Big Data & Big Business

Datenschutz als Wirtschaftsfaktor

1 Trillion Euro — so wertvoll werden die persönlichen Daten der Europäer im Jahr 2020 sein laut einer Schätzung der Europäischen Kommission. Ein riesiges wirtschaftliches Potential ergibt sich aus den schier grenzenlosen Möglichkeiten persönliche Daten zu verknüpfen, und doch rühmt sich die Europäische Union mit den höchsten Datenschutzstandards der Welt. Big Data und Big Business müssen allerdings keine Gegensätze sein: Europa kann wirtschaftlich von den neuen Möglichkeiten profitieren — nicht trotz, sondern wegen seiner strengen Datenschutzregeln.

Das Geschäftsmodell „persönliche Daten“ beruht darauf, Benutzern jeglicher Art von (hauptsächlich online angebotenen) Dienstleistungen personifizierte und auf die Person zugeschnittene Angebote und Werbeeinblendungen zu präsentieren. Die Methode kennt jeder, der schon einmal bei Amazon eingekauft hat. Das in Luxemburg ansässige Unternehmen benutzt seit Jahren persönliche Daten ihrer Benutzer um zum weiteren Einkauf anzuregen. Die „Benutzer die ihr Produkt kauften, kauften auch…“-Funktion ist dabei die offensichtlichste Verknüpfung von Benutzerdaten — im Hintergrund werten tausende Webseiten, Onlineshops und soziale Netzwerke die Verweildauer ihrer Benutzer auf verschiedenen Seiten, die Häufigkeit von Mausklicks oder die Regelmäßigkeit der Besuche aus. Big Data — längst zum Buzzword für alle Datensammler geworden — greift so tief ein in das Benutzerverhalten von uns allen, die das Internet besuchen, dass eine unkontrollierte Verarbeitung und Verknüpfung uns tatsächlich Angst machen sollte.

Doch in den seltensten Fällen verstoßen diese Verknüpfungen persönlicher Daten gegen geltendes Datenschutzrecht. Oft stimmen wir der Verbindung unserer Profile über die Nutzungsbedingungen zu, oftmals ohne wirklich die Wahl zu haben. Wer wird schon morgen auf ein Linux-Betriebssystem wechseln, weil das neue Windows 10 wieder ungefragt persönliche Daten nach Redmond geschickt hat? Will der normale Verbraucher nicht sogar, dass ihm ähnliche Produkte angeboten werden oder er Rabatte auf Dienstleistungen erhält, die ihm besonders gefallen könnten? Die Millionen von Benutzern, die bei Amazon, Zalando&Co ihre Profile mit ihren Facebook-Konten verknüpfen, sprechen dafür, dass informationelle Selbstbestimmung — ein Grundrecht z. B. des deutschen Datenschutz- und Persönlichkeitsrechts — als Gegengewicht zur wirtschaftlichen Stärke der größten Unternehmen der Welt nicht ausreicht, um Bürger und Verbraucher vor einem nicht regulierten Datenmarkt zu schützen.

Stehen Big Data und Big Business einem starken Datenschutz also grundsätzlich entgegen? Ist Silicon Valley europäischen Unternehmen nur voraus, weil sie keine Rücksicht auf die persönlichen Daten der BenutzerInnen nehmen müssen? Es gibt in den USA tatsächlich kein generell gültiges Datenschutzgesetz ähnlich der europäischen Datenschutzrichtlinie: Regeln zum Schutz persönlicher Daten werden vor allem auf Ebene der Bundesstaaten getroffen. Obwohl das Datenschutzrecht in der EU und in ihren Mitgliedsstaaten generell einen höheren Standard genießt als in den USA, schaffen es US-Firmen in Europa Fuß zu fassen. Apple investiert 1,7 Milliarden in ein europäisches Datenzentrum, während die Cloud-Computing Firma Salesforce in gleich drei Mitgliedsstaaten der Europäischen Union IT- Infrastruktur aufbauen lässt. Diese Tatsache, zusammen mit den tausenden innovativen europäischen Firmen, die in Europa ihr Geschäftsmodell auf „Big Data“ basieren, zeigen, dass stärkere Datenschutzregeln nicht grundlegend einer wirtschaftlichen Nutzung persönlicher Daten im Wege stehen.

Und trotzdem hinkt die EU der Konkurrenz aus Übersee, aber auch den asiatischen Märkten, in puncto Innovation hinterher. Ein Grund dafür ist, dass Datenschutz noch zu oft nicht als Wirtschaftsfaktor, sondern als Hindernis für Innovationen gesehen wird. Dabei bietet ein strenger, einheitlicher europäischer Datenschutz großes wirtschaftliches Potential. Europäische Firmen — darunter auch luxemburgische Datenzentren — können nicht nur mit schnellem Zugang zur Cloud, sondern auch mit hohen Sicherheitsstandards werben. Der Datenschutz als Startup-Idee muss sich auch in der Fintech-Branche als Geschäftsmodell durchsetzen, wenn datenschutzbewusste Europäer in Zukunft ihr Brötchen mit dem Handy bezahlen sollen.

Um Datenschutz als Wirtschaftsfaktor durchzusetzen, braucht es allerdings einheitliche Regeln, unbürokratische Lösungen und innovative Umsetzungen — und das ohne den Datenschutz für Endnutzer zu verwässern. Das bedeutet auch, dass Regierungen umdenken müssen: Anstatt Pseudo-Lösungen wie das „Recht auf Vergessen“ (was in Wirklichkeit ein Recht auf Verstecken ist) als Datenschutz anzupreisen, sollten sie z. B. eine europaweite Kultur des „Open Data“ schaffen — staatliche Datenbanken wie Straßenkarten oder Verkehrsdaten und ähnliche nicht personenbezogene Daten gehören nicht nur Bürgern, sondern auch Firmen zugänglich gemacht, damit diese zu innovativen Lösungen genutzt werden können.

Nationale Datenschutzagenturen müssen Unternehmen unterstützen, im Rahmen der legalen Regeln ihren Nutzern Zugang und Benutzung ihrer Systeme zu erlauben und eine europäische Datenschutzbehörde muss signifikante und transparente Strafen gegen Unternehmen verhängen können, die geltendes Datenschutzrecht missachten.

Die Bürger und der Schutz ihrer persönlichen Daten müssen immer im Vordergrund einer Datenschutzreform stehen. Nicht trotz, sondern deswegen bieten sich einzigartige Möglichkeiten in Europa und Luxemburg für Geschäftsmodelle, die den Datenschutz als Wirtschaftsfaktor erkennen und nutzen.

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