Biodiversität und der Siedlungsraum

Mit rasant steigenden Bevölkerungszahlen weiten sich auch Siedlungsräume zunehmend aus. Die Natur bleibt dabei häufig außen vor. Allerdings muss die Entwicklung von Stadt-Umlandbereichen nicht zwingend eine Gefahr für die biologische Vielfalt darstellen. Zahlreichen Tieren und Pflanzen können Städte erstaunliche Lebensräume bieten.

Biodiversität und Urbanisierung

Biodiversität bezeichnet die Vielfalt der Gene, der Arten und der Ökosysteme, also die Vielfalt allen Lebens auf der Erde. Diese Vielfalt ist Voraussetzung für die Widerstandsfähigkeit und das langfristige Funktionieren von Ökosystemen. Sie spielt somit auch eine Schlüsselrolle in der Bereitstellung von, für das menschliche Leben und Wohlbefinden unverzichtbaren Ökosystemleistungen (z.B. Hochwasser- und Klimaregulation, Trinkwasserversorgung, Luftfilterung, Bestäubung, …).

Allerdings ist die Biodiversität, trotz ihrer enormen Wichtigkeit für die Menschen, stark durch uns gefährdet. Eine der Hauptgefahren für die Biodiversität ist der Verlust von Lebensraum durch Ausräumung der Landschaft infolge intensiver Land- und Forstwirtschaft aber vor allem auch durch Verbauung und Zersiedelung infolge der Urbanisierung.

Um den Verlust der biologischen Vielfalt zu stoppen wird es daher entscheidend sein, Biodiversität und Stadt-Umlandbereiche als miteinander verknüpfte Herausforderung anzugehen.

Siedlungsbereich – Fluch …

Mit dem Wachstum von Städten werden besonders durch Zersiedelung wichtige Lebensräume zerstückelt oder zerstört. Die verbleibenden Teil-Lebensräume sind oft nicht groß genug um die komplexen ökologischen Gemeinschaften zu beherbergen. Viele Arten benötigen große zusammenhängende Habitate, um stabile Populationen zu bilden. Infolge der Zersiedelung haben besonders nicht-mobile Arten weniger (Kern-)Lebensraum zur Verfügung. Durch Barriere-Effekte haben sie außerdem keinen Zugang mehr zu Ressourcen in abgetrennten Teil-Lebensräumen und auch der genetische Austausch mit anderen Populationen ist nicht mehr möglich. Das Zusammenspiel dieser Effekte führt zu isolierten und kleiner werdenden Populationen, welche anfälliger gegenüber Stress durch natürliche Störungsfaktoren (z.B. Witterungsverhältnisse) sind. Viele Arten sind somit infolge der Zersiedelung einem höheren Risiko ausgesetzt, zumindest auf lokaler Ebene, auszusterben.

Die hohe Populationsdichte und das dichte Straßennetz macht laut einem Bericht der Europäischen Umweltagentur aus Luxemburg das mit Abstand am meisten fragmentierte Land in Europa1. Nirgendwo sonst auf unserem Kontinent ist die Wahrscheinlichkeit kleiner, dass sich zwei Individuen einer Art begegnen, ohne zuvor auf eine Barriere zu treffen. Hinzu kommt eine fortschreitende Uniformierung der verbleibenden Lebensräume und ein stärkerer menschlicher Druck (Störung, Lärm) auf diese. In Luxemburg sind dementsprechend viele Habitate und daran hängende Arten bedroht: Seit 1960 sind beispielsweise etwa 80% aller Feuchtgebiete und 60% der Obstgärten verschwunden. Auch von Strukturen wie Hecken, welche als Trittsteine und Korridore fungieren, gibt es rund 1/3 nicht mehr2.

… und Segen zugleich

Städte sind die neuesten Habitate auf der Erde und zählen gleichzeitig zu jenen, die sich am stärksten ausbreiten. Der urbanen Umgebung wird ein Wachstum von 30% in diesem Jahrhundert vorhergesagt. Diese neue Umwelt bietet vielen Arten erstaunliche Möglichkeiten und Lebensräume.

