Ausgleich als Zielsetzung
Statt langwieriger Diskussionen über Zahlen und Prozentsätze wünscht sich der Demeter-Landwirt Tom Kass eine grundsätzlich andere Haltung in der Landwirtschaft. Auf seinem Hof in Rollingen versucht er, Menschen an eine biologisch-dynamische Nutztierha
In einer an den Hof angrenzenden Wiese stehen drei 15-jährige Jungs und stochern mit einer Hake im Gras herum. Der Landwirt Tom Kass, auch an diesem sonnigen Werktag in Arbeitskleidung, ruft ihnen zu: „Wollt ihr nicht so langsam was essen, es ist bereits nach Eins?“ Die drei verneinen, sie hätten keinen Hunger. Regelmäßig kommen für ein paar Wochen Praktikanten der Waldorfschule auf den Hof, wie momentan zwei Jungs aus Deutschland und einer aus Frankreich. „Es gibt zwar immer viel zu tun auf dem Gelände, aber die Praktikanten brauchen viele Anweisungen und müssen betreut werden, insofern nehmen sie einem nicht immer Arbeit ab“, kommentiert der eher schmächtige Kass gelassen
den Einsatz seiner Praktikanten.
Im Herbst 2013 bezog Familie Kass ihren neuen Aussiedlerhof. Dieser liegt nicht mehr, wie der vorherige im Dorfkern, sondern auf der Rue de Luxembourg zwischen Rollingen und Lingten. Auf dem Anwesen befinden sich die Tierställe, ein Bioladen, eine von BIOG betriebene Käserei, ein Waldorfkindergarten und ein Aufenthaltsraum für beispielsweise Kindergeburtstage. Seit 2002 werden Führungen auf dem Hof angeboten. Derzeit kommen zwei Schulklassen pro Tag und gelegentlich Erwachsenengruppen zur Hofbesichtigung. „Mir ist es wichtig den Sinn von ökologischer Landwirtschaft zu erklären und ein Vertrauensverhältnis zu Kunden aufzubauen“, sagt Kass. Bis zu den Sommerferien ist er auch bereits ausgebucht. „Die Hofbesichtigungen sind eigentlich meine Hauptaktivität. Ich versuche dabei, die Besichtigungsgruppen so weit wie möglich in die alltäglichen Arbeiten des Hofes einzubinden. Abends gegen 22 Uhr stehen dann noch administrative Angelegenheiten für circa eine Stunde an“, erläutert Kass seinen Tagesablauf.
Tom Kass hat von 1992-1997 in Hohenheim Landwirtschaft studiert. Durch Hochschulexkursionen und angeregt durch die Begeisterung seiner Frau Anja Staudenmayer für biologisch-dynamische Landwirtschaft — sie ist heute ebenfalls Agraringenieurin — war ihm ziemlich schnell klar, dass er den Hof seiner Eltern umkrempeln wollte. „Es war nicht einfach, meinen Vater von der biologischen Landwirtschaft überhaupt und vor allem der biologisch-dynamischen zu überzeugen“, erzählt Kass. Heute jedoch kann der 73-Jährige es nicht lassen, täglich 6 Stunden alleine den Melkstall zu bedienen.
Viehzucht, Saatgutproduktion und Ackerbau werden in der biologisch-dynamischen Landwirtschaft nach anthroposophischen Grundsätzen betrieben. Die Anthroposophie ist eine von Rudolf Steiner begründete spirituelle Weltanschauung, die gnostische und fernöstliche Traditionen aufgreift sowie auf Elementen des deutschen Idealismus und Goethes Weltanschauung beruht. In den 1920er Jahren stellten einige Landwirte einen starken Qualitätsverlust in der Getreideproduktion fest und beauftragten Rudolf Steiner, eine Vortragsreihe über Landwirtschaft zu halten, in der schließlich die Grundsätze der biologisch-dynamischen Landwirtschaft festgelegt wurden. Dies war in einer Zeit, in der die Stickstoffdüngung und Massenproduktion im Aufschwung waren. Konkret bedeutet heute das Landwirtschaften nach anthroposophischen Prinzipien, dass man eine nachhaltige Fruchtbarkeit der Böden anstrebt, Tieren eine Seele und besondere Eigenschaften zuschreibt und nicht einseitig produziert. Der markanteste Unterschied zu dem ökologischen Landbau ist der, dass die Aussaat und Ernte auf bestimmte Mondphasen und Planetenkonstellationen abgestimmt wird.
Zum Ausbau des Obst- und Gemüseanbaus — nach anthroposophischem Ideal — hatte die Familie bisher wenig Zeit, da Tom Kass stark in die Besucherführungen und seine Frau Anja vor allem in die Leitung des Bioladens eingebunden sind. Daneben sind seine Kinder noch jung und müssen von beiden Elternteilen betreut werden. Sie hoffen, dass sich ein Interessent melden wird, der den Gemüseanbau auf dem Anliegen entwickeln will. „Ich hatte auch schon einen Arbeitslosen, der im Rahmen einer Beschäftigungsmaßnahme hier ein Praktikum machen sollte. Man braucht viel Geduld um Menschen, die lange keiner Arbeit nachgingen, einzuweisen. Schließlich wurde es ihm nach einigen Wochen zu viel“, berichtet Kass von dem Vorhaben, auf diesem Weg einen Mitarbeiter einzubinden. „Wir produzieren deshalb momentan vor allem Kuh-, Schweine- und Ziegenfleisch. Die 200 Hühner deck-
en die Nachfrage an Eiern im Laden ab, aber nicht mehr“, sagt Bauer Kass.
