Braucht ein Krankenhaus Seelsorger?

Wer begleitet die Kranken und Sterbenden?
Was ist eigentlich „Begleitung“?
Ab wann ist jemand „sterbend“?
Was kommt nach dem Tod?
Warum gerade ich?
Warum dürfen die „Bösen“ leben und müssen
die „Guten“ sterben?
Wie lange habe ich noch zu leben?
Hat der Arzt die Wahrheit gesagt?
Wie möchte ich einmal sterben?
Von wem werde ich in meinem Leiden
wahrgenommen?
Von wem werde ich nach meiner Meinung
gefragt und akzeptiert?
Welche Freiheit(en) habe ich noch?
Gibt es ein Leben nach dem Tod?

So oder ähnlich lauten Fragen im Klinikalltag.


Man könnte meinen, dass ein Krankenhausseelsorger wie ich – zudem noch ein christlich-katholischer – Antworten hat, wenn er mit bestimmten Fragen der Kranken, Verletzten, Sterbenden, Angehörigen,
Mitarbeiter, Ärzte, des Pflegepersonals, etc. konfrontiert wird. Doch es kommt im Grunde gar nicht auf meine Antworten an, ebenso wenig auf meinen Glauben und meine Überzeugungen. Wohlgemerkt:
Relevant sind nicht etwa meine Antworten für den Fragenden, sondern die Antworten für mich selbst. Erst durch diese Reflexion kann ich einem Fragenden und Suchenden authentisch begegnen und zum Helfenden werden. Und diese Hilfestellung dient dazu, dass der Fragende seine eigenen Antworten findet.

Dementsprechend stellt sich nun die Frage, was denn spezifisch christlichkatholisch in der Begleitung von Patienten und Mitarbeitern im Krankenhaus ist? Zuallererst ist das Selbstverständnis eines Seelsorgenden das des Samariters aus der biblischen Erzählung. Denn wie ein Arzt oder Pfleger frage ich nicht vorab nach Herkunft, Religion, Überzeugung. Zudem impliziert das „Katholisch-Sein“ (das Wort bedeutet „allumfassend“) vor allem bedingungslosen Beistand. Ein Krankenhausseelsorger setzt sich so ein wie jeder andere Mitarbeiter im Krankenhaus auch, und im besten Fall bilden sie gemeinsam ein Team.

Man sollte nicht vergessen, dass die Mitarbeiter in einem Krankenhaus neben ihrer beruflichen Kompetenz auch ihre Erziehung, Kultur, Überzeugung, Spiritualität und Religion mitbringen. Somit sind viele ebenfalls Seelsorgende, auch wenn dies ihnen nicht immer bewusst ist. Es ist ein großer Irrtum, zu meinen, wenn man von Professionalität spricht und sie einfordert, dass ein Mensch einzig und allein auf die Handlung seiner Berufsausübung zu beschränken und alles andere dabei auszublenden sei. Es gibt sie noch, die Ärzte, die ein liebevolles und aufmunterndes Wort für ihren Patienten haben. Es gibt es noch, das Pflegepersonal, das die Sorge und Angst des Patienten vor einer Spritze wahrnimmt. Es gibt sie noch, die Raumpflegerinnen, die mit den Kranken sprechen und sich über ihre Erfahrungen und Erlebnisse austauschen … Wir brauchen keine Profis ohne Gefühle, wir brauchen gefühlvolle Menschen, die eine professionelle Arbeit gewährleisten.

Nun ist es aber so, dass Begleiter am Lebensende zwar Sterbebegleiter genannt werden, sie sich aber als Lebensbegleiter verstehen – Lebensbegleiter bis hin zum Tod. Die Sterbehilfe ist also im Grunde eine Lebenshilfe bis zum letzten Augenblick und Atemzug eines Menschen.

Der Blickwinkel oder die Sichtweise sind wichtig: Fokussiere ich mich auf den Todeszeitpunkt oder konzentriere ich mich auf das Leben bis zu diesem entscheidenden Moment? Meiner Meinung nach sind
wir in der politischen, juristischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzung zu sehr auf diesen Todesmoment gelenkt worden. Ja sicher, die Angst vor Schmerzen, vor unnötigen und schier endlosen
Leiden, rechtfertigt den Wunsch nach einem „schönen Tod“. Den wünsche ich mir wie alle Menschen auch. In den Diskussionen wird immer wieder nach dem Recht des Menschen, seinen Todeszeitpunkt
selbst bestimmen zu dürfen, verlangt – als sei er, falls ihm dieses Recht verweigert würde, zum Leben verurteilt. Ich denke, ein Recht auf Begleitung und ein Recht auf Medikamente, die Schmerzen und Leiden auf eine Erträglichkeit reduzieren, die nicht der Arzt bestimmt, sondern der Patient selbst, wären ausreichend. Unser Leben bis zum Tod soll mit Respekt, Eigenverantwortung und ohne Qual möglich sein. Die Mittel dazu sind vorhanden und werden vor allem in der Palliativmedizin angewendet.

Würdevoll bis zum Lebensende leben zu können, heißt gleichzeitig auch würdevoll sterben zu können. Aber jemand, der sein physisches oder psychisches Leiden nicht mehr annehmen kann oder will, was ist mit ihm oder ihr? Gebührt ihnen nicht der gleiche Respekt wie jedem anderen? In diesen Situationen wird unser Dilemma wohl am deutlichsten sichtbar, nämlich Fluch und Segen der Medizin: Der Segen ist, heilen und Leben verlängern zu können; der Fluch ist, nicht alles heilen und Leben unerträglich und manchmal unmenschlich verlängern zu können.

Und da unser Gesundheits- bzw. Krankheitssystem in sich krank ist, sind alle Beteiligten vom Patienten über Familie, Ärzte, Personal bis hin zur Krankenhausleitung fremdbestimmt durch Politik, Pharmaindustrie und Wirtschaftsinteressen. Die Bewertung dieser Situation ist je nach Weltanschauung, Erziehung, Überzeugung ganz unterschiedlich bis diametral entgegengesetzt. Ein Jurist entscheidet anders als eine Familienmutter und sie wiederum ganz anders als ein Moraltheologe, dessen Handeln sich von jenem des Pastoraltheologen unterscheidet. Diese Vergleiche können ins schier Unendliche
fortgesetzt werden. Auf der Strecke bleiben letztendlich immer Patient und Familie.

Das andere Spezifische vom katholischen Seelsorger

Ich begegne im Krankenhaus vielen gläubigen Menschen, aber nur wenigen Praktizierenden. Die Kirchen werden immer leerer, aber das bedeutet noch lange nicht, dass es weniger Gläubige gibt. Die Abkehr von der Kirche, das Fernbleiben von den sonntäglichen Gottesdiensten ist eine Abkehr von der hierarchischen Struktur, eine Abkehr vom Gerüst. Aber die Sehnsucht nach einem Leben über den Tod hinaus und einem liebevollen und barmherzigen Angenommen-Sein bleibt. Als katholischer Krankenhausseelsorger kann ich aus der inhaltlichen Schatztruhe der Kirche Rituale, Gebete, Segen, Kommunion, Lossprechung und Krankensalbung anbieten und ermöglichen. Sie sind eine – meine – Möglichkeit, auf etwas Größeres als unser Leben und Sterben hinzuweisen, etwas, was über unser
irdisches Dasein hinaus auf Gott verweist.

 

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