Minister Bausch lobte im RTL-Kloertext vom 8. März die Zusammenarbeit zwischen dem Syvicol und der Regierung. In einer Stellungnahme kritisiert das Syvicol die Regierung. Diese würde die Gemeinden nicht genügend einbeziehen. Wie sehen Sie die Zusammenarbeit zwischen Gemeinden und Staat?

Edgar Arendt: Die sektoriellen Leitpläne wurden an alle Gemeinden am gleichen Tag von der Armee ausgeteilt. Erst zu diesem Zeitpunkt bekamen sie Einblick in die Pläne. Die Gemeinden hätten im Vorfeld informiert werden sollen, um so eine Reihe an Missverständnissen zu vermeiden. Ein Beispiel: Für die Gemeinde Betzdorf wurde ein größeres Wohnungsbauprojekt (projet d’envergure) in Roodt-Syre an einem Ort geplant, wo die zu errichtenden Wohneinheiten über dem Niveau des Wasserbehälters gelegen hätten. Zudem war das Projekt teilweise an einem Hang vorgesehen, ohne Sichtkontakt zum Rest der Ortschaft. Dadurch hätte sich hier schnell eine Schlafdorfatmosphäre entwickelt. Ein weiteres Beispiel: Vor ein paar Jahren wurden durch Arbeiten an der Kläranlage Wohnungen in der Nähe der Syre beschädigt, weil der Boden dort instabil ist, bedingt durch den Torfuntergrund. Der sektorielle Leitplan seinerseits sah an diesem Standort jedoch ein größeres Wohnungsbauprojekt vor. Der Regierung ist also nicht immer bewusst, welche Herausforderungen vor Ort anstehen.

Bleibt es denn bei dem projet d’envergure in ihrer Gemeinde?

E. A.: Ja, aber durch unsere Bedenken und unser Gespräch mit der Ministerin Maggy Nagel — die Verständnis für unsere Einwände zeigte — konnten wir uns auf eine andere Ortschaft festlegen, nämlich Betzdorf. Betzdorf ist insofern besser geeignet, weil die meisten Arbeitsplätze künftig im Umfeld der SES entstehen werden und so neuer Wohnraum nahe an der Arbeitsplätze entsteht. Auch hat Betzdorf einen Bahnhof, der nicht ausgelastet ist.

Eben haben Sie erwähnt, dass die Wasserversorgung knapp werden kann, wenn eine Gemeinde auf einen Schlag wächst. Welche anderen Herausforderungen verursacht ein Ausbau noch?

E. A.: Die Herausforderungen sind von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedlich. Das hängt auch mit den finanziellen Ressourcen der jeweiligen Ortschaften
zusammen. Konkret haben wir in unserer Gemeinde das Problem, dass die Schule, die wir erst vor zehn Jahren gebaut haben, heute schon fast ausgelastet ist, da wir stetig wachsen. Ein noch größeres Problem ist die Maison Relais, wo die Nachfrage fast nicht mehr gedeckt werden kann. Deshalb erweitern wir die Maison Relais durch eine Waldkrippe in der 30 Kinder versorgt werden können. Der Ausbau der Infrastrukturen muss Schritt für Schritt geplant werden.

Die projets d’envergure sehen pro Hektar 20 Wohnungen vor. Muss man hierfür den dörflichen Charakter Luxemburger Ortschaften opfern? Und wie muss man vorgehen um eine Schlafdorfatmosphäre zu vermeiden?

E. A.: Der Société d’habitation à bon marché (SHBM) gehört beispielsweise in Roodt-Syre Bauland, auf dem sie nun Wohnungen bauen wird. Demnächst haben wir ein weiteres Treffen mit der Direktion der SHBM, der wir vorgeschlagen haben, so zu planen, dass der typische „Cités-Charakter“ vermieden und eine gewisse Durchmischung ermöglicht wird. In „Cités“ ziehen in der Regel junge, wohlhabende Familien, also eine eher homogene Gruppe, die sich nicht unbedingt für das Dorfleben interessiert. Ein Geschäft, wie zum Beispiel eine Bäckerei, oder eine Kinderkrippe könnte dann mehr Austausch in diesen Dorfteil bringen. Vor dem Bauvorhaben wollen wir auch die Meinung der Bürger einholen. Bei großen Projekten wie diesem müssen wir einen demokra-tischen Austausch ermöglichen.

Wohnraum ist in der Gemeinde Betzdorf sehr teuer. Viele junge Menschen, die in ihrer Gemeinde aufgewachsen sind, ziehen weg. Wie reagiert Ihre Gemeinde auf die steigenden Preise?

