Besorgte Bürger, Facebook und die Lügenpresse

Eine medienkritische Betrachtung darüber, wie soziale Netzwerke und Massenmedien zur Zersplitterung der Öffentlichkeit beitragen und den politischen Diskurs beeinflussen.

Die Öffentlichkeit in Luxemburg scheint in den vergangenen Monaten und Jahren aus einer Art Dornröschenschlaf erwacht zu sein, was die Auseinandersetzung mit kontroversen politischen Themen betrifft. Wer in letzter Zeit die Äußerungen, Stellungnahmen und Auseinandersetzungen im Netz um Themen wie „Ausländerwahlrecht“, „Integration ausländischer Mitbürger“, „Bettlerproblematik“ und „Flüchtlingswelle“ verfolgt hat, weiß, was gemeint ist: Hunderte oft eben so hasserfüllter wie unqualifizierter Kommentare unter Nachrichtenbeiträgen, Wortmeldungen von Politikern und bedeutenden Persönlichkeiten der Zivilgesellschaft, die sich berufen fühlen, den ungebremst herüber schwappenden Meinungsmüll entweder zu hinterfragen, oder diesen gar nutzen, um ihre eigene Agenda voranzubringen.

Politisch kontroverse Themen werden heute schneller als jemals zuvor aufgegriffen und in einem breiten öffentlichen Rahmen diskutiert. Meinungen werden ausgedrückt und bestenfalls diskursiv mit mehr oder weniger komplexen Argumenten verteidigt, oft genug wird auch regelrecht gestritten und sich zuweilen auch strafbar gemacht. All dies passiert in einem Ausmaß, welches vor der flächendeckenden Nutzung von Social Networks kaum jemals im Großherzogtum zu beobachten war. Bekam man früher durch Briefe an die Redaktion, Interviews und Zuschauerbefragungen lediglich einen durch institutionelle Medien recht stark gefiltertenEinblick in die „öffentliche Befindlichkeit“, so fällt es sowohl als Medienkonsument wie als journalistischer Beobachter heute zunehmend schwer, jene wahre Flut an Äußerungen überhaupt noch sinnvoll zu erfassen. Ein Umstand, der nicht nur den Bürger, sondern auch die klassischen Massenmedien sowie die verschiedenen Akteure aus Zivilgesellschaft und Politik zunehmend vor eine Reihe neuer Herausforderungen stellt, wie wir sehen werden. Denn zu Anfang stellt sich die Frage, mit welcher Öffentlichkeit wir es angesichts solcher Entwicklungen überhaupt zu tun haben.

