„Approuvez-vous l’idée…?“
Die verschwurbelte Formulierung der drei Referendumsfragen, die wir Bürger am 7. Juni beantworten müssen, ist symptomatisch für die gesamte Verfassungsreform.
„Neuland“ sei es in Luxemburg, den Bürger an einer Verfassungsänderung zu beteiligen, sagte Alex Bodry am 24. Februar während der Chamberdebatte über das Referendumsgesetz. Es war Bodry, der im November 2012 die Idee lancierte, die Bürger zu mehreren Reformvorschlägen per Referendum zu befragen. Als Vorbild diente ihm das isländische Verfassungsreferendum. Als Grund nennt er die für die politische Klasse traumatische Erfahrung des fast gescheiterten EU-Verfassungsreferendums von 2005. Es sei frustrierend für den Bürger über einen fertigen Text abzustimmen, erklärt er. Premier Bettel sieht in diesem Referendum ebenfalls ein Mittel gegen Politikverdrossenheit, denn der Bürger könne „mitreden“(!).
Doch der Text der neuen Verfassung ist bereits zu ganz großen Teilen fertig. Bis Mitte März will die Verfassungskommission der Chamber ihren zweiten Entwurf fertigstellen — d.h. den Entwurf von 2009 vollständig überarbeitet haben. Bis spätes-tens Ende März soll dieser Text auf der Internetseite der Chamber veröffentlicht werden. Je nachdem welcher „Idee“ die Bürger zustimmen, wird die Kommission den Text nach dem Referendum ergänzen.
Anders als bei den Verfassungsreformen in Island und Irland steht die Bürgerbeteiligung jedoch am Ende des Verfahrens, wenn sich die generelle Ausrichtung der neuen Verfassung kaum noch beeinflussen lässt. Zwar soll neben der punktuellen Partizipation via Referendum nun auch eine Debatte über den gesamten Text angekurbelt werden. Déi Lénk werden im März einen „alternativen“ Verfassungsentwurf vorstellen, an dem die Öffentlichkeit mitarbeiten kann und der am Ende als offizieller Änderungsvorschlag eingereicht wird. Auch die Chamber will mehr Beteiligung: Auf ihrer Internetseite kann dann jeder Bürger — so der Plan — Änderungsvorschläge zu diesem Text einreichen. Bis Juli sollen diese Vorschläge gesammelt werden und die Kommission soll sich dann ab Herbst damit befassen. Auf welche Weise diese Vorschläge bearbeitet werden, ist allerdings noch völlig unklar. Da die Liste der Einreichungen öffentlich sein soll, werden die Abgeordneten die Ablehnung von Vorschlägen wohl auch begründen müssen.
Zu befürchten ist aber, dass das wenig mehr als ein Beteiligungsgimmick sein wird. Das Abhalten von sogenannten Bürgerforen — bestehend aus Bürgern, Experten und Politikern — nach Vorbild der isländischen und irischen Verfassungskonvente (wie es die Uni vorgeschlagen hat) lehnte die Chamber ab mit der Begründung, dass dies keinen „Mehrwert“ bringe. Auch sonst zeigte sich die Verfassungskommission bisher nicht sehr offen gegenüber Anregungen von außen. Denn als Véronique Bruck vorschlug, die Grundrechte mithilfe einer sogenannten pro-homine-Klausel besser zu schützen, befasste sich die Kommission äußerst unwillig damit und verwarf ihn mit nicht sehr überzeugenden Argumenten. (S. 31) Luc Heuschling kritisierte die absurde Bestimmung, die vorsieht, dass bestehende Gesetze nicht geändert werden müssten, solange sie der alten Verfassung entsprechen, selbst wenn sie gegen die neue Verfassung verstoßen. Die Kommission diskutiert nun eine (vernünftige) Öbergangszeit von drei Jahren, hat sich aber bisher nicht dazu durchgerungen.