In Städten treten zahlreiche menschliche Nutzungen auf engem Raum auf, wodurch viele sehr kleinräumige Habitatstrukturen entstehen. Hochhäuser, Einfamilienhäuser, Büroflächen oder Industriegebäude sind über Bahnanlagen, Straßen und Wege vernetzt und wechseln sich mit unberührten Brachflächen, innerstädtischen Feuchtgebieten, Gärten und Balkons oder intensiv genutzten Parkanlagen unterschiedlicher Größe ab. Zusätzlich erfolgen langfristige (Bebauung) und kurzfristige (Grünschnitt) Eingriffe und Störungen (Lärm, Licht) sowie eine schwankende zeitliche Nutzung verschiedener Areale (Tag/Nacht). Die strukturelle Diversität zusammen mit der räumlichen und zeitlichen Dynamik in Städten ermöglicht eine andere und oft vielfältigere Zusammensetzung der Tier-und Pflanzenwelt als die der ausgeräumten Kulturlandschaften. Der deutsche Evolutionsbiologe Joseph H. Reichholf spricht von Städten sogar als „Inseln der Vielfalt“. Die Städte der Nordhemisphäre beherbergen schätzungsweise über 50% der Arten der jeweiligen biogeographischen Region.

Je größer eine Stadt ist und/oder je mehr Einwohner sie hat, desto größer ist zudem ihre Biodiversität, da eine größere Stadtfläche eine größere Anzahl an Habitaten für verschiedene Arten bieten kann. Ein weiterer Grund für den hohen Artenreichtum in Städten ist in vielen Fällen auch die Einbringung nicht-einheimischer Arten, welche mit der Einwohnerzahl steigt und den durch Urbanisierung bedingten Rückgang einheimischer Arten ausgleicht.

Im Kontext nicht-einheimischer Arten wird oft vor einer Dominanz einiger weniger nicht-spezialisierter Arten (Generalisten) und somit einer Homogenisierung der Biodiversität gewarnt. Dennoch zeichnen sich Städte durch einen hohen Reichtum an Natur aus, nicht zuletzt da sie sich oft in produktiven Regionen mit landschaftlicher Vielfalt entwickelt haben. Demnach beherbergen Städte auch viele seltene bzw. gefährdete Arten und Habitate, die in der Natur- und Kulturlandschaft selten geworden oder verschwunden sind und welche für den Naturschutz und den Erhalt der biologischen Vielfalt von Bedeutung sind. Beispielsweise sind rund 180 durch die euro päische Habitat-Richtlinie visierte Arten an städtische Ökosysteme gebunden.

Besondere Nischen in Städten

Viele Arten genießen das hohe Nahrungsangebot in Städten: Gartenvögel profitieren von Zufütterung im Winter, und Füchse, Wildschweine oder Rabenkrähen finden reichlich Essensreste in nicht geschlossenen Mülleimern oder auf dem Kompost. Die erhöhte Verfügbarkeit von Futter verringert den Aufwand zur Nahrungssuche und ermöglicht es manchen Arten sogar mehr Nachkommen zu produzieren als ihre Verwandten in ländlichen Regionen. Viele städtische Individuen haben zudem ihre Jagdstrategie angepasst oder neue Möglichkeiten erlernt, um besser an Nahrung zu kommen.

Auch Unterkunft ist in Städten vielfach zu finden, dabei können Städte besonders spezialisierten Arten interessante Ersatzlebensräume bieten. Marder und Siebenschläfer machen es sich auf Dachböden gemütlich, während Vögel Dachvorsprünge und Nistkästen besetzen, Wildbienen graben sich in Sandkästen Niströhren und Fledermäuse richten ihr Sommerquartier in Kirchtürmen ein. Parkanlagen bieten stillere Rückzugsorte für viele Kleinlebewesen, insektenfressende Vögel oder Säugetiere, welche ihrer Fellpflege am Weiher nachgehen. Lebensraum für viele seltene Arten bieten Brachflächen: Reptilien können sich auf Geröll sonnen und Amphibien finden Pfützen zur Eiablage.

Verbaute Flächen machen Siedlungsräume außerdem zu Wärme- und Trockeninseln. Dies wirkt sich, besonders im Winter, positiv auf viele Arten aus. Ein bekanntes Beispiel hierfür sind die Stare in Rom. Sie suchen tagsüber Nahrung im ländlichen Raum und verbringen die kalten Nächte in der wärmeren Stadt und können so ihre Überlebenschancen erheblich steigern. Aber auch wärmeliebende Pflanzenarten profitieren hiervon.