Die Explosion „der Öffentlichkeit“

Die bestehenden Theorien zur Öffentlichkeit sind nur bedingt tauglich, um die aktuellen Vorgänge zu beschreiben und zu verstehen. Jürgen Habermas etwa sah bereits 1962 in seiner Habilitationsschrift die Öffentlichkeit als einen Ort der politischen Auseinandersetzung, der durch die Massenmedien gefährdet, aber auch stabilisiert werden kann.1 Andere Theoretiker wiederum beschreiben die Öffentlichkeit als gesellschaftlichen Aushandlungsprozess2, in dem Macht und Herrschaft thematisiert und kritisiert werden können, oder auch als noch nicht abgeschlossenes System aus verschiedenen Ebenen, die sich durch spezifische Weisen der Informationssammlung, -verarbeitung und -verwendung kennzeichnen3. Aus jedweder Perspektive verspricht die zunehmende Vernetzung und Interaktivität dank der „neuen Medien“ einerseits eine Demokratisierung, andererseits droht eine zunehmende Zersplitterung der Öffentlichkeit, wie Habermas 2008 zu bedenken gab: „(…) computergestützte Kommunikation (kann) unzweideutige demokratische Verdienste nur für einen speziellen Kontext beanspruchen: Sie unterminiert die Zensur autoritärer Regime, die versuchen, spontane öffentliche Meinungen zu kontrollieren und zu unterdrücken. Im Kontext liberaler Regime überwiegt jedoch eine andere Tendenz. Hier fördert die Entstehung von Millionen von weltweit zerstreuten chat rooms und weltweit vernetzten issue publics eher die Fragmentierung jenes großen, in politischen Öffentlichkeiten jedoch gleichzeitig auf gleiche Fragestellungen zentrierten Massenpublikums. Dieses Publikum zerfällt im virtuellen Raum in eine riesige Anzahl von zersplitterten, durch Spezialinteressen zusammengehaltenen Zufallsgruppen. Auf diese Weise scheinen die bestehenden nationalen Öffentlichkeiten eher unterminiert zu werden“4 Diese Fragmentierung wird dadurch gefördert, dass Interaktionssysteme im Netz sich inhaltlich völlig oder weitgehend vom Mainstream der Massenmedien abkoppeln und bewusst nur noch bestimmte Zielgruppen angesprochen werden. Dies wiederum führt zur Entstehung von „Gegenöffentlichkeiten“ und „Teilöffentlichkeiten“. Als Musterbeispiel für ein derartiges Interaktionssystem, das im Begriff ist, unsere mediale Landschaft und den öffentlichen politischen Diskurs grundlegend zu verändern, muss das soziale Netz „Facebook“ gelten, das von etwa 60 Prozent der luxemburgischen Bevölkerung mehr oder weniger aktiv genutzt wird.

Tunnelblick: Facebook als Realitätsfilter und „Echo-Box“

Erschwerend hinzu kommt der Umstand, dass soziale Netzwerke, klassische Massenmedien und Akteure aus Politik und Gesellschaft sich gegenseitig beeinflussen und Bezug aufeinander nehmen. Dieser Prozess der Rückkopplung wiederholt sich zudem ständig, so dass sich beim unkritischen Betrachter nach und nach ein „medialer Tunnelblick“ einstellt, der keinen Raum für abweichende Meinungen lässt. Insbesondere Facebook, mit seiner durch Algorithmen gesteuerten Filterung des „Newsfeeds“, in dem die Beiträge dem User dargeboten werden, spielt hier eine wesentliche Rolle. Durch seine „Likes“ und die Selektion sowie gegebenenfalls das Blockieren von „Freunden“ erstellt der Benutzer nach und nach seinen eigenen Wahrnehmungsfilter. Die virtuelle Öffentlichkeit, wie sie ihm auf Facebook erscheint, nimmt also nach und nach die Funktion einer „Echo-box“ an, die lediglich das an Meinungen und Positionen wiedergibt, was der Nutzer durch seine Manipulation des Filters und seine eigenen Beiträge ohnehin selbst hineingibt. In anderen Worten: dem Benutzer scheint es mit der Zeit immer mehr, als teilten alle anderen Benutzer seine Meinung. Gegenüber dem Zuspruch, den er naturgemäß in einem solchen Umfeld erfährt, verwirft er jegliche abweichende Meinung als jene einer zu vernachlässigenden Minderheit — eine Einstellung, die jegliche diskursive Auseinandersetzung also von vornherein ausschließt.

Forschungsergebnisse zu diesem Wirkungsaspekt sozialer Medien deuten im übrigen darauf hin, dass eine solche Dynamik mit der Zeit dazu führt, dass ein Individuum sich radikalisiert und zunehmend weniger bereit ist, sich auf einen argumentativen Diskurs mit anders Gesinnten einzulassen.5

Vom Hype zum Shitstorm: mediale Ausschlachtung, „Querfront-Medien“ und Resonanzeffekte

In einem zweiten Schritt werden diese „Teilöffentlichkeiten“ in das mediale Angebot klassischer Massenmedien übernommen und thematisiert. Wenn ein Thema auf Facebook kontrovers und von vielen Benutzern gleichzeitig diskutiert wird, muss sich das Publikum offenbar da- für interessieren, so die Logik in den Redaktionen. Dass es sich dabei jedoch keinesfalls um eine repräsentative Meinung handelt, wird gerne außer Acht gelassen. Die mediale Aufmerksamkeit der institutionalisierten Presse dagegen befeuert die Diskussion im sozialen Netz weiter, was, abhängig von der publizistischen Zielsetzung des jeweiligen Akteurs, zu einer weiteren Polarisierung führt.

