Auf dem Weg in die Normalität

Die Wahlen von Oktober 2018 machen aus der CSV eine Partei wie jede andere

Zugegeben: Auch in der forum-Redaktion hatte niemand dieses Wahlergebnis vorausgesehen. Eher hätte man erwartet, dass es wegen zu geringer Zugewinne auf Seiten der Grünen für eine CSV/déi gréng-Koalition nicht reichen würde, als dass diese – von vielen erwartete und gewünschte – Allianz am Wahlergebnis der CSV scheitern würde.

Sowohl der aktuelle CSV-Parteipräsident Marc Spautz als auch sein Vorgänger Michel Wolter wurden im Wahlkampf nicht müde zu warnen: „Wann se och nëmmen 31 Sëtz kréien, maachen s’et nach eng Kéier.“ Beide sind bis heute überzeugt, dass die von der Dreierkoalition von 2013 bis 2018 gebildete Par-lamentsmehrheit eine Vergewaltigung des Wählerwillens darstellte, ein Unfall in der Geschichte des Landes, der Luxemburg Schaden zugefügt habe. Und gemeinsam mit Journalisten, politischen Beobachtern und Leserbriefschreibern zweifelten beide keinen Moment daran, dass der Wähler diese widernatürliche Koalition bei erst-bester Gelegenheit abwählen würde.

Eine Bestätigung des Wahlergebnisses von 2013

Doch zur Überraschung der politischen Klasse haben die Wähler diese Analyse nicht geteilt, im Gegenteil. Am 14. Oktober bestätigten sie noch einmal das Wahlergebnis von 2013. Die Dreierkoalition aus DP, LSAP und Grünen kann sich heute auf 49,6% der Stimmen stützen (2013 waren es nur 45,2%), die CSV auf 28,3% (2013: 31,3%). Eine klare relative Mehrheit hat somit festgestellt, dass allen CSV-Unkenrufen zum Trotz die Dreierkoalition nicht nur fünf Jahre durchgehalten hat, sondern das Land tatsächlich nicht untergegangen ist, ja etliche längst überfällige gesellschaftliche Reformen endlich umgesetzt wurden (insbesondere die „Trennung“ von Kirche und Staat, die die CSV unter Kultusminister François Biltgen zwar angestoßen hatte, wobei ihr letztlich aber der Mut fehlte, die Reform durchzuführen). Nur den Absonderlichkeiten des luxemburgischen Wahlsystems ist es zu verdanken, dass sich das Ergebnis für die CSV nicht noch deutlicher im Verlust von Abgeordnetenmandaten bemerkbar macht. In einem „gerechteren“ System hätte die CSV heute wahrscheinlich nur 17 statt der erzielten 21 Sitze. Für die im Kern immer noch katholische, in ihrem Habitus konservative und ländlich geprägte Luxemburger Volkspartei gibt es, sobald der Machtbonus wegfällt, keine politische Mehrheit mehr.

Auffallend dabei ist, dass keine großen regionalen Unterschiede mehr existieren. In allen vier Wahlbezirken zeigte der Wahltrend für die CSV nach unten, wogegen Grüne und Piraten überall hinzugewinnen konnten. Die Zahl der Listenstimmen stieg überall weiter auf Kosten des Panaschierens. Luxemburg ist politisch zusammengewachsen.

Der gesellschaftliche Wandel

Die Luxemburger Mehrheitsgesellschaft des 21. Jahrhunderts ist liberal, gutsituiert, international vernetzt und hat mit katholischen Moralvorstellungen nichts mehr am Hut. Nur eine kleine Minderheit war für den national-identitären Diskurs empfänglich, da die wenigsten Wahlberechtigten unter der Globalisierung leiden oder Schwierigkeiten mit der Mehrsprachigkeit haben.

Aber auch LSAP, déi Lénk und KPL gehören zu den Wahlverlierern. Themen wie Wohnungsnot, soziale Gerechtigkeit, Umverteilung der erwirtschafteten Gewinne, Chancengleichheit für alle Kinder usw. sind für die meisten Wähler offenbar zweitrangig. Der Politologe Philippe Poirier nennt die Luxemburger Wählerschaft denn auch „une société de l’abondance économique“ – womit er eben nicht eine beschauliche Wohlstandsgesellschaft meint, sondern eine konsumistisch-hedonistische Gesellschaft des materiellen Überflusses.

Jene Einwohner aber, für die soziale Fragen von existenzieller Bedeutung sein könnten, haben kein Wahlrecht. Der Statec hat ausgerechnet, dass am 14. Oktober 2018 nur 47% der erwachsenen Bevölkerung (43% aller Einwohner) wahlberechtigt waren – erstmals weniger als die Hälfte! (2013 waren es noch 57% der Einwohner über 18 Jahren.)

Um in diesem Umfeld „linken“ und sozialen Wahlthemen eine Chance zu geben, müssten nicht nur die linken Parteien, sondern auch die christlichen Kirchen sowie der gewerkschafts- und kirchennahe Flügel der CSV für ein Einwohnerwahlrecht eintreten. So wie 1919 die Frauen den Christlichsozialen den Wahlerfolg beschert haben, könnten es morgen die Ausländer sein.

Das Ende einer Epoche

Rückblickend wird heute klar, dass der Befreiungsschlag von 2013, der gegen die Person des damaligen Premierministers Jean-Claude Juncker gerichtet war, nicht nur dessen Regierungszeit beendete, sondern auch einen seit 1945 herrschenden politischen Zustand überwand, in dem die CSV eine Sonderrolle spielte. Denn nach zehn Jahren in der Opposition wird die CSV 2023 eine Partei wie jede andere sein, für deren Erfolg die Qualität ihrer Exponenten und die konkreten programmatischen Vorschläge zur Gestaltung der komplizierten Luxemburger Gesellschaft entscheidend sein werden – nicht mehr das Beziehungsgeflecht in den Verwaltungen und die Hegemonie im politischen, medialen und zivilgesellschaftlichen Leben.

Als partizipative Debattenzeitschrift und Diskussionsplattform, treten wir für den freien Zugang zu unseren Veröffentlichungen ein, sind jedoch als Verein ohne Gewinnzweck (ASBL) auf Unterstützung angewiesen.

Sie können uns auf direktem Wege eine kleine Spende über folgenden Code zukommen lassen, für größere Unterstützung, schauen Sie doch gerne in der passenden Rubrik vorbei. Wir freuen uns über Ihre Spende!

Spenden QR Code