Beweg (dich) etwas!

Ein Aufruf für Partizipation und menschliches Handeln

Im Vorfeld eines Public Forum, das am 3. Oktober vergangenen Jahres am Mierscher Kulturhaus stattgefunden hat und bei dem ich gemeinsam mit der Journalistin Tessie Jakobs, der Aktivistin Zohra Barthelemy und dem CSV-Politiker Alex Donnersbach über die „Zukunft der Demokratie“ diskutiert habe, habe ich auf Einladung des Zentrum fir politesch Bildung und des Mierscher Kulturhauses eben dort unter dem Titel „Beweg (dich) etwas!“ einen Workshop mit Jugendlichen zwischen 15 und 18 Jahren aus dem Lycée Ermesinde, dem Lënster Lycée und dem Lycée technique d’Ettelbruck durchgeführt. Die Jugendlichen hatten am Abend des Public Forum die Möglichkeit, über den Workshop zu berichten und mit den Gästen zu diskutieren. Ich möchte an dieser Stelle die Arbeit sowie die Ergebnisse zusammenfassen.

Zwei Leitfragen haben den Workshop begleitet: Wie schaffen wir es, unsere intellektuellen Vorstellungen und Ideen in Handlungen zu überführen? Was kann körperliche Bewegung gedanklich auslösen, und welche Dynamiken entstehen in einem Gruppenverband, wenn wir uns nicht nur sprachlich, sondern auch körperlich ausdrücken und miteinander kommunizieren?

Tag 1

Im ersten Teil des ersten Workshop-Tages ging es darum, körperlich in Bewegung zu kommen. Es war mir wichtig, die philosophisch-politischen Aspekte des Themas zunächst auszuklammern und den Schüler*innen die Möglichkeit zu geben, den sie umgebenden Raum erst einmal körperlich und gemeinsam zu erobern. Jede Bewegung, die wir vornehmen, hat eine Auswirkung: actio – reactio. Jede physische Aktion einer einzelnen Person kann die Dynamik einer ganzen Gruppe verändern. Zum Warmwerden und Kennenlernen gab es zunächst einen spielerisch-sportlichen Teil. Weitere Übungen dienten der Konzentration in der Gruppe und verlangten gegenseitige Achtsamkeit. Die Schüler*innen waren zunächst etwas irritiert und reagierten sehr unterschiedlich, dennoch hatten fast alle großen Spaß an den spielerischen Aufgaben.

Im zweiten Teil ging es darum, auch gedanklich in Bewegung zu kommen. Als Einstimmung auf den theoretischen Teil lasen wir uns gegenseitig Stellungnahmen zu den Themen Freiheit und Demokratie vor, um sie im Anschluss zu diskutieren. „Begreifen wir Freiheit nur als Abwesenheit von Furcht und Zwängen oder meint Freiheit gar, sich an gesellschaftlichen Prozessen zu beteiligen?“ „Haben wir diese Freiheit einfach? Wer gibt sie uns? Kann man sie uns auch wieder wegnehmen?“ (Hannah Arendt) „Welchen Wert hat politische Freiheit, wenn sie nicht Mittel ist für moralische Freiheit?“ (David Thoreau) „Wir brauchen einen neuen Humanismus zur Verteidigung der Demokratie!“ (Philipp Ruch, Zentrum für politische Schönheit)

Ausgehend von diesen Zitaten untersuchten und diskutierten wir gemeinsam die folgenden Begriffe: „Freiheit“ (was bedeutet Freiheit überhaupt? Sind wir frei? Was sind negative/positive Freiheiten?), „Demokratie“ (was bedeutet Demokratie? Leben wir in einer Demokratie, so wie wir sie uns wünschen?) und „Gerechtigkeit“ (wo erleben wir Gerechtigkeit? Leben wir Gerechtigkeit? Was unterscheidet Luxemburg von anderen Ländern?) Im Verlauf der Debatte haben wir diese Begriffe immer wieder auf uns persönlich bezogen, um sie dann in einen größeren und globalen Kontext zu setzen. Ein Artikel aus der Zeit vom 5. November 2009 inspirierte mich zu einer weiteren Frage, die die Debatte bereicherte: Wie sähe die Welt aus, wenn sie ein Dorf von 100 Einwohnern wäre unter der Voraussetzung, dass die ganze Welt mit allen Kontinenten und allen unterschiedlichen Lebensweisen und -umständen in diesem kleinen Dorf komprimiert wäre?

Der dritte Teil des ersten Tages sollte dann eine Synthese aus physischer und psychischer Bewegung bringen: Nach einer kleinen Pause begannen wir wieder mit aktivierenden körperlichen Übungen, mit denen die Interaktion in der Gruppe ins Zentrum gerückt wurde (Impulse aufnehmen, Impulse abgeben, unterschiedliche Dynamiken im Raum herstellen), und wir stellten uns gemeinsam die Frage: „Was können wir tatsächlich tun in dieser Welt? Was würden wir gerne tun?“ Inspiriert von Martin Luther Kings Rede „I have a dream“ bat ich die Schüler*innen ihre Wünsche, Träume und Hoffnungen aufzuschreiben: Wie kann die Welt eine gerechtere werden? Was müsste auf politischer Ebene in Luxemburg (in Europa, in der Welt) passieren? Was kann jede*r Einzelne tun?

Tag 2

Für den folgenden Workshop-Tag dienten diese Wünsche und Forderungen als Ausgangsbasis unserer Diskussion über konkrete Möglichkeiten, etwas zu bewegen. Wir sammelten Ideen zu künstlerischen Flashmobs und Demonstrationen, aber auch zu der Frage, wie man sich auf politischer Ebene engagieren könnte, und es kamen viele schöne Aktionsideen auf, denen man jetzt eine Plattform geben müsste, damit sie umgesetzt werden können. Danach war ein großer Wunsch unter den Schüler*innen zu verspüren, ihren aufkeimenden Gedanken dann auch einen real wirksamen Output zu ermöglichen. Es war schön zu sehen, wie am Ende des Workshops verschiedene Klassen, die sich vorher nicht kannten, miteinander diskutiert haben, im besten Sinne also lebendige Demokratie praktizierten. Zum Abschied hörte ich einvernehmliche Wünsche, sich hoffentlich zu einer Aktion wiedersehen zu können. Im Kasten finden Sie die von den Schüler*innen formulierten Wünsche und Forderungen.

Fazit

Ein drei- bis sechsstündiger Workshop kann nur eine Anregung sein. Der nächs­te Schritt müsste darin bestehen, Räume (zeitlich und örtlich) zu schaffen, in denen wir uns alle konkreter und kontinuierlich mit den formulierten Ideen auseinandersetzen könnten, um sie z.B. in eine künstlerischen Aktion münden zu lassen (Ausstellung, Straßentheater, Performance etc.).

Er-fassen, be-greifen, durch-dringen, über-legen, ver-stehen: die physische Handlung ist den kognitiven Worten immanent. All diese Verben implizieren Zeit. Zeit, die wir uns im durchgetakteten Alltag und all den „Programmen“ nehmen müssen, um wirklich etwas zu durchdringen und „in die Hand zu nehmen“! Zeit, die uns allen so oft fehlt.

Mit dem abschließenden Zitat von Goethe bleibt mein Wunsch, diese Ideen weiterzuverfolgen, die Schüler*innen in ihren Äußerungen ernst zu nehmen und mit ihnen künstlerisch und aktiv umzusetzen! „Es ist nicht genug zu wissen, man muss es auch anwenden; es ist nicht genug zu wollen, man muss es auch tun!“ (Goethe)

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