Sind die anthroposophischen Ideen stark präsent in seiner Arbeit? Es sei immer schwer zu fassen, was mit diesem Begriff zu verbinden sei, meint Kass. „Als mich ein Kunde mal fragte, ob ich Anthroposoph sei, wusste ich nicht, was antworten“, sagt Kass und denkt kurz nach: „Heute würde ich mit Ja antworten“. Er überlegt einen weiteren Moment und fährt fort: „Leider gehen ja einige auch wichtigtuerisch mit dem Begriff um. Meine Familie will sich aber nicht durch eine Weltanschauung abheben.“ Sie hätten sich auch ihre Gedanken darüber gemacht, wo welches Gebäude hinkommt, erklärt er und fügt fast etwas verlegen hinzu: „Vor den Bauarbeiten haben wir uns auch überlegt, wie wir die Naturgeister in unser Vorhaben miteinbeziehen können.“ Auf die Frage wie man eine Einbindung von Naturgeistern bewerkstelligt, antwortet Kass: „Hm, wie soll ich das erklären? Mir wurde diese Frage so auch noch nie gestellt.“ Nach ein paar Sekunden Bedenkzeit erklärt er: „Wir haben uns überlegt, welche Gedichte sie besänftigen könnten.“ Wie auf allen Demeter-Gehöften befindet sich bei Kass der Kuhstall in der Mitte. „Die Kühe prägen den Tagesablauf am stärksten und strahlen Ruhe aus. Mit ihnen wird auch am meisten gearbeitet, aber ich versuche den richtigen Ausgleich zwischen allen Tieren zu finden,“ sagt Kass.
Wir gehen am Kuhstall entlang, hinein in den Schweinestall. Tom Kass klettert übers Holzgerüst und streichelt dann die Sau und den Eber des Geheges. Währenddessen erklärt er: „Es ist wichtig, stets in Kontakt mit den Tieren zu stehen, so gewöhnen sie sich an mich und wenn ich ihnen helfen muss, beispielsweise auch während den Wehen, haben sie keine Furcht vor mir.“
Heute wirkt der Hof harmonisch und das Konzept scheint aufzugehen. Doch dem ist nicht ganz so. Zunächst gab es einige bürokratische Hürden, die es zu überwinden galt. So brauchte es Zeit, die Baugenehmigung zu bekommen. Es musste geklärt werden, ob ein Hofkomplex, der auch einen kommerziellen Aspekt beinhaltet, sich in einer zone verte befinden darf. Einige Beamte des Landwirtschaftsministerium waren sich zudem nicht schlüssig, ob sie den Hof subventionieren könnten, da ihrer Ansicht nach zu wenig Tiere auf zu großer Fläche gehalten werden. Und schließlich war der Berater, der die wirtschaftlichen Risiken ded Vorhabens auswertete, nicht gewillt eine besondere Subvention für die ökologische Ausrichtung des Hofes zu beantragen. „Wir haben deshalb immer wieder unsere Herangehensweise erklären müssen. Mit der Genehmigung und einigen Subventionen hat es dann doch geklappt“, meint Kass. Von sich aus gibt er schließlich auch zu, dass das Darlehen momentan nicht reicht, der Kostenfaktor höher ist als gedacht und deshalb nach alternativen Finanzierungsmethoden gesucht werden muss.
Welche Maßnahmen müssten denn seiner Meinung nach ergriffen werden, um Biolandwirtschaft zu fördern? „Mir fehlt vor allem Anerkennung für meine Tätigkeit. In den letzten Monaten wurde wieder viel über Zahlen diskutiert: „10% mehr Bio bis zum Jahr X oder Y. Das Ziel sollte aber ganz einfach sein, wie in der Schweiz ökologische Landwirtschaft stark zu fördern und die konventionelle nach und nach zumindest in integrierte Landwirtschaft umzuwandeln“, meint Kass, der durch seine gelassene Art auch nicht den Eindruck macht, als hätte er ein Bedürfnis nach endlos langen politischen Diskussionen. Trotzdem ist er aus Öberzeugung Präsident des Aufsichtsrats von Oikopolis und Mitglied des Vorstandes von BIOG.
Doch dass die Begeisterung der konventionellen Bauern für eine Umstellung eher gering ist, erfährt Kass im direkten Kontakt mit ihnen. „Einige fahren besonders langsam am Hof vorbei, um sich umzuschauen, wenn ich jedoch das Gespräch suche, kurbeln sie schnell das Fenster hoch und machen kehrt.“ Andere konventionelle Landwirte wiederum hätten ihm zu seinem Hofkomplex gratuliert. Der Austausch begrenzt sich aber letztlich meistens auf das Leihen von Maschinen.
Nach unserem Rundgang stehen wir in der Sonne und beobachten die Ankunft einer Kindergeburtstagsgruppe. „Es ist immer interessant zu sehen, welche Gruppen sich für Geburtstage anmelden, bei manchen mag es überraschen, sie auf einem Bauernhof anzutreffen, aber meistens entwickeln sich sehr schöne Stunden mit ihnen“, kommentiert Kass diesen Aspekt seines Erlebnisbauernhofes. Währenddessen packt einige Meter entfernt von uns eine fein rausgeputzte Frau aus dem Kofferraum eines Mercedes-
SUV einen Geburtstagskuchen aus. u
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