- Geschichte, Gesellschaft, Wissenschaft
Aus der Werkstatt eines freiberuflichen Historikers
Seit anderthalb Jahren führe ich ein Experiment mit mir selber durch. Ich versuche, als promovierter Historiker interessante Aufträge auf dem freien Arbeitsmarkt zu erhalten.
Bis Oktober 2013 war ich fünf Jahre lang im Rahmen einer befristeten Arbeitsstelle als Postdoktorand an der Universität Luxemburg beschäftigt. Dieser Vertrag konnte aus arbeitsrechtlichen Gründen nicht verlängert werden. Aus privaten Gründen wollte ich mich nicht im Ausland bewerben, was für eine akademische Karriere eigentlich ein unabdingbarer Schritt gewesen wäre. Ich entschied daher, in meinem Fachgebiet als „travailleur intellectuel indépendant“ auf dem freien Markt zu agieren. Zu meinen Beweggründen gehörte auch die Hoffnung, durch diese Gangart flexibel arbeiten sowie selbst meine Projekte wählen und verwalten zu können. Außerdem war es mir wichtig, auch weiterhin sehr unterschiedlichen Aktivitäten nachzugehen. Zudem bot sich mir auf diese Weise die Aussicht, weitere Aufträge von der Universität zu erhalten. Ich hoffte, dass meine anglophone Ausrichtung eine Chance darstellen würde, da das Englische auch in den Geisteswissenschaften zunehmend an Bedeutung gewinnt.
Zur Zeit läuft das Experiment zu meiner Zufriedenheit. Ich habe genug Arbeit. Meine Aktivitäten in den letzten anderthalb Jahren waren sehr vielfältig. Sie umfassten zunächst einen Lehrauftrag an der Universität, welcher drei Lehrveranstaltungen im Jahr beinhaltete. Ferner erhielt ich einen Forschungsauftrag am Luxemburger Nationalarchiv und war als Kurator einer permanenten Ausstellung zur Geschichte der Burg Vianden tätig. Zusätzlich erreichten mich Anfragen für Lektorat, Übersetzungen wissenschaftlicher Texte und für Führungen in historischen Stätten. Meine bisherigen Projekte kamen der universitären Arbeit sehr nah, u.a. weil ein wichtiger Teil davon aus akademischer Lehrtätigkeit bestand und weiterhin besteht. Insgesamt liegt das Hauptgewicht jedoch nicht mehr so sehr auf dem Forschen und Publizieren, dagegen mehr auf der populärwissenschaftlichen Verbreitung von historischem Wissen. Unter den momentanen Bedingungen bin ich gerne gewillt, das Experiment noch 35 Jahre weiterzuführen.
Bisher war es in Luxemburg für (Geistes-)Wissenschaftler eher unüblich, sich freiberuflich zu orientieren. Die Situation dürfte sich aber im Großen und Ganzen nicht viel von jener freischaffender Künstler, Architekten oder Journalisten unterscheiden. Dennoch besitzt diese Art der Arbeit für freiberufliche Historiker und andere Geisteswissenschaftler auch einige Eigenheiten. So ist der Markt in Luxemburg sehr klein und die Konkurrenz daher ähnlich überschaubar. Die meisten Akteure haben zudem eigene Nischen gefunden. Sollten sich in den nächsten Jahren noch weitere Historiker für diese Arbeitsform entscheiden, reichen die vorhandenen Projekte wahrscheinlich nicht für alle. Bereits jetzt arbeiten einige mir bekannte freiberuflich-aktive Historiker in Teilzeit oder erledigen ihre Aufträge im Rahmen von Nebenjobs.
Weiter ist man, ähnlich wie manche Kunstschaffende, als freischaffender Historiker stark von staatlichen Geldern abhängig. Die Anzahl privat-finanzierter Projekte ist eher gering, während die meisten von staatlichen oder para-staatlichen Institutionen, wie dem Luxemburger Kulturministerium oder der Universität Luxemburg, entweder direkt oder indirekt finanziert werden. Noch gibt es hierzulande Budgets für extern geleistete Arbeit. Die neoliberale Tendenz zum „Outsourcing“ könnte dies über die kommenden Jahre sogar noch verstärken; eine etwaige Reduktion der staatlichen Einnahmen könnte es jedoch auch verringern.
Die Freiberuflichkeit ist immer mit Risiken verbunden, umso mehr in den Berufssparten, in denen man sich keine breite Kundenbasis aufbauen kann. Den Schritt in die Selbstständigkeit kann ich anderen Geisteswissenschaftlern empfehlen, sofern sie bereit sind, die daran gebundenen Abstriche zu ertragen: Die Arbeit ist flexibel, erfordert aber auch Flexibilität, sowohl zeitlich wie inhaltlich. Wenige Projekte dauern länger als sechs Monate bis ein Jahr, was eine konstante Suche nach neuen Aufträgen nach sich zieht. Somit bleibt ebenfalls eine finanzielle Planung unsicher. Auch für mich bleibt es spannend. In der Zwischenzeit geht das Experiment weiter.
Pit Péporté
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