Protagonisten: NATO, Stay-Behind, Service de renseignement de l’État luxembourgeois (SREL)
„Enthüller“: SREL, Daniele Ganser, Lëtzebuerger Journal
Zeitraum: Ende des Kalten Krieges
Verschwörungsziel: Terror als politisches Instrument
Attraktivität: 4 von 5

Die Story: Die Bommeleeër-Attentate in den Achtzigerjahre gehen auf das paramilitärische Geheimnetzwerk Stay-Behind (Gladio) der NATO zurück. Unter der sogenannten „Strategie der Spannung“ wurde gezielt Terror eingesetzt, um höhere Budgets für Staatssicherheit zu erlangen und gleichzeitig ein kommunistisches Feindbild zu schüren.

Der Kontext: Vor dem Hintergrund einer aufziehenden Konfrontation mit der Sowjetunion beschloss die Nato Anfang der Fünfzigerjahre geheime Netzwerke aufzubauen, die im Fall einer feindlichen Besatzung aktiviert werden könnten. Die Aufgaben der sogenannten Stay-Behind-Netzwerke sollten im Kriegsfall darin bestehen, Informationen zu sammeln und Sabotageakte gegen die Besatzungsmacht zu verüben. Anfang der Achtzigerjahre erreichte der Kalte Krieg geostrategisch einen neuen Höhepunkt. Die Luxemburger Armee trainierte seit den Siebziger- und in den Achtzigerjahren verstärkt in NATO-Manövern. Diese folgten dem immer gleichen Szenario: Kleine subversive Gruppen sollten versuchen, die nationalen Infrastrukturen zu zerstören und Armee und Gendarmerie sollten sie daran hindern. Diese und ähnliche Aktionen liefen im Rahmen einer Serie von als geheim eingestuften NATO-Manövern u.a. mit dem Codenamen „Oesling“, die zwischen 1984 und 1990 in Luxemburg stattfanden.

Die Enthüllung: Unter dem Druck der Öffentlichkeit bestätigte der italienische Ministerpräsident Giulio Andreotti im August 1990 die Existenz des geheimen Gladio-Netzwerkes (Stay-Behind), das nachweislich mitverantwortlich für das Attentat auf den Bahnhof von Bologna am 2. August 1980 war, bei dem es zu 85 Toten kam. Staatsminister Jacques Santer musste am 17. Dezember 1990 bestätigen, dass Luxemburg seit 1952 über ein Stay-Behind-Netzwerk („Le Plan“) verfügte, das dem SREL unterstand. Santer verneinte jedoch einen Zusammenhang zwischen Stay-Behind und den Ösling-Manövern. Ein Bericht der Geheimdienstkontrollkommission des Parlaments von 2008 stützt diese Version.

2005 veröffentlicht der Schweizer Historiker Daniele Ganser NATO’s secret armies: Operation Gladio and terrorism in Western Europe, worin er die Geschichte von Stay-Behind aufarbeitet. Auf Grundlage seiner Arbeit dachten sich die SREL-Beamten Frank Schneider, André Kemmer und Marco Mille die Theorie aus, dass eine parallele Struktur zum Stay-Behind-Netzwerk für die Bombenanschläge verantwortlich sei. Sie fanden u.a. heraus, dass Lucio Gelli — Gründer der P2-Loge und vermutlich in die italienischen Gladio-Anschläge verwickelt — in Luxemburg eine Sozialversicherungsnummer hatte und sich vermutlich hier aufgehalten hat. In einem Interview mit der Revue sagte Ganser, dass „es so gewesen sein könnte“, dass ein Zusammenhang zwischen Stay-Behind und den Bombenleger-Attentaten bestanden haben könnte. Diese Aussagen lieferten den Anlass für den Bericht der Geheimdienstkontrollkommission über Stay-Behind.

Einige Journalisten (insbes. im Umfeld des Lëtzebuerger Journal) fanden den Zusammenhang plausibel: Sinn und Zweck von Stay-Behind war genau auf diese Art von Sabotageoperationen aufgebaut. Während des Bombenleger-Prozesses von Februar 2013 bis Juli 2014 galt die Stay-Behind-Theorie eine Zeit lang als heiße Spur. Der sich in eine Unmenge an Widersprüchen verstrickende deutsche Prozesszeuge Andreas Kramer sagte unter Eid aus, dass sein verstorbener Vater als ehemaliger Operationsleiter des Gladio-
Netzwerks die Bombenleger-Attentate koordiniert habe und machte durch sein Verhalten die gesamte Theorie völlig unglaubwürdig. Doch auch die Verteidigung um Gaston Vogel plädierte stark für die Stay-Behind-Piste. Generalstaatsanwalt Rober Biever, der die Situation in Luxemburg in den 1980er Jahren als „très agitée“ bezeichnet hatte, hält Stay-Behind jedoch als Erklärung für die Bombenattentate für nicht haltbar (siehe Interview S. 32).

Die Muster: Kaum ein Ereignis der Luxemburger Geschichte hat für größere Spekulationen gesorgt als die Serie von Bombenattentaten Mitte der Achtzigerjahre. Die Stay-Behind-Piste als große US-Verschwörung mit rechtsradikalen, militaristischen Helfershelfern ist dabei nur eine der vielen Erklärungsversuche, die in der luxemburgischen Öffentlichkeit zirkulieren. Andere Erklärungen sind weniger politisch und unterstellen lieber menschliche Leidenschaften wie Rache, Neid und Erpressung als Motiv für die im Umkreis der Sicherheitskräfte vermuteten Täter. Um sich die Unfähigkeit bzw. gefühlte Untätigkeit der Justiz in dieser Affäre zu erklären, erzählte sich ein nicht unerheblicher Teil der luxemburgischen Bevölkerung noch jahrzehntelang unter dem Siegel der Verschwiegenheit, dass ein Mitglied des Hofes an den Attentaten beteiligt gewesen sei. Die Staatsanwaltschaft kam schließlich mit der spektakulärsten Erklärung: Sie unterstellt, dass die Täter die Attentate aus purer Langeweile und Frustration über ihre Vorgesetzten verübt hätten. Eine plausible Erklärung für all jene, die sich an das Luxemburg der Achtzigerjahre erinnern können.

Zum Weiterlesen: forum 317, Dossier „Strategie der Spannung“ (Erstabdruck im Lëtzebuerger Journal)

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