Auf ein neues Mobilitätskonzept
Erneuerte Vision für die Nordstad
Als in der 3. Maiwoche die Minister François Bausch und Claude Turmes sowie die fünf eingebundenen Bürgermeister das gewichtige neue Mobilitätskonzept der Nordstad in Diekirch vorstellten, taten einige es kurzerhand als Ankündigungspolitik ab, als würden sich in der Nordstad Masterpläne, Strategien, Konzepte und Visionen in regelmäßigen Zeiträumen erneuern, ohne kaum eine Chance auf Umsetzung zu haben und Bezug aufeinander zu nehmen. Verblüfft fragten sich andere, wie kaltschnäuzig eine Regierung umfangreiche Infrastrukturprojekte ankündigte und gleichzeitig vorgab, die Bürger bei der künftigen Gestaltung der Nordstad einzubeziehen. Eine kürzlich stattgefundene OnlineBefragung klammerte nämlich sorgfältig kontroverse Themen aus. Zudem handelte es sich bei beiden Ministern um grüne Pioniere der ersten Stunde, denen die These, dass weitere Straßen immer mehr Verkehr erzeugen, unmöglich fremd sein kann. Die folgende Analyse der einzelnen Projekte macht den Versuch, ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen und zeigt das schwierige Erbe falscher vergangener Entscheidungen auf.
Neue Ortsumgehungen
Von größerem Ausmaß sind die geplanten Ortsumgehungsstraßen westlich von Ettelbrück und östlich von Diekirch. Beide folgen kaum dem natürlichen Gelände, sondern verlaufen überwiegend unterirdisch sowie über Brückenbauwerke. Erstere umfasst nicht nur die seit langem angedachte Querverbindung von der B7 zur Bastnacher Straße, sondern bedient darüber hinaus die in den letzten Jahrzehnten stark angewachsene, aber schlecht erschlossene Ortschaft Warken.
Bereits seit den 1970er Jahren bevölkern derartig auf Straßeninfrastruktur fokussierte Projekte die Wunschliste jeglicher Nordstad-Verantwortlichen und verdeutlichen die ultimative, über die Jahre ständig wiederkehrende Zielvorgabe: den Individualverkehr flüssiger zu gestalten. So lasen sich auch die Beweggründe des bis heute erst am Anfang der Umsetzungsphase befindlichen Ettelbrücker Langzeitprojektes, dem im Dezember 2014 gesetzlich verankerten Bahnhofsprojekt (projet de loi 6734). Folgerichtig wären die Auswirkungen der neu angekündigten Infrastrukturoffensive auf das erst im Jahr 2027 umgesetzte Vorhaben zu analysieren. Die Ortsumfahrung bis Warken, eigentlich eine voie de délestage, geht nämlich mit einer erheblichen Verkehrsentlastung im Stadtzentrum von Ettelbrück einher und wirft die ernsthafte Frage nach der Sinnhaftigkeit des beschlossenen, aber noch nicht in Angriff genommenen Baus eines Autotunnels unterhalb des historischen Bahnhofsgebäudes auf, umso mehr als der aus Denkmalschutzgründen überaus bedenkliche Abriss des Kulturguts von der Unausgereiftheit des Projektes zeugt.
Die Vision der anderen Umgehungsstraße mit geplanter Untertunnelung des Häerebiergs vom Diekircher Bamerthal und weiter über die Sauer zur Felser Straße, nicht ohne vorher die N17 anzubinden, bedient das gleiche Narrativ. Wie in der Automobilwerbung, in der störende Umwelteinflüsse ausgeblendet werden, zeigen die Animationsfilme der Regierung eine heile mobile Welt. Während die ästhetisch bedenklichen Zubringer an der N15-Anschlußstelle westlich von Ettelbrück räumlich noch unterzubringen sind, ist dies an der Diekircher Rue Clairefontaine kaum der Fall, es sei denn, man überspannt die Sauer mit hässlichen Auf- und Abfahrten.
