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Anpassungen am System
Die Vorstellung der im Regierungsprogramm angekündigten Steuerreform wurde von allen Seiten mit großer Spannung erwartet. Jedoch schon Goethe meinte, dass gespannte Erwartung selten befriedigt wird, und tatsächlich scheint eine strukturelle Reform auszubleiben. Jean-Claude Franck spricht auf 100,7 von einer „verpassten Chance“. Zu spät hätte man mit der Ausarbeitung der Reform angefangen. Es wurde punktuell nachgebessert und schlussendlich sei jetzt „für jeden was dabei“, so der Steuerexperte Alain Steichen. Außerdem ist die Rede von einer „politischen“ Reform, deren Effekte 2018 spürbar sein werden, pünktlich vor den Parlamentswahlen. In diesem Zusammenhang meinte Annette Duschinger im, dass auch die aktuelle Regierung nur „mit Wasser kocht“: Sie benutzte die wohl geübte CSV-Strategie der Steuersenkungen, um die Wähler positiv zu stimmen.
Weitsicht ist gefragt
Bedenken gibt es in der Presse u.a. über die hohen Kosten der Steuerreform. Die Oppositionsparteien sind sich einig, dass die angekündigten Steuersenkungen nur durch die Einsparungen des Zukunftspakets finanziert werden konnten. Laut dem Chefredakteur des LW handelt es sich um pro-zyklische Maßnahmen, die möglicherweise zu früh getroffen wurden. In der Tat werden Steuererleichterungen erst durch relativ hohe Wachstumsraten möglich. Diese können längerfristig nicht garantiert werden, schon gar nicht in einer Wirtschaft, die stark vom äußerst volatilen Finanzsektor abhängt. Laut dem Internationalen Währungsfonds könnten die angekündigten Maßnahmen mehr als 1% des nationalen BIP ausmachen, was ungefähr dem vorhergesehenen Haushaltsüberschuss entspricht. Angesichts der rezenten, die internationale Steuertransparenz betreffenden, Maßnahmen rät der IWF der luxemburgischen Regierung also zu mehr Vorsicht.
Eine nachhaltige Steuerpolitik ist auch ein Thema, mit dem sich dieses Dossier auseinandersetzt. Nachdem Pierre Lorang sich auf theoretischer Ebene mit den Zielen einer „gerechten“ Steuerpolitik beschäftigt, geht Henri Kox, Berichterstatter der Abgeordnetenkammer zum Budget 2016, konkret auf die Herausforderungen des „Luxemburger Modells“ in puncto nachhaltige Fiskalpolitik und Einkommensquellen ein. Michel Cames widmet seinen Beitrag der ökologischen Nachhaltigkeit und analysiert vor diesem Hintergrund die Subventionierung fossiler Treibstoffe im Großherzogtum.
Wer bietet weniger?
Im internationalen Steuerwettbewerb setzt das Regierungs-Trio auf Vorsicht und senkt den Körperschaftssteuersatz progressiv auf 18%. Dementsprechend weit entfernt von den 15%, die der Finanzminis-ter Ende letzten Jahres in Aussicht gestellt hatte. Gleichzeitig werden bestimmte Abschreibungsmöglichkeiten gestrichen, die Bemessungsgrundlage erweitert und die minimale Vermögenssteuer auf Finanzbeteiligungsgesellschaften (Soparfi) sogar erhöht. In diesem Zusammenhang gehen wir in einem Interview mit Jean-Pierre Winandy, Anwalt bei Loyens&Loeff, der Frage nach, wie eine gerechte Unternehmensbesteuerung aus Sicht der Wirtschaft aussieht. Norry Dondelinger, Direktor für Wirtschaft in der Handwerkerkammer, beleuchtet jene Fragen, die sich für Klein- und Mittelunternehmen stellen, während Luc Dockendorf und Mike Mathias von Collectif Tax Justice Lëtzebuerg auf die Bedeutung von Steuergerechtigkeit in einer globalisierten Welt eingehen.
Stipendium et justicia
Der „Mittelstandsbuckel“ wird gestreckt, Steuerkredite werden nach Einkommen gestaffelt und Paare können entscheiden, ob sie individuell oder kollektiv besteuert werden. Die Regierung bezeichnet das Reformpaket, das die Kaufkraft der Haushalte (also vor allem das Wirtschaftswachstum) stärken soll, als „gerecht“ und „modern“. Ob die Vorschläge tatsächlich die bestehenden Ungerechtigkeiten neutralisieren, untersucht Ginette Jones. Sie erklärt, weshalb angesichts der bestehenden, durch die Kollektivbesteuerung hervorgerufenen Ungerechtigkeiten eine Individualbesteuerung notwendig und angebracht ist. Robert Urbé setzt sich kritisch mit der im politischen Diskurs sehr populären Idee des „Mittelstandsbuckels“ auseinander. Er zählt außerdem Aspekte eines sozial gerechten Steuersystems auf, die in der aktuellen Version des Reform-entwurfes fehlen. Laurent Uhoda seinerseits beleuchtet die Ungerechtigkeiten der aktuellen Bevorteilung der Besteuerung der Kapitaleinkommen gegenüber jener der Erwerbseinkommen und erläutert, wie der derzeitige Akzent auf Erwerbssteuern eher wohlhabenden Steuerzahlern zugute kommt. Raymond Klein bietet „drei verrückte Ideen für eine vernünftige Besteuerung“ und schafft damit Raum für Reflektion in Erwartung der nächsten Steuerreform.
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