Demobilisierung
Selbstkritisch gibt Alex Bodry zu, dass es bisher der Politik nicht gelungen sei, eine breite Debatte über die Verfassungsreform anzustoßen. Die Frage ist aber, ob das je gewollt war. Die Verfassungskommission informierte nur spärlich über ihre Arbeit (seit 2009 veröffentlichte sie keinen Entwurf mehr)1, ignorierte weitestgehend Vorschläge aus der Zivilgesellschaft und der Universität und ließ die Öffentlichkeit sehr lange im Unklaren über den Zeitplan. Auf diese Weise ließ die Kommission sowohl die Enthusiasten einer progressiven Verfassung als auch die konservativen Bewahrer der Einheit von Thron, Kirche und Staat ins Leere laufen.
Das Ziel war, möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten. Die CSV hatte Angst vor nationalistischen Forderungen (etwa zur Sprache oder Flagge) und der Ablehnung der Beschneidung der Rolle des Großherzogs. Die Mitte-links-Parteien befürchteten allzu harsche Forderungen nach einer Trennung von Kirche und Staat. Und allesamt — bis auf Déi Lénk — fürchteten eine Verfassung, die allzu deutlich formuliert ist und den Pragmatismus der politischen Klasse einengt — so etwa beim Grundrechtekapitel (S. 29).
Schwierige Meinungsbildung
Alex Bodry betonte anlässlich der Debatte über das Referendumsgesetz, dass über „Ideen“ abgestimmt werde und nicht über juristisch eindeutige Formulierungen. Tatsächlich werden mittlerweile die meis-ten Wähler die Fragen des Referendums kennen. Doch welche Folgen und welche Tragweite ihr Ja (oder Nein) bei den jeweiligen Fragen haben wird, wird den wenigs-ten klar sein. Genau hier hat das Fehlen einer Debatte ernsthafte Folgen, da viele Details noch offen sind.
Die Beiträge des Dossiers wollen Licht ins Dunkel bringen und beleuchten viele unterschiedliche Punkte, die — so wünschen wir es uns — die Debatte beleben werden. Henry de Ron erklärt bezüglich der ersten Frage zum Wahlrecht ab 16 etwa, dass das Zivilrecht den Jugendlichen unter 18 durchaus eigenständige Entscheidungen zutraut, eine feste Altersgrenze jedoch nicht unbedingt der Weisheit letzter Schluss ist (S. 32). Julie Wieclawski zeigt auf, dass die Idee, dass 16-Jährige wählen dürfen, in Luxemburg nicht neu ist. Letztlich — so zeigen die Erfahrungen im Ausland — reicht es aber nicht, jungen Menschen das Wahlrecht anzubieten, um sie an Politik zu beteiligen (S. 35).
Sylvain Besch und Nénad Dubajic kommen zum gleichen Schluss, was das Ausländerwahlrecht angeht (S. 42). Sie sehen diese Frage in einer Kontinuität mit der stetig ausgeweiteten Beteiligung aller Einwohner bei den Europa- und Gemeindewahlen. Doch gerade die Erfahrungen seit der Einführung dieser Wahlrechte infolge des Maastrichtvertrags zeigen, dass das Ausländerwahlrecht bei Parlamentswahlen — mit den nun bekannten Bedingungen —
kaum zu herausragenden Umwälzungen führen wird. Nicht-Luxemburgern das aktive Wahlrecht zuzugestehen, wird jedoch nicht automatisch zu einer größeren politischen Beteiligung führen. Grundsätzlicher sind die Fragen, die Michèle Finck in ihrem Beitrag aufwirft (S. 38). Wenn man allen Einwohnern — unabhängig von ihrer Nationalität — das Wahlrecht bei allen Wahlen zugesteht, wie sinnvoll ist es dann noch „la souveraineté réside dans la Nation“ in die Verfassung einzuschreiben?
Michel Dormal weist schließlich daraufhin, dass in keiner anderen parlamentarischen Demokratie die Amtsdauer von Ministern begrenzt ist. (S. 46) Zwar favorisiert das Luxemburger Wahlsystem extreme politische Langlebigkeit. Doch was erreicht man mit einer Begrenzung der Mandatsdauer, wenn es im Gegenzug zu umso schamloseren Wechseln vom Ministeramt in die Wirtschaft kommt. Ein Drehtüreneffekt, den auch der aktuelle Deontologiekodex nicht verhindert.