Begründet werden die neuen Straßen mit einem zukünftig veranschlagten höheren Verkehrsaufkommen und einem noch nicht vorliegenden „Plan national de mobilité 2035“ (PNM35). So viel zur Beweisgrundlage. Eine grüne Handschrift lässt sich erst in der Raumplanungsstrategie ablesen: Um der landesweiten Zersiedlung Einhalt zu gebieten, wird der Bevölkerungszuwachs gezielt in bereits bestehende Ballungszentren gelenkt, unter anderem in die Nordstad als drittgrößten Entwicklungspol. Um Platz für qualitativ hochwertigen Wohnraum in den urbanen Tallagen zu schaffen, sollen die alten Stadtzentren sowie neue Siedlungsgebiete verkehrstechnisch beruhigt werden, was, so die Auffassung, den Bau neuer Umgehungsstraßen erfordert.
Umgestaltung der Zentralachse in Ingeldorf
In diese Logik reiht sich auch die Verlegung der N7 mitsamt der Eisenbahnantenne in Ingeldorf an den Böschungsfuß des Goldknapp an. Eine Maßnahme, die eine Beendigung der fast zwanzig Jahre lang geführten Fehde um den Systementscheid zu dem geeignetsten öffentlichen Nahverkehrsmittel auf der Achse Ettelbrück-Diekirch einläutet. Bus und Zug werden zwar weiterhin den Korridor bedienen, doch fällt die Konkurrenz weniger ins Auge, da beide nicht mehr nebeneinander fahren. Vor allem aber erfährt das Umfeld eine urbane Aufwertung, da die Bahntrasse dieses nicht mehr trennt.
Neuer pôle d‘échange in Erpeldingen
Umso verstörender wirkt dagegen der Bau eines zusätzlichen Umsteigebahnhofs nur 700 Meter vom Bahnhof Ettelbrück entfernt, bzw. dessen östlich gelegener Unterführung auf Höhe der Aral-Tankstelle (siehe Abbildung). Auch wenn der neue pôle d‘échange ein Ort mit „hoher Taktfrequenz“ sei, wie regierungsseitig die defensiv geführte Argumentationslinie die Lage verklärt, liegt dieser an der kurzen Stichbahn nach Diekirch und geht für die 1.700 Schüler des nahe gelegenen neu geplanten Nordstad Lycée mit eindeutig längeren Anfahrtszeiten einher, sollten sie am nur leicht weiter entfernteren Ettelbrücker Zug- oder Busbahnhof erneut umsteigen müssen. Bedenklich ist die Nutzung knapper staatlicher Ressourcen für den Bau von zwei Umsteigebahnhöfen in direkter Nähe allemal.
Geschuldet ist diese verquere Planung dem Umstand, dass die Möglichkeit der Nutzung der CFL-Liegenschaften, gelegen an der Flussmündung Alzette-Sauer, also genau im Kern der Nordstad, seit über zehn Jahren aus jeder Debatte ferngehalten wird.1 Sollte dieses Areal im Masterplan 2007 noch als Wohn- und rekreative Zone sowie als kurze Wegverbindung für Fußgänger und Radfahrer dienen, so war dieses nicht mehr möglich, nachdem das Ettelbrücker Bahnhofsprojekt geschnürt wurde. Im Jahr 2010 hieß es lapidar, die CFL könne die Ländereien nicht kurzfristig zur Verfügung stellen. Doch auch bei der Campus-Eröffnung des Nordstad Lycée im Jahre 2027 werden die knapp 400 Meter, welche die Fußgänger- und Fahrradunterführung am Erpeldinger Kreisel vom Ettelbrücker Bahnhof trennt, kaum zugänglich sein.
Schaffung eines „Vëloexpresswee“
An dieser Tabuzone krankt auch jede zukünftige voie express velo. Das vorgestellte Leitbild sieht zwar nicht weniger als zwei neue Fuß- und Radbrücken über die Sauer im Raum Ingeldorf vor, ohne dass diese aber die Wegelängen verkürzen könnten. Eine direkte Fuß- und Radverbindung vom Bahnhof Ettelbrück über das Mündungsgebiet zum „Erpeldinger Dreieck“ täte dies und hätte damit die Bezeichnung Expressweg tatsächlich verdient. Umso mehr, als der vorgesehene Expressweg den Bahnhof Ettelbrück außen vor lässt und der Zugang aus dem Zentrum Ettelbrücks und aus Warken sehr umständlich ist. Es heißt also warten bis zur Vorlage eines weiteren Mobilitätskonzeptes.
- Siehe Michel Cames, „Das Schweigen der Nordstad. Übergangene Stadtentwicklung an der Flussmündung“, in: forum 398, September 2019, S. 12-18.
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