und Gesamtergebnisse besitzstandswahrend, alles blieb eben so, wie es immer schon war. Das hat nicht Corona gemacht, das hat Corona lediglich einmal mehr und besonders deutlich bloßgestellt. Das ein oder andere mag sich durch Corona noch situativ verschärfen, verursacht haben wir es aber ganz allein – lange vor diesem Virus. Wenn wir 139 Jahre nach Einführung der allgemeinen Schulpflicht noch immer jedes Jahr rund 2000 SchülerInnen ohne Bildungsabschluss von der Schule gehen lassen, wenn wir 50 Jahre nach Einführung des koedukativen Unterrichts für (fast) alle noch immer die ewig gleichen geschlechterspezifischen Überhänge bei den Studien-, Berufs- und Karriereentscheidungen dulden, wenn wir nach 20 Jahren PISA-Studien auf immer gleichen Mittelfeldplätzen landen, um dann die Entscheidung zu treffen, nicht mehr an der PISA-Studie teilzunehmen, dann ist nicht Corona das Problem.

Also gehört das Thema Bildung nicht kurz auf zwei Seiten in einem Dossier zum Thema „Nach Corona“ abgehandelt, sondern in ein eigenes, ausführliches, vorantreibendes Zukunfts-Dossier, das die Tiefen, Untiefen und Höhen unserer Bildungs-Agenda in ihrer ganzen Bandbreite bearbeitet. Fast unabhängig von Corona.

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