Der Souverän, der nicht entscheidet
Die „Approuvez-vous“-Formel vermittelt dem Bürger unmissverständlich, dass er in diesen drei Fragen nicht entscheidet, sondern „berät“. Und dem Bürger wird durch die Fragestellung bereits die Antwort nahegelegt: Bei der Frage über Ausländerwahlrecht steht in der französischen Fassung ganz neutral „résidents non luxembourgeois“, in der luxemburgischen Version dagegen — irreführend — „auslännesch Matbierger“ und nicht „Awunner“. Und wenn sie bereits Bürger sind …
Regierung, Parlament und Staatsrat betonen, dass dieses Referendum — juristisch gesehen — nicht bindend sei. Doch das ist nur eine (konservative) Interpretation der jetzigen Verfassung, denn explizit steht das nirgendwo. Der Verfassungsrechtler Luc Heuschling argumentierte dagegen hier in forum (siehe: Zum Weiterlesen, S. 49), dass die Politik nicht den Souverän — also das Volk — abstimmen lassen könne und sich dann nachher die Rosinen rauspickt. Zwar betonte Premierminister Xavier Bettel, dass sich die Koalition auf jeden Fall an den Ausgang des Referendums halte werde,
selbst bei einer Mehrheit von 50,01 Prozent in die eine oder andere Richtung. Aber die CSV sitzt in diesem Fall am längeren Hebel, denn es braucht mindestens
6 Stimmen aus den CSV-Reihen, damit im Parlament die nötige Zweidrittelmehrheit erreicht wird. Man darf annehmen, dass beim Tauziehen, das nach dem Referendum ansteht, alles über das die Bürger abgestimmt haben, zur Verhandlungsmasse zählen wird. Es könnte aber auch zur kompletten Blockade kommen, wenn es weder eine Zweidrittelmehrheit etwa für das Ausländerwahlrecht gibt noch eine Zweidrittelmehrheit für den Status quo.
Die CSV hat sich nicht festgelegt, wie sie mit dem Ausgang des Referendums umgehen will. Lediglich der Abgeordnete Serge Wilmes hat im Radio 100,7 verkündet, dass er das Resultat vom 7. Juni in jedem Fall respektieren wolle. Eine harte Linie der CSV ist jedoch nicht auszuschließen, vor allem da der eher konziliante Paul-Henri Meyers seit dem Regierungswechsel nicht mehr die Haltung in Verfassungsfragen bestimmt. Bisher arbeitete die CSV zwar konstruktiv an der Verfassungsreform mit. Doch Serge Urbany (Déi Lénk) bemerkt im Gespräch, dass aus seiner Sicht die CSV wirkliche Fortschritte blo-ckierte sowohl im Text als auch in der Art und Weise die Debatte zu führen.
Ein langer Weg
Selbst wenn das Parlament diese Hürde nimmt und zu einer Einigung kommt, ist der Weg zu einer neuen Verfassung noch lang. Der Staatsrat muss sein zweites Gutachten zum neuen Text der Verfassungskommission ausarbeiten. Da die Mitglieder, die das Gutachten von 2012 (siehe Chronologie S. 34) verfasst hatten, mittlerweile nicht mehr Teil der Körperschaft sind, müssen sich die neuen Mitglieder einarbeiten, was zeitaufwändig sein könnte (für das erste Gutachten brauchte der Staatsrat ganze drei Jahre). Zusätzlich müssen etwa 15 Gesetzestexte an die neue Verfassung angepasst und die gesamte Justizreform in Angriff genommen werden.
Mittlerweile geht Alex Bodry davon aus, dass das abschließende Referendum gleichzeitig mit den Gemeindewahlen im Oktober 2017 stattfindet. Als wir unser letztes Verfassungsdossier im September 2012 veröffentlichten, hieß es, die Reform sei bis Ende 2013 abgeschlossen …
Laurent Schmit
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