E. A.: Ein Vorgehen ist momentan jenes, dass wir planen, als Gemeinde fünf Wohnungen zu kaufen, um diese anschließend an junge Dorfbewohner weiterzuvermieten. In einer Arbeitsgruppe haben wir zudem darüber diskutiert, wie man jungen Menschen zu Eigentum verhelfen kann. Wenn man eine hohe Miete zahlt und wenig verdient, ist es schwer zu Eigentum zu kommen. Eine Maßnahme könnte also sein, einen Teil der gezahlten Miete in einen Bausparvertrag zu investieren, der den Mietern zu Gute kommt. Wir haben mit den drei in Luxemburg tätigen Bausparträgern unsere Idee besprochen. Des Weiteren bauen wir momentan drei Wohnungen auf einem Bauland der Gemeinde. Diese werden wir nach dem
gleichen Prinzip vermieten.

Die Gemeinde Betzdorf erhöhte ihre Grundsteuer für brachliegendes Bauland Anfang 2015. Ist das für Sie ein Instrument, um Eigentümer zum Verkauf von Bauland zu bewegen?

E. A.: Nein, die Grundsteuer ist kein Ins-trument, um zum Verkauf von Bauland zu bewegen, dafür ist die Wertsteigerung von Bauland im Vergleich zu der Grundsteuer viel zu hoch. Was die Besteuerung von brachliegendem Bauland angeht, bestehen allgemein noch viele juristische Ungereimtheiten bzw. ist die Definition von Baulücke nicht klar. Beispielsweise zählt ein Garten, der sich neben einem Haus befindet als brachliegendes Bauland, während er das nicht tut, wenn er hinter dem Haus liegt — und dies zählt im Besonderen für Dörfer. In Städten verhält es sich natürlich anders. Außerdem ist nicht immer klar, was als potentielles Bauland zu betrachten ist. Ist beispielsweise eine alte Scheune neben dem Haupthaus potentielles Bauland?

Ein Kritikpunkt der Stellungnahme der Gemeinden war ja auch, dass die Regierung das Subsidaritätsprinzip nicht beachte und viele Auflagen vorgebe. Entwickelt sich Luxemburg zu einem zentralistischen Staat?

E. A.: Nein, überhaupt nicht. Seit Jahren entwickeln sich die Gemeinden, was die Urbanisierung betrifft, quasi anarchis-tisch. Es ist gut, dass die Regierung versucht, eine Leitlinie für alle Gemeinden vorzugeben und Prozesse zu steuern. In Luxemburg haben wir keine Berufsbürgermeister und auch keine Bürgermeister, die Urbanisten sind — ich bin auch keiner.

Es fehlt den Bürgermeistern also an Expertise, um stadtplanerische Prozesse zu leiten. Natürlich können auch Ungereimtheiten in Bezug auf Vorgaben von der Regierung entstehen, dann muss sich die Gemeinde an die Ministerien wenden und versuchen Lösungen zu finden. Wir haben die Erfahrung gemacht, bei den Ministerien auf Verständnis zu stoßen. Letztlich braucht Luxemburg eine kohärente Landesplanung. Wenn in ein paar Jahren von Rümelingen bis Clerf ein einziges, zusammenhängend bebautes Gebiet entstanden ist, dann ist etwas schief gelaufen. Wir sind das am stärksten fragmentierte Land der ganzen EU. Das ist ein Problem, das wir angehen müssen.

Und Sie betrachten sich in diesem Zusammenhang auch als einen Vermittler zwischen lokalen und nationalen Interessen?

E. A.: Also, ich kenne das Gemeindegesetz, habe dort allerdings nirgends gelesen, dass der Bürgermeister ein Vermittler sei (lacht). Die Macht der Bürgermeister wird in der Regel überschätzt. Der Bürgermeis-ter ist der primus inter pares des Gemeinderats und dieser bestimmt gemeinsam die Regeln. Die einzige Handlungsmacht des Bürgermeisters ist, dass er Baugenehmigungen unterschreibt, die jedoch konform zum Bautenreglement sein müssen. Ich habe nicht die Macht eines Louis XIV, der sagen konnte: l’État c’est moi. An Unterredungen mit den Ministerien nehme ich deshalb auch gemeinsam mit dem Schöffenrat und unserem zuständigen
Personal teil.

Verursachte die Bekanntgabe der sektoriellen Leitpläne denn in der Gemeinde Betzdorf keine Aufregung?