Eine Art, die sowohl von Nahrung, Unterkunft und verbauten Flächen profitiert, ist der Wanderfalke. In vielen (Groß-)Städten hat sich diese Art auf Haustauben als Nahrungsquelle spezialisiert. Sie brüten an Hochhäusern, die als Ersatzhabitat für sonst genutzte Steilklippen fungieren, und profitieren von der Thermik, die von versiegelten Plätzen ausgeht, um Auftrieb zu erhalten und sich gleiten zu lassen.

Ein weiterer Vorzug der Stadt ist, dass auf öffentlichen Grünflächen keine Pestizide ausgebracht werden. Hiervon profitieren alle Arten, besonders aber Pflanzen, Spinnentiere und Insekten. Die Kombination aus wenig Gift und struktureller Vielfalt wirkt sich positiv auf Bestäuberinsekten und vor allem Bienen aus. Diverse Nistmöglichkeiten in Gärten, Parks, auf Brachflächen oder an Hauswänden sowie das potentiell vielfältige Blütenangebot in diesen Lebensräumen aber auch auf Verkehrsinseln oder entlang von Straßen und Wegen führt dazu, dass mehr Bienenarten an urbanen als an landwirtschaftlichen Standorten vorzufinden sind.

Zukünftige Herausforderungen (für Luxemburg)

Hat eine Art eine geeignete Nische gefunden, kann das Stadtleben ihr also große Vorzüge bringen. Auch wenn viele Tiere und Pflanzen dies geschafft haben, so bleibt es für eine große Anzahl von Arten schwierig, sich an die ständigen und mitunter schnellen Veränderungen in Städten anzupassen. Auch die fortschreitend weniger wahrnehmbaren Unterschiede zwischen Tag und Nacht durch Lichtverschmutzung bleibt für viele Tiere ein Hindernis. Die Herausforderung der Zukunft wird es demnach sein, Städte im Einklang mit der Natur zu entwickeln und den Naturschutz in die Städteplanung mit einzubeziehen, damit die Biodiversität ebenso erhalten bleibt wie das menschliche Wohl.

Eine Schlüsselrolle spielt hierbei die sogenannte Grüne Infrastruktur. Hierunter versteht man das strategisch geplante Netzwerk von natürlichen und naturnahen Flächen. Besonders im stark zersiedelten Süden Luxemburgs, wo es oft keine klaren Grenzen zwischen Städten (Luxemburg, Esch/Alzette) und umliegenden Ortschaften mehr gibt, ist ein solches Netzwerk, durch die Bereitstellung und Aufrechterhaltung von grünen Verbundflächen, ausschlaggebend für den Erhalt der Biodiversität.

Das Rückgrat natürlicher Grüner Infrastruktur, wie Wälder, Flussauen, Wiesen und Weiden bilden Natura 2000 Gebiete, so zum Beispiel der Bambësch in Luxemburg-Stadt, der zum Natura 2000 Gebiet Mamer- und Eischtal zählt, das zum Teil renaturierte obere Alzettetal oder das Vogelschutzgebiet Mittlerer Lias. Diese Gebiete (um nur einige zu nennen) sind wichtige Rückzugsorte, Korridore und Trittsteine für Flora und Fauna und haben somit einen hohen Wert für die Biodiversität im kommunenübergreifenden Agglomerationsbereich. Sie müssen demnach unbedingt erhalten und gefördert werden.

Zur Förderung solcher natürlichen Habitate zählt unter anderem der Habitatverbund. Dieser kann durch natürliche Trittsteine (z.B. Feldgehölz) oder Korridore (z.B. Bäche) erreicht werden, muss aber unbedingt von künstlich geschaffenen Strukturen wie Grünbrücken- und Unterführungen oder Fischleitern getragen werden. Auch Eisenbahnanlagen können eine nicht unwesentliche Habitat- und Korridorfunktion darstellen, sofern sie extensiv und vor allem ohne Pestizide gepflegt werden. Um den ökologischen Wert der Verbundstrukturen zu fördern, müssen diese unbedingt in die regionale Raumplanung mit einbezogen werden.