Eine besondere Rolle spielen dabei politisch motivierte Informationsangebote, die sich als „alternative Medien“ verstehen und sich bewusst gegen die vermeintliche „Lügenpresse“ stellen. Ein Beispiel sind die so genannten „Querfront-Medien“, die im deutschsprachigen Raum trotz oder wohl leider auch aufgrund ihrer wahlweise rechtspopulistischen, religiösfundamentalistischen, antisemitischen oder gar verschwörungstheoretischen Ausrichtung auf eine nicht geringe Resonanz beim Publikum stoßen und dank sozialer Netzwerke wie Facebook Erfolg haben6: „Das Netzwerk verdankt seinen Erfolg wesentlich der Tatsache, dass es Personen, Organisationen, Positionen und Haltungen eine Stimme verschafft, die in den klassischen Medien nicht repräsentiert oder ausgegrenzt werden, obwohl diese — laut Meinungsumfragen — sehr wohl über einen mehr oder weniger starken Rückhalt in der öffentlichen Meinung verfügen. Das gilt für Positionen, die aus Sicht des politischen Mainstreams als rechts- wie als links- populistisch charakterisiert werden können. (…) Die offerierten geschlossenen Deutungswelten, die mit den Inhalten, die den herrschenden Mainstream prägen, so gut wie nichts zu tun haben, stoßen über das jeweilige Milieu hinaus auf steigendes Interesse. Bei der Herstellung der Produkte setzen die Akteure auf die Mechanismen der Personalisierung, Dramatisierung, Zuspitzung, Perspektivenarmut und Skandalisierung — all dies Mechanismen, die sie als Kritikpunkte wiederum den klassischen Mainstream-Medien vorhalten.“7 In einem dritten Schritt werden Akteure aus Zivilgesellschaft und Politik auf den aktuellen medialen „Hype“ aufmerksam und bringen ihre eigenen Positionen mit ein. Dieser gesamte Prozess kann in allen drei Etappen initiiert werden und sich rekursiv immer weiter wiederholen. Auffallend ist, dass es im Gegensatz zum klassischen öffentlichen medialen Diskurs keine Instanz gibt, die eine Moderations- und Analysefunktion übernimmt, wie Jürgen Habermas bereits bemerkte: „Das Web liefert die Hardware für die Enträumlichung einer verdichteten und beschleunigten Kommunikation, aber von sich aus kann es der zentrifugalen Tendenz nichts entgegensetzen. Vorerst fehlen im virtuellen Raum die funktionalen äquivalente für die Öffentlichkeitsstrukturen, die die dezentralisierten Botschaften wie- der auffangen, selegieren und in redigierter Form synthetisieren8.“ Schlussfolgernd kann also festgehalten werden, dass die besondere Dynamik, welche durch die zunehmende Nutzung sozialer Netzwerke als Informations- und Kommunikations- mittel entsteht, einen nicht zu vernachlässigenden Einfluss auf den medialen Mainstream sowie auf den öffentlichen politischen Diskurs haben wird. Ein Aspekt, den nicht nur Politiker, sondern auch Medienschaffende stets im Hinterkopf behalten sollten, insbesondere, wenn sie sich an „ihr Publikum“ wenden, um Botschaften zu vermitteln und zu informieren. Denn sowohl die Zersplitterung der Öffentlichkeit in eine Vielzahl von Teilöffentlichkeiten, als auch die zu beobachtende Polarisierung und Radikalisierung im öffentlichen Diskurs dürfte in Zukunft zunehmend nach neuartigen Ansätzen und Strategien verlangen, um weiterhin wirkungsvoll kommunizieren zu können.

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