E. A.: Nein! Einige Landwirte, die Felder in der Gemeinde besitzen und andere Einwohner kamen tatsächlich, um sich die sektoriellen Leitpläne erklären zu lassen und über diese zu diskutieren. Nützliche Anmerkungen der Einwohner haben wir dann auch in unserem avis aufgegriffen.

In einem Interview mit dem Lëtzebuerger Land sagte Minister Bausch, er sehe keine Alternative zur Wachstumslogik. Heißt das, dass im Jahr 2080 Luxemburg ein einziger Betonklotz sein wird?

E. A.: Wenn wir so weiter machen, ja. Ich bin Mitglied des Nachhaltigkeitsrates und dort haben wir die Frage erörtert, was Wohlstand ist. Wohlstand heißt nicht, drei Autos zu besitzen oder ein Schloss zu bauen. Zusammen mit dem Wirtschafts- und Sozialrat wurde vor einem Jahr ein Bericht zum „PIB bien-être“ erstellt, wo wir der Frage nach der Lebensqualität auf den Grund gehen. Auch hier zeigte sich, dass Lebensqualität nicht an Wirtschaftswachstum gebunden ist. Deshalb brauchen wir in Luxemburg eine Debatte darüber, ob wir dieses Wirtschaftswachstum wollen und weshalb. Im Saarland, das ähnlich groß ist, wohnen die Einwohner auf engerem Raum. Dort hat nicht jeder sein Schlösschen. Wir müssen also organisiert wachsen.

Welches sind Ihnen zufolge die wichtigsten juristischen Probleme, die bei der Umsetzung der Sektorpläne aufkommen?

E. A.: Die sektoriellen Leitpläne basieren auf dem Raumplanungsgesetz von 1999. Nach dem Urteil 101 des Verfassungsgerichtshofes, gemäß dem verschiedene Dienstbarkeiten (servitudes) einer Enteignung gleichgesetzt werden können, müssen die diesbezüglichen Bestimmungen des Gesetzes neu gefasst werden. Das Raumplanungsgesetz enthält des Weiteren eine Reihe an Unklarheiten. So ist zum Beispiel nicht klar, ob die sektoriellen Leitpläne Transport, Landschaft, Wohnung und Gewerbezonen sowie die regionalen Leitpläne ohne die im Landesplanungsgesetz vorgesehenen plans d’occupation du sol verbindlich sind. Die geographischen Karten, auf denen die Leitpläne beruhen, sind in der Tat höchst unpräzise. Meiner Meinung nach können daraus keine Dienstbarkeiten (servitudes) resultieren. In verschiedenen Urteilen haben die Verwaltungsgerichtsbarkeiten festgehalten, dass dem Bürger nur dann Auflagen erwachsen dürfen, wenn diese geographisch genau eingegrenzt werden können. Für unsere Gemeinde war beispielsweise eine coupure verte eingezeichnet, aber auf den uns vorgelegten Plänen war nicht ersichtlich, wo genau die Grenzlinie für dieses Gebiet verlaufen soll. Deshalb ist uns nicht klar, wo wir bauen dürfen und wo nicht. Dem Gesetz zufolge müssen die plans d’occupation du sol dem Maßstab des Kataster entsprechen. Wenn nun Artikel 11 des Gesetzes bestimmt, dass der plan d’occupation du sol die Vorgaben des Leitprogramms für Landesplanung umsetzt, die durch die sektoriellen Leitpläne und/oder die regionalen Leitpläne präzisiert werden, so stellt sich natürlich die Frage, ob nicht sämtliche Vorgaben der sektoriellen Leitpläne erst über die genaueren plans d’occupation du sol in die Praxis umgesetzt werden müssten.

Wie bereits gesagt, stellen die Dienstbarkeiten (servitudes), die sich aus den sektoriellen Leitplänen ergeben, ein anderes Problem dar. Als 1999 das Landesplanungsgesetz in Kraft trat, waren die Konsequenzen des Urteils 101 des Verfassungsgerichtshofes noch nicht bekannt. Gemäß diesem Urteil kommen Veränderungen des Rechtsstatuts eines Besitzes, die die ursprünglich vorgesehene Nutzung unmöglich machen, einer Enteignung gleich. Diese ist gemäß Verfassung nur in der dafür vorgesehenen gesetzlichen Form und mittels Zahlung einer angemessenen Entschädigung möglich.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview fand am 16. März 2015 statt. Die Fragen stellte Stephanie Majerus.

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