Innerhalb der Stadt ist die Grüne Infrastruktur vor allem durch naturnahe Flächen wie Gärten und Parks geprägt. Verschiedenartig gestaltete Grünflächen mit hohem Strukturreichtum (einheimische Hecken und Bäume), zunehmendem Alter, geringer Versiegelung und vielfältiger Pflege (artenreiche Blumenwiesen) wirken sich zum einen positiv auf die städtische Biodiversität aus, sind zum anderen aber auch vorteilhaft für das Wohlbefinden der Bürger. Wichtig ist auf dieser Ebene, dass die Grünflächen zugänglich und nutzbar bleiben, um von der Bevölkerung akzeptiert zu werden. Der Stadtparkgürtel zusammen mit dem Petrussetal ist ein wichtiger Bestandteil der Grünen Infrastruktur, wobei die kanalisierte Petrusse selbst keinen wesentlichen Beitrag zur Biodiversität leistet. Eine Renaturierung des Baches würde die strukturelle Vielfalt erheblich steigern und eine größere Biodiversität zulassen.

Grünflächen sollen zudem über den gesamten Siedlungsbereich verteilt sein, so sind sie leichter für die Bevölkerung zugänglich und kommen der ökologischen Vernetzung der Habitate zugute. Hier bieten sich auch für Luxemburg noch viele Möglichkeiten, z.B. durch extensiv gepflegte Baumscheiben und Straßenränder sowie der Pflanzung einheimischer Hecken und Sträucher. Auch begrünte Flachdächer sind Inseln und Trittsteine für viele Arten. Bei der Planung von neuen Gebäuden, insbesondere von Bürokomplexen, könnten diese verbindlich festgelegt oder zumindest ihre Vorteile empfohlen werden.

Darüber hinaus bieten sich aber weitere Möglichkeiten, die Biodiversität in der Stadt zu fördern. Diese reichen vom vogelfreundlichen Bauen mit Nistmöglichkeiten für gebäudebrütende Arten wie Mauersegler bis hin zur innovativen Begrünung von vertikalen Flächen (Hausmauern), was nicht nur die pflanzliche Vielfalt erhöht, sondern auch assoziierten Tierarten Lebensraum bietet.

Schlussendlich sollten auch die Stadtbewohner selbst dazu angeleitet werden, ihr privates Grün naturnaher zu gestalten. Auch die Akzeptanz gegenüber Wildnis in der Stadt muss gefördert werden. Wir müssen den Menschen deutlich machen, dass Biodiversität auch Voraussetzung für eine widerstandsfähige Stadt ist, deren Ökosysteme wichtige Dienstleistungen wie Wasserfilterung, Luftreinigung oder Anpassung an den Klimawandel bereitstellen.

Abschließend ist festzuhalten, dass es besonders im Süden Luxemburgs eine Durchmischung zwischen städtischen und ländlichen Lebensräumen gibt. Diese Durchmischungsräume sind häufig besonders heterogen und artenreich. Dieses Potenzial für die Biodiversität riskiert jedoch schnell infolge von Infrastrukturausbau verloren zu gehen. Um dies zu verhindern, könnte das Konzept der „doppelten Innenentwicklung“ des Bundesamts für Naturschutz als Lösungsansatz dienen. Dieses verfolgt das „Ziel, Flächenreserven baulich sinnvoll zu nutzen, gleichzeitig aber auch (…) die innerstädtischen [Grün]flächen zu entwickeln, miteinander zu vernetzen und qualitativ zu verbessern“3. Nach diesem Leitbild soll eine Stadt sich also städtebaulich entwickeln und gleichzeitig ökologisch verbessern können.

 

1 European Environment Agency (2011): Landscape fragmentation in Europe – Joint EEA-FOEN report, EEA Report No 2/2011.

2 Ministère du Développement durable et des Infra- structures, Département de l’Environnement (2012): Rapport de l’Observatoire de l’environnement naturel 2010-2012.

3 Böhm, J., Böhme, C., Bunzel, A., Kühnau, C., Landua, D. & Reinke, M. (2016): Urbanes Grün in der doppelten Innenentwicklung, BfN-Skripten 444.

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